Streifereien eines führerlosen Lichtbildners im Clubgebiet | Club Alpino Svizzero CAS
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Streifereien eines führerlosen Lichtbildners im Clubgebiet

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Von F. Eymann ( in Burgdorf ).

I. Aiguille du Tour, über Oruy.

In die Berge! Rasch wird der Rucksack gepackt, der Pickel, der liebe gute Freund, zur Hand genommen, die Treppe hinunter und fort aus dem Hause, meinem Reisekameraden zu, mit welchem die letzten nötigen Vorbereitungen zur Reise getroffen werden. Nachtzug und Wal-liserfrilhzug brachten uns nach ermüdender Fahrt endlich nach Martigny.

Die lange Allee vom Bahnhof zum Städtchen und zu dem noch weiter entfernten Flecken Martigny-Bourg wird rasch zurückgelegt, im Hotel des Trois-Couronnes das Frühstück mit großem Appetit verschlungen, die üblichen Postkarten besorgt und die Fußwanderung begonnen. Heiß brannte die Sonne in diesem Tale, und wir schwitzten wie die Bären. Auf die schweren Rucksäcke, jeder wog seine 30 Pfund, waren wir noch nicht eingeübt, und wie Kletten hingen sie am Buckel. Denn ein Amateurphotograph geht doch nicht mit einem halben Dutzend Platten auf eine solche Tour; der andere Rucksack enthielt Proviant, für 2 Mann und 4 Tage berechnet.

In Les Valettes angelangt, beratschlagten wir, welcher Weg einzuschlagen sei; die staubige, aber sanft ansteigende Straße nach Orsières oder der holperige steilere Fußweg nach Champex, wofür wir uns entschieden.

Anfangs geht 's im Zickzack durch schattigen Föhrenwald, gleichwohl kommt man schweißtriefend, nach halbstündigem Marschieren oben auf der Alp Crettet an. Von hier weg über steilen holperigen Weg, stets in der Sonne, in das romantisch schöne Champextal. Die frische, würzige Alpenluft, die hier weht, die prächtige Umgebung lassen einem das Herz froh werden, und rasch werden die alltäglichen Sorgen vergessen.

Immer höher zieht sich der Weg, immer schöner wird die Gegend. Schön ist der Anblick der rechts vor uns liegenden Pointe Ronde, Grande Becca, Clochers d' Arpetta. Bald links, bald rechts des Weges braunschwarze Alphütten. Bald kommt man zum Weiler Les Grangettes, wo frische ungepantschte Milch zur Befriedigung des Durstes eingenommen wird. Doch weiter geht 's, immer höher, immer schöner wird 's. Rechts, durch lichten Föhrenwald ein prächtiger Einblick in das stille, einsame Arpettatal, in dessen Hintergrunde schneebedeckte, steile Hänge einen prächtigen Kontrast bilden zum dunkeln Grün der Waldbäume im Vordergrunde. Nicht nur vorwärts wird geschaut, auch stille gestanden und rückwärts geblickt. Im Vordergrunde einzelne Föhren, Felsblöcke, mit Moos teilweise bedeckt, dazwischen saftiges Gras, in der Ferne der Mont Arpille, noch weiter die Dent de Mordes, die Dent du Midi-Gruppe, die Tour Salière in bläulichen Dunst gehüllt.

Zu schön, um einen der Photographie Beflissenen nicht zu veranlassen, um das Bild dauernd festzuhalten, geschwind eine Aufnahme zu machen. Rucksack herunter, Apparat schnell aufgepflanzt und Aufnahme machen ist ein Zeitverlust einer Viertelstunde, nichts im Vergleich zu der Freude, später beim Entwickeln ein prächtiges Negativ zu erhalten.

Sachte geht der Weg bergan, der letzten Anhöhe vor dem Lac de Champex zu. Da, ein Ausruf der Bewunderung, denn in kurzer Entfernung hat man den idyllischen Bergsee und das Dörfchen zu Füßen. Im Hintergrund die weiße, blendende Gestalt des Grand Combin.

Nach kaum einer Viertelstunde ist man beim See angelangt, doch beim Anblick der vielen Gasthäuser, der Gondeln auf dem See, vermindert sich die erste Begeisterung für diesen Fleck Erde bedeutend, und man fragt sich unwillkürlich: Wäre diese Gegend nicht viel schöner, wenn keine Hotels da wären, vielleicht nur eine urchige Sennhüttenwirtschaft, wie es vor 30 Jahren noch gewesen sein soll?

Aber der Magen verlangt sein Recht, und da es sowieso Mittag ist, lenkten wir wohl oder übel einem dieser Hotels zu. Nach dem Mahl wird noch bei einer Flasche Asti spumante Mittagspause gemacht.

Obwohl es schön gewesen wäre, hier einige Zeit der Ruhe zu pflegen, brechen wir bald wieder auf. Durch schattigen Waldweg zieht es sich an La Breya hin. Nach 3/4Stündigem Marsch kommt man ins Arpettatal. Vorerst meldet sich da ein rauschender Bach, ein munterer Geselle, denn lustig hüpft er über alle Steine, und kristallhell ist sein Wasser. Über ebene Weiden kommt man zu den Arpetta-Sennhiitten, welche aber nur Ende Juli und Anfang August bewohnt sind. Wild romantisch ist dieses Tal, doch kein lebendes Wesen bemerkt man. Rechts vor sich hat man die dürren Felsen der Clochers d' Arpetta, im Hintergrund die schneebedeckten steilen Hänge und Couloirs der Pointe d' Orny, links vor sich die Aiguilles d' Arpetta, hinter sich den trockenen, eintönigen Catogne.

Der Fußweg geht von den Hütten weg scharf links ab, über ein lustiges Brücklein in schönem Föhrenwald steil die Breya hinauf. Eine Stunde weiter oben kommt man zu einer Quelle, bei welcher man gerne Halt zu einem Imbiß macht. Nach kurzer Pause geht 's weiter. Der Wald wird lichter und lichter, die Bäume immer kleiner, immer knorriger und zerzauster. Nur hin und wieder ein einzelner Baum, und man tritt auf ein freies steiniges Plateau, in einem Kessel eingezwängt.

Der Weg wird schlechter und undeutlicher, bald ist man auf einem Steintrümmerfeld, über dessen lose, aufeinandergeworfene Blöcke man steil ansteigt, seinen Weg suchend in allen möglichen Trittarten. Immer steiler geht 's hinan, auf einmal sieht man oben das Kreuz, das Zeichen, wo sich der Übergang befindet. Dies gibt neuen Mut, und endlich kommt man aus den verdammten Steinhaufen heraus, auf den ColdeiaBreya(241'2 m ).

Vorerst Rucksack herunter, Proviant ausgepackt und vor allem der durstigen Kehle etwas zugeführt. Während des Essens betrachten wir die wundervolle Aussicht. Vor allem ist es der mächtige Grand Combin, beschienen von der Nachmittagssonne, welcher das Auge fesselt, dann seine beiden Nachbarn, zur Rechten der Mont Vélan, zur Linken der Combin de Corbassière. In nächster Nähe, im Vordergrund, die Schuttwände der Breya, weiter hinten der Catogne, unten das Champextal, in dessen weitem Hintergrunde die Dent de Mordes, südwärts die Täler von Entremont und Ferrex, im Grunde unten die eng aneinandergepreßten Häuser von Orsi ères.

Nach längerer Pause geht 's bergab, an steilen Schutt- und Felshängen hin; doch bald wieder bergauf, immer über Geröll. Nach Verlauf einiger Zeit ziehen sich die Berglehnen enge zusammen, und man tritt wie durch ein Felstor auf ein kleines ebenes Plateau, den Plan de l' Arche, von wo man die Clubhütte erblickt, das Endziel unserer heutigen Fußwanderung. Hier ist es, wo der Fußweg über die Combe d' Orny einmündet. Das Flattern der vor der Hütte ausgehängten Fahne ist ein Beweis, daß wir leider für unser Nachtquartier dort oben nicht allein sein werden. Der letzte Rest des Weges wird schnaufend und pustend zurückgelegt, und hurra! die Cabane d' Orny ( 2692 m ) ist erreicht, und unsanft werden die Rucksäcke abgeworfen, mit langgezogenem „ aah " lassen wir uns auf die Bank nieder, um einen Augenblick zu verschnaufen.

Wie prächtig ist die Aussicht auf der Terrasse vor der Hütte! Man hat da das ganze Massiv des Combin, von der Abendsonne beschienen, oben die schneebedeckten Teile in beginnendem Abendrot, die untern Teile des Berges in Dunst und Dämmerung gehüllt, ein unbeschreiblich schöner Anblick. Der nahe Ornygletscher mit seinen Spalten, darüber der im Schatten liegende Portalet, weiter hinten Grand Darrey etc.

Wozu schleppt man einen Photographieapparat mit? Also frisch drauf lost und die prächtige Ansicht des Grand Combin wird zu bleibendem Andenken verewigt; dann geht 's hinüber auf den Gletscher, um einige Spalten aufzunehmen.

Doch wieder zur Hütte zurück, um dem Leib Stärkung zu geben. Ein Stück Balken, von der alten Hütte stammend, wird abgesägt, ver-scheitet und flugs im Eisenöfeli der Hütte ein lustiges Feuerlein gemacht. Bald brodelt 's, und die würzig duftende Maggisuppe mundet wie das allerbeste Gericht.

Währenddessen ist 's Abend geworden, Sterne beginnen zu funkeln, noch glüht es leise um die Spitze des Combin, doch auch dieses verschwindet, und immer mehr erscheinen die Sterne. Alles Anzeichen, auf einen folgenden schönen Tag zu hoffen. Der aufgehende Mond bescheint gespenstig die nahe Gletscherwelt, und lange steht man sinnend draußen, an das Geländer gelehnt, schaut und schaut, denkt dies und das, nur nichts Böses, nichts vom Alltagsleben, die Natur hält dem sinnenden Menschen eine stille Predigt.

Dann schläft man gut und gesund auf dem Strohlager, bedeckt mit wollenen Decken. Nur zu rasch ist es Morgen, die Weckeruhr fängt ihr Geschwirre an. Man kocht sich einen kräftigen, dicken Kakao, mit sterilisierter Milch, und als weitere Fürsorge einen Schwarztee in die Feldflasche.

Nicht zu früh ist man aufgestanden, denn bis man seine Sachen fertig und die Clubhütte in Ordnung gebracht hat, wie es sich geziemt für brave Touristen, ist der Tag angebrochen. Kalt ist 's draußen, der Himmel klar, wolkenlos. Noch sieht man einzelne Sterne funkeln, doch auch diese verschwinden, und die beginnende Morgenröte, jenes Rot, da, wo hinter den hohen Bergen die Sonne hervorkommen wird, vor denselben noch alles in Nacht und Dämmerung gehüllt, ist so schön, daß man auf einen herrlichen Tag zu hoffen berechtigt ist, einen Tag, wie deren wenige im Leben, einen Tag, welchen man nie vergessen wird.

