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Gescheiterte Expedition?

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Daniel H. Anker, Kehrsatz ( BE )

Herbst 1984 - eine fixe Idee Das sollte möglich sein! Der Südabsturz des Annapurna ist durch die Wand des über 7000 Meter hohen auch im Winter vor den kalten Jetstreamwinden geschützt. Es wäre mein erster Achttausender - ein aufregendes Ziel für mich. Dabei reizt mich nicht nur die Höhe des Annapurna, sondern vor allem die Schwierigkeit dieser 2500 Meter aufstrebenden Wand. Nach der erfolgreichen Jannuexpedition gebe ich deshalb die Unterlagen für eine Besteigungsbewilligung auf dem Touristikministerium in Kathmandu ab.

Unterwegs in Nepal Dreissig Tage in Nepal liegen noch vor mir. Tage, denen ich ein Ziel geben will, geben muss, denn der eigentliche Zweck der Reise -eine Besteigung der Annapurna-Südwand im Winter- ist gescheitert, endgültig. Aber noch schwirren Gedanken, Gefühle und Träume in meinem Kopf herum. Es ist Zeit, diese festzuhalten und zu neutralisieren. Ich beginne zu schreiben.

Vorarbeiten Ueli, Kobi und René1 und ich bilden das Expeditionsteam. Wir alle arbeiten nun gemeinsam an unserem grossen Projekt, gehen Aus-rüstungsfirmen um verbilligtes Material an und füllen selber Wein ab, um mit dem Erlös die Bewilligungsgebühren für Berg zu bezahlen. Wie viele Seile nehmen wir mit? Welche Zelte und Schlafsäcke sind gut genug für uns? Wollen wir mit Gas oder Kerosen kochen? Für alle diese Fragen finden wir im Verlaufe der nächsten eineinhalb Jahre eine Lösung.

Juli 1986: Während die Expedition immer konkretere Formen annimmt, muss ich auf einer Führungstour den Sturz eines JOlers mit dem Seil bremsen - Spiralbruch am linken 1 Ueli Bühler, Kobi Reichen, René Brinkmann Basislager mit Tent Peak Ringfinger. Zum Glück ist die Handchirurgie im Berner Inselspital so weit fortgeschritten, dass mein Finger nach ein paar Wochen bereits wieder voll einsatzfähig ist.

Der Countdown läuft Auch Ueli hat sich am Fuss verletzt - mit schlimmeren Folgen als anfangs vermutet. Beginn von Arthrose. Sollen wir nun einen anderen geeigneten Mann suchen? Aber wer könnte das - zu diesem späten Zeitpunkt -sein? Unsere Gruppe schmilzt somit auf drei Teilnehmer zusammen. Alles weitere, Flugtik-kets und Übergepäck, ist geregelt. In drei Wochen soll es losgehen. Um für den eisigen Himalaya-Winter noch etwas Sonne zu tanken, fahre ich mit meiner Freundin für zwei Wochen nach Südfrankreich. Anlässlich eines nächtlichen Telefonferngespräches muss ich von René erfahren, Kobi sei abgestürzt und liege mit einem Halswirbelbruch im Spital -dann waren 's nur noch zwei! Die Bewilligung ist bezahlt und der Flug in zehn Tagen gebucht. Was bleibt uns jetzt noch anderes übrig, als mit unserer bereits auf die Hälfte reduzierten Equipe auf die Reise zu gehen...

Annapurna-Basislager, 12. November 1986 Zehn Zentimeter Neuschnee. Beissender Qualm aus dem offenen Herdfeuer erfüllt unsere Lodge ( ein sehr einfaches ). Ich liege im warmen Schlafsack eines der mit Reisfelder während der Erntezeit Bambusmatten belegten Abteile. Sarki, als Koch der wichtigste Mann unserer Expedition, bringt auf einem Basttablett das Abendessen. Wir haben Zeit, denn erst morgen werden ein paar Träger einen weiteren Teil unseres Expeditionsmaterials heraufbringen. Im Grunde genommen muss ich den anderen Trägern recht geben, dass sie heute morgen streikten. Angesichts der Neuschneemengen und des ungeeigneten Schuhwerks ziehen sie es verständlicherweise vor, weder Gesundheit noch Leben zu riskieren - selbst wenn dies eine Lohneinbusse mit sich bringt. Dafür gibt es jetzt für unseren Sirdar ( der die Verantwortung für die Organisation und Führung der Trägerequipe inne hat ) etwas Arbeit... Während des folgenden Monates wird er noch über mehr als genug Freizeit verfügen können. Am nächsten Tag fällt René aus. Eine Phase mit Durchfall und Übelkeit bildet sozusagen Bewässerung des abgeernteten Reisfeldes einen festen Bestandteil eines jeden Nepal-aufenthaltes. Da der Himmel immer noch bedeckt ist, stört Renés schlechter Zustand nicht besonders. Später zeigt sich dann aber leider, dass sich den unbequemen Erregern selbst mit einem tiefen Griff in unsere Schweizer Chemikalienkiste nicht recht beikommen lässt.

