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Von Zinal nach Zermatt

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VON HANS SCHNORF, WINTERTHUR

Mit 1 Bild Schäumende Navisence! Bei Motec hast du etwas Atem geschöpft auf deiner steilen Reise vom Gletscher ins Tal der Rotte, bist im stillen Wiesengrunde leicht hin und her gependelt, hast schweres Gepäck liegen gelassen und mit deinen Wassern die Kiesel und Steinbrocken lieblich umspült. Murmelnd lehntest du dich ans Wiesenbord und unterspültest die blühenden Rasenpolster. Vorbei der Zauber des lieblich sich ergiessenden Gletscherwassers im Wiesentälchen! Bulldozers zeigen ihre metallenen Zähne, Bagger fressen sich tief ins Erdreich ein und wühlen im Eingeweide der aufgebrochenen Erde, auf der bis anhin die Eringerrasse friedlich weidete. Mensch und Technik. Trauriges Erinnern an vergangene landschaftliche Unberührtheit und neuzeitliches Denken in Kilowatt. Zwei Seelen begegnen sich in der Brust; achselzuckend wendet sich der Bergsteiger von dannen, der daheim weder auf das Bad noch auf den elektrischen Rasierapparat verzichten möchte.

Zinal - höchstgelegener Maiensäss im Tal. Erinnerung an herrliche Ferien und Verheissung einer Tourenwoche. Unten in der Talrinne schäumt und tost der unberührte Fluss und erfüllt die Luft mit der ewig gleichen Grundmelodie, die bald aufreizt, bald beruhigt. Ich starre vom Brücklein ins Element. Die Felspfeiler zwängen und zwingen die rasch dahingleitenden und sich überstürzenden Fluten durch den engen Durchgang. Sie bäumen sich auf, stürzen donnernd und gitschtend ins Becken und eilen brodelnd und mit neuer Wucht der Tiefe entgegen. Ungebändigte Natur! Wie die kleinen Wellen am Stein lecken, um dann von den grossen Schwestern in tanzen-dem Ringelreihen mitgezogen zu werden! Element, urtümlich, wild, seit Jahrhunderten unverändert, schwerlich liessest du dich durch die engen Röhren einer Wasserleitung gefangennehmen!

