Der Kanadier Rettungsschlitten
Mit 8 Bildern ( 180-187Von Christian Jos!
Ein Beitrag zur Geschichte der alpinen Rettungsgeräte in der Schweiz ( Davos-Dorf, 1955 ) Im Dunkel der Vergangenheit versunken...
Wenn heute die Skifahrer in der winterlichen Pracht unserer Berge wandern, dann leuchtet ihnen von Zeit zu Zeit im Weiss des Schneegeländes das helle Rot von Kanadier Schlitten entgegen, die auf den Routen zu Rettungszwecken deponiert sind. Hunderte solcher Schlitten mögen allein in den Schweizer Alpen auf ihren einsamen Standorten und auf viel befahrenen Strecken harrend warten, bis sich ein Unfall in ihrer Nähe ereignet und sie als Helfer in Bergnot Verwendung finden. Tausende jedoch befinden sich einsatzbereit in den Depots der alpinen Rettungsstationen und in den Zeughäusern für den Armeegebrauch.
Im Dunkel der Vergangenheit versunken aber ist die Einführung dieses winterlichen Transportgerätes in der Schweiz. Wohl weiss man, dass ähnliche Schlitten schon vor Jahrhunderten im hohen Norden und in Kanada den mit Schneeschuhen versehenen Jägern für den Heimtransport der Beute dienten. Wie der erste dieser Schlitten seinen Weg nach der Schweiz fand, ist nicht mehr feststellbar. Sein durch die Überlieferung erhaltener Name deutet aber auf sein Ursprungsland Kanada hin. Sicherstehen dürfte, dass dieses Gerät nicht zuerst für Rettungszwecke, sondern für die Ausübung des Schlittelsportes bei uns in der Schweiz eingeführt wurde. Hören wir, was uns ein Mann, der zur ältesten Garde der noch heute lebenden Skifahrer aus der Zeit der Jahrhundertwende gehört, darüber zu berichten weiss. Wir werden dabei zugleich an einem Einzelschicksal erfahren, wie schwer und dornenvoll der Lebensweg eines Mannes war, der vorzügliche winterliche Rettungsgeräte konstruiert hat.
Fred Lindenmann erzählt...
« Niemand weiss mehr, wie der Mann hiess, der den ersten .Kanadier'nach der Lenzerheide ( Kt. Graubünden ) brachte. Alle die alten Skifahrer sind ja nicht mehr unter uns. Ich erinnere mich aber, dass Emanuel Meisser1 mir sagte, dass dieser .Kanadier'von einem Engländer auf die .Heide'gebracht worden sei. Derselbe sei mit diesem Schlitten über die verschneiten Hänge hinunter gefahren. Er habe dann diesen, Kanadier'auf der Lenzerheide bei seiner Abreise deponiert, sei aber nie mehr dorthin zurückgekehrt, und niemand habe sich mehr um den Schlitten gekümmert. Unterdessen kamen immer mehr Wintersportgäste, und der Skilauf fand immer grössere Ausbreitung. Da beim Sportbetrieb oft Unfälle vorkamen, habe der fast vergessene, Original-Kanadier'eine neue Verwendung gefunden, er wurde zu Rettungszwecken gebraucht. Eines Tages verunglückte Robert Weber 2, er erlitt bei einem Skirennen auf Lenzerheide einen Bruch der Halswirbelsäule. Der Abtransport des Verunfallten mit dieser schweren, lebensgefährlichen Verletzung gestaltete sich schwierig, gelang aber. Der Verunglückte hatte sein Leben zweifellos dem sehr vorsichtigen Transport auf dem Kanadier zu verdanken.
Da der Transport dieses langen Schlittens auf die Unfallstelle, besonders bei starkem Wind, sehr schwierig war, habe ich diesen .Original-Kanadier'in zwei Stücke geteilt. Das eine Stück bestand aus aufgebogenen, gegen die Mitte zusammengezogenen dünnen Brettchen, der andere Teil war ein flaches Stück ohne Aufbiegung. Diese beiden Teile konnten mittelst 1 Emanuel Meisser, Mitglied des CC des SAC. f 1930 in Chur.