Eine Akklimatisationstour Bereits nach zweieinhalb Stunden erreichen wir unser Zelt auf dem letzten Grasstreifen unterhalb der Moräne.Vor vier Tagen waren wir schon einmal hier, um unsere Körper an grössere Höhen zu gewöhnen. Renés rebellieren-der Magen trieb uns jedoch bald wieder zurück ins Basislager. Vorher aber deponierten Folgende Doppelseite: Der Machapuchare in der Abendsonne wir noch möglichst viel Material mit dem Vorsatz, bald zurückzukehren. In einer unguten Vorahnung öffne ich unser Zelt. Na ja, das Stück Käse in der Apsis ist nicht mehr zu sehen, aber sonst scheint alles in Ordnung zu sein. Erleichtert öffne ich den Reissverschluss des Innenzeltes - und schaue erstaunt in ein wildes Durcheinander von Gamaschen, Steigeisen, Liegematten und Papier. Mit steigender Wut muss ich feststellen, dass irgendein freches Tier - vielleicht war es ein Wieselall unsere Vorräte entführt hat: Schokolade, einen Sack Nussstengeli, Salznüsse, ein Tutti-frutti, ein Stück Bündnerfleisch; sogar an unsere Suppenbeutel hat es sich herangemacht. Glücklicherweise haben wir noch weiteren Proviant von unten heraufgeschleppt! Abwechselnd bringt dieser Streich uns zum Lachen und zum Fluchen - vor allem, wenn wir an unser gutes Bündnerfleisch denken. Schliesslich packen wir unser Material zusammen und finden weiter oben auf 5000 Meter unter einer überhängenden Felsbarriere einen geeigneten Platz zum Übernachten. Während auf dem Gaskocher das Wasser für den letzten Tee vor dem Einschlafen warm wird, beginnt René von der Wand zu sprechen: Wie würdest du dich verhalten, wenn einer von uns in Schwierigkeiten geraten sollte, vielleicht nicht mehr weiter kommen kann oder will ?) Ich überlege eine Weile und versuche eine ehrliche Antwort zu finden. Ich würde nicht in jedem Fall eine Besteigung abbrechen; je nach den Umständen wäre ich auch bereit, allein weiterzuklettern. ) René hingegen erachtet das Risiko für einen Alleingang als zu gross. Später, im Schlafsack, wälze ich mich hin und her und frage mich noch lange: Bin ich zu egoistisch und zu unvorsichtig? Aber von meinen vielen schwierigen Touren - allein und mit Kameraden - glaube ich meine Stärken und Schwächen recht gut zu kennen, und diese Wand am Annapurna übt auf mich doch eine sehr starke Anziehungskraft aus. Allmählich vermag ich aber auch den Gedanken an einen eventuellen zu akzeptieren -schliesslich werde ich auf Jahresende zu Hause erwartet.

Die Wand Ein paar Tage später. Es ist der 27. November 1986. Ich habe mich auf den Weg zum Einstieg gemacht und liege nun allein im Zelt auf dem Moränenkamm in etwa 4800 Meter Höhe. Langsam schmilzt der Schnee auf meinem Gaskocher. Meine Gedanken wandern zurück: Heute morgen ist René ins Basislager abgestiegen; er wird nicht wieder heraufkommen. Nur ich bleibe zurück — will zurückbleiben! Ist es Irrsinn, Überheblichkeit oder sonst etwas, was mich hier oben ausharren lässt? Soll ich Expedition denn abbrechen, noch bevor ich die Wand erreicht, den Einstieg gesehen habe und wenigstens einige Meter hochgeklettert bin? Nein!

Meine jetzige Lage scheint sich ganz allmählich, letztlich jedoch unaufhaltsam angebahnt zu haben. Da waren zunächst die Magenbeschwerden von René, die nie ganz zum Verschwinden gebracht werden konnten. Erst als ihm ein Arzt vor drei Tagen ein starkes Medikament gegen Lamblien und Amöben gab, schien sich sein Zustand zu bessern. So sind wir dann gestern noch zu einem Rekognoszie-rungsvorstoss in die Wand aufgebrochen. Das Wetter verschlechterte sich jedoch zusehends, und während wir mit unseren schweren Rucksäcken langsam die Moräne hochstiegen, um zum Wandfuss zu gelangen, begann es bereits leicht zu schneien. René wirkte endlich wieder recht fit, aber das Manko von zwei Wochen, in denen sein Körper mehr Energie verbraucht hatte, als ihm zugeführt werden konnte, war nicht mehr wettzumachen. Trotzdem kam es für mich dann etwas überraschend, als er mir sagte, er habe genug, er sehe für sich keinen Sinn mehr weiterzusteigen. Die krankheitsbedingte körperliche Schwäche hat damit wohl auch seinen, für ein derartiges Unternehmen unumgänglichen Optimismus ins Wanken gebracht. Und in einer solchen Situation liess sich dieser auch nicht von aussen stärken. René musste deshalb den Entschluss zur Umkehr selber fällen und dabei gleichzeitig akzeptieren, dass ich versuchen werde, allein weiterzugehen. Der Abschied von heute morgen ist ihm auch deshalb nicht leicht gefallen. René mahnte mich noch zur Vorsicht, worauf ich ihm nur unbestimmt entgegen konnte, ich selber sei ja noch im Ungewissen, bis zu welchem Punkt ich aufsteigen werde.

