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Reissend Nollen

Hinweis: Questo articolo è disponibile in un'unica lingua. In passato, gli annuari non venivano tradotti.

Da ich in den Jahrbüchern S.A.C. keine Mitteilungen über eine Besteigung dieses Gipfels finden kann, erlaube mir hier einige Details über unsere Besteigung mitzuteilen.

Mein Bruder Hermann, stud, med., und ich verließen am 17. September 1894 um 6 Uhr früh das Hotel auf Engstlenalp. Das Wetter war ziemlich schön, nur der höchste Gipfel des Titlis war in Nebel gehüllt. Wir wandten uns gegen die Jochpaßhöhe. Dort angekommen, bogen wir rechts ab und steuerten südöstlich dem Jochstock zu, den wir auf der westlichen Seite umgingen, und langten über Risleten und Geröll um 8 Va Uhr in der Einsattlung zwischen Jochstock und Reißend Nollen ( cirka 2540 m ) an. Dort rasteten wir bis 9 Uhr, denn der Aufstieg zu diesem Sattel ist steil und der teilweise vorhandene Neuschnee hatte uns den Anstieg noch erschwert. Punkt 9 Uhr brachen wir auf, nicht ohne uns vorher mit dem Seil verbunden zu haben, denn die Felsen sind gleich anfangs steil und waren teilweise mit 50—60 cm hohem Schnee bedeckt. Der Aufstieg über diese Felsen war zeitraubend und mühsam, denn hie und da trug die Schneedecke, öfters dagegen sank man bis über die Kniee ein. Wir stiegen südöstlich und zwar ziemlich genau da aufwärts, wo auf dem Siegfriedblatt Wassen die Grenze zwischen Bern und Nidwaiden eingezeichnet ist, also direkt gegen den Gipfel zu. Als wir die Felsen, die 50—60 m hoch sind, unter uns hatten, und auf Firn und Eis kamen, waren wir genötigt, die Steigeisen anzulegen, um ohne Stufenschlagen aufwärts zu kommen. Der Hang wurde aber bald sehr steil und stellenweise kam lauteres Eis zum Vorschein, so daß ich, der voranging, bald leichte Stufen schlagen mußte. Mehr westlich, wo der Hang anfangs weniger steil ist, durften wir uns nicht wagen, denn der Gletscher war zu stark verschrundet, und weiter oben wären wir in die Schußlinie einer erst kürzlich abgegangenen Lawine gekommen. Bei den letzten aus dem Firn hervorragenden losen Steinen machten wir einen kurzen Halt. Das Wetter hatte sich bedenklich verschlimmert; wir wurden in Nebel gehüllt und es fing an zu schneien. Gleichwohl beschlossen wir, die Besteigung fortzusetzen, und bauten einen kleinen Steinmann, der uns beim Abstieg orientieren sollte. Wir stiegen, immer Stufen hackend, in der gleichen Richtung aufwärts, bis wir an eine 65—70 ° geneigte, 18 — 20™ hohe Eiswand kamen, die wir rechts oder links umgehen mußten. Links konnten wir des Nebels wegen nicht sehen, wie weit sich dieselbe ausdehnte; 30—40 m rechts dagegen verlor sie bedeutend an Steilheit. Ich hieb daher rüstig Stufen rechts aufwärts, bis ich in die Schußlinie der oben erwähnten Lawine kam. Da wir keine drohenden Schneemassen über uns entdecken konnten, stiegen wir einige Zeit am Rande dieses Lawinenzuges aufwärts, wandten uns aber bald wieder nach links, denn wir glitschten in dem zurückgebliebenen Schnee trotz unserer Steigeisen fortwährend aus, da die Neigung des Hanges wenigstens 40—45 ° betrug. Nachdem ich noch 50—60 Stufen in das blanke Eis gehackt hatte, erreichten wir ein kleines, wenig geneigtes Plateau, das sich gerade unter dem höchsten Gipfel befindet.

Das Wetter hatte sich wieder gebessert, die Nebel waren gestiegen, und hie und da kam der blaue Himmel zum Vorschein. Ich schaute auf die Uhr und war ganz erstaunt, daß es schon 1 Uhr geworden war. Nach meinem Aneroid waren wir höchstens noch 90—100 m unter dem Gipfel, den wir jedoch von unserem Standpunkt nicht sehen konnten. Was uns einige Besorgnis einflößte, war der vor uns gähnende Schrund. Westlich, wo sich derselbe verlor, war der Hang zu steil, und gerade dort hinunter war die Lawine gekommen. Wir hielten uns daher Östlich, und als sich der Schrund nach 30—40 Schritten zu verengern schien, resp. fast ganz verschneit war, näherte ich mich vorsichtig, bis der sondierende Pickel ins Bodenlose stieß.