2 Robert Weber, damals Bildhauer in St. Moritz, lebt heute noch in Zürich-Witikon in der « Luegete ».
eines Domes zusammengekuppelt werden zu einem 2 m langen Schlitten. Dieser Schlitten war ungefähr 8 kg schwer und hatte schmale, eiserne Führungsschienen, später keilförmige Hartholzschienen. Er konnte zerlegt durch zwei Mann leicht getragen werden.
Bei den ersten Schlitten verwendete ich auch Bremsketten, wie sie heute beim modernen Kanadier verwendet werden. Später liess ich diese Bremseinrichtung wieder fallen, da die damit verbundene stossreiche Fahrt sich ungünstig auswirkte, denn die damaligen Schlitten waren noch nicht mit Landen versehen. Die beidseitige Aufbiegung ( vorn und hinten am Schlitten ) hatte, wie bereits erwähnt, vor allem den Zweck, dass eventuell zwei Verletzte transportiert werden konnten, dass aber auch bei Spitzkehren der Schlitten nicht gedreht werden musste, wie das heute noch bei den in Österreich und Deutschland gebräuchlichen ,Akja-Rettungsschlitten'der Fall ist.
Als nun eines Tages Herr Dr. Rüedi 1 von Davos den .Kanadier'auf der Lenzerheide sah und erfuhr, wer ihn konstruiert hatte, ersuchte er mich, ihm diesen Rettungsschlitten vorzuführen. So trafen wir uns dann eines Sonntags auf der Heide, und ich führte ihm das neue Transportgerät vor. Dr. Rüedi war begeistert und bestellte bei mir drei Kanadier nach meiner Ausführung für die SAC-Rettungsstation Davos. So begann ich mit der Konstruktion der ersten Kanadier, die in der Schweiz fabriziert wurden. Der Originalkanadier bestand aus Brettchen von 5 mm Dicke aus einem Fremdholz ( Buchsholz ?). Diese Brettchen waren am Vorderende aufgebogen, das hintere Ende wies keine Aufbiegung auf. Als ich die ersten Schlitten konstruierte, erhielten dieselben am Kopf- und Fussende eine Aufbiegung. Ich ging dabei vom Gedanken aus, dass im Notfalle beide Teile verlängert durch Ski für den Transport von je einem Verletzten verwendet werden könnten. Ich gab mich aber mit dieser Neukonstruktion nicht zufrieden, sondern versuchte, den Schlitten immer wieder zu verbessern und als Mehrzwecktransportgerät auszubauen.
Durch Anbringen von Holmen konnte der Schlitten als Tragbahre verwendet werden. Später erreichte ich durch Montage eines Rades am Vorderteil, dass der Kanadier auch als Rollbahre zu gebrauchen war.
Alle diese Konstruktionsarbeiten erforderten viel Arbeit, Mühe und grosse finanzielle Opfer. Dazu kamen bei der Einführung und dem Absatz des Schlittens Widerwärtigkeiten anderer Natur hinzu, die mich betrübten und mich einige Jahre später veranlassten, die Fabrikation einzustellen und den Entscheid, ob mein .Kanadier'ein taugliches Rettungsgerät sei oder nicht, kommenden Zeiten zu überlassen. » So Schloss Fred Lindenmann seinen Bericht.
