Manaslu
anaslu
Die Umrundung des schönsten Achttausenders
Bernhard Rudolf Banzhaf, Basel
Der Manaslu ( 8156 m ) im ersten Morgenlicht, davor flattern die traditionellen Windpferde -buddhistische Gebetsfahnen 25 Gewittrige Einstimmung Grelle Blitze zucken durch die aufsteigende Morgendämmerung. Die ganze Nacht lang hat es unaufhörlich geblitzt, doch erstaunlicherweise war kein Donner zu vernehmen gewesen; auch geregnet hat es nicht. Jetzt erst beginnt es zu tröpfeln, zuerst noch in unregelmässigem Takt, bald aber wird der Trommelwirbel stärker, und auf einmal prasselt ein heftiges Vormonsun-gewitter auf uns herab. Padam und Ram lachen verschmitzt unter ihren klatschnassen Regenschirmen hervor, als sie trotz des Unwetters das Frühstück ans Zelt bringen. Nebendran, im anderen Zelt, bleibt es still. Dort schlafen unser Sirdar Subas Singh Lama und der Verbindungsoffizier, Inspector Khadka Bahadur Paudel. Das Unwetter scheint sie nicht sonderlich zu beunruhigen. Kurze Zeit später packen wir unsere Siebensachen und ziehen im Schutz der Schirme von dannen. Wir verlassen Benighat und wandern zum Buri Gandaki, der während fast zwei Wochen unser unzertrennlicher Begleiter bleiben wird. Hier, kurz vor seinem Eintritt in den Trisuli, wirkt er mächtig, träge, braun und müde. Da wir aber seiner Quelle zustreben, wird er sich von nun an ständig verjüngen und täglich kleiner, lebendiger, heller und wacher werden.
Unsere Trekking- Khadka, ein nobler Mann mit vorbildlichen Umgangsformen, blickt unter seinem Schirm hervor und zeigt auf Wälder, die Spuren von Brandrodung aufweisen.
Erlebnisse am Wegrand Auf unserem der ansprechenden Flusslandschaft folgenden Treck, kommen wir auch an sauberen Dörfern vorbei, die durch ihr ganzes Aussehen und ihre Vegetation mit Bananenstauden, Papayabäumen, Man-gohainen, Bambusbüschen, Pipai und Banyan einen stark subtropischen Charakter aufweisen. Im Schatten der Bäume sitzen die Dorfbewohner und ruhen sich aus. Es sind hinduistische Bahun und Chhetri.
Wir steigen auf einen Hügel. Im Süden drängt sich eine pechschwarze Wolkenwand ins Tal, aus der immer wieder dumpfes Grollen zu vernehmen ist, das nichts Gutes ahnen lässt. Im trockenen Salwald halten wir an, um uns zu machen. Doch schon im nächsten Moment reisst uns eine heftige Windböe beinahe aus dem Stand. Blätter und Äste wirbeln herum, Staub hüllt alles in einen graubraunen Mantel. Kurz darauf prasselt mit ungewöhnlicher Heftigkeit ein warmer Regen auf uns nieder. In wenigen Augenblicken haben wir keinen trockenen Faden mehr am Leibe, und in den Trekkingschuhen gluckst es verdächtig. Schnell raffen wir alles zusammen und eilen, von Blitz und Donner begleitet, zu einer kleinen Hütte am Waldrand. Dort stehen, ebenfalls völlig durchnässt, unsere beiden Kichererbsen, denen das Kichern offenbar auch dadurch nicht vergangen ist. Nicht weit davon kauern ein paar Kinder in der Höhlung eines gefällten Baumes.
Im Banne des Buri Gandaki Begleitet von weiteren Gewitterstürmen gelangen wir nach einigen Tagen in eine der tiefsten Durchbruchskerben des Himalaya und damit der ganzen Welt. Der Buri Gandaki hat sich hier eine gewaltige Schlucht zwischen dem Gurkha und dem Ganesh Himal gegraben. Westlich steht der Himalchuli ( 7893 m ) und im Osten grüsst der Ganesh I ( 7406 m ). Die Luftlinie zwischen den beiden Bergriesen beträgt 35 km. Der Talboden dazwischen, bei Setibas, liegt nicht höher als 1440 m.
