Die Alte Gemmi. Alte Wege und Landschaftsschutz
Alte Gemmi
Alte Wege und Landschaftsschutz
Hansruedi Mösching, Gwatt
Auf der Clavinenalp. Der Aufstieg zur Alten Gemmi führt vom Grashang links der Bildmitte zum Grat am oberen rechten Bildrand 19 Seit Jahrzehnten wird unsere Landschaft durch den Wohn- und Strassenbau, Meliorationen und Güterzusammenlegungen umgestaltet. An Stelle der Vielfalt von Hecken, Bachläufen, Steinmauern und Naturwegen tritt eine moderne Gleichförmigkeit. Die Mehrheit unserer Bevölkerung empfindet diesen Prozess als Verarmung ihres Erholungsraumes und damit als Beeinträchtigung der Lebensqualität. So hat das Schweizervolk bereits vor zwanzig Jahren zum Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz gesagt.
In der Folge entstanden das Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz und das Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung. Das dritte Projekt, das nun im Auftrage des Bundesamtes für Forstwesen und Landschaftsschutz erarbeitet wird, ist das Inventar historischer Verkehrswege der Schweiz ( IVS ). Es hat zum Ziel, das ehemalige Weg- und Strassennetz zu rekonstruieren und die schönsten noch erhaltenen Abschnitte unter Schutz zu stellen.
Damit steht der Raumplanung eine weitere Grundlage zur Erhaltung traditioneller Kulturlandschaften zur Verfügung. Das Inventar dient zudem dem erhöhten Schutz und der Ergänzung des bestehenden Wanderwegnetzes.
Am Beispiel der Alten Gemmi wird die Wegforschung im Rahmen des IVS vorgestellt. Der Beitrag soll den Leser aber auch dazu anregen, diesen landschaftlich grossartigen Übergang selber einmal zu begehen.
Der neue und der alte Pass Die Gemmiroute ist jedem Bergfreund ein Begriff, wandern doch Jahr für Jahr Tausende durch das verkehrsfreie Alpenhochtal. Die firnbedeckten Kalkplatten der Altels und des 1739-1743 erstellt und ersetzte einen zweihundert Jahre alten, noch steileren Weg.
Im Mittelalter war diese Stelle unpassierbar. Man beging den mächtigen Talabschluss weiter östlich über eine felsdurchsetzte Grasflanke. Die höchste Stelle lag zwar mehr als 400 Meter höher als der später eröffnete Pass, konnte aber ohne künstlichen Wegbau erreicht werden. Der mittelalterliche Übergang wird heute
Aus der Geschichte des alten Passes Alemannische Funde im Kessel von Leukerbad lassen vermuten, dass die Alte Gemmi schon um 800 begangen wurde. Die älteste handschriftliche Urkunde, mit der auf eine direkte Verbindung von Leukerbad nach Kandersteg geschlossen werden kann, stammt aus dem Jahre 1232. Es handelt sich um einen Lehensvertrag zwischen dem Bischof von Sitten und Werner von Kien ( bei Reichenbach im Kandertal ), worin die Alp Winteregg erwähnt wird, die am Gemmiweg oberhalb Kandersteg liegt.
Die Bezeichnung ( Gemmi ) erscheint erstmals 1497 in der Schweizer Karte von Konrad Türst. Dass es sich dabei nicht um den heutigen Pass handeln kann, geht aus einer Beschreibung des Kaspar Collinus hervor, die besagt, dass der Weg um 1500 nicht über die Daube, sondern höher oben durchgeführt habe.
Sebastian Münster bereist 1546 das Wallis und beschreibt später den Weg vom Leukerbad auf die Gemmi in einer Art und Weise, die sich nur auf die Daubenwand beziehen lässt. Demnach ist der alte Übergang kurz zuvor verlassen worden. Eine genauere Datierung ergibt die Jahrzahl 1542, die am Daubenweg in den Kalk gemeisselt wurde. Die letzte Ziffer ist allerdings zur Hälfte herausgebrochen und kann deshalb nicht mit absoluter Sicherheit bestimmt werden.