Lebenslauf des Konstrukteurs Der Konstrukteur des Kanadier Rettungsschlittens, Alfred Lindenmann, Bürger von Fahrwangen ( Aargau ), wurde am 29. Januar 1881 in Fehraltdorf ( Kt. Zürich ) als Sohn des dortigen Pfarrers geboren. Bis nach Absolvierung der 3. Sekundarschulklasse blieb er an seinem Geburtsort. Später absolvierte er das Technikum Winterthur als Maschinentechniker. In der kantonalen Metallarbeiterschule erwarb er sich ausserdem das Diplom als Feinmechaniker. Nach einer ersten Stelle bei Bosshard & Co. in Näfels ( Brückenbau ) kam er zu Prof. Löhle, Brücken- und Hochbau, nach Zürich und erstellte später als Montageleiter die neue Werkstätte in Kloten. 1903 wurde Lindenmann auf das technische Bureau der Ober-telegraphendirektion in Bern gewählt, wo er bis 1909 blieb. In dieser Zeit lernte er skifahren und wurde Mitglied der SAC-Sektion Bern. Im Januar 1907 führte er mit vier Kameraden 1 Dr. med. Th. Rüedi, Ohren-, Nasen- und Halsspezialist, geb. 1871, t 1943, langjähriger, initiativer Präsident und Rettungschef der SAC-Sektion Davos.
eine Skitour über Gampel—Kippel—Lötschenlücke—Ebene Fluh—Konkordia—Grünhornlücke-Finsteraarhornhütte und bei Schneesturm über Oberaarjoch—Grimsel nach Guttannen aus. Das war, gemessen am damaligen Stand der Skitechnik und Winteralpinistik, eine beachtliche Leistung. 1909 von Bern auf die Kreisdirektion der PTT in Chur versetzt, hat Lindenmann als Baudienstchef die gesamten Linien dieser Region umgebaut oder erweitert. Seine Spezialität war der Bau der Berg- und Klubhütten-Telephonleitungen. In seiner Freizeit konstruierte er eine Skibindung, welche in Deutschland patentiert wurde, dann die Lindenmann-Lawinen-sonde ( ein ganz vorzügliches Sondiergerät, das heute viel verwendet wird ), dann die SOS-Telephonkasten ( ges. geschützt ), wie sie auf den Alpenstrassen zu finden sind. Er entwickelte ferner ein Normal-Weitspannsystem für Telephonleitungen, erfand eine Spezialrakete für den Schnurtransport über Schluchten zur Ausführung von Weitspannleitungen und dazu einen Haspel, der es ermöglicht, 200 Meter Schnur per Sekunde abzuwickeln. Ferner hat Lindenmann das System einer Winterwegmarkierung erfunden, das jederzeit eine Standortbestimmung ermöglicht und im Hochwang- und Piz-Sol-Gebiet Verwendung fand. Ein Beinbruch, den er bei einem Skirennen erlitt, veranlasste ihn zur Konstruktion des Kanadier Rettungsschlittens, die von ihm nicht nur viel Mühe, Arbeit und finanzielle Mittel forderte, sondern ihn auch mit Enttäuschungen und Widerwärtigkeiten belastete. Wenn ihm die Entwicklung dieses heute in der Schweiz überall verwendeten Rettungsgerätes damals nicht den erhofften Erfolg brachte, so wurde seine Arbeit und seine Pioniertätigkeit auf dem Gebiet des Winteralpinismus doch anerkannt. Lindenmann wurde in die Bergführerkommission des Kts. Graubünden und des CC des SAC gewählt. Die Sektion Rhätia des SAC und der Skiklub Chur würdigten seine Verdienste durch seine Ernennung zu ihrem Ehrenmitgliede. Nach Erreichen der Altersgrenze verlegte Fred Lindenmann seinen Wohnsitz nach Oberrieden.
Der « neue » Kanadier Schlitten Wie wir hörten, war im Streit der Meinungen über die verschiedenen Rettungsschlittensysteme der Arzt und Alpinist Dr. Th. Rüedi in Davos ein überzeugter und tapferer Verfechter der Idee Lindenmanns. Die von der SAC-Rettungsstation und dem Skiklub Davos angekauften « Kanadier » leisteten in der Folge dann auch gute Dienste, bis sie durch eine etwas abgeänderte Konstruktion ersetzt wurden. 1924 entwarfen Mr. Edlin ( England ), Dr. med. de Bumann ( Arzt in Davos ) und der Möbelschreiner Rossberg ( Möbelfabrik Rossberg, Davos ) die Pläne zu einem « Kanadier », bei welchem auf die Zweiteilung und die Aufbiegung am Schlittenende verzichtet wurde. Dieses Modell wurde dann nach verschiedenen Umänderungen von der Firma Rossberg hergestellt und von 1928 an verwendet. Ungelöst blieb vorläufig das Führungs- und Bremssystem dieses aus drei Eschenkufen, Querverstrebungen und Sperrholzplatten bestehenden, vorn aufgebogenen « Brettes », das mit einigen Laschen zum Durchziehen von Seilen versehen war.