Dichter Urwald bedeckt diese spärlich bewohnte Zone, die mit viel Schatten und Feuchtigkeit fertig werden muss. Nahe einer heissen Quelle stellen wir eines Abends die Zelte auf. Das Wasser ist jedoch zu heiss und stark schwefelhaltig, als dass sich damit etwas Vernünftiges anfangen Messe.
Dafür besticht die Gegend durch ihren Reichtum an gefiederten Waldbewohnern, deren vielfache melodische Rufe, Triller und Gezwitscher sich zu einem wahren Konzert vereinen, das überall dort zu vernehmen ist, wo es nicht durch das Tosen des nahen Flusses verschluckt wird.
In Jagat, einem eigenartigen Dorf mit malerischen Steinhäusern, betreten wir das ehemals verbotene Gebiet, gleichzeitig überschreiten wir eine Klimagrenze und gelangen damit in eine alpiner anmutende Landschaft, deren Vegetation durch Koniferen geprägt wird. Da und dort arbeitet man am Weg, und die « Umleitungen ) erfordern teilweise akrobatische Überquerungen von suspekten Brücken und heikle Quergänge in steilen Flanken hoch über den tosenden Wassern. Die starken Gewitter haben deutliche Spuren hinterlassen: Murgänge, Rufen, Erdrutsche. Die Schlucht scheint unendlich tief und unendlich lang. Einmal erweitert sich das Tal ein wenig, um sich aber sofort wieder zur felsgesäumten Kerbe zu schliessen.
Der Manaslu, inmitten vieler grosser Berge, überragt diese eindeutig.
Zum Manaslu Wir erreichen das erste Dorf, das von tibetischstämmigen Leuten bewohnt wird. Damit haben wir die hinduistischen Volksgruppen des subtropischen Talbereichs hinter und unter uns gelassen. Sogleich fallen uns die hervorragend gearbeiteten Gebetssteine auf. Solche Manimauern sind zwar im gesamten buddhistischen Himalaya üblich, aber die Steintafeln des oberen Buri Gandaki sind durch die Feinheit der Bilddarstellungen wirklich ausserordentlich bemerkenswert. Ein fleissiger Mönch aus der Gegend stellt sie im Auftrag der Gläubigen her. Vor uns geht ein Mann, der einen solchen Stein talaufwärts trägt. Er verschwindet in einem weiteren Urwald.
Durch die andauernde Steilheit des Geländes bleibt das Tal hier auf weiten Strecken unbewohnt. In einem Land, wo der Wald leider mehr und mehr zur absoluten Mangelware wird, tut es gut, einmal stundenlang durch die herrlichsten Gebirgswälder aus Dharmasal ( 4420 m ) bildet den letzten Rastplatz vor dem grossen Pass, dem Larkya La. Diese Roxburghkiefern, Stecheichen, Hemlocktannen und Lärchen zu wandeln. Mitten in einem solchen Wald liegt Namru, wo ein grosser Checkposten den Weg versperrt. Khadka plaudert schon mit den diensthabenden Offizieren und scheint auch hier gehörigen Respekt zu geniessen. Subas und Padam richten das Camp auf einer kleinen Wiese unterhalb des Dorfes ein. Bald tröpfelt es wieder ein wenig, aber die auf der Südseite durch ihre Heftigkeit und ihre hohe Niederschlagsintensität gefährlichen Gewitter vermögen die gewaltige Barriere des Gurkha Himal nicht zu überwinden, in dessen Regenschatten wir uns befinden.
Am folgenden Tag durchqueren wir einige prächtige Dörfer mit für uns drollig tönenden Namen: Bangsam, Li, Sho und schliesslich Lho, wo sich das Tal definitiv weitet und einen unglaublich schönen Blick auf den Manaslu ( 8156 m ), den höchsten Gipfel der Gurkhaberge, freigibt. Als gleich-massige, von blendend weissen Gletschern Alp befindet sich nahe der Endmoränen des Larkya-Gletschers.
