Skifahrten im Quellgebiet der Albula
Skifahrten im Quellgebiet der Albula.
Mit 4 Bildern und 1 Skizze.Von Eugen Wenzel.
Piz Saiteras 3114 m.
Westlich von Preda, gerade über den Talausschnitt der Val Mulix hinweg, leuchtet eine weisse Pyramide im hellblauen Morgenhimmel, das verlockendste Ziel des sichtbaren Bergkranzes. Wir erreichen wenige Minuten nach unserem Aufbruch über flaches Gelände abfahrend Naz, das Sommerdörfchen am Eingang ins Mulixer Tal. Die Häuser sind jetzt unbewohnt. Oberhalb des letzten Stalles überschreiten wir auf einem tiefverschneiten Brückli den Bach und treten im sonnedurchfluteten Hochwald unsere schmale Spur bergan. Es ist ordentlich steil für den Anfang, und die Bäume stehen so dicht, dass einige von uns schon für die Abfahrt bangen. Aber kurz darauf hat man den Wald hinter sich und sieht die weiten, in makelloser Unberührtheit ausgebreiteten Hänge von Falò und Tschitta vor sich. Fast wie durch Zauberspruch ist man dem engen Tal entrückt, und über den Wäldern sind ringsherum weiss leuchtende Berge erstanden, zu denen man in Gedanken bereits seine Spuren zieht. Das Reich der Albula hat sich aufgetan.
Die weite Talmulde von Tschitta, durch die wir nun ansteigen, ist ganz dazu angetan, uns die Herzen zu öffnen, den letzten Rest unserer Alltäglichkeiten vergessen zu lassen, um möglichst viel von dieser reinen Winterpracht aufnehmen zu können. Fast mühelos haben wir die offenen Hänge durchschritten, und nun sehen wir uns einer das Tal abschliessenden Steilstufe gegenüber, durch welche der beste Anstieg nicht sofort ersichtlich ist. Wir spuren schräg unter den Tschimas da Tschitta an und gerade dort, wo es anfängt, ungemütlich zu werden, wird links wieder eine Terrasse sichtbar, auf die wir sofort zusteuern. Die Rampe ist allerdings nicht breit, so dass zuletzt sogar ein paar Spitzkehren eingelegt werden müssen, die uns dafür rasch in die Höhe bringen. Durch einen schmalen Einschnitt wird eine Hochmulde erreicht, aus der wir nun den Salterasgletscher erblicken. Zwischen den felsigen Ausläufern des Piz Val Lunga und Piz Saiteras senkt er sich in drei Stufen gegen Val Tschitta ab und ist in Form und Lage wie für den Skifahrer geschaffen. Will man nicht allzuviele Spitzkehren einschalten, wird hier die Spur steil und steiler. Im obersten Gletscherhang kann wieder weiter ausgeholt werden, bis man unter der Wächte steht, die den Verbindungskamm Val Lunga-Saiteras krönt. Diese Wächte ist auch von Preda aus gut sichtbar. Am südlichen Ende ist sie am besten zu überlisten, und wenn man kurz darauf den Kamm erreicht, müssen die Ski abgeschnallt und eingesteckt werden. Der Gipfelanstieg wird zu Fuss gemacht. Wir folgen dem erst breiter, dann schmäler werdenden Grat, den oft eine weitausladende Wächte ziert, und haben nach 4 Stunden seit unserem Aufbruch den höchsten Punkt erklommen.
Gipfelanstiege lohnen sich an Glanztagen wie heute immer. Der Piz Saiteras ist nur ein Glied in der das obere Albulatal umschliessenden Berg- Die Alpen — 1939 — Les Alpes.13 ^v
Wir sind in wenigen Minuten wieder bei unseren eingesteckten Hölzern und rüsten zur Abfahrt. Die Gratwächte zwingt auch den Zaghaften zu forschem Start, aber nun ist es plötzlich lebendig geworden im Gletscherhang. Das rauscht und zappelt im Pulverschnee, und mühelos verflechten sich die vielen Spuren ineinander. In abwechslungsreicher Folge sind Hänge und Mulden zu meistern, bis man im Talboden von Tschitta die Beine entspannen kann. Langgezogene Schussfahrten, von tückischen Höckern und Gräben unterbrochen, führen uns in die Waldregion. Hier beginnt eine lustige Hindernis-fahrt neben und über dem tief verschneiten Bach, und ehe man es glaubt, ist man wieder in Naz unten und ein Viertelstündchen später in Preda.