Noch einen Blick auf all diese Naturschönheit, mit einem stillen: In Gottes Namen! die Treppe hinunter, und mutig geht 's in die geheimnisvolle Gletscherwelt.

Vorerst eine Weile über holperige Moräne, zwischen Steinblöcken durch, rechts ein kleines, tiefblaues Seelein, bald aber neben Spalten vorbei.

Wie man der Moräne nachschreitet, bricht die Sonne hervor, welche mit ihrem Lichte alles in anderer Farbe scheinen läßt. Die Spitzen der Berge beginnen eine nach dem andern wie Silber auszusehen, der Portalet mit der trotzigen Chandelle bietet sich hier und um diese Tageszeit in seiner günstigsten Beleuchtung. Obschon der Rucksack mit Apparat erst vor kurzer Zeit angehängt worden war, so mußte er hier herunter zu einer photographischen Aufnahme. Einige Minuten Zeitverlust und weiter ging 's.

Wo die Moräne verlassen wird, wird man auch in später Jahreszeit über schönes Schneefeld gehen. Links die im Schatten liegenden sehr steilen Schutt- und Felswände, welche sich vom Portalet zu den Aiguilles Streifereien eines führerlosen Lichtbildners im Clubgebiet.

_ ' .) Dorées hinziehen, steil genug, um glauben zu lassen, kein Mensch verirre sich dorthin. Ich ahnte nicht, daß ich eben an dieser Stelle, Col des Ravines Rousses, einmal heruntersteigen werde. Rechts die gelben Felswände der Aiguilles d' Arpetta, welche, von der Morgensonne beschienen, goldig aussehen. Immer höher steigt man auf dem überschneiten Glacier d' Orny hinan, da ist man auf der Höhe angelangt, welche diesen vom Plateau du Trient scheidet.

Neue Herrlichkeiten! Ein langes ooh oder aah entschlüpft wohl jedem, der hier zum erstenmal ankommt. Vor allem ist es das mächtige, blendend weiße, 4 Stunden im Umkreis haltende Schneefeld, Plateau du Trient, welches den Blick fesselt. Uns gegenüber das Endziel unserer Bergtour, die Aiguille du Tour. Prächtig schön erheben sich deren Felstürme aus dem hohen Schneekegel. Rechts ab die nahe Pointe d' Orny, eine Kleinigkeit von hier aus. Zwischen diesen Bergen, in der Ferne, die Tour Salière, der Bel Oiseau, der Luisin, die Dent du Midi, wie Hügel sich ausnehmend; links die trotzigen Aiguilles Dorées mit dem schneidigen Grate. Alles dies in so blendender Lichtfülle, daß man nicht genug schauen kann, und gerne bleibt man hier einige Minuten. Frisch ist auch die Luft, und der Himmel scheint tiefdunkelblau zu sein.

Wie man weiter geht, zieht man links hin, gegen die Wände der Aiguilles Dorées. Nicht lange ist man gegangen, dann sind es die Fourche und Tête Blanche, die das Auge besonders fesseln. Besonders schön ist die letztere anzuschauen, eine mächtige Schneekuppe. Wiederum tut der Photographieapparat seine Dienste, und bald ist man um eine vorstehende Bergzunge herum, wo man wiederum Neues, Herrliches sieht. Durch die schattige Fenêtre de Saleina sieht man die silberweißen, blendenden Wände der Aiguille d' Argentière. Was muß da drüben für eine Pracht zu sehen sein! Am Fuße der Tête Blanche geht 's weiter. Hoch über uns eine mächtige, abgerissene Schneewand; kommt ein Stück herunter, so ist man davon bedeckt, doch alles bleibt ruhig, und wir kommen auf eine Art Plateau am Fuße der Aiguille du Tour.

Säcke ab, Proviant heraus, und im Schnee liegend verzehren wir, was uns eben gelüstet von den mitgenommenen Sachen.

Aiguille du Chardonnet und Aiguille d' Argentière nehmen sich besonders schön aus von hier. Über den nahen Col du Tour hinweg sieht man andere Riesen und hat eine Vorahnung, was alles oben auf der Aiguille du Tour zu sehen sein wird.

Nicht lange kann man hier bleiben, Säcke und Apparat werden da gelassen. Nun eine ziemlich steile, kurze Schneewand hinauf, dann ebener und in der Nähe des Schrundes sehr steil über Schnee.

Der steile, aus großen Granitblöcken bestehende Felskegel, der aus dem Schnee hervorragt, ist in einer Viertelstunde erstiegen. Viel zu kurze F. Eymann.

Zeit dauerte die so schöne Kletterei, wohl gibt 's hin und wieder Stellen, wo die Steinblöcke zärtlicher umarmt werden, doch in allem bei etwelcher Vorsicht ohne Gefahr.

Mit fröhlichem Jauchzer langten wir auf der Spitze an, die so scharf ist, daß nur wenige Personen Platz finden. Bequem und sicher sitzend, obgleich ringsum alles sehr steil abfällt, genießt man ein herrliches Panorama. Vor allem aus ist es das imposante mächtige Mont Blanc Massiv, das hier das Auge fesselt, die granitene Kette vom Portalet zu den Aiguilles Dorées, welche bei der Fenêtre de Saleina endigt. Darüber hinaus die Spitzen des Darrey und Luis. Weiter kommen die Grande und Petite Fourche, darüber hinaus der düstere Tour Noir, dessen finstere Felspyramide prächtig absticht vom dunkeln Himmel. Ferner die beiden prächtigen Aiguilles du Chardonnet und d' Argentière mit ihren unzähligen granitenen Nadeln, Zacken und Spitzen, dann die Aiguille Verte mit ihren schauerlichen Abgründen und Couloirs. Weiter der König der Berge, der Mont Blanc selbst. Zwischen diesen allen ein Glitzern der von der Sonne beschienenen Schnee- und Eisfelder. In weiter Ferne die Savoyerberge, jenseits des Chamonixtales Buet, Aiguilles Rouges, Finive etc., obgleich Berge von 3000 Meter, sich wie Hügel ausnehmend, ferner in weiter Ferne der lange, bläuliche, formlose Streifen des Jura. Weiter die Berge: Tour Salière, Luisin, Dent du Midi, die Waadtländer- und Berneralpen, deren Riesen verkleinert erscheinen. Zu Füßen der Aiguille du Tour, auf französischer Seite, der Glacier du Tour mit seinen vielen Spalten, schweizerseits das mächtige Schneefeld Plateau du Trient, dahinter die Pointe d' Orny, zwischen und darüber durch Catogne etc. Zwischen der Pointe d' Orny und dem Portalet, in weiter Ferne die ganze lange Reihe der Walliseralpen.

Grabesstille ringsum, hin und wieder nur unterbrochen vom Donnern niederfallender Lawinen, berstender Eisspalten.

Auch der Mensch ist still, der hier oben diese Welt betrachtet. Stille ist er, gerade als ob er auf Heiligtum sich befände. Nicht stört er seine Reisekameraden, nicht wird er von diesen gestört. Jeder sieht, staunt und denkt auf seine Weise. Jedem ist 's eine Stunde der Andacht. Das Alltagsleben ist aus dem Sinn. Denkt der Mensch hier oben, schön ist es in dieser hehren Alpenwelt, wird 's nicht schöner sein in einer andern Welt?

Aber aus diesen Träumereien geweckt durch den brummenden Magen, traten wir ungern, fast wehmütig, den Rückweg an. Rasch sind wir aus dem Steingewirr, über den Schrund, wieder bei den Säcken angelangt. Hier auf schneeigem Boden ist 's nicht gut, das Mittagsmahl einzunehmen. Darum die Säcke in den Händen tragend, wird der nahe Weg zum Col du Tour zurückgelegt. Hier ist 's gut sein, es wird ausgepackt, Tee gekocht und gegessen.

Zur bessern Verdauung machen wir ein Schläfchen auf den harten Steinen. Schön wäre es schon hier, doch über die Nacht wäre des Bleibens nicht, so packt man seine sieben Sachen zusammen, bindet sich der Sicherheit wegen an das Seil, und der Abstieg wird angetreten. Durch die großen Steinblöcke sucht man sich den Ausgang und tritt an den Rand des Glacier du Tour, der Stelle seiner höchsten Erhebung, da, wo er durch den Col du Tour von dem Plateau du Trient getrennt wird.

Die Sonne, welche einem nun direkt ins Gesicht scheint, wirft ihre Strahlen so auf die großen Schneeflächen, daß alles glitzert und schimmert; in blendend weißem Lichte erstrahlt nun die anfangs steil abfallende Schneewand, der wenig weiter unten befindliche Bergschrund, dies alles läßt die ersten Schritte wohl ein wenig gruselig erscheinen, doch wird der Abstieg gut und ohne Gefahr vollzogen.

Rechts hat man die furchtbar hohen Felswände eines Vorsprunges der Aiguille du Tour, links, im Hintergrunde die Aiguille Verte, in nächster Nähe Aiguille du Chardonnet et Aiguille du Passon; bald ist man in eine Art Kessel gelangt, wo der Glacier du Tour voller Spalten ist, welche man vorsichtig und ehrerbietig soviel als möglich umgeht, freilich sich hin und wieder einer heimtückischen Schneebrücke anvertrauend und gelegentlich einen Blick in eine geheimnisvolle Spalte werfend.

Wie schön ist doch eigentlich so eine Gletscherspalte, wenn die Sonne hineinscheint. Oben der weiche, blendend weiße Schnee, die von der Sonne beschienene Wand des Spaltes wirft ihre Strahlen zurück an die andere Wand, welche dadurch ein zartes Weiß bekommt, dann gegen unten die dunkleren und immer dunkleren Abstufungen des Weiß bis zum geheimnisvollen Dunkel der Nacht, der bodenlosen Tiefe des Spaltes. Zwischen den Wänden die niederhängenden Eiszapfen, von der Sonne beschienen in allen möglichen Farben glitzernd und schillernd, daran die niedersickernden Wassertropfen, kristallhell und unheimliches Geräusch machend beim Auffallen. Wie wäre doch eine solche Spalte eigentlich für einen Bergsteiger ein schöneres Grab, als in der schönsten Gruft von Menschenhand gemacht zu ruhen.

Weiter geht man und immer weiter, der Weg zieht sich eine Weile sanft abwärts, da hat man noch einmal die Aiguille du Tour vor Augen, großartiger und von wilderem Aussehen als von der Seite des Plateau du Trient. Die fürchterlich steilen Felswände, oben die vielen granitenen Türme, welche grell beleuchtet von der Sonne sehr schön abstechen vom schwarzblauen Himmel. Noch einmal tritt der Photographieapparat in seine Tätigkeit, dann ist die letzte Platte für heute verbraucht, obschon man noch gerne mehr Aufnahmen machen würde, da die Gegend ein wahres Eldorado bildet für Lichtbildner.