Als am 30. Dezember 1930 der nachmalige Chefpatrouilleur des Parsenndienstes, Hans Marguth, seinen ersten Verletzten - es war der bekannte Baron von Mumm, im Volksmund der « Champagner-Mumm » genannt -, der einen Beinbruch erlitten hatte, von der Parsennfurka über mehr als tausend Meter Höhendifferenz nach Küblis transportieren musste, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Skistöcke durch die an der Vorderaufbiegung des Schlittens angebrachten Laschen zu stecken und dieselben als Zug- und Führungslanden zu verwenden. Das Töchterchen des Barons versuchte indessen, an einem Rückhaltestrick zerrend, die fehlende Bremseinrichtung zu ersetzen, um ihren Vater vor dem « Durchbrennen » oder seitlichem Abrutschen am Steilhang zu bewahren.
Marguth ist diese erste « Kanadierfahrt » - von 496 Verletztentransporten, die er während seiner Dienstzeit als Parsenn-Rettungsmann durchführte - als die schwerste in lebhafter Erinnerung geblieben.
Der « Parsenn-Kanadier » Die beim geschilderten ersten Transport gemachten Erfahrungen veranlassten den Parsennpatrouilleur Marguth zur Erfindung einer Halbimprovisation mit Zugstangen, für welche die Ski des Verletzten und die Stöcke des Schlittenführers und des Patienten verwendet wurden, die eine sehr gute Führung und Lenkung des Schlittens ermöglichen. Ausserdem wurde eine Segeltuchtasche an der Vorderaufbiegung befestigt zur Aufbewahrung von Seilen für das Aufbinden des Verletzten und zur Verwendung als Rückhaltestricke. In dieser Tasche befand sich auch eine « Montageanleitung » für Benutzer des Schlittens, die mit dessen Gebrauch nicht vertraut waren. Das war oft der Fall, wenn eine Touristenpartie für den Abtransport eines verletzten Kameraden einen auf der Route deponierten « Kanadier » benützte. Um diese « Depotschlitten » im Schneegelände weithin sichtbar zu machen, wurden sie mit einer leuchtend roten Farbe gestrichen. Dadurch wurde auch ein Schutz gegen die Witterungseinflüsse dieses im Freien aufgestellten Rettungsgerätes erreicht.
Eine weitere Sorge war der Kälteschutz des Patienten. Wolldecken erwiesen sich als ungenügendes Isolationsmittel und nützten sich ausserdem rasch ab. Lindenmann hatte sich mit diesem Problem seinerzeit auch beschäftigt und verwendete den sogenannten « Kieler Sack ». Diese Bezeichnung stammt jedenfalls von dessen ursprünglicher Verwendung im See-rettungsdienst her. Wahrscheinlich wurden damit Kranke oder Verletzte vom Schiff in kleine Boote hinuntergelassen und mit diesen an Land gebracht. Nach langen Versuchen mit den verschiedensten Stoffen führte die Idee Lindenmanns, eine Segeltuchumhüllung mit Woll-deckeneinlage zu benützen, zur Schaffung der Transportdecke « Modell Parsenndienst », die nicht nur einen wirksamen Kälteschutz des Patienten ermöglicht, sondern auch sehr widerstandsfähig gegen Witterungs- und Abnützungseinfiüsse ist. Auf die Anbringung des modernen Reissverschlusses wurde aus praktischen Gründen verzichtet. Einige an der Decke angebrachte Verschlusshaken, die eine Verschnürung erleichtern, erfüllen den gleichen Zweck und sind gegen Kälte und Vereisung weniger empfindlich.