Piz Bleis marscha 3131 m.
Wenn wir am ersten Tag unser Ziel schon am Morgen vor Augen hatten, so ist es heute mehr oder weniger eine Fahrt ins Blaue. Die erste Stunde führt allerdings durch bekanntes Gelände, indem wir der gestrigen Spur folgen. Bereits wird einem diese oder jene Waldpartie vertraut, und man ist ordentlich gespannt, was nun das Tal noch Neues bringen kann. Da wo die Bäume lichter werden, stechen wir plötzlich ins Neuland. Anstatt rechts in das Seitental von Tschitta abzuzweigen wie gestern, ziehen wir heute nach links durchs Tal hinauf. Gleich nach der Alp Mulix, deren tief verschneite Hütten kaum ins Auge fallen, wechseln wir auf die rechte Seite des Baches. Der Talgrund ist von bissiger Kälte erfüllt, und das Lüftchen, das uns in der Front anfällt, ist mehr als erfrischend. Die vergoldeten Spitzen des Piz d' Alp Val lassen vermuten, dass die Sonne aber schon unterwegs ist, und so trachten wir darnach, möglichst bald aus der Mulixer Schattenmulde heraus zu kommen. Das Tal ist hier hinten plötzlich wie abgeriegelt, und anfänglich sucht man vergebens nach einem Durchschlupf. Wir halten uns links an den grossen Steilhang unter den Felsen des Piz Bial, überwinden ihn in ein paar Kehren und queren nun auf der Terrasse « Sur 1a Crappa » bequem in den zweiten Stock des Tales. Jetzt haben uns auch die wärmenden Sonnenstrahlen erreicht, und allsogleich wird die verspätete Znünirast gehalten. Dabei schauen wir ostwärts in die jäh abfallenden Wände des Piz Bial, und noch weiter zurück entdecken wir die Spitze des Piz da 1a Piramida, die wir in den nächsten Tagen auch noch aufzusuchen gedenken.
In weitausholender Schleife wenden wir uns dem dritten und obersten Talabschnitt zu und sehen endlich auch unseren Gipfel. Die vielen Mulden und Höcker lassen auf einen von Felsblöcken dicht übersäten Boden schliessen. Und wie einsam und still ist es hier oben. Zwei Gemsspuren, welche über den Sattel der Fuorcla da Mulix führen, bleiben das einzige sichtbare Zeichen SKIFAHRTEN IM QUELLGEBIET DER ALBULA.
von Leben. Im obersten Kessel brennt uns die Sonne mächtig auf den Rücken, und endlich sind auch im letzten Ansturm die Felsen unter dem Gipfelstock erreicht. Nach kurzer Rast arbeiten wir uns durch eine steile Schneerinne zur Gratschulter westlich des Gipfels empor. Die verschneiten plattigen Gipfelfelsen zwingen uns noch einmal kräftig zuzupacken, dann ist nur noch eine kleine Wächte zu durchschlagen, und wir haben wieder einen prächtigen Aussichtsberg bezwungen.
Gestern noch, vom Piz Saiteras aus, hätte wohl niemand daran gedacht, diesen felsigen Gipfel als Winterberg anzusehen. Wenn wir aber jetzt von unserer hohen Warte den langen Weg des viereinhalbstündigen Aufstieges übersehen, kann nicht daran gezweifelt werden. Man hätte sich sogar den Gipfelfelsen schenken können und wäre auch so befriedigt gewesen. Das kurze Kletterstück hat sich jedoch gelohnt. Die Ausschau auf die nahe Errgruppe ist vielleicht das Eindrucksvollste, aber auch nach Osten vermittelt uns der Berg aufschlussreiche Einblicke in das vielgestaltige Albulabergland.
