La montaña más bella del mundo
Erich Vanis, Wien ( A )
Erich Vanis, Wien ( A ) Der Alpamayo Oben erwähnter Umfrage ( verdankt ) es der Alpamayo wahrscheinlich, dass er heute der begehrteste Andengipfel ist. Selbst wenn das Alpamayo-Motiv bisher noch nicht für Schokoladeverpackungen und Käse-schachteln herhalten musste, wie etwa das vielgeschändete Matterhorn, diente es immerhin bereits als Vorlage für Postkarten, Poster und T-Shirts. Steckt auch in Huaraz, dem Zermatt der Cordillera Blanca, die Fremdenverkehrsindustrie erst im Kleinge-werbestadium, so ist der Alpamayo doch eindeutig und vermarktenswert.
Zum Modeberg ist dieser Gipfel aber nicht nur in Peru, sondern vor allem auch in Europa geworden. Wie sonst wäre es zu erklären, dass man diesen ( nun Beinahe-Sechs-tausender in allen Trekking-Prospekten als Führungstour ausgeschrieben findet. Es gibt höhere und technisch leichtere Berge in unmittelbarer Nähe. Dort hätte der Tourist auch eine weit grössere Gipfelchance. Doch nein, der Alpamayo, ( der schönste Berg der Welt ), muss es sein, oder sollte es zumindest sein.
Als wir nämlich im Juli 1988 im Santa-Tal weilten, war die Zahl der Bewerber, die umkehren mussten, deutlich grösser als die Zahl jener, die schliesslich auf seinem Gipfel standen. Dies verdeutlicht, dass selbst bei einem allgemeinen Anstieg der Leistungskurve im Bergsteigen, wie wir ihn in den letzten Jahrzehnten erlebt haben, eines der grössten Ziele der fünfziger Jahre - der Alpamayo - noch heute nicht zum billigen Gipfel geworden ist. Ein Eiswandanstieg, der um gut 10 Grad steiler als die Liskamm-Nord-wand oder die Pallavicinirinne am Grossglockner ist, bleibt eine ernsthafte Bergfahrt. Besonders dann, wenn der Rückweg über dieselbe Route erfolgt.
Abseilen in der Alpamayo-SW-Wand Die Ersteigungsgeschichte 1948 versuchten die Schweizer Bernhard Lauterburg, Ruedi Schmid und Fritz Siegrist erstmals, den Berg über den Nordgrat zu besteigen. Ein Wächtenbruch, bei dem alle drei etwa 200 Meter tief abstürzten, ohne sich dabei aber ernsthaft zu verletzen, liess das Unternehmen scheitern.
1952 gelang dann einer französisch-belgi-schen Expedition die Erstbegehung des Nordgrates bis zum Nordgipfel. Der eigentliche, 50 Meter höhere Südgipfel jedoch wurde erst fünf Jahre später von einer deutschen Expedition unter Günter Hauser über den Südgrat erreicht. Diese Anstiegsroute erwies sich als ( harte Nuss>. Nach drei vergeblichen Versuchen und einem Biwak im Verlauf des vierten Vorstosses am steilen und äusserst gefährlichen Wächtengrat wurde endlich am 20. Juli 1957 der höchste Punkt erreicht.
Eine steile Eisrinne, flankiert von filigranartigen Firnrippen, leitet durch die SW-Wand zum Gipfelgrat.
Damals galt der Alpamayo mit 6120 Metern noch als stolzer Sechstausender. Inzwischen aber wurde die Höhe des Hauptgipfels auf 5940 Meter korrigiert. Dennoch blieb diese ( montana mas bella del mundo> weiterhin das Ziel mancher Expedition. Auch sämtliche anderen Grate und Wände wurden nach und nach erstiegen. Dabei hat vor allem die italienische SW-Wand-Route von C. Ferrari und Gefährten aus dem Jahr 1975 Bedeutung erlangt. Diese gut 60 Grad steile Rif-feleisflanke hat sich in der Folge zum ( Normalanstieg ) entwickelt.
Anmarschstrapazen So wie man sich im Märchen erst durch den Griessbrei zu essen hat, ehe man ins Schlaraffenland gelangt, so muss man, ehe man diese herrlichschöne Alpamayo-SW-Wand angehen kann, ja bevor man sie überhaupt erst einmal zu sehen bekommt, den drei Tage langen Weg zum Loyjiakirka-Sattel unter die Füsse nehmen.