Allmählich kommt man zum Gletscherabsturz. Alle möglichen gigantischen Formen bilden da die Eisblöcke, hier wahre Hügel, dort Täler, alles zerrissen und wild aufeinandergetürmt, alles in blaßbläulicher Farbe, was sehr schön absticht gegen die jenseits im Chamonixtal im Schatten liegenden Bergwände der Aiguilles Rouges.

Wir sind auf der Moräne angekommen. Am ersten, dem Eise entspringenden Wässerlein wird Halt gemacht, das Seil zusammengerollt und eine Weile geruht.

Noch steht uns ein weiter Abstieg bevor, deshalb beeilen wir uns. Der Schnee macht Geröllhalden Platz, welche einem zum Bewußtsein bringen, daß man den Tag über sich doch schon müde gelaufen hat. Zudem kommt man in andere Luftregion, welche einem die glühende Hitze im Kopfe erst recht spüren läßt.

Rechts oben hat man den Absturz des Glacier des Grands hinter sich gelassen, weiter unten an den sonnig gelegenen Seiten der Pesseux weiden Ziegen und Schafe, welche uns neugierig anschauen, wir begrüßen sie als Zeichen, daß man doch wieder in die Nähe von Menschen kommt.

Wenn man die Moränen und Geröllhalden hinter sich hat, betritt man einen winzig schmalen, sehr schlechten Fußweg. Dieser Pfad führt am Rande von hundert Meter hohen Felsabstürzen hin, doch mit einiger Vorsicht geht auch dieses gut, und über eine steile Gras- und Geiöll-halde hinuntersteigend, betritt man erleichtert die Talsohle.

Noch einmal wirft man einen Blick auf den Absturz des Glacier du Tour, betrachtet den Wasserausfluß, der vom letzten Eise in mächtigem Rundbogen aus dem Gletscher tritt, mächtig tosend, um dann friedlicher rauschend in vielen, vielen kleinen Wasserfällchen die glatt abgeschliffenen Felsen herunterzurieseln, um sich in der Nähe des Beschauers zu einem ordentlichen Bache zusammenzutun. Noch scheint der Gletscher oben in silberhellem Lichte, von der Spätnachmittagssonne beschienen, aber im Tale unten beginnen sich die Schatten immer mehr auszudehnen- Beratschlagend, ob wir nach Chamonix oder -über den Col de Balme nach Trient gehen wollten, wurden wir einig, weder das eine noch das andere zu tun. Ersteres nicht, weil unser Geldbeutel nicht darauf berechnet war, das andere nicht, weil wir noch einmal hoch hinauf hätten steigen müssen. So passierten wir das kleine stille Bergdörfchen Tour, nahmen auf einem Fußwege die Richtung nach der Landstraße, welche von Chamonix nach Martigny führt, und kamen beim kleinen Hotel des Col des Montets auf dieselbe.

Froh schritten wir die Straße nach Nant und Vallorcine, betrachteten verwundert die einsame Windmühle dort, und während der Tag zur Neige ging, die Dämmerung Oberhand bekam, betraten wir bei Châtelard wiederum Schweizerboden und zogen, da wir noch nicht am Endziel unserer Tagereise waren, gleich weiter.

Beim Scheidewege von Châtelard wandten wir uns der Tête Noire zu, wo wir herzlich müde, hungrig, durstig und naß vom Schwitzen in dem Hotel ankamen und uns den Zichorienkaftee trefflich munden ließen, mußte er doch teuer genug bezahlt werden.

Morgens erwachten wir zwar bei noch heiterm Wetter, sehen aber, daß es Zeit ist, heimzukehren, denn graue Wolken kommen. An klarer Quelle am Waldesrande setzen wir uns nieder, machen uns einen Kakao und Spiegeleier, plaudern über den verlebten Tag und sind noch einmal froh des Lebens.

Trient und Col de la Forclaz werden durchwandert, und froh, den steinigen Fußweg nach La Croix auch hinter uns zu haben, betreten wir wiederum die Landstraße, die wir einige Tage vorher gekommen, besteigen in Martigny bei wirbelndem Wind den eben angekommenen Zug nach St. Maurice und fahren, während ein Gewitter losbricht, geschützt und in der besten Stimmung unserer Heimat zu.

II. Aiguille du Tour, über Saleina.

„ Ob ich noch einmal auf die Aiguille du Tour gehen wolle, um für das Jahrbuch S.A.C. ein Panorama oder zum mindesten eine Ansicht des Mont Blanc-Massivs aufzunehmen ", das war eine Frage des Redaktors an mich, die rasch und mit Begeisterung von mir bejaht wurde, obschon es schon spät in der Jahreszeit, Anfang September, war.

Aber das Wetter! So launisch, wie es diesen Sommer war, drei Tage Regen, ein Tag schön, dann wieder Regen. Doch ungeachtet dessen wurden die nötigen Vorbereitungen zur Reise getroffen und trotz Regenwetter die Reise angetreten.

Von Bern aus den Nachmittagsschnellzug nach Lausanne benützend, reiste ich ohne jede Reisekameradschaft ab. Der Regen prasselte an die Fensterscheiben, und nichts ließ vermuten, daß ich schönes Wetter bekommen würde; trotzdem wurde die Hoffnung nicht aufgegeben. Abends gegen 9 Uhr kam ich in Martigny an. Finstere Nacht war es, schwarz der Himmel und kein Sternchen zu sehen. Zu Fuß nach Martigny-Bourg mit 70 Pfund Gewicht an Apparat und Proviant. Dort wurde ein Träger für die zu unternehmende Tour engagiert, für den folgenden Tag, im Falle es schön Wetter sei, andernfalls ich in Martigny zu bleiben gedachte.

Morgens um 6 Uhr war mein Träger auf dem Platz, sonntäglich gekleidet, mit dem größten Verlangen, abzureisen, obgleich der Himmel grau war wie Asche, und feiner Regen niederfiel, richtiger Landregen. Eine Stunde abwarten wurde ausgemacht. Um 7 Uhr dieselbe Geschichte. Längs des Mont Arpille in den Wäldern sich träge hinziehender Nebel, schlechtes Wetterzeichen. In einem Momente, wo es nicht regnet, wird beschlossen, abzureisen, obwohl es bald 8 Uhr ist.

Wir teilen unser Gepäck, der Träger nimmt den 40 Pfund schweren Apparat mit den vorrätigen Platten, ich den Proviant für zwei Mann und drei Tage berechnet, zwei Rucksäcke aufeinander gebunden, gut 30 Pfund, und fort geht es.

Schweigsam treten wir unsere Wanderung an, hin und wieder einen forschenden Blick nach dem Himmel sendend, um daran die Bemerkung zu knüpfen: Das Wetter bessert sich, obwohl es selbst keiner glaubte. Tief hangen die langen Nebelwolken am Mont Arpille, an der gradaus vor uns liegenden Pointe Ronde. Den sonst gut sichtbaren Col de la Forclaz sieht man nicht. Links bringt die wildtosende Drance schmutzig gelbgraues Wasser daher; das rollende Poltern darin verrät, daß sie große Steine wälzt.Nicht lange sind wir gegangen, so fängt ein feiner Regen an, welcher immer stärker wird. Wir treten hin und wieder unter ein Obdach, bis es uns langweilt und wir, allmählich sehr naß werdend, weiter wandern.

Die Dörfer Brocard, le Borgeau, les Valettes und Bovernier sind hinter uns, das Tal wird enger und enger, die Straße läuft hart neben der Drance, beidseitig hohe Berge. Nirgends mehr ein Obdach, so gelangen wir in den Tunnel des Col de la Monnaie. Bei der einzigen Öffnung, welche die Stelle eines Fensters vertritt, wird Halt gemacht, und zur bessern Kurzweil werden die Rucksäcke abgelegt und etwas verzehrt. Nach Verlauf einer halben Stunde, obwohl es weiter regnet, wird wieder aufgebrochen mit der Absicht, in Sembrancher Halt zu machen für heute und die Reise den folgenden Tag fortzusetzen.

Nicht lange sind wir gegangen, da kommt eine Karawane, etwa 10 Stück kleiner Fuhrwerke. Alles Männer, alle haben Pickel, einige auch Seile. Oha, das sind auch solche, welche auf die Berge wollen, aber bequem reisen sie. Im Wägelchen sitzend und geduckt unter Regenschirmen, geschützt vor dem Wetter. Haben wir eine Vorahnung, daß wir mit diesen Herren das Nachtlager teilen werden, daß wir sie so kritisieren?

Endlich langen wir in Sembrancher an. In der ersten Pinte wird Halt gemacht, um uns inwendig mit „ rotem " zu befeuchten, auswendig etwas trocknen zu lassen. Jetzt aber änderte sich das Wetter, die Sonne blickte durch die Wolken, was unsern Plan, hier zu übernachten, um-stieß, so daß wir fröhlich weiter zogen.

Die nun landschaftlich schöne Gegend wurde mit froherem Herzen durchreist, und so kamen wir nach Orsières, wo dem knurrenden Magen Speise und Trank geboten wurde.

Wie nun das Wetter gut blieb, wurde auch unsere Stimmung besser, und in dem 1153 Meter hoch gelegenen Dörfchen Praz de Fort ange- Streiferekn eines führerlosen Lichtbildners im Clubijebiel.yi kommen, faßten wir, obschon es 4 Uhr vorbei war, den etwas übereilten Entschluß, noch nach der 2693 Meter hoch gelegenen Cabane de Saleina zu gehen, obgleich keiner von uns den Weg kannte, und ich die Richtung nur vom Hörensagen wußte. Da es nach 7 Uhr schon anfing, dunkel zu werden in dieser Jahreszeit, war große Eile notwendig, und wir liefen, ohne im dortigen Wirtshause einzukehren, obwohl es die letzte Gelegenheit war, spornstreichs vorüber.

Der prächtige Wald Frumion obenher dem Dörfchen, einer der schönsten Gebirgswälder, wird durchschritten. Der Weg, so glatt und weich wie ein Kiestrottoir in einer Stadt, läßt nicht vermuten, daß man nahe einer Moräne sei. Der Wald lichtet sich, und wir betreten einen Steg, welcher über den wilden Bach Reuse de Saleina führt, der in engem Felstalkessel sich seinen Weg durch die großen Massen von Steinblöcken sucht.

Nachdem der Steg überschritten, geht der Weg am linken Ufer über holperige, steinige Moräne, und bald ist man an der Stelle, wo rechts der Gletscher seine mit Schutt überdeckten Eismassen zur Schau trägt, dem Wanderer sich aber hohe, glatte, rundliche Felsen entgegenstellen.