Nachdem wir uns am Fuss des Gipfels ausgeruht haben, wenden wir uns mit besonderem Eifer der Abfahrt zu. 1200 m Höhenabstand bis Naz ver- sprechen alles zu bieten, was sich der alpine Skifahrer wünschen mag. Während im oberen Teil Geländewellen und mächtige Blöcke zur Vorsicht zwingen, lässt man sich bald gerne zu flüssiger Fahrt hinreissen und findet auf der Terrasse « Sur la Crappa » wohltuende Unterbrechung in sausender Talfahrt. Aber erst wenn man ganz nach rechts ausgefahren ist und sich plötzlich hoch oben im grossen Steilhang sieht, beginnt einem das Herz so richtig aufzugehen. Der Schattenhang weist einen Schnee auf, wie man sich ihn nur in den kühnsten Träumen auszumalen wagt. Zuletzt geht er allmählich sanfter in den Talboden über. Hier kann zu anhaltenden Schussfahrten angesetzt werden, die uns in kurzer Zeit gegen die Alp Mulix hinab bringen. Diesmal übersetzen wir den Bach viel weiter unten, finden wieder unbe-fahrenes Waldgelände und erreichen nach hindernisreicher Schlussfahrt das Dörfchen Naz.
Piz Darlux 2644 m.
Am dritten Tag wollen wir uns mit etwas Kleinerem begnügen. Die beiden Dreitausender der Vortage liegen uns noch in den Knochen. Und da die Tur gleich mit einer Abfahrt beginnt, sieht man zufriedene Gesichter. Leider sind solche Frühmorgenfahrten recht trügerisch. Die zur Bobbahn ausgebaute Strasse nach Bergün hat ihre Tücken. Wer viel stemmt, kann sich die Oberschenkelmuskeln schon auf diesem « Morgenritt » zugrunde richten, aber selbst dem Draufgänger wird die schmale Bahn ordentlich zusetzen. So ist jeder froh, am Eingang der Val Tisch den heutigen Anstieg unter die Felle nehmen zu dürfen.
Bei der Alp Sagliaz stossen wir auf das Waldsträsschen, und nun beginnt der ganz herrliche Bummel durch den winterlichen Hochwald. Die Steigung ist gleichmässig, und da man nur immer dem Weg zu folgen braucht, hat man Gelegenheit, seinen Geist auszuspannen und hunderterlei Kleinigkeiten auf ihn einwirken zu lassen. Der Aufstieg durch diesen « God Darlux » ist eine seltene Feierstunde. Die breite Waldlichtung, an der entlang wir dann ansteigen, verspricht eine reizvolle Abfahrt. Weiter oben nimmt uns noch einmal der Tannenwald auf, er wird aber bald lichter, bis man auf einmal in freies Alpgelände hinaus tritt. Eine letzte Kehre und wir können von der verlassenen Alp Darlux Besitz ergreifen.
Wenn uns bis jetzt der Wald mit fortgesetzten Überraschungen zu beschäftigen wusste, so ist man hier plötzlich vom überwältigenden Bild, das uns die langsam aus dem Boden wachsende Gestalt des Piz d' Ela bietet, hingerissen. Aber auch der Blick in die übrigen Berge der Albula bringt ungeahnte Abwechslung in unseren Frühstückshalt.
Mit jedem Schritt in die Höhe wird das Panorama eindrucksvoller. Allem voran ist es immer wieder der Piz d' Ela, der zu rückhaltloser Bewunderung zwingt. Der Anblick dieses Giganten der Bergünerstöcke allein wäre es wert, den Piz Darlux zu besteigen. Unsere Spur schraubt sich in weitem Bogen durch die steile Mulde des Westabfalls empor, und bald stehen wir auf der apern Kuppe unseres heutigen Ziels.
Geblendeten Auges schaut man das Wunder, das uns der herrliche Sonnentag hervorgezaubert hat. Eine Krone wildzackiger Gipfel überstrahlt das tiefe Tal, welches von schwarzen Tannenwäldern ausgekleidet zu unseren Füssen liegt. In unserem Rücken aber ist ein neuer Riesenfels aus den gleissenden Schneefeldern erstanden, der Piz Kesch. Morgen schon wollen wir diese höchste Spitze des Albulagebirges besuchen, und zweifellos wird das wieder ein ganz grosser Tag werden. Heute geben wir uns mit 800 m weniger Höhe zufrieden und geniessen dafür während ausgedehnter Gipfelrast das grossartige Panorama vom Piz Darlux.