Bedingt durch die weite Anreise von Huaraz, beginnt unser Anmarsch erst um zwölf Uhr mittags. Vom Dorf Cashapampa, auf etwa 2850 Metern, an erwartet uns eine prächtige Wanderung durch das Santa-Cruz-Tal. Diese wird zusätzlich erleichtert, wenn man sich Tragtiere für das grosse Gepäck leistet. Esel und Arieros ( Treiber ) sind recht billig, und es ist die direkteste Form von Wirtschaftshilfe. Steil führt der Weg, der sich leider immer auf der Sonnenseite einer sonst in verlockendem Schatten liegenden Schlucht hält, aufwärts. Riesige Kandelaberkakteen am Wegrand unterstreichen den Eindruck einer von der Hitze geprägten Landschaft. Noch grösser als die Kakteen und die Hitze sind allerdings die Moskito-schwärme. Man hat uns vor den Biestern gewarnt, doch deren Angriffslust ist ärger, als jede Warnung auszudrücken vermag. In kur- zer Hose und ohne Hemd bin ich natürlich ein besonders willkommenes Opfer. Und als wir gut zwei Stunden später am Bachrand beim Schluchtausgang rasten, um uns zu erfrischen, stürzen sie sich mit solcher Vehemenz auf mich, dass ich sogleich die Flucht ergreife. Obschon ich vermutlich eine beachtliche 100-Meter-Zeit hinlege, bin ich binnen Sekunden derart zerstochen, dass ich mit meinen unzähligen roten Punkten aussehe, als hätte ich die Masern. Um halb fünf Uhr erreichen wir schliesslich den vorgesehenen Lagerplatz, einen Kral aus Natursteinen.
Am zweiten Tag folgt eine reine Genuss-wanderung durch das flache Trogtal. Nach dem Ichiqocha, einem Sumpfsee, und dem forellenreichen, smaragdgrünen Jatunqocha zweigt man vom Quebrada Santa Cruz nach links über eine kurze Steilstufe in das Seitental Arwei Qocha ab. Dort findet sich in einem romantischen Kenoya-Wäldchen der ideale Platz für unser Basislager auf 4300 Metern.
Die dritte Etappe präsentiert sich als 1200-Meter-Aufstieg zum Sattel des Loyjiakirka ( 5530 m ). Während der ersten zweieinhalb Stunden kommen wir auf der steilen Moräne noch recht gut vorwärts, doch danach, in den von Gletscherschliffen gezeichneten Felsen, in den Übergangszonen zum Eis und schliesslich auf dem Gletscher selbst, wird der Anstieg ( mörderisch ). Schwer drücken die Rucksäcke, heiss brennt die Sonne, so dass wir jedes auch noch so kleine Wölkchen als willkommenen Schattenspender begrüssen. Dies sind die einzigen Momente, in denen wir für wenige Minuten den Sonnenhut abnehmen, die Schneebrille auf die Stirn schieben und hoffen können, dass ein leichter Lufthauch unseren Schweiss trocknet. Weit voraus steigt Martin Agular, unser grossartiger Indio-Träger und Freund. Er schleppt gut 30 Kilo und entlastet uns fünf Bergsteiger damit um je sechs. Was die landschaftliche Szenerie anbelangt, so bleibt uns auch diese Etappe in einzigartiger Erinnerung; vor allem die prächtigen Ausblicke auf Allison Raju, Pukarashta und Kita-raju schlagen uns in Bann und lassen gleich- zeitig unsere Kameras ( heisslaufen ). Ja, alles hier wäre grossartig ohne die drückende Last der überschweren Rucksäcke.
Um 15 Uhr haben wir endlich den steilen Schlusshang hinter uns gebracht. Wir stehen auf dem Sattel und sehen uns damit ganz unvermittelt der Alpamayo-SW-Wand gegenüber. Ich bin so fasziniert vom Bild dieses geriffelten Eistrapezes, dass ich trotz aller Müdigkeit vergesse, den Rucksack abzustellen. Auf einer Schneerampe finden wir einen schönen Platz für die Hochlagerzelte und verbringen einen traumhaften Abend. Immer wieder bewundern und fotografieren wir die sich allmählich verfärbende SW-Wand, deren anfängliche Blautönung verschwindet, um einem Zitronengelb Platz zu machen, das seinerseits nur die Vorstufe zu einem kitschigen Rot bildet. Obschon wir uns recht nahe am Äquator befinden, geht die Sonne im Dunst des Westens nur langsam unter. Bei uns beginnen sich bereits Finsternis und Kälte auszubreiten, während sich der Alpamayo einem Gipsmodell ähnlich in kalkig-fahlem Weiss vom dunklen Himmel abhebt.
