Sport und Bergsteigen
Von Hugo Nunhsi Luzern Sind Sie Sportler? Nein, ich bin Bergsteiger!
Wir sind in etwas einig: innerlich empfinden wir Unterschiede, ahnen Gegensätze, die es verhindern, das Bergsteigen als Teil des Sportgedankens aufzufassen. Wenn Sportbücher ihm einen Abschnitt widmen, sind wir unangenehm berührt. Und träten wir dem Schweizerischen Landesverband für Leibesübungen bei, würde man landauf landab entrüstet sein. Das Gefühl des Vorhandenseins von Unterschieden ist nicht zufällig; denn es wirdvon uns allgemein empfunden. Das zeugt von innerer Stärke, die weder Verwischung noch Verebbung dulden will. Es ist auch dauerhaft; denn es tat sich schon seit den Anfängen kund, besonders bei neuartigen Vorkommnissen: bei der Erstbesteigung des Matterhorns, die man als gottversucht hielt; beim führerlosen Gehen, das dem Selbstmord gleichkomme; beim blossen Felsklettern, das dem Turnen gleichzustellen sei; beim alpinen Skilauf. Also auch da, wo in der Folge das Misstrauen nicht gerechtfertigt war. Aber es war gesunder Argwohn. Gemeinsamkeit und Dauerhaftigkeit der Empfindung sind Beweise, dass tatsächliche Unterschiede vorhanden sein müssen.
Worin besteht nun das Trennende, worin das Ähnliche oder gar das Gemeinsame? Wird die Empfindung scharf genug umrissen, genügend durch das Gedankliche gestützt? Ich glaube es nicht; denn diese Fragestellung trat erst in den letzten Jahren in ihrer ganzen Schärfe auf. Mag es uns Mühe kosten oder nicht: das Verhältnis zwischen Sport und Bergsteigen muss neu durchdacht, muss für unsere Zeit und mit unsern Worten festgelegt werden. Max Oechslin betonte ebenfalls, dass wir Bergsteiger der ganzen Bewegung gegenüber klare Stellung beziehen müssen, weil wir dies uns und der Überlieferung des Bergsteigertums schuldig seien. Und Duperrex hat schon 1925 geschrieben: « Nous aimons la montagne et nous n' en connaissons pas encore ( suffisamment ) la cause. Elle existe, nous la sentons; elle est en nous et hors de nous. Mais elle se dérobe ou peut-être ne savons-nous pas la découvrir. » Im selben Jahr hingegen bedauerte Alfred Graber anlässlich der Besprechung des Buches von Karl Egger: « Aiguilles », dass der Verfasser sich mit den Triebfedern des Bergsteigens auseinandergesetzt habe. Dies sei so unnütz wie die Frage nach dem Zweck des Lebens.
Verinnerlichung, das Ergründen der Tiefe ist notwendig. Ohne Tauchen bleibt man an der Oberfläche haften. Es mögen noch genug Geheimnisse übrig bleiben, genug Unfassbares, das uns wohl für immer rätselhaft erscheint. Aber das Auffinden von Marksteinen ist möglich. Diese sollen dem Un-ergründlichen wenigstens Rahmen sein und uns eine sichere Haltung geben, ausser dem Glauben auch etwas Gewissheit bieten. Deshalb ist das Sich-aussprechen notwendig. Das Zergliedern des Bergsteigergedankens widerstrebt wohl vielen. Sie sind gehemmt, Gefühle und Beweggründe zu sichten 3v«>v^r ' " ,'( Xîfff"':;7î1gSPORT UND BERGSTEIGEN oder abzuwägen. Ohne Verinnerlichung aber dürfte es kaum eine Rechenschaft über unser Tun und Lassen geben.
Bei den bisherigen Äusserungen vermisste man manchmal die einheitliche Linie. Ausserdem wurde mehrmals ein an und für sich begreiflicher Fehler gemacht: um das Trennende so recht verdeutlichen zu können, erniedrigte man den Sportgedanken in einer Weise, dass man sich unwillkürlich betroffen fühlte. Die Verurteilung des Sportgedankens ist nicht notwendig, um dennoch klare Unterschiede zwischen diesem und dem Bergsteigen zu erkennen. Wir dürfen es bejahen, dass dem Sport ein Gedankengut mit arteigenem Wert zugrunde liegt. Wir tun dadurch unserem Gedanken keinen Abbruch. Das Getrenntsein, nicht die Verurteilung des andern, soll zum Gegenstand der Untersuchung gewählt werden. Ein weiterer Fehler ist der, als Maßstab der Beurteilung die Auswüchse einzubeziehen. Sie sind nur Begleiterscheinungen, gegen die auch der Sport mehr oder weniger erfolgreich ankämpft. Möchten etwa wir nach Entgleisungen bewertet sein? Die Untersuchung der wesentlichen Unterschiede muss daher von der Beurteilung der Auswüchse absehen.