Das kurze Grätchen gegen Norden muss vorsichtig befahren werden, aber dann werfen wir uns mit unbändiger Lust in den ersten Steilhang. Die grosse Mulde gegen Val Tuors hinab wartet mit einem Schnee auf, der schöner nicht vorzustellen ist. Der weisse Rausch hat alle ergriffen. Das ist ein Schwingen und Schiessen, ein Gleiten und Schweben — eine Orgie im Pulverschnee. Knapp über der Waldgrenze wird man vernünftig, wenn man sich plötzlich dem Abgrund der Val Tuors genähert hat. In waagrechtem Quergang umgeht man den Gratrücken, wird unter der Alp Darlux für ein paar Augenblicke zwischen den ersten Tannen aufgehalten, um dann südseits die Alplichtung zu erreichen, auf der man in schneller Fahrt zum Strässchen hinab kommt.
Die Gescheiten folgen von hier ab der Aufstiegsspur auf dem Weg. Die « Holzer » lassen sich dazu verleiten im steilen Wald durchzukommen, und hier wird manch einer in kritische Lagen verwickelt. Auf dem Boden der Alp Sagliaz ist Sammlung, und zum Schluss gibt es noch eine lustige Abfahrt nach Bergün. Auf der Heimfahrt nach Preda sehe ich allenthalben fröhliche Augen aus braun verbrannten Gesichtern leuchten.
Piz Kesch 3420 m.
Unsere heutige Tur fängt wirklich angenehm an. Die Rhätische Bahn ist uns weitgehendst entgegengekommen und hat uns einen allmorgendlich von Samaden nach Scanfs verkehrenden Leerzug durch den Albulatunnel entgegengeschickt, so dass wir schon um 7 Uhr früh in Madulein starten können. So ziehen wir in der Morgenfrische durch den Lärchenwald, und kurz vor der Alp Es-cha dadour erreicht uns der erste matte Sonnenstrahl. Heute wandeln wir auf bereits gebahnten Wegen, was beim Piz Kesch nicht anders zu erwarten war. Im letzten Stich zur Rascherhütte brennt uns die Sonne durch eine Nebelschicht empfindlich auf den Pelz. Der farbenprächtige Himmel lässt allerdings auf etwelche Änderung des Wetters schliessen, die höchsten Gratspitzen stecken bereits im Nebel. Ein bissiger Nordwind fährt uns beim Betreten der Porta d' Es-cha ins Gesicht. Aber wir steigen unentwegt aufwärts. Bereits zeigen sich im Nebel die felsigen Umrisse des Gipfelstockes. Am Einstieg angelangt, nehmen wir unverzüglich die Gipfelwand in Angriff. In mehrere Seilpartien aufgeteilt arbeiten wir uns im steilen Firnhang und den darüber liegenden Felsbändern zur Höhe. Es scheint fast, dass unsere Zähigkeit belohnt werden soll, denn ringsherum wird es hell und gerade über dem Gipfel ist sogar blauer Himmel sichtbar. Eisiger Wind ^ffi*. V? w* î.
SKIFAHRTEN IM QUELLGEBIET DER ALBULA.
peitscht die Gesichter. Das letzte Gratstück wird im Sturm genommen, und freudig bewegt betreten wir den höchsten Berg des Albulagebietes.