Der Bergbach zwischen dem Maiensäss und la Barma ist heimtückisch. Im Verlaufe der letzten Jahre brach er mehrmals aus und suchte sich immer wieder ein neues Bett mitten durch die Heuwiesen. Jetzt ist er ein unbedeutendes Rinnsal In drei erst vor kurzem in den moränigen Untergrund gerissenen Rinnen fliesst ein dünner Faden durchs Bett, harmlos. Doch die Frische seiner Spuren, die mit Blöcken und Felstrümmern übersäten Matten, die bedrohten Chalets sprechen eine andere Sprache.Vorwiegend des Nachts pflegt der unheimliche Geselle auszubrechen. Weit oberhalb der Waldgrenze beginnt es zu gurgeln, zu rumoren, hört man das Kollern von Steinen. In kurzer Zeit stürzt das Wasser aus dem tief erodierten Bett über die Wiesen, durch den Wald. Die vor wenigen Jahren oberhalb der Siedlung aufgeworfene Bruchsteinmauer lenkt die Gefahr von den Hotels und der Kirche ab. Und dann frisst sich der Wildbach seinen Weg immer wieder neu durch die unteren Talhänge. Man tut gut, aufzustehen und den Rucksack für alle Fälle zu packen. Im Chalet nebenan brennt Licht. Man hat die Gefahr erkannt. Windlichter bewegen sich auf dem Weg, man folgt seinen Spuren. Das Licht der Kerzenlaterne reitet auf einer grauschwarzen Masse, sie sich brüllend talwärts stürzt, erbarmungslos alles mit sich reisst, was sich in den Weg stellt. Entfesselte Elemente, Urtöne von Mutter Natur. Die Alp la Barma ist nicht mehr. Jenseits des Flusses werfen sich die Flühe der Garde de Bourdon auf über 3000 m auf, brüchiges Gestein, das besonders nach Regengüssen sich loslöst und in die Tiefe kollert, Staubfahnen hinter sich herziehend. Vor zwei Jahren hat der Berg sein Haupt gewaltig geschüttelt. Ein strahlender Morgen erwachte damals. Ich hatte ihn, müde von einer Wanderung, verschlafen. Gegen acht Uhr morgens begann unser Hüttlein, am äussersten Ende der Siedlung gelegen, zu tanzen und in allen Fugen zu krachen. Selbst der geborene Siebenschläfer wurde aus dem Traumland aufgerüttelt. Die Erde bebte, dumpf schlugen Blöcke auf der Alp auf. Das musste der Berg sein! Riesige Felsbrocken, Geschiebe und Schutt rollten unaufhörlich auf der lange vorbereiteten Gleitbahn zu Tal, sich im Falle von über 1000 m zu Staub zermalmend. Eine dichte, schwarzgraue Staubwand, sich wie ein Atompilz zum blauen, klaren Himmel aufwerfend, wälzte sich talauswärts und verdeckte die Sonne. Mit dem Notdürftigsten bekleidet, rannten wir dorfwärts, wurden von der grauen Wand eingeholt, atmeten die Gesteinwolke ein, die infernalisch nach Schwefel roch. Hüttenwart Vianin von der Tracuithütte fing uns unterwegs ab und stärkte uns mit einem guten Tropfen aus dem besseren Fässlein. Es dauerte lange, bis sich die Staubschwaden niedergesetzt hatten. Sie bedeckten die Matten und Bäume in weitem Umkreis und gaben dann endlich den Blick auf la Barma frei. Von der stolzen Hütte, halb zugedeckt, ragten nur noch ein paar Balken anklagend gegen Himmel. Die ganze Alp war von Schutt überfahren, der zähe an den Schuhen haften blieb. Das Futter, das einer grossen Herde während eines vollen Monats Nahrung bot, war vernichtet. Lärchen am Talhang wurden bis weit hinauf geknickt und boten ein trostloses Bild der Vernichtung. Zerstört die Weide, auf der sich jeweilen vor dem Alpaufzug die Tiere zum Kuhkampf einfanden, jenem Wettstreit, der erst endigte, wenn die Königin erkoren war, und dem, neben den Sennen, die Anniviarden mit gespannter Aufmerksamkeit beiwohnten, sich auf Rasenpolstern um den Kampfplatz niederliessen, Brot, Käse und Wein aus ihren Körben auspackten und hofften, die Siegerin möchte aus ihrem Stall hervorgehen. Der Besitz der Königin bedeutet Ansehen und Vermöglichkeit.

Das Wildwasser, der Berg, sie bedrohen den Menschen. Und dieser Mensch flieht vor der Gefahr nicht. Er kennt sie, doch er bleibt. Er ringt um seine schmale Existenz. Flucht wäre ihm gleichbedeutend wie Aufgabe seiner selbst. Die Natur hat diesen Menschen geformt. Er ist wortkarg, hart, treu und gläubig. Katastrophen erträgt er mit Langmut.

So sehr wir Bewohner des Tieflandes es bedauern, dass die moderne Technik vor unseren Walliser Tälern nicht haltmacht und das zerstört, was uns lieb war, unseren Alpentälern bringt der Bau von Kraftwerken Arbeit und Verdienst und hält damit eine langsame Entvölkerung auf. Wir dürfen unserer Bergbevölkerung nicht den Idealismus zumuten, den wir im Mittelland, wo wir Schritt auf Tritt den Spuren menschlichen Eingreifens begegnen, schon lange aufgegeben haben. Wir können uns aus unserer Liebe zur Heimat nur dort gegen Kraftwerkbauten wehren, wo ein gesundes Mass an Eingriffen überschritten wird und das Gesicht unserer Heimat zur Fratze entstellt werden soll.

Wir feiern Wiedersehn mit Zinal. Der Anniviarde zeigt seine Gastfreundschaft auf seine Art. Er bietet uns an, was er anzubieten hat, Brot, Käse und Fendant. Wir haben Mühe zu wehren. Und unsere Tourenwoche beginnen wir mit einer Raclette, wie sie uns nur in diesem Tal angeboten werden kann.

Drei Uhr. Es ist empfindlich frisch, ein Gutwetterzeichen, ein Lichtblick in einem vorwiegend regnerischen Sommer. Die Nacht ist klar, ein Sternenmeer funkelt über uns. Wir haben keine Eile und schlüpfen noch einmal unter die Federdecke.Vier Uhr. Langsam weicht die Nacht aus dem Tal. Oben auf die Gipfel fällt das erste Licht des Sonnenballs.

