Das neue Klettergebiet am Grimselsee Eldorado
Mächtig streben sie zum Himmel, die vom Gletscher glattgeschliffenen Granitwände am rechten (nördlichen) Ufer des Grimselstausees. Hier finden wir ein wahres Freikletterparadies!
Der lohnendste Zugang zum Grimselpass und -see führt wohl durch das Haslital. Mehr als der namengebende Haselstrauch prägt wilde Schönheit der Felsen die Berner Seite. Kurz nach Guttannen, dem letzten Dorf, wo man einkaufen kann, führt die Strasse in phantastische Schluchten hinein. Doch zunächst taucht vor uns eine weitläufige Kraft-werkanlage mit ihren stählernen Masten, Staudämmen und Seilbahnen auf, Zeuge unserer energiehungrigen Zeit: jährlich werden hier an die eineinhalb Milliarden Kilowatt produziert...
Die Handegg... Fast unmittelbar am Fuss der gleichnamigen berühmten Plattenschüsse befindet sich ein beliebter Treffpunkt der Sportkletterer. Man campiert zwar in einer in ihrer <Modernität> beinahe barbarisch anmutenden Umgebung: just neben dem Kraftwerk-gebäude und entlang der Passstrasse, im gelegentlichen Getöse heftiger Sprengungen -es wird nämlich tüchtig weitergebaut. Nun, der Ort hat auch einen wesentlichen Vorzug: der Aufenthalt ist gratis, eine Seltenheit in unserer <wohlgeordneten> Schweiz. Noch etwas: das Hotel Handegg ( auch Handeck geschrieben ) ist preiswert und die Bedienung freundlich, Eigenschaften, die von den Kletterern geschätzt werden.
Als Tummelfeld für Kletterer ist die Handegg schon seit einiger Zeit ein Begriff. Uns hat sie den Zugang zur weiteren Erkundung der Umgebung eröffnet, zählen doch die drei Klettertage in diesen herrlichen Platten zu unseren glücklichsten Entdeckungen des Sommers 1980. Erinnern wir noch daran, dass eine Deutschschweizer Gruppe, allen voran der unermüdliche Hans Howald, dieses prächtige Freiklettergebiet erschlossen und bekanntgemacht hat. Von Anfang an wurde hier alles frei geklettert. Das Ziel, einen Gipfel zu erklimmen, musste dem <Wie> weichen, das man so zum Selbstzweck erhob.
Die Routen der Handegg sind tadellos ausgerüstet und bieten vor allem Reibungskletterei. Man hat sich allerdings schon dahingehend geäussert, es fehle ihnen an Abwechslung, ja sogar sie seien monoton. Unseres Erachtens tut aber die Gleichförmigkeit ihrer Schönheit keinen Abbruch. Für unseren Geschmack sind ein <Boulder-Highway> oder ein ( Siebenschläfer ) schlechthin vollkommen und wir zollen unseren Vorgängern höchste Bewunderung. Wir glauben auch, dass jeder wahre Kenner so urteilen wird.
Angeregt durch das Beispiel der Handegg-Entdecker und verführt durch ihre verlockenden Routen kommen wir nicht vom Gedanken los, etwas Ähnliches zu vollbringen. Wieder einmal helfen unsere stets verständnisvollen Eltern bei der Suche nach dem geeigneten Ort und durchstreifen mit aufmerksamen Blicken die Alpentäler. Unser Vater, selbst ein eifriger Berggänger und Kenner des Berner Oberlandes, hat bereits etwas im Auge. So sind wir nicht überrascht, als uns die Mutter nach einem ihrer gemeinsamen Ausflüge in gewohnter Manier die erfreuliche Nachricht mitteilt: Wir haben grosse und viel zu glatte Platten gesehen, unmöglich für euch...