Im Gletscherbruch Ausgerüstet mit Steigeisen, Pickel und Skistöcken, suche ich mir vorsichtig eine Route, die mich sicher über den zerrissenen Gletscher emporleitet. Anfangs komme ich sogar rascher voran als erwartet. Aber dann blockiert eine breite Eisbarriere meinen Weg und zwingt mich zu einem Umgehungsmanöver. Bald wühle ich mich somit auf der Schattseite eines mächtigen Eisturmes in weichem Pulverschnee wieder etwas abwärts, in der Hoffnung, auf eine Schwachstelle zu stossen, wo sich die Mauer überwinden liesse. Da sinkt völlig unvermutet der eine Fuss ein und hängt im Leeren. Sofort verlagere ich das Gewicht -worauf der andere Fuss ebenfalls durchbricht! Automatisch breite ich die Arme aus, und mein Oberkörper kippt nach vorn. In dieser Stellung verharre ich einen Augenblick, ohne dass etwas geschieht. Worauf ich mich ganz vorsichtig zu bewegen beginne, indem ich langsam aus der Gefahrenzone robbe.

Ein Blick zurück ins Dunkel der Spalte zeigt mir, dass diese sich praktisch nach allen Seiten ausbreitet! Für heute habe ich genug; ich kehre um, zurück zu meinem Zelt.

Ein langer Nachmittag im Zelt Trotz des gestrigen Gletscher-Erlebnisses steige ich erneut auf. Wieder geht es mit der ganzen Ausrüstung am Rücken bis zum Endpunkt der Moräne auf 5300 Meter. Nebelschwaden ziehen umher. Dort, wo sie aufreissen, brennt allerdings sofort die Sonne auf die steilen Schneefelder und lässt sie zu einer pappigen Masse werden, die an den Steigeisen unangenehme Stollen bildet. Zudem drückt mich der schwere Rucksack. Den Blick auf den Boden geheftet, mühe ich mich Schritt für Schritt aufwärts und komme verhältnismässig gut voran, bis ich an einem geeigneten Platz mein Zelt aufstellen kann. Erst hier - nachdem ich mich in dessen Schutz ausruhe - spüre ich, dass von diesem Aufstieg etwas in mir haftengeblieben ist - vielleicht eine Art von Sättigungsgefühl? Im Moment bin ich dafür sogar dankbar, denn auch mein Körper gibt mir zu verstehen, dass ich aufhören sollte mit diesem . Schliesslich habe ich keine Verpflichtungen, weder gegenüber Sponsoren noch gegenüber andern Bergsteigern. Aber wie stelle ich mich zu mir selber, zu meinen Zielen und Vorstellungen? Was treibt mich weiter? Hoffnung auf Ruhm und Erfolg? Kaum - und wenn schon, höchstens am Rande.

Meine Gedanken bewegen sich um mein Gefühl der Leere, das der verlorene Anna-purna-Traum hinterlassen hat. Könnte ich in einer Woche nach Hause fliegen, ich würde sofort und ohne Reue absteigen. Was bringen mir die dreissig noch verbleibenden Tage in Nepal? Was soll ich hier, nachdem das Motiv für meine weite Reise weggefallen ist? Schliesslich versuche ich meinen energiegela-denen Körper zu ermüden und meinem Kopf zu verstehen zu geben, dass ein Weiteraufstieg sinnlos und zu gefährlich ist. Ich sage mir immer wieder, dass das Leben nicht nur aus dem Annapurna besteht. Der Abschied dauert lange und ist schmerzhaft, aber ich will leben und mich nicht in die Berge, in einen Berg verheissen. Langsam fühle ich meinen Stolz abbröckeln, dafür gewinne ich ein neues Gefühl von Freiheit, von Leben, sehe deutlich die vielen erlebnisreichen Jahre vor mir.

Der Entschluss ( Basislager, Basislager von Daniel antwor-ten.Ja, es ist gut, erwarte mich morgen um elf Uhr am Fuss der Moräne. Ich gebe den Annapurna auf, aber vielleicht liegt eine Ausweichtour drin?> In der Annapurna-Süd-wand. Blick hinunter ins Couloir

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