Es ist uns diesmal leider nur ein kurzer und beschränkter Ausblick beschieden. Da und dort sehen wir bekannte Nachbargipfel aus den Nebelwolken ragen, aber im Nu ist wieder alles in undurchsichtiges Grau gehüllt. So ist denn kein langes Verbleiben auf dieser unwirtlichen Höhe. Der Abstieg wird nun viel leichter, da wir unsere Tritte auf den Schneebändern als Treppe benutzen können. Bald haben wir wieder das Skilager erreicht und machen uns sofort zur Abfahrt bereit. Bis zur Porta d' Es-cha haben wir in unserer Aufstiegsspur eine ausgezeichnete Richtschnur. Von dort ab stechen wir in ein undurchsichtiges Nebelmeer. Knapp ist der Vordermann zu erkennen, weiter reicht die Sicht nicht. In gewissen Augenblicken hat man jegliches Gefühl für oben oder unten verloren, und auch die Schnelligkeit der eigenen Fahrt lässt sich nur noch durch einen Blick zwischen die Schuhe feststellen. So wird die Fahrt über den Porchabellagletscher trotz bestem Schnee zur Blindfahrt. Da zeigen sich aber gerade vor uns die Umrisse eines Hügels, und daraus schliessen wir, dass wir nur ein paar Schritte zur Keschhütte haben.
Schon nach einer Stunde müssen wir die warme Stube verlassen. Ein Mann hinter dem andern tauchen wir wieder im Nebel unter und sind auf uns selbst angewiesen. Drohend erheben sich beidseitig steile Lawinenhänge, und jeder ist froh, unten am Bachbett den Durchschlupf aus diesem bedrohten Kessel zu finden. Jetzt ist noch das sichere Grätchen des Schegvelrückens zu finden, und dann können wir aufatmen. Es geht wie am Schnürchen. Bald kommen wir auch aus der Nebelschicht heraus und können nun die Zügel schiessen lassen. Auf schmalem Alpweg durch den Wald hinab, und schon stehen die Häuser von Chants vor uns.
In der Val Tuors klingt der ereignisreiche Tag in zügiger Strassenfahrt aus, und in Bergün erreichen wir gerade noch den Schnellzug, der uns in einer halben Stunde nach Preda zurückbringt.
Piz da la Piramida 2962 m.
Direkt südlich von Preda finden wir auf der Karte den Piz da la Piramida. In Wirklichkeit ist der für heute erkorene Gipfel nicht ganz so leicht zu finden. Der Berg ist gegen das Tal durch seinen eigenen im Piz Palpuogna endenden Seitenkamm verdeckt. Wenn wir die Karte flüchtig betrachten, könnte uns die kurze Distanz in der geraden Linie ( etwa am Palpuognasee vorbei und durch den Murtel Salamûn ) dazu verleiten, diese Tur als Spaziergang anzusprechen. Diese Annahme wäre falsch, da der richtige Anstieg einen grossen, fast zum Albulapass ausholenden Bogen beschreibt.
Bei schönstem Wetter nehmen wir in bester Stimmung die Albulastrasse in Angriff. Bevor wir noch zur ersten Kehre kommen, entdecken wir in einer gegenüberliegenden Waldlichtung zwei Rehe, die uns ein paar Augenblicke neugierig beäugen, um dann in hopsenden Sprüngen im Wald zu verschwinden. Der Anmarsch auf der massig steigenden Paßstrasse ist angenehm Einzig der Hang kurz vor dem Weissenstein ist vorsichtig zu nehmen, da hier oft eine heimtückische Wächte lagert. Der bald darauf rechts abzweigende Sommerweg kommt für den Skifahrer nicht in Frage. Die Strasse muss viel weiter hinauf verfolgt werden, und wenn sie, was oft der Fall ist, auf diesem ganzen Wegstück verweht ist, dann bleibt man vom Weissenstein an besser im Talboden und erreicht die Strasse weiter oben wieder.
Der Anstieg zum Piramida beginnt bei jener kleinen Bachrunse, die ( auf der Karte den Albulatunnel in der Nähe des Scheitels schneidend ) aus dem Murtel dal Crap Alv herabkommt. Zu gewissen Zeiten ist aber dieses kurze steile Bachbett auch nicht geheuer. In diesem Falle gewinnt man die Terrasse am besten im Hang östlich " davon. Einige steile Kehren bringen uns auf den Boden der Crap Alv-Seen. Hier hat sich plötzlich ein ganz anderes Bild aufgerollt. Die weiten Flächen, durch die unsere Bretter die Furche ziehen, haben es wieder in sich, den Skifahrer zu begeistern. Die Abfahrt durch die vom Gipfel nordostwärts gestaffelten Mulden verspricht sehr abwechslungsreich zu werden. Von der ersten Seeterrasse gelangen wir, immer westwärts ansteigend, an den Hang der zweiten Stufe und erreichen etwas südlich des gut zu erkennenden Lai Alv die zweite Terrasse. Wir lassen es uns hier nicht nehmen, südlich abzubiegen und am Fuss des Piz Danclér soweit vorzudringen, bis wir in die Val Bever hinuntersehen können. In ganz überwältigender Form zeigt sich hier der mächtige Zuckerhut des Piz Ot.