Gemächlich steigen wir mit schweren Säcken nach Combautanna hinauf. Für viele ist das Lastentragen noch ungewohnt. Doch eine freiere Sicht muss verdient sein. Schweiss und Druckstellen sind der Preis, die Belohnung aber ein herrlicher Blick in die sich weitende Alpenwelt. Frische, klare Luft umfliesst uns. Es ist Sonntag. Es wird nicht viel gesprochen. Jeder mag auf seine Art die Schöpfung preisen. Die Natur ist ein Gebet, sie zieht unsere Gedanken himmelwärts.

Tagwache vor Sonnenaufgang! Wie gerne würde man sich noch etwas räkeln oder sich gar auf die andere Seite wenden und weiterschlafen. Und wie mancher hätte sich am Morgen auf Tracuit wohl das Trommeln des Regens aufs Hüttendach gewünscht? Der Geist möchte aufs Bishorn, der Körper will noch nicht. Wortlos kleidet man sich an, stopft man seinen Sack nach einer unruhig verbrachten Nacht. Man schliesst sich an, man geht mit, dem Zwang des Tourenprogramms gehorchend. Der dampfende Kaffee weckt die Lebensgeister. Die Sicht auf dem Gipfel in die schroff abweisende Flanke und über den Nordgrat des jungfräulich anmutenden Weisshorns ist dann aber die Selbstüberwindung wert gewesen. Man sagt erneut Ja zu den Bergen; der Bann ist gebrochen, das Bergsteigerherz entflammt!

Unterhalb des Col de Milon. Eis des Weisshorngletschers, verfirnte Schneeresten, Felstrümmer, eine Mondlandschaft, ohne Leben. Oder doch? Einige Schritte vor uns watschelt, sich eifrig umsehend, ein Schneehuhn durch Felstrümmer zum Firn hinaus, wo es sich verbergen kann. Hinter ihm folgt das Kleine, kaum grösser als ein Flaumball. Es vermag die grösseren Steine noch nicht zu überspringen wie seine Mutter, umgeht sie, stelzt rasch davon und folgt der Alten in die Geborgenheit. Wovon vermag sich diese Tierfamilie hier in der Abgeschiedenheit zu ernähren? Sind es die wenigen Insekten oder die Flöhe, die da und dort im Eis zu sehen sind? Wir stehen vor einem Rätsel.

Kaum gibt das Eis den Boden frei, so stehen wir vor den ersten Pflänzchen, die im kümmerlichen Nährboden bereits zu gedeihen vermögen. Scheinbar wachsen sie nur auf Sand, der eben noch vom Gletscherbach umspült wurde. Trotzdem vermag die lebendige Natur sich hier zu entfalten. Die ersten Pflanzen sind klein und unscheinbar. Die wenigen Blüten sind aber von einer Farbintensität, die über die Menge hinwegzutäuschen vermag.

Wir rechneten damit, im Refuge d' Ar Pitetta allein zu sein. Die Hoffnungen wurden enttäuscht. Der kleine Raum auf 2800 m, Küche und Schlafstelle in einem, fasst aber gut 16 Personen und bietet das, was der Alpinist von einer Clubhütte am Fusse des Weisshorns erwartet, Einfachheit, Geborgenheit und Stille. Kein Hüttenwart, kein lärmendes Getue von Leuten, die unsere Hütten als relativ billiges Absteigequartier benützen. Die Unterkunft, von den Führern aus Zinal in gemeinsamer Arbeit solid erbaut, wurde vor zwei Jahren in einer schlichten, dafür aber um so eindrücklicheren Feier eingeweiht, aber schon im ersten Winter durch den Luftdruck einer Lawine beschädigt. Das Refuge wurde wieder hergerichtet und durch einen Lawinenkeil gesichert. Es lädt zu grossen Fahrten, über Schallijoch und Schalligrat aufs Weisshorn, über den Nordgrat auf den Besso und über die Epaule aufs Zinalrothorn ein. Solche Unternehmungen hätten aber unsere Kräfte bei weitem überstiegen und den Rahmen einer mittelschweren Tourenwoche gesprengt.

