Piz Fliana
Schon bei meiner Ankunft im Unterengadin hatte ich in der Post von Lavin Herrn Pfarrer Punchera von Lavin-Guarda getroffen, der von meinen früheren Touren im Engadin, worunter Erstlingsersteigungen, gehört hatte. Ich lud ihn ein, mich gelegentlich auf einer führerlosen Tour auf den Piz Fliana zu begleiten, welche Einladung acceptiert wurde. Ich gebrauchte in Tarasp meine Luciuskur, die nur durch die erste Ersteigung des Piz Nair mit Hinübertraversierung auf den Piz délias Plattas ( 3038 m ) unterbrochen wurde. Als ich so ziemlich fertig war mit dem Luciustrinken und das Wetter schön wurde, trafen wir in dem herrlich gelegenen Guarda, Freitag den 30. August 1895, zusammen. Den Abend dieses Tages verbrachten wir in der Pension Meißer, meines Erachtens dem Glanzpunkt des Unterengadins. Am Samstag 31. August marschierten wir um 5 Uhr 10 Min. hinauf in die Val Tuoi, die den Piz Buin imposant abschließt. Die Führung übernahm ich. Ungefähr eine Viertelstunde hinter der Alp suot bog ich von dem Steig über den Vermuntpaß links ab; pfadlos ging es den rechten Steilhang des Thales hinan, wir gelangten in ein geröllreiches Hochthal — die Foura d' An-schatscha nach der neuen Siegfriedkarte Blatt 420 Ardetz. Nach einer kurzer Rast ging es weiter hinauf — zur Fuorcla Tiatscha — zuletzt über ein kleines Schneefeld. Die genannte Fuorcla erreichten wir um 8 Uhr 45 Min. Von hier aus stieg ich direkt nördlich über die Felsen hinauf, stellenweise ziemlich schwierig in kleinen Wasserrinnsalen, wir kletterten hie und da mit allen vieren; später wurde es besser, wir erreichten den Gletscher ziemlich weit oben und an dessen Westseite entlang um 10 Uhr 15 Min. den Gipfel des Piz Fliana ( 3284 » ). Die Aussicht war herrlich, das Wetter ausgezeichnet. Wir deponierten unsere Karten in einer Flasche bei den übrigen, von denen ich folgende mir notiert habe:
18. August 1893 Hermine Tauscher-Geduly, Dr. Tauscher, Alexander Rzewuski, Davos, mit Engi und Jegen. Dr. Emil Burckhardt, Basel, mit Valer, Davos, und Jegen, Klosters. 27. Juli 1895 W. A. B. Coolidge, Oxford, vom Lavinuozthal mit Christian Almer.
In den drei Stunden, die wir auf dem Gipfel zubrachten, orientierten wir uns an der Hand der mitgebrachten Karten auf das gründlichste; zuletzt stellte mir Herrn Pfarrer Punchera noch ein Führerzeugnis aus, das gleichfalls deponiert wurde.
Da es noch früh an der Zeit war, beschloßen wir, den vom Fliana nach Nordwesten ziehenden Grat etwas zu rekognoscieren. Um 1 Uhr 20 Min. gingen wir vom Gipfel weg und verfolgten diesen zum Tiatschagletscher hinüberziehenden Grat etwas über den Punkt 3116 hinaus. Da Herr Pfarrer Punchera am nächsten Tage in Lavin predigen mußte und uns daher die Verfolgung des Grates zu lange aufgehalten hätte, kehrten wir um und waren 2 Uhr 45 Min. wieder auf dem Fliana. Nach einem Viertelstündchen Rast nahmen wir um 3 Uhr vom Fliana Abschied und stiegen anfangs den gleichen Weg wieder hinunter, hielten uns aber nach dem Verlassen des Gletschers etwas weiter rechts und gelangten so in ein steiles, mit Geröll bedecktes Couloir, das in den Marangun della Cutschina hinunterzieht. In dem weichen Geröll sprangen wir mehr al& wir gingen. Hoch über der Thalsohle traversierten wir unterhalb de& Piz d' Anschatscha an den Wiesenhängen hin und genossen die herrliche Aussicht auf den jenseitigen Thalhang, das prächtige Verstanklahorn und den großartigen Thalschluß mit dem Absturz des Tiatschagletschers. Unheimlich ragte weiter vorn der Piz Linard in die Lüfte, dem ich schon vor drei Jahren einen Besuch abgestattet hatte. Um 4 Uhr 30 Min. hatten wir das Thal bei der Alp d' immez erreicht; hier und in der Alp dadoura trafen wir einige Jäger, die am Morgen des 1. September auf Gemsen pirschen wollten. Um 5 Uhr 45 Min. marschierten wir unter munteren Gesängen in Lavin ein, wo ich mich von meinem Kameraden Punchera aufs herzlichste verabschiedete — nicht ohne vorher für dieses Jahr noch weitere Projekte verabredet zu haben. In dem Gasthause zur Post begrüßte ich in den Wirtsleuten alte Bekannte, die mich auf das beste mit vorzüglichem Thee und Veltliner bedienten, dann ging 's auf dem Bankett nach Tarasp weiter. Vorher schickte ich aber noch einen telegraphischen Gruß nach Guarda hinauf über das Gelingen der herrlichen Bergfahrt.
Nach den mir in Guarda und Lavin gewordenen Informationen und bei Führer Padenn eingezogenen Erkundigungen ist meine Besteigung die erde touristische des Fliana von Guarda aus gewesen und die erste führerlose des Fliana überhaupt. Ich stelle noch einmal die gebrauchte Zeit zusammen, wobei ich bemerke, daß wir rüstig und stet gestiegen, aber nicht gelaufen sind.
{ Q Q+/I or Mir, f 5 Uhr 10 Min. ab Guarda.,,.
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- «.., AK \r3 ühr ab Piz Fliana 2Std.45 Min.|58/i n an Lavin.
Ernst Pühn ( Sektion Bern ).