Unser Vater präzisiert jedoch: Diese Platten sind denen der Handegg ähnlich, weisen aber mehr Risse auf; allerdings durchzieht kein einziger eine ganze Wand: samt und sonders sind sie kurz und gegeneinander versetzt. Phantastisch! meint er zum Schluss, und ein vielsagendes Schmunzeln huscht über sein Gesicht.
Die mächtigen Platten befinden sich auf der rechten (nördlichen) Seite des Grimselsees und tauchen stellenweise ins Wasser ein. Wie wir später erfahren, ist das Gebiet in Kletterkreisen schon längst bekannt, und zahlreiche Anwärter haben ebenso zahlreiche Möglichkeiten geprüft.
Ganz verschiedene klimatische Einflüsse prallen hier aufeinander. Im allgemeinen bewirkt die Nähe des Gotthards, der ( Dachrinne ) der Schweiz, ein eher rauhes und wechselhaftes Wetter, doch dem Stausee entlang vermag sich glücklicherweise ein recht mildes und ruhiges Lokalklima durchzusetzen. Auf einem Felssporn knapp unterhalb der Passhöhe auf der Nordseite thront das Grimsel-Hospiz. Übrigens: man denke daran, dass der Pass während sieben bis acht Monaten im Jahr für den Fahrzeugverkehr geschlossen ist, womit das Gebiet in einen tiefen Winterschlaf versinkt.
Allfällige Kletterer werden einladende Biwakplätze am See und in Bachnähe finden. Wir müssen aber darauf aufmerksam machen, dass wir uns in einem Naturschutzgebiet befinden, eine klare Aufforderung an alle Bergsteiger und Wanderer, keinen Schaden anzurichten, insbesondere keine Abfälle liegenzulassen. Auch eigentliches Campieren ist nicht gestattet.
Anfangs Juli 1981 stehen mein Bruder und ich beim Grimsel-Hospiz, mit Feldstecher und einem Minimum an Kletterausrüstung versehen. Es herrscht prächtiges Wetter, und wir wollen die uns gegenüberliegenden Wände nach möglichen Routen absuchen. Wir folgen dem angenehmen Uferpfad Richtung Lauteraarhütte. Er beginnt allerdings eher befremdlich: ein Betonlabyrinth, ein Steg über die Staumauerkrone, ein kurzer Tunnel - bis endlich der Weg wieder in die freie Natur hinaus und zum See hinab führt. Links und rechts des Pfads findet sich hier eine für die Höhe von über 1900 Metern vielfältige Flora. Wir entdecken jedenfalls mehr als eine seltene Art: die Drosera anglica ( englischer oder langblättriger Sonnentau ), eine im Torfmoor heimische Pflanze; die Gymnadenia albida ( weissliche Handwurz ), die wir von den Alpweiden her kennen; die Centaurea Rhapontcum ( Riesen-flockenblume oder Alpenbergscharte ), welche typischerweise in Geröllhalden vorkommt; selbst einige Bäume - Föhren und Birken -treffen wir an. Auch Frösche haben in der feuchten Erde über dem Granituntergrund einen idealen Lebensraum gefunden. Mehr als einmal hüpft uns ein Exemplar zwischen den Beinen hindurch und lässt uns auffahren. Des weiteren bevölkern Füchse und Murmeltiere sowie zahlreiche Gemsen die Gegend.
Ein eineinhalbstündiger Marsch vorbei an fast horizontal verlaufenden Platten bringt uns an den Fuss einer aussergewöhnlichen Wand, einer Traumwand...
Also machen wir es uns im feinen Ufersand bequem - der Seespiegel ist tief - und begut- achten jede Einzelheit dieser faszinierenden unberührten Wand, die sich in einem einzigen Schuss 500 Meter aufschwingt.