Mit etwas langem Gesichte sieht man den Wegversperrer an und denkt: oha, da gibt 's was anderes. Nach wenigen Minuten Rast nehmen wir die Felsen in Angriff, wobei zwar eingelassene Ketten gute Dienste erweisen, immerhin denkt man, schöner wäre es und interessanter, wenn diese Hilfsmittel nicht da wären, zumal dann der „ große Haufen " die Schutzhütte weniger überschwemmen würde.

Nach einiger Zeit kommt man auf einem kleinen, mit vielen Heidelbeeren und Moos bewachsenen Plateau an, welchem bei Erbauung der Saleinahütte der Name La Gare gegeben wurde. Unsere Hoffnung, von hier aus die Clubhütte zu erblicken, wurde durch Dunkelheit und Nebel vereitelt.

Schon wollten wir vorüberziehen, da sehen wir eine Tafel mit ungefähr folgender Aufschrift: „ Messieurs les touristes, guides et porteurs sont priés de se procurer du bois pour la cabane. " Schöne Zumutung, zu unsern schweren Säcken noch Holz aufzuladen, das zu diesem Zwecke in großen und kleinen „ Trämmeln " von Eingebornen hier hinauf ge-, schleppt wird.

Wrenn aber bei diesem regnerischen Wetter niemand oben wäre, der Holz hinauf geschleppt hätte, oder oben anwesende Personen dort alles verbrannt hätten, was dann? Vorsichtigerweise beluden wir uns also wie geduldige Esel, und vorwärts geht 's. Nicht lange schleppe ich mein Holz, sondern werfe es in schlechter Laune weg, trage Holz hinauf, wer will, ich nicht; von Zeit zu Zeit am Weg liegende Stücke bewiesen, daß andere vor mir es auch so gemacht hatten. Der Träger, ebenfalls über- laden, wirft auch ein Teil weg. Da wir beide erschöpft waren durch das zu schnelle Steigen, durch die lange Fußreise, den Regen, das schwere Gepäck und wohl auch, weil wir seit Mittag nichts mehr gegessen hatten, kamen wir überein, uns des schweren Photographieapparates zu entledigen. Wir versteckten ihn unter einem großen Felsstück, so daß er auch vor Regen geschützt war; ich gebe einen Rucksack, deren ich zwei trug, meinem Träger, so daß jedem leichter wurde.

Einen Augenblick geht 's gut, aber bald ist man wieder erschöpft. Vielleicht tut ein Schluck Gebranntes gute Dienste, aber weit gefehlt, es wird nur um so schlimmer. Man läuft, man hält inne, und so in immer kürzeren Zwischenräumen.

Die nun kommende Strecke ist steile Geröllhalde. Wie wir längs den Clochers de Planereuse hinaufklettern, ist 's dunkle Nacht, kein halbes Dutzend Schritte sieht man vor sich. Wir strengen unsere Augen vergeblich an, nur tastend finden wir den Weg durch die Steine, und sehen ein, daß wir vom Weg abgekommen sind. Ihn wiederzufinden ist unmöglich, da wir ohne Laterne waren. In kurzen Pausen setzt man sich auf die Steine, schläft ein, erwacht, tut einige Schritte und hält erschöpft inne, schläft beinahe stehend.

Wie wir aber doch weiter hinaufkommen, sehen wir undeutliche Umrisse hoher, kirchturmähnlicher, spitzer Felsen, welche gespenstig aus dem Nebel ragen. Es sind die Clochers de Planereuse. Diese sind mein Wegweiser, die Clubhütte kann, nach gesehenen Photographien zu schließen, nicht mehr fern sein, sie mnß unter allen Umständen gerade vor uns und höher als wir liegen.

Wir rufen so laut wir können, vielleicht ist jemand oben in der Hütte, welcher uns hören kann. Da! Was ist das? Ein kleiner Lichtschimmer durch den Nebel, in der Richtung, wo ich die Hütte vermutete; man hat uns gehört und gibt uns ein Zeichen. In Wirklichkeit war es nicht so, und reiner Zufall, daß oben in diesem Augenblick ein bengalisches Feuer angezündet wurde. Wie eine Brandröte leuchtet es, aber der Nebel täuscht über die Entfernung.

Die Lebensgeister werden wieder wach, schnellen Schrittes durchqueren wir das Schneeband und Couloir unterhalb des Glacier de FEvole, sehen aber nicht die Tiefe unter uns. Wir straucheln noch hin und wieder, doch wir erheben uns schnell, und auf einmal, wer weiß, wie es geschah, sehen wir einige Schritte vor uns die Hütte, nach welcher wir uns so sehr gesehnt.

Schon vor der Hütte hören wir, daß da drinnen eine fröhliche Gesellschaft sich befinden müsse. Wir treten ein mit Bonsoir, Messieurs, und sehen die ganze Touristenkolonne von heute morgen. Welcher Spektakel herrschte da, die lauteste, fröhlichste Gesellschaft. Da wird gejauchzt, gesungen, erzählt, daß es eine helle Freude ist: Und ein Tabakqualm!

Das Eisenöfelein glüht wie ein Johanniswürmchen und verbreitet angenehme Wärme. Über ihm hängen Kleider zum Trocknen, rund herum sitzen die Führer und Träger. Der eine macht Holz klein, nährt das Feuer, daß es ja nicht ausgehe, der andere kocht Suppe im Hafen, ein dritter bereitet uns in dienstfertiger Weise einen heißen Tee; eine Tasse um die andere verschwindet, nach deren Genuß rasch alle Müdigkeit verschwunden ist und wir nun erst recht an die eigentliche Mahlzeit gehen. Die in den Bergen immer höchst willkommene und praktische Maggisuppe und etwas Festes dazu, was man eben aus den Tiefen der Rucksäcke herausbringt.

Mir zur Rechten am Boden sehe ich auf ein Reff aufgebunden eine große Strohflasche, die wohl nicht Wasser enthält.

Die fröhliche Gesellschaft kommt aus Lausanne; es sind Mitglieder des dortigen Alpenclubs, welche ihre offizielle Hochtour zu machen gedenken auf die Darrey.

Noch lange sitzt man bei Tische, erzählt dies und das, und da es schon 111ls Uhr ist, sucht sich jeder seinen Platz auf der Britsche. Obgleich die Hütte voll besetzt ist, hat doch jeder noch Platz gefunden. Eine Weile noch, der eine spricht zum andern in Flüsterton, der andere hüstelt, doch endlich gibt 's Kühe.

Rrrrrr, der bekannte Ruhestörer tritt in Tätigkeit, ein Zeichen für die Lausanner, daß es Zeit zum Aufstehen sei. Wir zwei bleiben noch liegen, haben wir doch unsern Apparat noch weit unten am Berge heraufzuholen, nach dessen Herbeischaffung die Zeit jedenfalls doch zu spät ist, um noch eine größere Tour zu unternehmen.

Wie die Gesellschaft sich bereit macht zum Abreisen, erheben wir uns auch, treten mit ihnen vor die Türe und schauen ihnen lange nach.

Kalt ist es, das Thermometer zeigt 1° Kälte, mittags dann 22° Wärme, abends unmittelbar nach Sonnenuntergang noch 1° Wärme.

Der Nebel ist verschwunden und hat dem schönsten Wetter Platz gemacht. Ärgerlich ist es, den Apparat unten am Berge zu wissen, aber das war nicht zu ändern.

Nachdem wir uns einen dicken Kakao zurecht gemacht, geht mein Träger hinunter, um den Apparat zu holen. Vor 2 — 3 Stunden kann er nicht zurück sein, und unterdessen habe ich Muße, die Gegend anzuschauen.

Von den Lausannern ist ein dicker älterer Herr, welcher ob des gestrigen Aufstieges böse Füße bekommen hat, zurückgeblieben. Er, ein guter Kenner dieser Gegend, erklärt mir alle sichtbaren Berge, alle Einzelheiten, und aufmerksam höre ich zu.

Sind auch nahe, die beiden Clochers de Planereuse, die ihre Felsspitzen gleich Kirchtürmen gegen den Himmel heben. Der kleine scheint ein „ böser " zu sein, während man beim größeren den Weg erspäht, auf dem man auf die Spitze gelangen könnte. Dann kommt die Pointe de Planereuse, die beiden Darrey, wohin unsere Lausanner streben, sehen wir sie doch noch auf dem nahen Gletscher, klein wie Ameisen. Ferner die Aiguille de la Neuva und die imposante prächtige Gestalt der Aiguille d' Argentière, welche die Augen besonders fesselt. Reinweiß steht sie da, das größte Verlangen nach ihrer Besteigung weckend. Dann die beiden Fourche, dazwischen der Col du Chardonnet, dann die Aiguilles Dorées mit ihren schroffen Felswänden, gegenüber der Portalet mit seinen breiten Felsmassen, denen man ansieht, daß viel Geröll dabei ist.

Der Boden selbst, auf welchem die Hütte steht, ist gefroren. Stellenweise sieht es aus, wie wenn er mit unzähligen kleinen Pilzen bedeckt wäre, lauter aufrechtstehenden Eisnadeln, wohl erzeugt aus dem am vorhergehenden Tage gefallenen Regen. Prächtig schön ist der Anblick von oben auf den zwischen diesem Plateau und den Felsen des Portalet eingezwängten Saleinagletscher, in dessen beiden Abstürzen die Eismassen in allen möglichen zerrissenen Formen sich in- und übereinander türmen, dazu die bläulichweiß schillernde Farbe, erzeugt durch die einfallende Morgensonne. In weiter Ferne die Berneralpen, Walliseralpen und im weitern Vordergrund die Pierre à Voir.

8 Uhr war vorbei, als mein Träger mit dem Apparat wieder zurückkam. Mit ihm zwei Einheimische, welche Holz hinaufschleppten zur Hütte, und dieses Experiment noch zweimal gleichen Tages wiederholten. Stämmige, kräftige Burschen waren es, mußten es auch sein, um solche Gewichte hinaufzutragen.

Ein Kaffee wird gekocht und Zwieback dazu gegessen. Da es nun doch wohl zu spät war, um eine größere Tour zu unternehmen, zudem daherkommende lange Wolkenstreifen Schlimmes vermuten ließen, so nahm ich den Apparat und „ drückte " in aller Gemütsruhe das Konterfei der umliegenden Berge ab. Nachdem dies gemacht, war es 11 Uhr, daher wurde Suppe gekocht und jedem seine Ration Konserven zugeteilt, worauf ein Mittagsschläfchen seine Berechtigung hatte, zudem wir Zeit dazu hatten.

Gegen Abend rückten vier der Lausanner Herren an, mit einem ihrer Führer, um von neuem in der Saleinahütte zu übernachten. Der Abend, lange nicht so geräuschvoll wie der vorhergehende, wurde in gemütlichem Plaudern verbracht, und jeder suchte sich seinen Platz auf dem Lager zum Schlafen.