Im Zuge der Weiterentwicklung wurde der Schlitten mit Landen aus Eschenholz versehen. Auf Grund unserer Erfahrung verwenden wir dieses Modell hauptsächlich für Materialtransporte. Die Halbimprovisation mit Ski und Stöcken erlaubt besonders auf schwierigen Strecken eine sicherere Führung des Schlittens und federt Stösse, bei genügender Stabilität für die Lenkung, viel besser ab als die starren, harten und deshalb weniger elastischen Eschenlanden. Der Verletzte wird durch die Verwendung der Halbimprovisation besonders auf harten Pisten und Waldwegen vor Erschütterungen und Stossen besser geschützt und schonender transportiert.
Bremssystem und Schutzvorrichtung gegen seitliches Abgleiten Ungelöst blieb das Bremssystem des Schlittens vom Zeitpunkt seiner ersten Konstruktion ( 1913 ) bis anfangs der vierziger Jahre. Man behalf sich damit, dass der Rettungsmann, der den « Kanadier » führte, in Stemmstellung oder mit quer zum Hang gestellten Ski in der Fallirne abrutschend, eine Bremswirkung zu erzielen versuchte. Da dieses System keine genügende Sicherheit bot, mussten ein oder mehrere Gehilfen mit am hintern Schlittenende befestigten Rückhaltstricken versuchen, eine genügende Fahrthemmung zu erzielen. Gewöhnlich aber blieb es beim Versuch. Denn diese Tätigkeit führte zu Stürzen und damit - gewöhnlich gerade in schwierigen Situationen - zur Ausschaltung des Bremsers. Wir erlebten es mehrmals in militärischen Instruktionskursen während des Aktivdienstes, dass Schlitten mit Verletzten, auf diese Weise führerlos geworden, allein abglitten. Da aber in der Regel der führerlose Kanadier nach kurzer Fahrt mit seinen Landen in den Schnee einsteckte, der Stoss dadurch gedämpft wurde und dann anhielt, verliefen diese Betriebsunfälle stets ohne Schädigung der auf dem Schlitten festgebundenen Personen.
Nach viele Jahre dauernden Versuchen, das Bremssystem zu verbessern, gelang dann den Parsennpatfouilleuren 1942 die Lösung dieses Problems auf eine ganz einfache Art und Weise. Nach einer versuchsweisen Anwendung von « Unterlagestricken » wurden Bremsketten verschiedener Stärke ausprobiert. Als die zweckentsprechende Dimension der Kettenglieder gefunden war ( mit zu feinen Ketten wird eine ungenügende Bremswirkung erzielt, grobgliederige « reissen » ), musste nur noch die Befestigungsart auf Grund praktischer Versuche gefunden werden. Nachher war es leicht, durch Niederdrücken oder leichtes Heben des Schlittenvorderteils das Fahrtempo beliebig zu regulieren, und die bisherigen « Bremser-gehilfen » konnten in den Ruhestand treten.
Trotz dieser namhaften Verbesserung hatte der « Kanadier Rettungsschlitten » noch seine Tücken. Sie traten besonders in der Traverse an hartgefrorenen, sehr steilen Hängen in Erscheinung. Der Schlitten rutschte seitlich ab. Versuche mit langen, über die Eschenkufen etwas vorstehenden Stahlkanten scheiterten. Der Schlitten liess sich in den Kurven nicht mehr oder nur unter grosser Kraftanwendung in die neue Richtung abdrehen. Da erinnerten wir uns an Oberst Bilgeri, den Pionier des Skilaufs auf zivilem und militärischem Gebiet in Österreich, den die heute älteste Generation der Alpinisten und Skifahrer nicht nur in seinem Heimatland, sondern auch in der Schweiz noch persönlich kannte. Bilgeri hatte, längst bevor die Stahlkanten fabriziert wurden, an seinen Ski von ihm hergestellte Harscheisen als Schutz vor dem seitlichen Abgleiten verwendet. Nach dem Siegeszug der Fiber-, Blau- und Stahlkanten waren sie in Vergessenheit geraten und feierten nun nach Jahrzehnten ihre Wiederverwendung als ganz vorzüglicher Schutz des Kanadier Schlittens gegen das seitliche Abgleiten. Sie weisen dank ihrer gutdurchdachten Befestigungsart den weitern Vorteil auf, dass sie mit einem Griff rasch montiert und weggenommen werden können. Am Schlitten aufgeschraubte Eisen vermögen sie nicht zu ersetzen. So hat auch Oberst Bilgeri, dessen sterbliche Hülle längst auf dem Friedhof von Bregenz ruht, seinen Teil zur letzten Vollendung des Kanadiers beigetragen.