Sama liegt auf 3450 m und ist der Hauptort der ganzen Talschaft hinter dem Manaslu. Ein Dorfbach plätschert zwischen den Reihen von Langhäusern.
übergossene Pyramide türmt sich der Monarch ungeheuer majestätisch vor uns auf. Der Manaslu steht für sich allein, und sein zweigipfliges Haupt wird zum einen vom gleichmässig geformten Kulminationspunkt, zum andern vom Nordsporn, einem schroffen Felszahn, gebildet. Seine faszinierend schöne Gestalt fesselt uns derart, dass sich unsere Blicke erst nach einiger Zeit auf die typischen Langhäuser von Lho richten, die, jedes für sich, jeweils mehreren Familien Obdach bieten. Im Erdgeschoss sind die Tiere untergebracht, Wärmespender für die im darüberliegenden Geschoss wohnenden Menschen. Dieses obere Stockwerk erreicht man über eine Leiter und kommt so in einen einzigen grösseren Raum, der als Koch-, Ess-, Schlaf- und Aufenthaltsort dient. Grobe Schränke enthalten allerlei Hausrat, während eine der Ecken religiösen Inhalten gewidmet ist: ein Satz mit sieben Wasser-schalen, eine Butterkerze und ein Bild des Dalai Lama.
Von Sama ( 3450 m ) auf den Larkya La ( 5080 m ) Einen Tagesmarsch von Lho ( 3190 m ) entfernt befindet sich der Hauptort der oberen Talschaft: Sama ( 3450 m ). Die Leute dort, alles Bhotia, sind zur Zeit mit Feldarbeiten beschäftigt. Mädchen und Frauen tragen korbweise Kompost und Mist auf die Äcker, um die vom starken Wind übriggelassene Erdkrume zu befestigen und fruchtbarer zu machen. Buben und Männer führen unterdessen ihre ins Joch gespannten Yak und Zopkyo, die archaische Scharpflüge ziehen. Angebaut werden Gerste und Kartoffeln.
Während der anstrengenden Arbeit wird gebetet, gesungen, gepfiffen und gescherzt. Dann und wann gönnen sich die fröhlichen Bauern eine Pause, die sie, am Boden sitzend, mit chang ( Gerstenbier ) und tsampe ( Mehl aus gerösteter Gerste ) verbringen. Subas hat einen wahrhaft einmaligen Lagerplatz gefunden, unmittelbar hinter dem Kloster, wo einige Mönche gerade einen pompösen Gebetsritus beenden. Wacholder und Thuja zieren die Wiese, und ihr Geruch zieht durch die klare Luft. Der Manaslu, dessen Gletscher unter knacken- den und rollenden Geräuschen talwärts drängen, steht hoch über uns. Wie wir anlässlich eines kurzen Ausfluges zum nächstgelegenen dieser Eisströme sehen können, endet dieser in einem See. Kaum sind wir dort angekommen, kalbt der Gletscher, und wenig später klatschen die Wellen an unser Ufer. Ein sammelt in der steilen losen Moräne irgendwelche Wurzeln. So ähnlich könnte das Bild vor 4000 Jahren zur Unfallzeit des berühmt gewordenen Gletschermannes ausgesehen haben.
Unterwegs treffen wir auf zwei Hirten. Khadka redet sie in Nepali an. Keine Antwort. Ich probiere zuerst auf Englisch, dann mit radebrechendem Tibetisch und bin ebenso erfolglos. Während sich daneben einige stolze Languraffen in den Wald zurückziehen, meint Khadka: ( Sorry, no communication !) Sama liegt in einem wirklich reizvollen Hochtal, umgeben und beschützt von riesigen Bergen. Weiter oben weitet sich das Tal noch mehr, und wir erreichen auf etwa 3900 m die Baumgrenze. Hier befindet sich ein weiteres Dorf, Samdo, das weitgehend von tibetischen Flüchtlingen bewohnt wird. Ein Pass führt hinüber in ihre alte Heimat, mit der noch heute ein kleiner lokaler Handel besteht. Von da an wenden wir uns jedoch nach Westen und steigen auf einem angenehmen Weg zum höchsten Punkt unserer Reise, dem Larkya La ( 5080 m ).