Die Besteigung Anderntags schlüpfen wir wegen der grossen Morgenkälte erst gegen sechs Uhr aus dem Zelt. Dann aber geht alles recht flott. Bereits wenige Minuten später queren wir, zuerst ab-, dann wieder aufsteigend, die Gletschermulde zur Randspalte der Alpa-mayo-SW-Wand. Zwei Anstiege führen durch diese Flanke: eine französische Route direkt zum Gipfel und etwas weiter links die italienische . Wie fast immer lässt sich der hohe und weit offene Bergschrund auch diesmal nur an einer Stelle überschreiten - beim Ferrari-Anstieg. Damit entfällt auch die Qual der Routenwahl. ( Hauptsache, die Südwestwand geht !) Allerdings darf sie trotz ihres ( mit einer Höhendifferenz von nur 300 Metern ) nicht unterschätzt werden.
Wir steigen um 7.30 Uhr in zwei Seilschaften in die Wand ein. Voran Bernd Saxinger mit Edith Bolda und Hannes Bauer an zwei 50-Meter-Seilefi. Dahinter folgen mein erst siebzehnjähriger ( alpiner Ziehsohm Mischa Berthold und ich mit dem 80-Meter-Zwil-lingsseil in Wechselführung. Die Wand ist steil, auf kurze Abschnitte sogar sehr steil, doch die Steigeisen greifen selbst in den 65 Grad geneigten Passagen ausgezeichnet. Dabei bewegt man sich in dieser Eisflanke immer in den Rinnen zwischen den für die Anden und besonders für den Alpamayo typischen Firnrippen. Obschon die tiefen Rinnen von weitem vermuten lassen, dem Eisschlag ausgesetzt zu sein, bleibt es den ganzen Vormittag über ruhig. So können wir, vor allem an den Standplätzen, das Glitzern und Gleissen der Eiskristalle an den durchsichtigen Filigranstrukturen der Rippenkämme bewundern. Ist man den Schwierigkeiten und Anstrengungen des Steigens knapp an der Sechstausendmetergrenze gewachsen, so darf die Alpamayo-SW-Wand als ausgesprochene Genusstour bezeichnet werden. Entsprechend geniessen wir auch den Aufstieg über ( unsere » Route.
Teleaufnahme des Alpa-mayo-Südgrates ( Route der Erstbesteiger G. Hauser und Gefährten ) Dabei erlebe ich es zum ersten Mal auf einer Eistour, bereits eingerichtete Standplätze vorzufinden. Was sich aus dem Umstand ergibt, dass für den Abstieg über dieselbe Route wieder abgeseilt werden muss. Etwa alle 50 Meter treffen wir deshalb auf die von unseren Vorgängern mit Firnhaken und Eisschrauben ausgerüsteten Abseilstellen. Die Partie von Bernd erhält so mit ihren 50-Meter-Seilen ideale Standplätze vorgelegt, während Mischa und ich mit dem 40-Meter-Seilabstand noch des öftern eigene Standstufen auspickein und Schrauben setzen müssen. Diese Mehrarbeit tut unserer Freude aber keinen Abbruch, da man jeder Sache auch ihre positiven Seiten abgewinnen muss. Und immerhin finden wir gelegentlich einen fertigen, für uns passenden Standplatz vor und können die übrigen Haken wenigstens als Zwischensicherungen benützen. An diesem Tag hätte uns nichts, aber auch gar nichts die Freude nehmen können. Alles stimmt, das Wetter, das Zusammenspiel in der Gruppe, die Eisverhältnisse. Ich befinde mich im Rausch der Droge ( Bergsteigen ), bin ganz einfach . Wir sind am Gipfelgrat von Glücksgefühlen erfüllt und ebenso während der Abseilfahrt über die Steilflanke. Nach nur eineinviertel Stunden stehen wir wieder vereint beim Bergschrund. Dass mir bei der letzten Abseil-etappe einer meiner neuen Fäustlinge entgleitet und auf Nimmerwiedersehen in der tiefen Randspalte verschwindet, empfinde ich nur als bescheidenes , der uns derart intensive Erlebnisse geschenkt hat.
In Hochstimmung bauen wir am Sattel unsere beiden Zelte ab und begeben uns bei hereinbrechender Abenddämmerung auf den langen Abstieg zum Basislager. In den tieferen Regionen wird es jetzt bereits dunkel. Doch wir wissen, dass sich die Höhen des Alpamayo auch heute wieder in ihren einmaligen Farben sehen lassen werden und dass dieser Berg, ( der schönste der Welt ), nun auch ein wenig uns gehören wird.
( Wenn der Abend sich leis auf die Berge niedersenkt... ). Im Abstieg zum Basislager