Obwohl es nicht zu den Transport-, sondern zu den Fixationsgeräten gehört, möchten wir hier noch ein Requisit erwähnen, das beim Verletztentransport mit dem Kanadier vorzügliche Dienste leistet. Der Erfinder war der heute auch längst nicht mehr unter den Lebenden weilende schweizerische Armeekorpsarzt Oberst Dr. med. Dubs. Dieses für Unter-, Ober- und Schenkelhalsbrüche dienende Fixationsgerät kann mit oder ohne Führungs-schiene beim Transport eines Verletzten auf dem Kanadier Schlitten verwendet werden. Der Parsennrettungsdienst verwendet diese Extensionsschiene, die auch während der Fahrt, ohne den Patienten umzulagern oder die schützende Decke zu öffnen, in ihrer Zugwirkung reguliert werden kann, seit dem Jahre 1937. 636 Verletzte mit Unter- oder Oberschenkelfrakturen wurden mit derselben über Höhendifferenzen von 1000 und mehr Metern und Horizontaldistanzen bis zu 10 km bei oft sehr schwierigen Schnee- und Geländeverhältnissen transportiert. Nicht nur die Patienten, sondern auch die behandelnden Ärzte haben sich ausnahmslos in lobendem Sinne über dieses Fixationsgerät geäussert, so dass aus der praktischen Erfahrung heraus festgestellt werden kann, dass die Dubs-Extensionsschiene ein ganz vorzügliches Requisit für den Transport von Skiverunfallten ist.
Verwendung des Kanadier Schlittens in der Armee Als die ersten Lawinenkurse der schweizerischen Armee im Winter 1939/40 in Davos durchgeführt wurden, erhielten der Chef des Parsenndienstes, Major Jost, und eine Anzahl der ältesten und erfahrensten Patrouilleure das Aufgebot, als Instruktoren für erste Hilfeleistung, Transport von Verletzten im winterlichen Gebirge, Minenwerferschiessen, Lawinensprengungen und Lawinenrettungsdienst einzurücken. Gleichzeitig wurde ein Teil des Rettungsmaterials des Parsenndienstes durch die Armee requiriert. Darunter waren auch 12 Kanadier Rettungsschlitten. Schon in den ersten Kursen stellten die zuständigen Kommandanten und Experten fest, dass sich die Kanadier Schlitten sowohl für Verletzten- als auch für Materialtransporte zu Armeezwecken eigneten. Auf Grund dieser Ergebnisse erfolgte vorerst durch das Kommando der Gebirgsbrigade 12, später durch die Eidgenössische Kriegsmaterialverwaltung die Bestellung von Kanadier Schlitten, welche die Firma Ettinger Söhne, Skifabrik, Davos, ausführte. Hunderte von Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten wurden in der Führung dieses Transportgerätes geschult. Ausser für den Verwundetentranspoit wurde der Schlitten zur Beförderung von schweren Maschinengewehren, Minenwerfern, Infanteriekanonen, Munition, Korpsmaterial und Verpflegung verwendet. Auch dafür leistete er, mit Landen versehen, vorzügliche Dienste.