Nun legt sich für mehr als dreihundert Jahre ein Schleier des Vergessens über die alte Route. Am 17. Juni 1868 verlassen der Führer Melchior Anderegg und seine Herren Malkin und Martineau das Dorf Kippel im Lötschental. Sie beabsichtigen, noch am gleichen Tag Die Geröllmassen der Blockgletscher im Furggentälti Schwarenbach zu erreichen. Ihr Weg führt über den Ferdenpass nach der Clavinenalp hinunter und von hier nun zur Alten Gemmi hinauf. Die Partie nennt den Pass {Ander-eggjoch ). Dieser Name, wie auch die von Fellenberg später vorgeschlagene Bezeichnung ( Plattenjoch ), setzt sich aber nicht durch.
Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass die Alte Gemmi eine mittelalterliche Route war, die zu Beginn der Neuzeit ausser Gebrauch kam und erst im Zuge des aufblühenden Hochgebirgstourismus wiederentdeckt wurde.
Die Route über die Alte Gemmi Die Route über die Alte Gemmi ist im folgenden in drei Abschnitte unterteilt. Sie unterscheiden sich sowohl in bezug auf die Begehbarkeit als auch aus der Sicht der Wegforschung.
Die erste Teilstrecke beginnt nordöstlich von Leukerbad beim Punkt 1469 und endet 400 Meter höher auf der Clavinenalp. Es ist eine jener alten Gassen, die seit jeher die Siedlungen mit den Weidegebieten verbinden. Noch auffallend schön erhalten sind hier die freistehenden oder hangabstützenden Trockenmauern, eine breite, teilweise gepflasterte Weg-oberfläche und kurze Holzwegabschnitte. Solche alte, direkte Aufstiege zu den Alpweiden sind bereits vielerorts durch die Weggenera-tion des motorisierten Verkehrs abgelöst worden und verfallen zusehends. Ihnen ist deshalb heute besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Die zweite Teilstrecke von der Clavinenalp zur Alten Gemmi ist anstrengend und ausgesetzt, beeindruckt aber durch die Tief- und Weitblicke. Jenseits des Grabens westlich der Alp beginnt die 900 Meter hohe und durchschnittlich 33 Grad geneigte Flanke. Einige kurze, aber steilere Partien im Fels verlangen bereits Schwindelfreiheit und alpine Erfahrung. Auf 2300 Meter steht man unvermittelt vor einer kleinen Stützmauer, die das Überwinden eines Felsbandes erleichtert. Sie ist möglicherweise im Mittelalter erstellt worden, da die Steine ziemlich regellos aufeinanderlie-gen. Daneben lässt sich im ganzen Hang kein weiterer Hinweis mehr auf den alten Durchgang finden - wenn man von einigen schwach erkennbaren Zickzackspuren absieht.
Die dritte Teilstrecke führt von der Alten Gemmi zum Gemmipass hinunter. Die Reste einer Schutzhütte auf der Grathöhe und mehrere Wegstützmauern weiter unten sind be- deutend regelmässiger gebaut als die Mauer auf der Südseite. Es sind militärische Bauten unseres Jahrhunderts. Ein dauerhafter Wegbau ist besonders im oberen Teil des Abstiegs, im Furggentäli, nicht möglich. Hier rutschen die Hänge des Rinderhorns und der Plattenhörner langsam gegen die Mulde zwischen beiden Felsmassiven. Zungenförmige Gesteinsmassen, sogenannte Blockgletscher, machen die Bewegung sichtbar. Der Bergschutt wird eines Tages den Kesselboden überfahren und damit auch die seltenen Steinringe zudecken, die nach dem Ausapern zum Vorschein kommen. Die wabenartig zusammenhängenden Vielecke bilden sich durch den Wechsel von Gefrieren und Auftauen. Es ist bis heute ungeklärt, ob an den geschilderten Bewegungen der Erdoberfläche unterirdische Eislinsen aus der letzten Eiszeit beteiligt sind.
Benutzte Quellen Aerni, Klaus: Die Entwicklung des Gemmipasses. In: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 29 ( 1979 ) Nr. 1.
Dübi, Heinrich: Hochgebirgsführer durch die Berner Alpen, Band II, 1910.