Die beiden Partien, die mit uns die Unterkunft teilten, sind früh aufgebrochen und haben nach neuen Wegen gesucht. Neue Routen gibt es vom Refuge d' Ar Pitetta aus noch recht viele. Im Hinblick auf die schweren Säcke teilten wir uns. Zwei Seilschaften stiegen über das Felsband, das sich mitten im Glacier de Moming von Osten nach Nordwesten hinzieht und über den schmalen Schneegrat zwischen Blanc de Moming und der Epaule des Rothorns in die Mountethütte hinüber, Dieser Übergang bietet keine besonderen Schwierigkeiten. Das Felsband ist in der neuen Landeskarte deutlich eingezeichnet. Es trägt die Höhenkote 3345. Man wählt die Felsrippe rechts ( im Aufstieg ) einer leicht V-förmigen Schlucht in der Mitte des Bandes. Die Stufe ist etwas über 200 m hoch. Eine andere, unter Umständen leichtere Route führt über den Gletscher und die Séracs direkt aufs Firnplateau unter dem Schneegrat hinauf.

Die zweite Gruppe benützte den Hüttenweg über die Alp Ar Pitetta und Petit Mountet. Das stille, abgeschiedene Hochtal des Ar Pitetta zeigt eine Mannigfaltigkeit der Flora, wie sie selten angetroffen wird. Hier hat der Mensch noch wenig « gehaust ». In früheren Jahren begegnete man im unteren Teil lediglich etwa Schafen. Das grünlich schimmernde, ruhig daliegende Seelein auf der Alp ist eine Perle. Besso, Pointe de Zinal, Dent Blanche, Grand Cornier, Bouquetins und die Pigne de la Le spiegelten sich darin, so dass wir die erhabenen Gipfel gleich zweimal vor uns hatten. Unsere Rast dehnte sich aus, ein heisser Aufstieg nach Mountet wurde ob so viel Schönheit gerne in Kauf genommen. Der Hüttenweg in die Mountethütte ist neu angelegt worden. Von Petit Mountet steigt man nicht mehr der Seitenmoräne entlang auf den Gletscher hinunter, sondern folgt dieser auf dem Kamm, verlässt ihn halbwegs, steigt auf steilem, gut sichtbaren Pfad über die Flühe östlich Plan des Lettres und steigt kurz vor Punkt 2511 auf den Gletscher hinunter, quert ihn, immer Steinmannli und Signalen folgend, bis unter die Eisabbrüche am östlichen Ufer und steigt dann zur Hütte hinauf. Der neu angelegte Weg ist weniger mühsam als der alte und erfordert ungefähr gleich viel Zeit wie bis an hi n.

Der Besso, treuer Wächter über Zinal, ist ein dankbarer Berg. Der solide Gneis lockt jeden Kletterer, und es will scheinen, dass sich der Ostschweizer in solchem Bereich sicherer fühlt als im Schnee und Eis. Die Griffe trügen nicht, man kann sich festkrallen und seinen Kameraden sichern.

Eine mittelschwere Tourenwoche, die an die Teilnehmer keine besonderen Anforderungen stellt, bringt immer das eine und andere neue Gesicht, Kameraden, mit denen man sich noch nie am Seil verband. Heimlich schätzt man ihre Leistungsfähigkeit ein, betrachtet, wie sie im Aufstieg zur Hütte ihren Fuss im Geröllweg absetzen und wie sie den Tritten des Führers folgen. Vertrauen bringt man ihnen von Anbeginn an entgegen, sind sie doch keine Anfänger und vom gleichen Ideal beseelt, sind bereit, Strapazen und Entbehrungen auf sich zu nehmen, um den Berg zu erleben. So verbindet man sich denn ohne Argwohn zur Schicksalsgemeinschaft am Seil mit ihnen.

Die Mountethütte, fest auf Fels gebaut, ist ein Berghaus, geräumig und bietet Bequemlichkeiten, die über unsere einfachen Ansprüche gehen. Das soll keine Kritik sein, ist sie doch in einem jener klassischen Gebiete gelegen, die vom Touristentrom gerne aufgesucht werden. Die Rundsicht bietet einen unvergleichlichen Zirkus stolzester Namen, und man könnte sich wahrlich streiten, welchem Gipfel die Siegespalme gehörte, ob das weiss gepanzerte Obergabelhorn mit seinem schlanken Gipfelaufbau mehr bezaubere als die kühnen Grataufschwünge der Dent Blanche, die als kräftiger Akzent mitten im Rund steht! Aber auch den stolzen Grand Cornier wollen wir einmal erwähnen, der von dieser Seite leider immer zusammen mit dem weissen Zahn betrachtet und gemessen wird, allein gesehen aber nicht minder fesselt, obschon er die 4000 m Marke nicht ganz erreicht. Man könnte sich aber auch darüber streiten, ob uns die Berge mehr beeindrucken, wenn sie im Glänze des vollen Lichtes vor uns stehen oder wenn Wolkenfetzen um ihre Gipfel und Grate ziehen und uns nur einen Teil ihrer Flanken offenlassen und unser inneres Auge ihre Gestalt selber ergänzen muss. In jeder Stimmung nehmen sie unsere Blicke gefangen, unser Auge trinkt vom Überfluss, so viel es kann. Wir erschauern vor so viel Grosse.