Auf gleicher Spur kehren wir zurück, schwenken aber sofort am Nordfuss des « Fingerhutes » ( Piz Danclér ) herum und betreten den dritten Stock, die Gletschermulde. Wir kommen uns wie im Märchenland vor. Der ganze Kessel ist mit einem unfassbar reinen Teppich ausgelegt, auf dem die Schatten des Piramidagrates spielen. Ringsherum umgeben uns felsige Zacken, unter denen man den Piz Piramida nicht ohne weiteres herauskennt. In einem Bogen gewinnen wir die Höhe, bis wir nordöstlich des Gipfels am Schlusshang stehen. Der kurze Steilhang wird zu Fuss bewältigt. Im metertiefen Pulverschnee wühlen wir uns zum Grat empor, der uns in wenigen Minuten zum Signal führt. Damit haben wir wieder einen wenig bekannten Berg des Albulagebietes kennen gelernt. Der Anstieg hat sich reich gelohnt, bekommen wir hier doch Einblick in die verstecktesten Seitentäler, und allmählich kennt sich jeder im Labyrinth dieses reich gegliederten Berglandes aus. Vor allem ist es heute der Piz Ot, der uns Bewunderung abzwingt, aber besonderen Reiz hat auch der Piz Bleis marscha, dessen ganze Abfahrt vor uns ausgebreitet liegt und wo wir unsere Spuren vom zweiten Turentag her noch erkennen können.
Nach kurzer, jedoch gehaltvoller Gipfelrast treten wir den Heimweg an. Der steile Pulverschneehang macht uns jetzt im Abstieg nichts mehr zu schaffen. Schon schiessen die ersten die Gletschermulde hinab, eine stäubende Schneefahne hinter sich her ziehend und jauchzend im Freudenrausch. Immer der Aufstiegsspur entlang werden all die Mulden befahren, die den Anstieg so endlos in die Länge streckten und jetzt viel zu rasch vorbeifliegen. Da ist schon der Steilhang zur Albulastrasse, und ehe man sich 's versieht, steht man mit zitternden Beinen auf der Ebene beim Weissenstein. Die Doppelpyramide der Dschimels leuchtet in der Nachmittagssonne, aber von unserem Piz Piramida ist schon lange nichts mehr zu sehen.
Piz Jenatsch 3253 m.
Ein seltenes Wetterglück erheitert unsere Turenwoche. Auch heute treten wir in einen frischen, wolkenlosen Morgen hinaus. Auf unseren nun schon sechs Tage alten Spuren gleiten wir Naz zu, und lange bevor die wärmenden Sonnenstrahlen das Tal erreichen, bewegt sich unsere Kolonne durch Val Mulix empor. Auf der Ebene vor der Alp erhaschen wir im Ausschnitt des Tschitta-tälchens einen Blick auf die Gipfelhaube des Piz Saiteras, dann nimmt uns wieder das schattige Haupttal auf, in dem wir auf der alten Spur zur Höhe streben. Nach Überwindung des grossen Hanges treffen wir auf « Sur la Crappa » mit der Sonne zusammen. Jetzt ist das Wandern eine Freude. Schon bald nach dem Frühstücksplatz zweigen wir unterhalb Punkt 2744 m vom Bleis marscha-Weg ab und haben gleich am Anfang eine steile Stufe zu überwinden. Der Hang wird mit der notwendigen Vorsicht behandelt, bis seine Neigung abnimmt und wir wieder in geschlossener Gruppe weiterspuren können. Das kleine, zwischen Piz d' Alp Val und Punkt 3056 m eingebettete Gletscherchen ist harmlos und geht allmählich in die Einsattlung Fuorcla Bever-Mulix über.