Um uns mit dem Fels, der übrigens von hervorragender Qualität ist, vertraut zu machen und um unsere Ungeduld zu dämpfen, unternehmen wir einen ersten Versuch entlang einer sich aufdrängenden Linie in der linken Wandhälfte. Es handelt sich um eine Folge schöner Verschneidungen und Risse, in deren Grund manchmal Gras wächst. Glatte, aber nicht überaus steile Platten erlauben ein gutes Vorankommen. <Genesis> taufen wir diese erste Route, in Anlehnung an die Bibel. Ihr Ausstieg befindet sich wenig links vom höchsten Punkt der Wand. Feine Risse und Unebenheiten im Fels erleichtern die ausgesprochene Reibungskletterei, verlangen aber vom Kletterer eine variantenreiche Körperbeherrschung.
Während des Aufstiegs haben wir mit Sperberaugen die übrige Wand abgesucht, wo sich weitere verlockende Möglichkeiten abzeichnen. Wieder unten am See angelangt, gehen wir auf einen Sprung zum Hospiz zurück, um die vollständige Kletter- und Biwakausrüstung herbeizuschaffen. Fast können wir den Morgen nicht erwarten, so kribbelig sind wir!
Strahlendes Wetter, kein Wölkchen weit und breit, so beginnt der denkwürdig schöne Klettertag des 7. Juli 1981... Es wird aber nicht bei diesem einen bleiben. Ruhig und mit der gebührenden Sorgfalt gehen wir die grosse Wand an, der wir den etwas pompösen Namen ( Dôme de l' Eldorado ) verliehen haben. Mit ein paar Haken und einem Spiel Klemmkeile ausgerüstet, steigt mein Bruder als erster ein und folgt einer magischen Linie von Rissen und Verschneidungen. Ein markantes Dach umgehen wir rechts, müssen dabei aber eine völlig glatte Platte mittels reiner Reibungstechnik, ohne dass uns unser Material irgendwelche Hilfe oder Sicherheit bieten kann (der Bohrhaken an dieser Stelle wurde später platziert).
Weiter oben kommt eine Verschneidung von atemberaubender Schönheit. Nur im Traum oder auf ein paar seltenen Photos haben wir schon etwas derartiges gesehen. Die Schwierigkeiten steigen bis zum äussersten - endlich, linkerhand der Verschneidung öffnet sich ein Riss, der eine Verschnaufpause gewährt und uns ermöglicht, einen Stand einzurichten. Dann legt sich die Wand etwas zurück und die Schwierigkeiten nehmen ab. Zauberhaft, fast unwirklich schön ist das bunte und im Sonnenlicht schillernde glattpolierte Gestein.
Die weitere Routenwahl stellt keine Probleme. Zwei grosse Seillängen in einer Rissverschneidung erfordern jedoch einen gewissen Schwung; eine recht athletische, aber keineswegs mühsame Kletterei.
Plötzlich gibt uns der Weiterweg ein schwieriges Rätsel auf: Yves versucht, den Durchstieg zu erzwingen und folgt einem Riss, der sich aber in einer Platte verliert, die für Reibungskletterei zu steil ist. Ohne Bohrhaken oder (Copperheads) scheinen wir tatsächlich aufgeschmissen zu sein - bis sich doch noch ein Türchen auftut: ein anspruchsvoller und heikler Rechtsquergang an einer steilen Wandstufe. Weiter oben entdecken wir eine Art Tropfenlöcher im Granit, sind aber zu sehr mit dem "Wie weiter?" beschäftigt, als dass wir die unerwartete Erscheinung gebührend hätten würdigen können. Schliesslich neigen sich die glatten Platten merklich zurück und gestatten ein fast erholsames Weitersteigen.
Der letzte Aufschwung führt uns zu einem Ausstieg voller Überraschungen. Zuerst zwingt uns ein ganz verrückter Riss, Finger und Hände zu verklemmen, worauf sich das nachfolgende kleine Dach elegant umgehen lässt; und so geht es weiter... man möchte vor Lust jauchzen! Innert 10 Stunden und mit einer Handvoll Haken ist es uns damit gelungen, unsere schönste Route zu erschliessen; und dies in einem Stil, der uns soviel bedeutet: Ein einmaliges Erlebnis!