Morgens um 4 Uhr tritt einer hinaus und kommt mit der wenig erfreulichen Mitteilung herein: Messieurs, le temps se gâte. Rasch, mit einem Satze springt man auf, die kleine Leiter hinunter und Morgen- kaffee gemacht. Die Hütte wird gemeinschaftlich in Ordnung gebracht und gemeinsam verlassen.

Draußen ist 's noch finster. Der Himmel ist klar, nur gegen Osten, wo die Sonne schon den Himmel schwach rötete, ein langer, langer Wolkenstreifen, schlechtes Wetterzeichen.

Schweigsam beschreitet einer nach dem andern den schmalen hartgefrorenen Fußweg über der steilen Uferwand des Saleinagletschers, sorgsam darauf achtend, nicht auszurutschen, in welchem Falle man wohl nimmermehr aufgestanden wäre. Der Weg führt rasch zum Gletscher hinunter, und wir betreten das harte Eis desselben.

Langsam fängt es an zu tagen. Stillschweigend schritt einer hinter dem andern, hin und wieder kleine Spalten überspringend, größere umgehend. Bald sind wir am andern Ufer des Gletschers, an dessen Rande wir gemächlich bergan schreiten.

Bonjour, Messieurs beiderseits, die Lausanner biegen rechts ab, wir beide schreiten den Saleinagletscher hinan. Kalt ist es, denn der Westwind bläst rauh vom Col du Chardonnet über den Gletscher herunter.

Die Sonne geht endlich auf, und alles ist in verändertem Lichte. Rechts oben hat man die gelben, nun goldig aussehenden steilen Felswände der Aiguilles Dorées, die ihre granitenen Spitzen wie Nadeln in den Himmel senden. Weiter sieht man einen Einschnitt zwischen denselben und der Petite Fourche, die Fenêtre de Saleina, welche wir passieren wollen. Weiter hinten die Grande Fourche, dann der Col du Chardonnet und nach diesem die prächtige Aiguille d' Argentière, die, von der Morgensonne beschienen, nunmehr in ihrer ganzen Schönheit in kurzer Entfernung vor uns steht. Ein prachtvoller Anblick, unwillkürlich bleibt man stehen, betrachtet aufmerksam das Bild, sieht die kleinsten Einzelheiten mit bloßem Auge, schrecklich steile Schnee- und Eishänge, Couloirs und Felsbänder.

Weiter hinten der Tour Noir, die Aiguille de la Neuva und dann die Luis und Darrey, deren Spitzen im ersten Sonnenschein wie glänzendes Silber aussehen. Die daran hängenden Gletscher, beschienen von der Morgensonne, bieten nicht minder einen prächtigen Anblick, so daß man nicht genug schauen kann.

Langgezogene, dünnschichtige Wolkenstreifen bedecken rasch und unvermutet den noch vor kurzem so blauen Himmel, der Wind fängt an, stärker zu sausen. Pech wäre es, wenn, so nahe am Ziel, ich nicht photographieren könnte auf dem Gipfel des Berges, wo ich hinwollte; ohne Sonne eine Landschaft zu photographieren, hat keinen Zweck. Wir beeilen unsere Schritte. Immer näher rücken wir der Fenêtre de Saleina. Endlich sind wir beim Schrund angekommen, welcher aber fest gefroren ist und uns keine Schwierigkeiten bereitet. Die kurze steile Halde, alles bunt durcheinandergewürfelte Felsstücke, dazwischen hartgefrorener ,itìF, Eymann.

Schnee, ist bald zurückgelegt, und wir sind oben auf der Scheide, welche den Saleinagletscher vom Plateau du Trient scheidet.

Rasch wird noch eine Aufnahme gemacht von der Aiguille d' Argentière und der Aiguille du Tour, die sich von hier aus schön bieten, und wir ziehen der eine Stunde von uns entfernten Aiguille du Tour zu.

Das Seil, das wir uns nun umgebunden, ist schon bei den ersten Schritten von Nutzen, denn kaum verläßt mein Träger das sichere Felsgestein der Fenêtre, so rutscht er aus und gleitet einige Schritte in die Spalte längs den Felsen, doch ich hebe ihn rasch in die Höhe, und der kleine Unfall mahnt zur Vorsicht.

Der harte Boden, den wir bisher auf dem Saleinagletscher gehabt, ist nun vertauscht. Frisch gefallener Schnee, vom Winde zusammengeweht, reicht uns bis an die Knie, unter demselben hartes Eis, schlecht zu begehen. Längs der Tête Blanche schreiten wir so, der beißend kalte, schneidige Wind weht uns die Schnee- und Eisnadeln prickelnd ins Gesicht, so daß man kalte Ohren und Nasenspitzen bekommt wie mitten im Winter.

Am Fuße der Aiguille du Tour angekommen, lassen wir den Proviant zurück und fangen an, die steile Schneewand zu nehmen. Schon mehreremal hatte ich den gleichen Weg gemacht, aber nie unter so ungünstigen Verhältnissen. Der vorhergehende Tag war heiß gewesen und verhältnismäßig windstill, daher viel Schnee geschmolzen, über Nacht gefroren war und nun eine harte, glitzernde Eisdecke bildete. Schritt für Schritt mußten Stufen gehauen werden, doch es ging ziemlich leicht. Wir kommen oben an und stehen bei dem Schrund, beratend, wie er zu überschreiten sei.

Mein Träger nimmt einen Augenblick die Brille herunter, läßt sie fallen, sie rutscht auf dem glatten Boden, rutscht und rutscht, bis sie auf Nimmerwiedersehen in einer Spalte verschwindet, uns den Weg zeigend, den wir machen würden, wenn wir auch rutschen würden.

Ich verstemme mich im harten Schnee, so gut ich kann, halte das Seil und lasse meinen Träger ruckweise voran, bis er am Rande des Schrundes ist, wo er sich verstemmt und mich vorsichtig nachzieht. Nun wie hinüber? Die gähnende Tiefe vor uns, wie tief, wissen wir nicht, aber schwarzdunkel ist es unten. Item, probieren müssen wir es. Der Pickel wird am andern obera, höhern Rand mit ausgerecktem Arme fest eingehackt, so fest es geht, liegend zieht der Träger sich hinüber, ich stoße ihn, glücklich kommt er hinüber und arbeitet sich auf allen vieren noch, soweit als das Seil reicht, die kurze steile Schneewand hinauf und verstemmt sich. Nun kommt die Reihe an mich. Er zieht und zieht, liegend arbeite ich mich hinüber und oben bin ich auch. Die kurze Schneewand ist bald zurückgelegt und wir betreten sichern Felsen.

Frisch gefallener, hart gefrorener Schnee befindet sich zwischen den Felsstücken, auf diesen eine dünne, durchsichtige, glatte Eiskruste. Kalte Finger gibt 's beim Anpacken der Steine.

Zum viertenmal setze ich meine Füße auf diesen schönen Gipfel. Alles ist gleich geblieben, in gleicher reiner Schönheit. Nicht den gleichen Reiz bietet es für mich wie das erste Mal, doch gleichwohl finde ich es prächtig schön. Ein äußerst schneidiger, kalter Westwind weht und begünstigt nicht eine ruhige Betrachtung alles dessen, was man hier oben sieht. Der Versuch, hier oben das Panorama aufzunehmen, wird zur Unmöglichkeit. Der Apparat, obgleich er vom Träger gehalten wird, schlottert wie ein Espenlaub.

Ich spähe hinunter, ob ich ein Plätzchen entdecke, wo ich einigermaßen vom Wind geschützt wäre, immerhin wissend, daß ich dadurch nicht, wie ich gewünscht, das ganze Panorama, sondern nur die Ansicht des Mont Blanc-Massivs nehmen könne.

Wir klettern mit dem Apparat unter allen möglichen Künsten hinunter, auf ein vorspringendes Felsstück, wo ich durch die nebenliegende Wand ein bißchen vor dem Wind geschützt war. Aber auch hier ist es schwierig, den Apparat aufzustellen, kaum haben die ausgespreizten Stativfüße Platz, ich ein paar Fuß tiefer unten, wodurch das Einstellen sehr erschwert wird, das Schwarztuch bleibt des Windes wegen wie ein Brett, und nur für sehr kurzen Augenblick kann ich einen Blick auf der Mattscheibe erschnappen. Item, die Aufnahme wird gemacht, und mehr als 4 Platten kann ich nicht zur Anwendung bringen, auf der einen Seite nicht, weil die Felswand die Aussicht abschneidet, auf der andern nicht, weil ich zum Einstellen des Bildes keinen Platz gefunden hätte.

Wie wird die Aufnahme ausfallen, der ganze Himmel, obwohl eigentlich noch schönes Wetter ist, mit dünnen langen Wolkenschichten überzogen. Die Spitze des Mont Blanc selbst war von dichtem Nebel verhüllt, dadurch kam das Chamonixtal in Schatten. Doch anders war es nicht zu machen, man mußte zufrieden sein und es nehmen, wie es das Wetter bot.

Der Aufstieg zum Gipfel und der Abstieg zum Rande der Felsen, wo wir Halt machen und einen kleinen Imbiß nehmen an windgeschütztem Orte, bot keine Schwierigkeiten.

Der eigentliche Rückweg wird nun angetreten, und mehr rutschend als stehend überschreiten wir den Schrund glücklich. In schnellem Tempo geht es abwärts, dem Platze zu, wo wir unsern Proviant gelassen.

Beim Col du Tour wird versucht, Mittag zu kochen. Unmöglich, der Wind weht die aufgestellte blecherne Kochmaschine fort wie Papierfetzen. Er bläst scheußlich durch die Paßlücke, pfeifend, heulend; wie fernes, mächtiges Wasserrauschen seinen Weg durch die Felstrümmer suchend. Mit steifen Fingern packen wir wieder ein, was wir kaum ausgepackt, und treten den Rückweg an.

Wir nehmen nicht die gewöhnliche Route, längs den Wänden der Aiguilles Dorées, sondern in schnurgerader Linie dem Col d' Orny zu. Wir durchqueren das Plateau du Trient, wohl gilt es, Obacht zu geben auf trügerische, frisch verwehte Spalten, an andern Orten ist fußhoher frischer Schnee zu stampfen, aber alles geht gut, und was viel ausmachte, wir kürzen den gewöhnlichen Weg um eine Stunde ab. So kommen wir auf dem Ornygletscher an, wo wir dem Winde nicht mehr so ausgesetzt sind.