Von hier ab verlassen wir das engere Albulagebiet und dringen ins Gletscherreich des Piz d' Err ein. Zuerst wird ein den Piz Lavinér mit dem Piz Chembels verbindender Kamm überschritten, von wo aus zum erstenmal unser heutiges Reiseziel ins Blickfeld tritt. Den Hang südlich vom Piz Lavinér queren wir in grossen Abständen, und wenige Minuten darauf stehen wir auf der Fuorcla da Jenatsch. Der Anstieg zum Piz Jenatsch mag von hier aus steiler aussehen, als er in Wirklichkeit ist. Nach kurzer Rast nehmen wir den anfänglich breiten Kamm in Angriff und nähern uns nach vielen immer enger werdenden Spitzkehren dem Felsgrat. Hier bleiben die Ski zurück. Die Felsen sind harmlos und gehen bald wieder in einen Firngrat über. Nach sechseinhalbstündigem Anmarsch betreten wir staunend den herrlichen Aussichtsberg. Erst jetzt, nachdem wir diesen und jenen Gipfel des engeren und weiteren Gesichtsfeldes erstiegen haben, wird uns der Aufbau und die Gliederung des Albulagebietes klar. Wenn man die unzähligen, in ihrer Formschönheit abwechselnden Berge kennen lernt, werden einem allmählich nicht nur ihre wohlklingenden Namen vertraut, man fühlt sich in einer weit tieferen Art ergriffen und trägt nun das unauslöschbare Bild einer liebenswerten Bergwelt mit sich ins Tal.
Von solchen Gedanken erfüllt wird einem der Abstieg vom Gipfel viel leichter. Auf gleichem Weg leiten uns die Fußstapfen über den Grat hinab. Jetzt kommen die Ski zu ihrem Recht. Der oberste Teil des Firnkammes muss mit Bedacht befahren werden, da man leicht über die nach Nordwesten abbrechende Wächte hinausgerät. Aber schon oberhalb der Fuorcla kann man zum Schuss ansetzen und ist schnell am tiefsten Punkt angelangt. Eine kurze Gegensteigung bringt uns an den Lavinérhang, der rasch gequert werden kann, und schon tummeln wir uns auf dem kleinen Gletscherchen gegen die Vgl. « Die Alpen » 1933, S. 90.
obere Val Mulix hinab. Besonders zügig wird die Abfahrt erst hier, wo wir uns im bekannten Gelände befinden. Alles freut sich auf das unbeschreibliche Vergnügen der Abfahrt am « Grossen Hang ». Neben den halbverblichenen Spuren vom Montag findet sich noch reichlich Raum, neue Schlangenlinien zu ziehen und Zöpfe zu flechten. Und nun folgt die Schussfahrt zum Tal hinaus, die auch heute wieder im hindernisreichen Wald oberhalb Naz ihren köstlichen Abschluss findet.
II Compass 3017 m.
Diesmal geht es von der Hoteltüre weg in Neuland. Unsere Spur führt durch dichten Wald östlich hinan, um nach einer schwachen Stunde den Rücken von Cuziranch zu erreichen. Im Westen erhebt sich, nach jedem Schritt wuchtiger werdend, die Kolossalgestalt des Piz d' Ela, und über das Albulatal hinweg erhalten wir belehrenden Einblick in die Kette des Piz da la Piramida. Mit Umsicht stossen wir nun ins Zavrettatälchen und befinden uns in dessen schmalem und jäh ansteigendem Kännel. Der Weg ist gegeben. Aus dem untern Talabschnitt leitet ein äusserst enger Einschnitt ins obere Tälchen, wo wir in einem Bogen nach rechts etwas ausatmen können. Aber auch die zweite Stufe ist ordentlich steil, und besonders der Schlusshang zum Sattel verlangt ein paar Spitzkehren. Auf dem Grat machen wir es uns auf den sonnewarmen Steinen bequem und vertiefen uns während einer ausgiebigen Rast im Studium der wilden Grate und Wände der Bergünerstöcke und des Albulagrates.