Sport und Bergsteigen:
Ein bedeutungsvoller Unterschied lässt sich zunächst der geschichtlichen Betrachtung entnehmen. Nach den Darlegungen Diems äusserte sich der Sport seit undenklichen Zeiten, in allen Ländern und auf allen Gebieten. Er sei so alt wie die Menschheit selbst. Man müsse ob der Beweise staunen, die von Altertumsforschern aus dem verbliebenen Kulturgut zusammengetragen worden sind. Wenn altägyptische Grabmale von Spiel und Sport-geräten berichten, Bilder vom Schwimmen, Ringen, Hockey zeigen; wenn in Asien bereits vor tausend Jahren Gleitholz oder Ski gefahren wurde: so hätten die Forscher geschlossen, dass der Sport nicht nur natürlich, sondern eine menschheitliche Angelegenheit sei. Das Bergsteigen ist jung. Man kennt noch die geistigen Wegbereiter, kennt die Vorläufer. Weshalb dieser geschichtliche Unterschied? Weil sich die Wurzeln nicht im selben Erdreich nähren; weil die beiden Gedankenkreise nicht dieselben Pole, Impulse und Beweggründe, nicht dieselben Mittel und Ziele haben.
Suchen wir nach den Polen, um die sich alles dreht, dann finden wir einen ersten wesentlichen Unterschied: Sport keimt aus dem Subjektiven, aus dem Menschen selbst. Der Pol ist nicht aussen, sondern innen gelagert; während jener des Bergsteigens ausserhalb, im alpinen Objekt zu suchen ist, dessen Erscheinungsformen erst allmählich auf die Seele derart einwirkten, dass das Erleben des Alpinen begehrenswert wurde. Dieses Erlebenwollen ist nicht etwas Zwangsläufiges oder Selbstverständliches; denn es hängt ab von einer bestimmten seelischen Entwicklung, der das Alpine Pol und Ursache zugleich ist. Nach Oskar Erich Meyer im Buch « Tat und Traum » befindet sich die Ursache nur in uns. Das Bergsteigen scheint ihm Ausfluss von Leidenschaften zu sein, von zielloser Sehnsucht, deren Taten nicht fragen, warum sie geboren wurden, noch welchem Zweck sie dienen. Sind wir wirklich planlos den Wogen dumpfer Triebe preisgegeben, die mit uns zufällig an das Gebirge branden und ebensogut anderswo hinschlagen könnten? Nein, nicht dumpfe Wallungen steuern unser Boot, sondern der alpine Pol, das Gebirge, lenkt unsere Fahrten. Dies dürfte dem Gedanken der Vorläufer entsprechen: wir sind nicht Strandgut, sondern Suchende, die durch einen Ruf von aussen her die Fahrten zum Gebirge antreten.
Auch die Impulse sind verschieden: Der Sport empfängt sie durch sinnliche Triebe, vor allem durch Bewegungs- und Kampftriebe; das Bergsteigen vorwiegend durch seelische Triebe, durch das Geistige. Somit durch Anlagen, die nicht auf Grund blosser Körperempfindungen, sondern durch Erkenntnisvorgänge und die sie begleitenden Gefühle zu Erlebnissen veranlassen. Während nun körperliche Triebe den Sinn oder die Beweggründe bereits in sich tragen, müssen diese beim Bergsteiger durch Erkenntnisvorgänge vorerst erarbeitet oder doch wenigstens geahnt werden. Nicht der Körper, sondern die Seele ist Träger der Beweggründe, deren Inhalt im alpinen Sein wurzelt. Es ist bezeichnend, dass das Bergsteigertum ausgesprochen geistiger Wegbereiter bedurfte, die dem Alpinen das entnommen haben, was die Seele nach und nach zum Schwingen brachte. Mögen die Beweggründe uns verschieden stark bewusst sein oder im Unbewussten nur schemenhaft das Streben beeinflussen, immer aber sollen sie sich auf alpine Erscheinungsformen zurückführen lassen. Sie sollen Ausdruck einer innern Beziehung, eines Zusammenhanges mit dem Pol sein. Das enthebt sie der Anfeindungen, nur Spielball menschlicher Launen und vergänglicher Schwächen zu sein. Im Gegensatz dazu schreibt Hoek, eine Welle habe unser Naturempfinden hochgebracht — die nächste schleudere es wohl wieder in die Tiefe. Auch er ist der Ansicht, die Motive fänden ihre Begründung nicht ausserhalb, sondern ausschliesslich im Menschen selbst; seien daher Ausfluss von Selbstsucht, Erotik und Kraftüberschuss..