Kommt da ein junges zärtliches Pärchen Arm in Arm den Gletscher hinaufspaziert, ohne Eispickel, ohne Seil, so gemütlich, als ob der trügerische Boden sicheres Trottoir wäre. In gutgemeinter Weise führen wir ihnen das Leichtsinnige dieses Benehmens vor Augen, worauf sie umkehren und mit uns zur Ornyhütte absteigen, wo wir nachmittags IV2 Uhr anlangen, und uns der dienstwillige Hüttenwart eine Suppe bereitet.

Der Himmel überzog sich während dieser Zeit gleichmäßig mit grauschwarzen Wolken. Leises Donnern und Wetterleuchten läßt vermuten, daß wir Regen bekommen werden. So beschlossen wir, für den heutigen Tag hier zu bleiben, um morgen den Heimwog über den Col de la Breya. Val d' Arpetta und die interessante Durnandschlucht nach Martigny anzutreten.

Wiederum sitze ich im Eisenbahnwagen, wiederum prasselt der Regen an dessen Fensterscheiben. In Bern angelangt, konnte ich die Redaktion dieses Jahrbuches gleich davon überzeugen, daß ihr Auftrag, dem Wetter gemäß, glücklich ausgeführt worden sei.

III. Pointe du Genévrier.

Zwei müde Wanderei ', mit roten glühenden Gesichtern eben von einer Hochtour im Mont Blanc-Massiv zurückkehrend näherten sich in den Abendstunden — die Sonne war gerade am Untergehen — dem Bergdörfchen Mont Roc bei Argentière im Chamonixtale.

Müde, und um nicht noch weit marschieren zn müssen, fragten wir eine eben vorübergehende Frau an, ob in diesem kleinen Dörfchen etwa ein Wirtshaus wäre, wo man übernachten könnte. Die Antwort war verneinend, wir könnten aber in ihrem Hause übernachten, wenn dies uns recht wäre.

Froh des Wandeins für heute entledigt zu sein, nahmen wir dankend an und traten in das Haus ein, welches über Erwarten sauber und reinlich aussah, und gerne legten wir unsere sieben Sachen in eine Ecke, denn beiden tat der Buckel weh vom schweren Rucksack.

Rasch wurde uns der Tisch gedeckt mit weißem Tuche, sauberem Geschirr, und mit großem Appetite machten wir uns über das äußerst appetitlich aussehende, nagelneue „ Ankenbälli " und den kleinen Laib Käse her. Von der frischen, reinen, kalten Milch wird eine Tasse nach der andern hinuntergespült, denn lange geht 's, bis der Durst nachgelassen.

In der „ guten Stube ", wohin wir geführt wurden, verbringen wir den Rest des Abends; halb schlafend, halb wachend, setzen wir uns dann noch mit den Angehörigen der Familie, die bis spät draußen geheuet haben und erst um 9 Uhr ihr Nachtessen einnehmen, zum Tisch und plaudern dies und das.

Mitten in der Nacht werden wir durch Regen geweckt, dazu hört man donnern und sieht blitzen.

Also schlafen wir weiter, um so mehr, als der kommende Tag ein Sonntag ist, und sind erst um 9 Uhr bei unserem Frühstück. Uns zu beeilen, hat keinen Zweck, denn es regnet Bindfaden, und von Chamonix herauf kommen immer neue Nebelschwaden und ziehen sich träge längs den Wäldern hin. Endlich um Mittag heitert sich der Himmel etwas auf, und um der Langeweile zu entgehen, kommen wir überein, weiter zu wandern, wohin, wissen wir noch nicht.

So machen wir uns zur Abreise bereit und sagen den gastfreundlichen Leuten ade, nicht ohne ihnen unsern Dank in klingender Münze abgestattet zu haben. Muntern Sinnes lenken wir unsere Schritte über Feldwege dem Col de Montets zu und sind in einer Viertelstunde auf der Wasserscheide.

Bald kommen wir in die Nähe des Weilers La Poya, wo der Weg abzweigt zum Buet. Wir bleiben stehen, beratschlagen, ob wir noch den Buet nehmen wollen, doch weil der Himmel mit finstern, grauschwarzen Wolken in dieser Richtung überzogen ist, wird der Abstecher auf denselben unterlassen.

Gemütlichen Schrittes trotten wir die Landstraße hinunter bei Nant und Vallorcine vorbei, betrachten etwas genauer die landschaftlich schöne Gegend bei Barberine und treten bei Chatelard, wo ein buntbewegtes Leben von Fremden wogte, wiederum auf Schweizerboden.

Der Mode gemäß werden einige Postkarten versendet, denen daheim die Kunde gebend, daß die eben abgelaufene Tour ohne Unfall passiert sei.

Ohne uns länger aufzuhalten, ziehen wir weiter und kommen nach Verlauf einer guten Stunde in dem schöngelegenen, sauberen Bergdorfe Finshauts an. Während des Marschierens betrachten wir das bunt bewegte Leben, denn auch hier wimmelte es von Fremden wie in einem Kurorte.

Hier müssen wir uns entscheiden, ob wir eigentlich auf direktestem Wege heimreisen wollen oder auf Umwegen; nach kurzem Beraten wählen wir das letztere. Dementsprechend wird der Proviant ergänzt und wir biegen zu oberst im Dorfe links ab, die Richtung nach dem Col de la Gueula einschlagend.

Nicht lange sind wir auf dem Wege, so gesellt sich ein älterer Einheimischer zu uns, die Brente auf dem Rücken, wohl in der Absicht, auf einer nahen Alp Milch zu holen. Vous n'avez pas peur du mauvais temps, lächelte er verschmitzt und ging seines Weges.

Wir steigen mit langausholenden Schritten durch schönen Wald, über guten Saumweg. Kalte Regenschauer, gepeitscht vom Winde, kommen, welche die Reiselust beeinträchtigen, denn schon spricht mein Kamerad emsig vom Umkehren. Ich aber, die Hoffnung auf gutes Wetter nicht aufgebend, entscheide für das Weitergehen auf dem angefangenen Wege.

Endlich, nach Verlauf von etwa 2 Stunden, kommen wir auf der Höhe des Col de la Gueula ( 1945ra ) an, von dessen schöner Aussicht wir nicht viel sehen. Einzig in unmittelbarer Nähe, westlich vom Col, zeigt sich ein finsterer Geselle gleich einem Zuckerstock, der Grand Perron.

Das Wirtshaus finden wir geschlossen und ringsum keine menschliche Seele. Zurückkehren wäre schade, und der Gedanke kommt, für heute noch nach der Barberine-Clubhütte zu gehen.

Wir orientieren uns, wo der Weg zu derselben führen mag, finden die Spur und begeben uns an den Rand des Bergrückens, wo der Fußweg in enger Felsspalte eingekeilt ist.

Die Aussicht, die sich uns hier bietet, ist überraschend. Vor una, 200 Meter tiefer, sehen wir eine Ebene, durchrauscht von einem großen breiten Bergbache, der Eau Noire. Jenseits finstere kahle Bergwände, nackte Felsen ohne jedes Grün. Oben die grauschwarzen Wolken, welche allein schon dem Ganzen ein düsteres Aussehen geben.

Der auf den ersten Blick etwas „ gruselig"1 erscheinende Abstieg wird bald zur Spielerei, der Weg ist sehr gut und absolut ungefährlich, nur die vom Regen niedergefallenen Wassermassen, welche von den Höhen des Bel Oiseau hier ihren Weg suchen und den Fußweg als Bachbett benutzen, lassen unsere Schuhe durch und durch naß werden.

In kurzem sind wir auf einer großen, flachen Bergwiese angekommen, dem Plan d' Emosson. Auf dem weichen, feuchten Boden läuft es sich wie auf einem Teppich. Ein wenig weiter und wir kommen zu einer steinernen Brücke, welche zu den Sennhütten von Emosson führt, in denen wir aber kein lebendes Wesen entdecken. Unsere Hoffnung, hier zu übernachten, ist bald aufgegeben. Einmal wieder über die Brücke zurück, werfen wir einen Blick in das hinter diesen Hütten liegende Tal. Eine finstere Schlucht ist 's mit einem großen Wasserfalle, weiter hinten sehen wir Berge, alles nackte, glatte Felsen.

Der Weg nach Barberine fuhrt uns weiter durch viele Wassertümpel, der Gorge de Rijal zu. Eng wird die kurze Schlucht. Wild tosend und schäumend zwingt der überaus wilde Bergbach, Eau Noire, durch den engen Paß sein schmutziggräuliches Wasser, schäumt und zischt, daß es ein Graus ist. Hart daneben, an schroffen Felsen, der schmale Fußweg; wehe dem, der hier das Unglück haben sollte, zu straucheln und in den Bach zu fallen, in wenigen Sekunden wäre es aus mit ihm. Lange können wir nicht dem schönen Schauspiel zusehen; denn schon dämmert es, und weder von den Barberinesennhütten noch von der Clubhütte ist etwas zu bemerken. Wo mögen die wohl stecken?

Wiederum betreten wir ein etwas höher gelegenes Plateau, das von Barberine. Der Boden ist fast eben mit dem Wasserspiegel des nebenan fließenden Baches. Oft führt der Weg durch sumpfigen morastigen Boden, an andern Orten setzt man über Wassertümpel oder umgeht größere; hin und wieder über glatt abgeschliffene Granitfelsen, die davon zeugen, daß hier ehedem Gletscher gewesen sind. Noch ein kleiner Bergvorsprung ist zu umgehen und wir haben unerwartet in allernächster Nähe die Barberinehütten vor uns.

Zeit ist 's, daß wir angekommen sind, denn es ist schon ziemlich dunkel. In einer Hütte, aus der Rauch aufsteigt, kehren wir ein und erlaben uns jeder mit einem Liter Milch.

Die Clubhütte ist zu unserer Freude in allernächster Nähe, nur 5 Minuten entfernt. Kaum können wir ihre Umrisse erkennen. Eilend begehen wir den sehr holperigen Weg dorthin und stehen vor dem ersehnten Ziele.

Freudig öffnen wir die Türe, legen schnell unsere Säcke ab und machen mit mitgenommenen Kerzen Licht. Beim schon vorher entdeckten Brunnen, einer kleinen eisernen Röhre, welche das Wasser in reichlicher Menge aus dem Boden leitet, wird in der blechernen Gießkanne Wasser geholt. Kochhafen werden ausgewaschen und mit frischem Wasser besetzt. Der Versuch, Feuer anzumachen, will lange nicht gelingen, denn das Holz ist feucht. Nach einigem Hin- und Hersuchen entdecken wir den Holzbehälter unter den Britschen, wo dürres Holz zur Genüge vorhanden ist, und nun ist rasch Feuer gemacht.

Bei den nahen Sennhütten hole ich zwei Liter Milch, und wir beginnen, uns in der Hütte behaglich einzurichten, denn daß uns heute noch jemand stören würde, war nicht zu fürchten.

Maggisuppe und mitgebrachte Fleischwaren machten unsere Mahlzeit aus, und nie hat es jemand besser geschmeckt als uns an jenem Abend.