Berg und Musik stehen in einem harmonischen Verhältnis zueinander. Entsprechen die Gesten und Bewegungen des Kletterers am Fels nicht einer Art Ballett in der Vertikalen?
Schöne Kletterei ist gleichbedeutend mit kompaktem und schwierigem Fels: ( hard rock> und just so nennt sich unsere Lieblingsmusik! Aus diesem Grund taufen wir die Route zu Ehren unserer augenblicklich bevorzugten Gruppe <Motörhead>. Auf unsere Weise grüssen wir so, am 23. Juni 1981, ihre neue LP, eine verrückte Musik, verrückt wie unsere Kletterroute. Auf dem <Gipfel> des Dôme de l' Eldorado essen wir ein paar Früchte und geniessen einen Augenblick der Ruhe angesichts der majestätischen Kulisse der Berner Alpen mit ihren beiden herausragenden Gipfeln, dem Lauteraarhorn und dem Finsteraarhorn, zwischen denen sich eine gewaltige Kette erstreckt. Dort, auf jenem letzteren Gipfel wachsen auf fast 4200 Metern die höchsten Blumen der Alpen.
Der Abstieg geht zügig und problemlos über eine Rampe auf der rechten Seite. Am Fuss der Wand, gerade oberhalb des Pfades, entdecken wir einen mächtigen Felsblock: ein idealer Biwakplatz in einer nicht minder grossartigen Umgebung.
Am nächsten Tag nehmen wir 's gemächlicher und folgen der klaren Linie der Simple-Solution-Route. Sie verläuft in der Mitte des Eldorado und bietet ein paar schöne, nicht allzu schwierige Seillängen. Wir sind uns des Glücks wohl bewusst, hier sein zu dürfen - allein in dieser grossen Wand, inmitten des - noch - beschaulich-heiter anmutenden Oberlandes. Wir denken dabei auch kurz an die Pioniere, die die hohen Gipfel bezwungen haben. Heute gelten wohl andere Spielregeln, aber - und das ist die Hauptsache - das Gefühl der Freiheit bleibt sich gleich.
Später eröffnen wir weiter links die Route ( Eagle Rock ), die zwar weniger schön, da manchmal von grasigen Partien unterbrochen, für uns jedoch untrennbar mit der Erinnerung an ein über uns kreisendes Adlerpaar verbunden ist. Eine beeindruckende Begegnung, die sich an der nämlichen Stelle noch mehrmals wiederholt hat.
Etwa 25 Minuten vom Hospiz entfernt, rechts des grossen Wasserfalls, der von einer Zuleitung in den Grimselsee gespeist wird, erhebt sich der weniger bedeutende <dôme>-Führe den Vorzug gibt. Die gesamten 250 Meter sind ausgerüstet und bieten zweifellos einen lohnenden Aufstieg. Es ist aber angezeigt, sich vorher etwas aufzuwärmen, denn die erste - und schwierigste - Seillänge erfordert Entschlossenheit und geht nicht ab ohne schmerzhaftes Verklemmen der Fingerspitzen.
Ein grosszügiger Sportartikellieferant lässt sich von unseren Berichten und Diapositiven für das Klettergebiet begeistern und übernimmt weitgehend die Materialkosten. Die sorgfältige Ausrüstung einer Route mit dem Ziel, grösstmögliche Sicherheit zu gewährleisten, erfordert einen beträchtlichen Aufwand. Die Arbeit ist mühselig und verlangt Geduld. Wo immer möglich verwenden wir Klemmkeile. Wo sich aber solche oder gewöhnliche Felshaken nur schlecht anbringen lassen, müssen wir zu Bohrhaken greifen, normalerweise zur grosskalibrigen Ausführung ( M 10 mit einer Bruchlast von 2 t ). Während eines Kontrollgangs im Jahr 1982 können wir allerdings - zu unserer nicht geringen Überraschung - verschiedene Haken mit Leichtigkeit herausziehen. Haken, die wir im Vorjahr doch tadellos geschlagen haben. Wir schreiben dies dem in den Rissen niederrinnenden Wasser und den Temperaturschwankungen zu. Wir finden aber auch offensichtlich von Stürzen verformte Haken, weshalb wir noch vermehrt die viel sichereren Bohrhaken plazieren.