Wir stehen abends vor der Hütte. Die Dämmerung hat sich bereits ins Tal gesenkt. Wir warten, bis das letzte Fünkchen Licht von der Spitze der Dent Blanche verschwunden ist, und ziehen uns leicht fröstelnd zurück, als die ersten Sterne zu schimmern beginnen.

Wir wissen nicht, womit wir das herrliche Wetter verdient haben. Ein Tag ist strahlender als der andere. Wir wollen über den Col Durand und die Pointe de Zinal nach Schönbiel gelangen. Unser Führer Germain Melly aus Zinal folgt nicht dem ausgetretenen Pfad. Er zieht wie immer eine bestechende Spur, gleichmässig ansteigend, ins Gelände. Hinter ihm würden wir überallhin folgen.

Man fragt sich unwillkürlich, was den guten Führer ausmacht. Es braucht mehr als eine sehnige Figur, mehr als einen sechsten Sinn für den richtigen Weg, mehr als Erfahrung. Wie in jedem Beruf ist es die Berufung, was gleichbedeutend ist wie Liebe zum Berg, aber auch Liebe zum Mitmenschen, dem man den Berg zum tiefen Erlebnis machen möchte. Liebe schafft Vertrauen, und dieses spürt man nach dem ersten Händedruck. Erst wenn man dem Führer vertrauen kann, getraut man sich, mit ihm eine ernsthafte Tour zu unternehmen. Glücklich der Führer, der einem inneren Gebot folgt und auf den Alpinisten stösst, der dem entbehrungsreichen Leben des Hochtouristen gewachsen ist. Sie werden zusammen viel zu leisten vermögen. Wie manchem tüchtigen Führer fehlt diese Chance. Aus Gründen des Erwerbs muss er wie ein Liftboy tätig sein und Fants auf stolze Gipfel hochziehen.

Kurz vor dem Col Durand überragt das Matterhorn, dessen Gipfelaufbau als verschobenes Rechteck erscheint, den Horizont. Es fasziniert uns zusammen mit der Dent d' Hérens während des ganzen Überganges.

Hinter der neu erstellten Schönbielhütte beobachten wir die längste Zeit das Spiel eines Murmeltiers. Es wagt sich bis wenige Schritte an die menschliche Behausung. Da können keine schlechten Menschen wohnen, die ein in Freiheit lebendes Tier so in ihre Nähe kommen lassen, ohne ihm nachzustellen.

Trotz guter Voraussetzungen müssen wir auf die Besteigung der Dent Blanche verzichten. Der Berg übersteigt die Fähigkeiten unserer Gruppe. Wir wollen nichts wagen, nichts aufs Spiel setzen, wir kennen unsere Verantwortung. Mir scheint, dass der Bergsteiger, der auf Grund des Ein-geständnisses seines Unvermögens verzichtet, grösser ist als derjenige, der alles auf eine Karte setzt, um einen Gipfel mehr bestiegen zu haben. Verantwortungsvolles Bergsteigen darf nie zu einer Prestigeangelegenheit werden. Berge vertragen nichts schlechter als die Unwahrheit. Das Erlebnis einer Tour an sich ist auch nicht abhängig vom Schwierigkeitsgrad der Route, es hängt vielmehr von der Kraft des Erlebens ab. So einigen wir uns auf die The Blanche und geniessen von diesem Gipfel eine unerhört weite Sicht.

Zermatt - unsere Tourenwoche ist zu Ende.Voller Dankbarkeit denken wir an schöne Tage kameradschaftlichen Zusammenlebens zurück, einer Kameradschaft, die tief und echt ist und auch im Tiefland unten weiter erhalten bleibt. Berge schmieden um Menschen starke Ketten. Etwas anderes ist in uns wieder neu geweckt und vertieft worden, die Ehrfurcht vor der Schöpfung und die Liebe zur Heimat.

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