Einmal satt, saßen wir noch plaudernd eine Weile beisammen, um so mehr, als der Kochofen angenehme Wärme ausstrahlte, besprachen, was wir am folgenden Tage unternehmen wollten, wenn das Wetter gut wäre, und begaben uns endlich zur Ruhe. Morgens um 4 Uhr stehe ich auf, trete vor die Hütte, um nach dem Wetter zu spähen, aber oh weh, nur wenige Sterne sind am Himmel zu sehen. Wir besprechen vorläufig unsere Rückreise, die wir über den Col de Barberine zu machen gedenken, und schlafen wieder ein.

Geschlafen haben wir lange, denn wie wir wieder erwachen, dringt schon Tageshelligkeit durch die Spalten der geschlossenen Läden. Rasch wird aufgestanden und Feuer gemacht und die abends vorher geholten zwei Liter Milch erwärmt. So ein Liter heiße Milch im Magen tut Wunder! Wie wir fertig sind, ist 's halb sieben Uhr. Die Tür wird aufgemacht, und wir sehen draußen unerwartet das schönste Wetter.

Mein Reisekamerad muß schlecht geschlafen haben, denn sonst hätte er nicht über Nacht die Idee bekommen, nun bei diesem schönen Wetter abzureisen. Sei's Furcht vor neuen Strapazen, sei 's Müdigkeit von der vorher gemachten, großen Tour, sei 's Geschäfte wegen, item, er entschuldigte sich und erklärte, heimreisen zu wollen. So drücken wir einander die Hände, sagen uns lebewohl; jeder ist dem andern lieb geworden, noch ein Blick zusammen, und fort geht er, auf dem Weg, den wir Tags vorher gekommen sind, nach Finshauts, von da nach Salvan und Vernayaz hinunter und mit der Bahn heimwärts.

So, jetzt sitzest du alleine da! fast wehmütig folgen meine Gedanken meinem eben abgereisten Kameraden. Aber diese Berge! wie schön sind sie im beginnenden Morgensonnenschein. Die der Clubhütte gegenüberliegende Pointe Finive, oben im prächtigsten Sonnenschein, die untern Partien noch in Dämmerung gehüllt. Lange sitze ich vor der Hütte, betrachte all diese verschiedenen Spitzen: Tour Salière, Mont Ruan, Pointe des Rosses, Finive. Wie wär 's, wenn du dir einige Ansichten auf die photographischen Platten bringen würdest? Ohne solche heimzukehren, bin ich eben nicht willens.

In die Hütte zurückgetreten, mache ich mir den Apparat zurecht. Von dem großen Vorrat an Proviant — der weggereiste Kamerad hat mir alles hinterlassen — rolle ich den größten Teil in eine Wolldecke, verstecke diese an einem Orte, wo sie allfällig in meiner Abwesenheit kommenden Touristen nicht gleich in die Augen sticht.

Der Rucksack wird zurecht gemacht, der Apparat darin so verpackt, daß er mich nicht drückt, etwas Proviant daneben gesteckt, und in die eine Rocktasche einige Handvoll weißen Zucker, und auch ich wäre reisefertig, aber wohin? weiß ich selbst nicht.

In den nahen Sennhütten wird noch ein Liter Milch getrunken, und frohen Sinnes wie nie gehe ich des Weges, den ich abends vorher gekommen.

In der Gorge de Rijal angekommen, sehe ich in gerader Richtung vor mir, in der Lücke zwischen dem Col de la Gueula und dem Grand Perron, die prächtige Gestalt der Aiguille du Tour. Im schönsten, reinsten Weiß glitzert es dort oben, auf den großen Schnee- und Eisfeldern. Von keiner andern Seite nimmt sie sich so imposant aus wie von dieser.

Weiter unten in der Ebene von Emosson entdecke ich, einmal rückwärts schauend, den schönen Hintergrund des Barberinetales: den Mont Ruan, die Rosses, die Finive. Im Vordergrunde die steinerne, verwetterte Bogenbrücke über den wildtosenden Bach. Das kleine Kapellchen daneben, weiter hinten die Gorge de Rijal, durch welche die Eau Noire ihr Wasser zwängt. Es ist zu schön, und es wäre zu schade, nicht eine Aufnahme zu machen. Rucksack herunter und Aufnahmen machen ist eins.

Meine Blicke wandern den kahlen Bergen zu, die ich gestern von hier aus gesehen, mit der finstern Schlucht im Vordergrunde, in der auch ein prächtig schöner Wasserfall seine silberhellen Wasser niederrauschen läßt. Es ist die Gorge du Vieux im Vallon Nant de Drance. Wie wär 's, sagte ich mir, wenn du dir das Ding etwas näher anschautest?

Ich lenke meine Schritte über die steinerne Brücke, den Sennhütten von Emosson zu, und finde wiederum niemand. Weiter oben am Berge sehe ich aber noch eine alleinstehende Hütte, zu der ein Zickzackweg in 1U Stunde mich hinaufführte. Es ist eine niedere Hütte, deren Dach mit dem Bergabhang eben läuft. Durch die vor derselben befindlichen „ Guanolager " meinen Weg suchend, trete ich in die Hütte und finde nur einen einzelnen Mann vor. Die mir vorgesetzte Milch von sauberstem Weiß, dick wie Rahm, kalt wie Eis, wurde mit größtem Wohlbehagen hinuntergeschluckt, und nie habe ich bessere Milch getrunken. Dem Sennen wird der gebührende Preis bezahlt, und ade, von jetzt ab gibt 's wohl keine Milch mehr.

Immer weiter dringe ich in die Schlucht vor; der Boden ist anfangs sumpfig. Ich wundere mich, viele Wasserlöcher zu sehen, die kaum einen Fuß Durchmesser haben, wo aber der eingesteckte Pickel keinen Boden findet. Nicht viel weiter unten ist der tosende Bach, die Drance. Weiter hinüber, am andern Ufer, sind die löcherigen, steilen Felswände des Grand Perron; wer dort hinaufklettert, wird seine blauen Wunder erleben.

Ohne eine Karte bei mir zu haben, um mich orientieren zu können, dringe ich gleichwohl weiter in die Schlucht ein. Keinen Fußweg finde ich an diesem Ende, obwohl die Spur eines solchen früher abzweigte, nach oben. Ich will aber einmal etwas anderes. Am Ende der Schlucht habe ich die des Abends vorher bemerkten kahlen Felsen vor mir, die ein äußerst wildes Aussehen haben. Oben der Gipfel der Vidalle, ein rundlicher Stock, die Hänge untenher, ohne Schutthalden, wie bei den meisten andern Bergen, nichts als kahle, nackte und glatte Felsen. In dem großen Einschnitt, welchen diese Kette der Vidalle mit dem Grand Perron macht, liegt noch ein Haufen Schnee, unter dem ein großer, wilder Bergbach, die Drance, schäumend und tosend abfließt, viele Wasserfälle bildend, die wie Silber anzusehen sind. Wiederum photographiere ich diese Ecke.

Aber jetzt was tun? Wie wär 's, wenn ich auf jener Seite des Baches wäre, von dort aus könnte man weiter sehen. Ich vermag indes keine Spur eines Überganges zu entdecken. So entschließe ich mich, in die enge Felsschlucht niederzusteigen, ziehe meine Schnhe und Strümpfe aus, schlage die Hosen weit hinauf, und hinein ins eiskalte Wasser. Wie muß ich da anstemmen gegen das mächtig niederkommende Wasser, acht geben, daß es mich nicht fortreißt. Doch es geht, die tiefsten Stellen werden möglichst vermieden, seichte Stellen sind aber meist glatt wie nasse Fische. So geht 's in der Schlucht — der Bach ist hier zwischen zwei Felswänden eingekeilt — im Bache bergauf. Endlich komme ich heraus auf trockenen Boden und ziehe Strümpfe und Schuhe wieder an.

Jetzt links oder rechts? Rechts sehe ich zwischen hohen Felsen ein enges, ziemlich steiles Couloir, welches mit Schnee angefüllt ist, der aber, steinhart gefroren, zu beiden Seiten der Felsen abgeschmolzen ist, so daß zwischen Schnee und Stein eine 1—2 Meter tiefe enge Kluft entstanden ist. Ich denke, durch dieses Couloir hinaufzukommen, sei für mich keine Hexerei, und einmal oben, werde ich wohl sehen, wie weiter zu kommen sei. Ich mache mich also auf den Weg dorthin, und recht munter schreite ich in die Höhe, bis ich auf den Schnee im Couloir komme. Aber so leicht, wie ich mir es vorgestellt, ging 's doch nicht, denn zu schwitzen gab 's, bis ich oben war.

Wenige Schritte noch im Couloir, und ich bin am obern Ausgang desselben. Ha, wie ist das fein! welche Aussicht bot sich mir. Eine neue Bergwelt, von der ich keine Ahnung gehabt hatte. Ein großer, mächtiger Bergkessel, der von Vieux Emosson. Ich trete noch ein wenig hinaus, auf ein sonniges, trockenes Terrasschen, wo ich mich einige Minuten hinlegte, um all dies Schöne mit Muße zu betrachten.

Da ist im nächsten Vordergrunde, unten, ein Wasser, das langsam sich dem unbekannten Ausgange des Kessels nähert. Weiter hinten ist der Boden zum größten Teil mit Schnee bedeckt. Auf der linken Seite, oben, die kahlen, flachen Felsen der Vidalle. Rechts die grauen, steilen, verlöcherten Wände der Pointe Finive und des Cheval Blanc, von denen zahlreiche Wässerlein herniederrieseln.

Hier wird wiederum photographiert und studiert. Soll ich weiter gehen oder nicht? Schon ist 's 12 Uhr. lVa Stunde ungefähr brauchte ich von Emosson bis hierher. Wie viel Zeit kann ich wohl heute noch verwenden? Immerhin gehst du noch ein Stück weit vorwärts, denke ich, schaust dir einmal diesen einsamen Bergkessel an und siehst, was dort hinten stecken mag. Also trabe ich weiter.

Mein erstes, ich finde eine Art menschlichen Unterschlupfs. Unter vorspringenden Felsstücken ein winziges Hüttchen zurechtgemacht. Außen hängen Kleider zum Trocknen, folglich muß jemand hier sein. Ich mache die Türe auf, sehe aber niemand. Nur bemerke ich, daß alles niedrig ist, sehr niedrig, daß der Mann, welcher hier wohnt, sich kriechend auf sein Lager begeben muß. Einige Geschirre vervollständigen diese einfache Behausung. Ohne etwas anzurühren, gehe ich weiter, schreite munter dem südlichen Ende des Kessels zu, und da angekommen, treibt 's mich wieder, zu wissen, was oben auf der Höhe zu sehen sein mag.