Der weitere Anstieg zum Gipfel liegt klar vor uns. Ein kurzes Stück steigen wir noch auf den Ski an, stecken sie dann an sicherer Stelle in den Hartschnee und beginnen den Gipfelanstieg. Tritt für Tritt, wie auf einer Treppe, steigen wir ins Blaue empor und sind überrascht, plötzlich auf der Spitze zu stehen. Der Berg nimmt eine Sonderstellung ein, indem er, von der Hauptkette losgelöst, weit gegen den Albulapass vorsteht und so einen umfassenden Einblick in die Wiege der Albula gewährt. Von allen Seiten grüssen bekannte Berge, die uns in den eben durchlebten Tagen weit mehr geschenkt haben, als wir zu hoffen wagten.
Der heutige Tag steht nun ganz im Zeichen der rassigen Abfahrt durch Val Zavretta. Vom Sattel zwischen Compass und Piz Albula geht es in den Riesenkännel hinab, und das ist nun eine Fahrt, wie sie sich der kühnste Turenfahrer nicht schöner ausmalen kann. Der Pulverschnee, der trotz achttägiger Sonnenbestrahlung im tief eingeschnittenen Talboden noch zu finden ist, erlaubt ziemlich steile Schussfahrten. Es ist kaum zu glauben, in welch kurzer Zeit wir uns unten am Hügel von Cuziranch zusammenfinden. Nun folgen wir von hier nicht der Aufstiegsspur, sondern wenden uns südlich und östlich um den ganzen Gratrücken herum, finden hart unter den Felsen den Schlupf in die Mulde von S-chagnen, in welcher ein unbeschreiblich gefälliger Schnee liegt und uns einen wirklich fabelhaften Nachtisch beschert. Am frühen Nachmittag machen wir vor dem Hotel Kulm unseren letzten Schwung.
Die Alpen — 1939 — Les Alpes.14 Fuorcla da Tschitta 2831 m.
Auf vertrautem Weg steigen wir im sonnigen Mulixertal an, atmen zum letztenmal die würzige Waldluft und steuern auf unserer acht Tage alten Spur in die Val Tschitta hinauf. Wir sind etwas spät aufgebrochen, was sich jetzt bitter rächt. Bei unserem Schneckentempo gibt es reichlich Gelegenheit, noch einmal alle die umliegenden Berge zu betrachten, mit denen uns ein enges Band des winterlichen Bergerlebens verbindet. Und jetzt, da wir auf der Höhe der Fuorcla da Tschitta stehen und auf den herrlichen Bergkranz der Albulaberge zurückblicken, finden wir kaum Worte, um unseren Gefühlen Ausdruck zu geben. Wir haben wieder ein schönes mit winterlichen Reizen reich bedachtes Stück Schweiz eingehend kennen gelernt, was nicht wenig dazu beitragen wird, die Liebe zu unserer Heimat zu festigen.
Der Felle entledigt, schiessen wir nun auf der Westseite der Fuorcla zur Laietsterrasse hinab, sind bald unter dem breiten Massiv des Piz d' Ela hindurch und müssen zum letztenmal ansteigen. Bereits sind die Berge des Oberhalbsteins ins Gesichtsfeld gekommen Piz d' Err und Piz Piatta lenken unwiderstehlich die Augen auf sich. Von den beiden oberen Laiets steigen wir am Hang von Sil Cotschen westwärts an und stehen bald auf dem höchsten Punkt des Tages, auf dem zirka 2833 m hohen Verbindungsgrat zur Pizza Grossa. Schleunigst werden die Ski zur Abfahrt bereit gemacht, und dann anvertrauen wir uns dem grossen Steilhang gegen den Lai da Tigiel. Unter dem Verbindungsgrat Corn da Tinizung-Piz Mitgel geht die sausende Fahrt, und schon blicken wir in das breite Oberhalbsteinertal hinab. In kurzer Gegensteigung wird der Bleis-Otakamm überschritten, und dann werfen wir uns in die ausgedehnten Sulzhänge. Bei der Alp Tusagn setzt der Hochwald diesem Abfahrtsrausch ein Ende.