Aber nicht nur in der schweizerischen Armee wurde dieser Schlitten eingeführt. Jacques Ettinger, der bekannte Skischulleiter von Davos, hatte Gelegenheit, denselben während des Weltkrieges in der argentinischen Armee vorzuführen, die sich entschloss, dieses Modell zu verwenden. Auch das schweizerische Grenzwachtkorps rüstet seine Posten im Gebirge mit dem Kanadier aus.
Rückblick und Ausblick Wohl kaum über ein alpines Rettungsgerät wurde so viel diskutiert und gab es so viel Meinungsverschiedenheiten wie über die verschiedenen Systeme von Schlitten für den Ver-letztentransport. Auch heute noch werden jedes Jahr neue Konstruktionen fabriziert, empfohlen und versucht, in den Handel zu bringen. Darunter gibt es auch einzelne zweckmässige Modelle, wie z.B. den vom Österreichischen Bergrettungsdienst eingeführten und von der Firma Gebr. Köllensperger in Innsbruck fabrizierten Bootschlitten ( Gebirgs-Akja ). Einen ähnlich konstruierten « Akja » verwendet auch die Bergwacht des Bayerischen Roten Kreuzes. Der Hunger-Dr.Gut-Schlitten steht heute auch noch im Engadin und andernorts im Gebrauch. Es würde zu weit führen, in diesem Berichte sich über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Systeme auszusprechen. Zusammenfassend wollen wir aber über den Kanadier Rettungsschlitten folgendes festhalten:
- Dieser Schlitten wurde in der praktischen Verwendung genügend ausprobiert, um zu sichern Schlüssen über seine Zweckmässigkeit zu gelangen. Der Parsenn-Rettungsdienst verwendet ihn seit 1929 und hat damit in 28 Wintern 4010 Verletzte über 1000 und mehr Meter Höhendifferenz rasch und sicher ins Tal transportiert.
- Ein Kanadier Schlitten hält durchschnittlich 150 Transporte über grosse Höhendifferenzen, in schwierigem Gelände, harten, vereisten Pisten, Wald und auf Holzwegen aus, ohne dass grössere Reparaturen notwendig werden.
- Der Verletzte liegt gut und genügend gegen Kälte und Erschütterungen geschützt auf dem Schlitten. Harte Stösse infolge Anfahrens an Steine, vom Schnee bedeckte Wurzeln und Baumstrünke werden durch seine Elastizität abgeschwächt.
- Für den Transport eines Verletzten genügt ein Rettungsmann, wenn er die notwendige praktische Erfahrung in der Führung des Schlittens hat.
- Die Einführung des « Kanadier Schlittens » in der Schweizer Armee dürfte ein weiterer Hinweis auf seine gründliche Erprobung und Zweckmässigkeit sein.
- Anlässlich der « Journées Internationales de Traumatologie du ski » in Courchevel ( Savoyen ) im Frühjahr 1954 wurden von 19 Rettungsmannschaften der Alpenländer Schlitten der verschiedensten Systeme vorgeführt. In der Kategorie A ( Rettungsschlitten durch einen Mann geführt ) sprach die Jury, die aus 20 Ärzten und erfahrenen Alpinisten bestand, der Equipe, welche den « Kanadier Schlitten » verwendete, die Bestleistung zu.
Wie sich die verschiedenen Rettungsschlittensysteme in den nächsten Jahrzehnten bewähren, wird die Zukunft zeigen. Zu Beginn unseres Jahrhunderts war es noch ein lebensgefährliches Unternehmen, sich den damals verwendeten Flugzeugen anzuvertrauen. Heute fliegen Tausende von Passagieren sicher in komfortablen Maschinen über die Alpen und Ozeane.Vielleicht wird es eine Zeit geben, wo die heute verwendeten Rettungsschlittensysteme alle ebenso veraltet sind wie die Flugzeuge von 1910. Der Männer aber, die sie mit unsäglicher Mühe, Ausdauer und schweren persönlichen Opfern schufen und weiterentwickelten, darf die Nachwelt immer in dankbarer Verehrung gedenken!