So nehme ich auch hier einen Anlauf und schlage eine mir gut scheinende Richtung ein. So komme ich in ein Tälchen. In der Mitte alles mit Schnee angefüllt, links helle, fast blendende, nackte Felsen, rechts widerwärtige Schieferschutthalden. Abwechselnd bald auf dem Schnee, bald auf dem Schutte steige ich rüstig vorwärts, bis ich an einen Ort komme ( Punkt 2300 zirka ), wo ich mich wiederum entscheiden muß, ob ich links oder rechts gehen will. Rechts halte ich, und endlich habe ich die steilen Schnee- und Schutthalden hinter mir und komme auf französisches Gebiet, auf eine fast ebene, schmale Fläche, den Col du Vieux.

Hier gibt 's wiederum Neues zu sehen. Links geht 's hinunter, in das Tal Entre deux Eaux. Geradeaus, gegen Westen, habe ich den Gipfel des Buet, den ich vor Jahr und Tag unter meinen Füßen hatte. Etwas weiter rechts den Genévrier und ganz rechts, in nächster Nähe, den Cheval Blanc.

Die Zeit rückt vorwärts, denn schon 2 Uhr ist 's und noch habe ich immer Lust, weiter zu gehen. Aber was ich unten den ganzen Vormittag nicht hatte, spürte ich hier auf einmal, einen äußerst heftigen Westwind. Einsehend, daß ich bei diesem Winde zu oberst auf einem Gipfel nicht photographieren könne, ohne bewegte Bilder zu bekommen, und die Zeit doch auch schon zu spät sei, entschließe ich mich, nicht direkt auf einen Gipfel zu gehen, sondern nur noch ein Stück weit vorzudringen und dann abzusteigen.

Der vor mir liegende Gipfel, die Pointe du Genévrier, gefiel mir am besten. Anstatt rechts zu gehen, um vom Col aus auf den Grat zu kommen, entschied ich mich, geradeaus die verdammte Schutthalde hinauf bis unter die obersten, senkrecht abfallenden Felsen, etwa 50 Meter unter dem Gipfel, etwa 200 Meter höher als der Col, zu steigen, welche Felsen mir vor dem Winde wohl Schutz gewähren würden.

Mühsam arbeite ich mich hinauf. Drei Schritte vorwärts bringen einen zwei Schritte zurück. Alles rutscht unter den Füßen, alles kommt in Bewegung. Große Steinblöcke, so schwer, daß man sie nicht zu heben vermöchte, rutschen bei der leisesten Berührung. Endlich finde ich ein Plätzchen auf der äußerst steilen Schutthalde, wo ich meinen Apparat aufstellen kann und die Stativfiiße mit Steinen umgebe, zum bessern Halt. Der Apparat wird ausgepackt, aber sachte. In dem steilen Terrain muß man sehr Obacht geben, daß einem nichts hinunterfliegt; denn der Wind, wie hauste der! ein Stück ums andere muß mit Steinen beschwert werden. So kann ich mit Mühe den Apparat aufstellen, aber wie schlottert er! Mit der einen Hand muß ich ihn beständig festhalten, mit der andern mache ich die nötigen Hantierungen. So exponieren ist eine Sache, von welcher ich mir keine Hoffnung auf ein brauchbares Bild machen kann; aber beim Entwickeln stellte sich das Gegenteil heraus.

Als die Aufnahme gemacht war, war es 3 Uhr vorbei. Nun geht 's eilends die Halde hinunter, immer fleißig mit dem Pickel bremsend, denn auf diesen beweglichen Schiefern geht 's wie auf Schnee.Vom Col du Vieux bis hinunter nach der Ebene von Vieux-Emosson geht 's immer nur auf Schnee, wobei man sehr rasch vorwärtskommt. Die Ebene von Vieux-Emosson hinschreitend, leicht und schnell von einem Stein auf den andern springend, die Bächlein überschreitend, bemerkte ich oben an der Halde von Neverset einen Ziegen hütenden Mann, zu dem ich hinaufstieg. Auf das Wie und Woher ist bald eine Unterhaltung im Gange, denn dem Manne machte es Freude, einmal ein anderes zweibeiniges lebendes Wesen zu sehen in seiner Einsamkeit.

Wir legen uns gemütlich auf die spärlichen Grasschollen nieder. Er, der mich schon des Vormittags bemerkt hatte, wie ich eilend diese Gegend durchschritt, meinte, ich sei ein Wildhüter. Ich gebe ihm all meinen Proviant, von dem ich nichts angerührt hatte, nur mit einigen Handvoll weißen Zuckers vorliebnehmend. Er lockte eine Ziege herbei, molk sie und gab mir die Milch zu trinken. So ist beiden ein Dienst erwiesen, und nach halbstündigem Ruhen nehme ich Abschied von dem einfachen Manne und gehe weiter in die Höhe, dem Neverset zu; denn den gleichen Weg, wie des Morgens, wollte ich der Abwechslung wegen nicht gehen.

So schreite ich recht tapfer in die Höhe, und ungefähr da, wo die steilen Felsen des Neverset auf eine Art Sattel abfallen ( zirka 2340 Meter ), gehe ich in östlicher Richtung eine Weile fast ebenen Weges vorwärts. Einige Schneebänder gibt es noch zu überschreiten, ein Ausrutschen hier würde einen eilends in die Gorge du Vieux hinunterspedieren. Die Zeit drängt, denn schon sinkt die Sonne unter. Unten in der Emosson-Ebene ist schon alles im Schatten, nur die Höhen der umliegenden Berge, Bel Oiseau und Grand Perron, sowie einige entfernt liegende Schneeberge im weiten Hintergrund glänzen noch im Abendsonnenschein. Noch weiß ich nicht, wo ich überhaupt hinnnterkommen kann. Überall glatte Felsbänder, auf denen es nicht ratsam war, nach Emosson hinunterzusteigen. Ich verdopple meine Schritte und halte mich gegen einen mächtigen Felskopf zu, lasse denselben rechts liegen und komme so auf schneeige Flächen, aus denen zahlreiche nackte Felsen hervorgucken. Weit unten sehe ich die winzig kleinen Barberinehütten, links oben habe ich senkrecht abfallende hohe Felswände, auf denen der Glacier de Finive ruht.

Doch finde ich leicht einen Ausweg von einer Felsterrasse auf die andere, und eilends nahe ich mich der Niederung. Endlich betrete ich ein breites und langes Schneecouloir. Da der Schnee recht gut ist, geht 's in tollen Sprüngen hinunter auf die Barberine-Ebene. Nicht weit davon die Clubhütte sehend, meine ich, in einigen Minuten dort zu sein. Aber die Weg-versperrer, wenn die nicht wären! Kommt da ein Bach nach dem andern, der eine breit und seicht, der andere schmal und reißend. So entschließe ich mich, Schuhe und Strümpfe auszuziehen und durch die eiskalten Bäche zu waten. Aber auch die Bäche sind hinter mir, und endlich lege ich Pickel und Rucksack vor der Hütte ab, froh, noch tags das gastliche Obdach erreicht zu haben. Ich spüre nicht die geringste Müdigkeit vom heutigen Marsche. Ob das vom Zucker herkam? Ich photographierte noch die Hütte, obwohl es für diesen Zweck fast zu dunkel war.

Mahlzeit und Nachtlager teilte ich mit einer Partie, zwei Touristen und einem Führer, welche kurz vor mir in der Hütte angekommen waren.

Noch lange sitzen wir vor der Hütte auf der Bank, denn der aufgehende Vollmond beleuchtet alles mit seinem milden Lichte. Wie Silber nimmt sich der Glacier de la Finive und des Fonds aus. Wie schön ist doch so eine Vollmondnacht im Gebirge! Erst um Mitternacht suchen wir unser Lager auf. Ich mit dem Bewußtsein, ohne Führer, ohne Karte, in völlig unbekanntem Gebiete eine solche Tour gemacht zu haben, meine Bergkenntnis bedeutend vermehrt zu haben.

Des Morgens um 2 Uhr erheben sich die drei Mannen, bereiten ihren Morgentrunk und begeben sich auf die Wanderung, der Tour Salière zu. Wie gerne ginge ich mit, aber das Eisenbahnbillet ist aus, und heute noch, ob gern oder ungern, muß ich den Heimweg antreten.

Endlich wird 's Tag, ich bereite mein Morgenessen, bringe die Hütte in Ordnung, packe meine sieben Sachen zusammen, die tags vorher versteckten Dinge dazu, und der schwere Rucksack wird wiederum angehängt. Sorgsam schließe ich alle Läden und die Türe. Noch ein langer, fast wehmütiger Blick der Hütte und dem schönen Hintergrund der Bar-berine-Ebene und dann ade! der Heimat zu. Noch einmal wird in der Barberinesennhiltte Milch getrunken, dann geht 's leichten Schrittes dem Col de la Gueula zu. Von hier wird noch der kleine Abstecher auf den Six Jeur gemacht und das Chamonixtal mit den umliegenden Bergen aufgenommen. Dann geht 's hinunter. Der Abwechslung halber auf dem Umweg über Gétroz, der interessanter ist als der direkte Abstieg nach Finshauts. Noch einmal bietet sich gegenüber die Aiguille du Tour in ihrer schönsten Form, sie scheint von hier aus ein mächtiger Berg zu sein. Der Weg führt an Felswänden steil hinunter, wohl oder übel muß man springen, und in Schweiß gebadet, komme ich in Gétroz an, von wo ich hinaufgehe nach Finshauts. Auch dies eine rechte Schwitzkur, schwül brennt die Sonne, die Bremsen stechen, daß es eine Freude ist.

F. Ei/mann.

Am Himmel ziehen schwere Wolken daher, es ist Zeit, daß ich unter Dach komme. Der schöne Wald von Lachat ist bald hinter mir, ebenso Triquent, und nicht lange geht 's, so erblickt man das schön gelegene Salvan, eine der malerischsten Ortschaften im Wallis. Die in kurzen Zickzacklinien nach Vernayaz hinunterführende Straße wird ( zum wie vielten Male !) zurückgelegt, und ich komme eben rechtzeitig an, um den Nachmittagsschnellzug zu benützen, der mich der Heimat näher bringen sollte.

Im Wagen, der dumpf und schwül ist, schaue ich mir die beidseitig liegenden Berge: Cime de l' Est und Dent de Morcles, deren steile Seiten sich mir zukehren, noch einmal an, der schönen Stunden gedenkend, die ich dort oben oft erlebt.

Der Zug geht schnell vorwärts und mit anderen Gegenden kommen auch andere Gedanken; immer aber erinnere ich mich der schönen, eben verlebten Tage, die wohl geeignet sind, das nachherige Alltagsleben sonnig aufzuhellen.

II.

Freie Fahrten.

Jahrbuch des Schweizer Alpenclub. 3S. Jahrg.

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