Noch einmal sehen wir den Manaslu, diesmal von Norden. Ständig steigt der Weg im selben Winkel sanft hinauf, keine Steilstufe unterbricht seine Regelmässigkeit. Plötzlich sagen uns farbige Gebetsfahnen, dass wir auf der flachen Passhöhe angelangt sind. Überall liegt Schnee, Wolken ziehen vorbei, umhüllen uns bisweilen; doch meistens scheint die Sonne, während drunten im Tal der Nebel kocht. Lok Bahadur, einer unserer besten Träger, sitzt bereits hier und erwartet uns. Phul Maya und Kanchhi Maya, die beiden Kichererbsen, sind in der Obhut von Subas und Padam, die ihnen die Lasten bis zum höchsten Punkt tragen. Sie gehen in der Spur, wie immer scherzend und kichernd.
Rückkehr in tiefere Regionen Gemeinsam steigen wir über weite Schneefelder und später über Moränenrücken ab. Leider gibt der Nebel den Blick auf einen anderen, besonders schönen, Berg nicht frei: den Himlung, einen Eisklotz an der tibetischen Grenze. Zeitig schlagen wir die Zelte in einer Wiese auf und erholen uns von dem anstrengenden Tag.
Eine beschauliche Wanderung entlang eines riesigen Gletschers, der sich vom inzwischen sichtbar gewordenen Himlung bis zu uns hinabwälzt, führt uns vorbei an den ersten Alpweiden und später in einen prächtigen Urwald, der von einem milchweissen Bach durchflössen wird, der bezeichnenderweise auch Dudh Khola ( Milchbach ) heisst.
Mitten im Urwald entdecken wir eine Lichtung, die die Einheimischen Tsangling nennen. Dort stellen wir diesmal unsere Zelte hin, ein wahrlich idyllischer Ort. Nachts gesellt sich eine stattliche Pferdeherde zu uns, die - durch irgendwelche undefinierbaren Geräusche aufgeschreckt - plötzlich im Galopp verschwindet. Wölfe oder Bären? Fragend schaue ich aus dem Zelt, der Vollmond blendet mich. Aus dem Zelt der Träger tönt Gekicher.
Schon sehen wir Tilje vor uns, das erste grosse Dorf auf der anderen Seite des Passes. Morgen werden wir das Marsyangdital erreichen und am Ufer dieses Flusses nach Süden wandern.
Khadka, unser Offizier mit Gentlemanallü-ren, hat trotz des langen Trecks nichts von seiner liebenswürdigen Aufmerksamkeit verloren. Er holt uns in jenem Moment ein, in dem wir unschlüssig in eine wuchtige Seitenschlucht äugen, über der sich mächtige Schneeberge erheben. ( Ob da wohl ein Weg hineinführt ?) fragen wir uns. Khadka schaut hinauf und meint lächelnd:
wir damit wieder aus dem niederschlagsärmeren Bereich hinter der Himalaya-Haupt-kette hervor, was sich auch an dem zunehmend üppiger werdenden Pflanzenbewuchs ablesen lässt.
Unten im Tal drängt sich eine schwarze Wolkenbank talaufwärts, von zuckenden Blitzen und knatterndem und rollendem Donner begleitet. Unter einem Felsvorsprung suchen wir Schutz und schauen geduldig zu, wie das Gewitter sich in heftigen Güssen entlädt. Das ohrenbetäubende Krachen übertönt manchmal das Gekicher neben uns.
In Tsangling sind wir inmitten des Urwaldes gelandet, nachts lassen verschiedene Geräusche auf die Nähe von Wölfen oder Bären schliessen.
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