Bekanntlich muß man bei solchen Passagen, besonders wenn man nur zu zweien ist, die größte Vorsicht anwenden. Ich ging daher zwei Schritte zurück, legte mich auf den Bauch und vergrößerte das mit dem Pickel gemachte Loch, um die Beschaffenheit des Schrundes zu ergründen. Derselbe verengerte sich nach links bis zu ungefähr einem Meter, war dort nicht allzu tief und teilweise mit Schnee ausgefüllt; ich ging daher noch einige Schritte links und kroch dann vorsichtig auf allen vieren auf den oberen Rand, indem ich mich an dem fest ins Eis geschlagenen Pickel hinaufzog. Hier hatte der Hang wieder bedeutend Steigung und das Eis war mit kaum 3—5 om hohem, lockerem Schnee bedeckt. Ich machte möglichst gute Stufen, und, als ich cirka 2 m vom Rand entfernt war, eine ganz große, um möglichst sicheren Stand zu bekommen. Nun folgte mein Bruder, indem ich ihn fest am Seil hielt, um sein Gewicht zu verringern. Er war jedoch nicht so glücklich wie ich, denn als er sich mit den Händen und dem Pickel auf den oberen Rand hinaufarbeiten wollte, sank er mit den Beinen und dem Unterkörper bis zum Seil vollständig durch. Es gelang mir aber bald, ihn aus dieser unangenehmen Lage herauszuziehen, indem er tüchtig mit Pickel und Händen nachhalf.

„ Wenn wir nur schon wieder herunter wären ", meinte er. „ Zuerst gehen wir nun auf den Gipfel, das Hinuntergehen wird sich dann schon machen ", entgegnete ich.

Nach 100—120 Stufen kam tieferer Schnee und die Neigung wurde geringer, so daß wir ohne Hacken die letzten 10—12 m zum Gipfel ansteigen konnten, den wir erst um 23/4 Uhr erreichten.

Wir hatten also für die kaum 500 Meter vom Sattel am Jochstock fast 6 Stunden Zeit gebraucht. Längere Aufenthalte hatten wir nicht gemacht, jedoch viel Zeit verloren mit dem Hin- und Herraten, wo hinauf es am besten gehe und ob wir die Besteigung fortsetzen oder umkehren wollten. Auch habe ich mich beim Stufenschlagen keineswegs beeilt, um mich nicht zu überanstrengen; meinen Bruder durfte ich nicht zum Stufenschlagen anhalten, denn er ist noch jung und hat noch wenig Schneegipfel bestiegen, so daß er mit seiner Person ohnedies vollauf zu thun hatte.

Der Gipfel ist jedenfalls in bedeutend kürzerer Zeit zu erreichen, wenn sich zwei gewandte Stufenschläger ablösen und die Schnee- und Eisverhältnisse besser sind.

Spuren von früheren Besteigungen fanden wir keine; jedenfalls ist dieser Gipfel schon bestiegen worden, auch Gemsjäger sollen schon oben gewesen sein, wahrscheinlich aber nicht auf unserem Wege.

Da der Gipfel gegen die Gadmerseite mit einer Gwächte versehen war, gruben wir uns 3—4 Schritte unter demselben Sitze in den Schnee, packten unseren Proviant aus und sprachen demselben tüchtig zu, um uns für den Abstieg zu stärken. Das Wetter hatte sich ziemlich aufgehellt; das ganze Triftgebiet war nebelfrei; die höchsten Gipfel der Berner- und Glarneralpen dagegen waren in Nebel gehüllt. Sehr schön präsentiert sich hier oben der Engstlensee, und auch Engelberg sieht man freier und ungehemmter, als vom höchsten Gipfel des Titlis.

An langen Aufenthalt war nicht zu denken, denn gegen Ende September sind die Tage schon kurz, und da mußten wir wenigstens, da wir keine Laterne mitgenommen hatten, den Jochpaß erreicht haben, bevor die Nacht gänzlich hereinbrach.

Gleichwohl gingen wir über den ziemlich langgezogenen und schmalen Schneegrat bis gegen die Felsen südwestlich vom höchsten Gipfel, um zu sehen, ob es möglich sei, über dieselben hinunter zu kommen. Diese waren jedoch sehr steil und dazu noch verschneit, so daß wir vorzogen, den gemachten Weg zurückzugehen; denn, hatten wir einmal den Schrund passiert, so war die größte Schwierigkeit überwunden.

Der Abstieg erforderte Vorsicht, denn wir hatten das Abrutschen des Schnees zu befürchten, da der Hang sehr steil ist. Ich schätze die Neigung über dem Schrund auf 45—50°. Wir stiegen langsam in den vorhandenen Stufen abwärts, den Schrund passierten wir ohne Zwischenfall noch mehr östlich als beim Aufstieg. Als wir die steilsten Partien hinter uns hatten, forderte ich meinen Bruder zu etwas schnellerem Tempo auf. Im Anfang gefiel ihm das nicht recht, da er mehrere Male ausglitschte; als er aber sah, daß ich ihn ganz gut halten konnte, faßte er Mut und ließ sich auch bald zu mehreren gelungenen Rutschpartien bewegen, die uns in wenigen Minuten zu den Felsen brachten. Wir stiegen behutsam über dieselben hinunter, jedoch nicht ohne einige Male bis zu den Hüften in den Schnee einzusinken, und langten gegen 6 Uhr am Jochstock an, wo alle Schwierigkeiten aufhörten und von wo wir raschen Schrittes der Paßhöhe und der Engstlenalp zusteuerten, die wir um 71/* Uhr erreichten.Fr. Zurbuchen ( Sektion Bern ).

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