Wenn keine besonderen Schwierigkeiten auftreten, benötigt man etwa eine halbe Stunde, um einen Bohrhaken anzubringen. Nicht selten erfordert das Schlagen eines einzigen Loches zwei oder gar drei Bohrdübel, derart hart ist dieser Granit! Nun, um die Routen am Grimselsee zu eröffnen und auszurüsten, bringen wir zusätzlich zu den Felshaken mehr als 130 Bohrhaken an, dies in den beiden Sommern 81 und 82. Wir bitten deshalb die Kletterkameraden, unsere Arbeit zu achten und die Routen ohne Hammer zu begehen. Dies um den Fels zu schonen und der Kletterei ihre ethische und ästhetische Vollkommenheit zu bewahren.
Eifrig, ja beinahe besessen fahren wir mit der Erforschung unseres Klettergebietes fort. Während der Sommer 81 und 82 eröffnen wir insgesamt über 60 Routen, allein 25 davon am Grimselsee.
Im August 1981 erschliessen wir nicht ohne Mühe unsere zweite Prachtroute, die ( Septumania>, die mit einer Reihe recht ungewöhnlicher wannenförmiger Einbuchtungen im Fels beginnt. Fast fünf Tage beansprucht das Unternehmen: die erste Durchsteigung, die Ausrüstung und die undankbare Aufgabe der Reinigung. Dieser letzte Arbeitsgang ist nicht leicht, gilt es doch, die losen Steine wegzuräumen und manchen Riss von allzu üppiger Vegetation zu befreien. Im allgemeinen hat jede der bedeutenderen ausgerüsteten Routen des <Eldorado> einen bis zwei solcher Putztage beansprucht. Trotz mehr als dreissig Bohrhaken durchklettern wir die <Septumania> gänzlich frei - welch eine Belohnung! Aber die Sonne verwandelt diese genau nach Süden gerichteten Plattenfluchten in einen Glutofen, was uns beinahe einen bösen Streich gespielt hat. Die intensiv genutzten Klettertage trocknen uns nämlich so vollständig aus, dass wir gezwungen sind, eine Ruhepause einzuschalten.
Wir möchten betonen, dass wir alle unsere Routen am Grimselsee von unten und ohne Erkundung erschlossen haben, was manchmal zu einem - gelinde gesagt - verwirrenden Routenverlauf geführt hat. Auf einem winzigen Absatz stehend galt es bisweilen mehr als eine Stunde lang zu arbeiten und dabei scheussliche Krämpfe auszuhalten, bis ein Bohrhaken sass. Andere Passagen haben demgegenüber eher rasches und exponiertes Klettern erfordert. Manchmal haben wir nach- träglich noch einen Bohrhaken gesetzt, ohne aber die Reinheit der Kletterei zu beeinträchtigen.
Die Angabe der Schwierigkeitsgrade bezieht sich auf die Erstbegehung. Wir haben uns dabei an die traditionelle Skala bis VI gehalten ( was ja schon ganz ordentlich ist !). Man kann nämlich diesem Bewertungssystem seinen Sinn erhalten, wenn man olles frei ) klettert, d.h. auf jeglichen künstlichen Griff oder Tritt verzichtet.
Weitere Routen werden erschlossen. Jedesmal entdecken wir herrliche Seillängen und rüsten einige der schönsten Routen aus. Am ( Dôme de la Marée ) gelingt uns gar die "Eureka", die wir anfänglich für unbegehbar gehalten haben, beginnt sie doch - auf der Höhe des Wasserspiegels - mit einem feinen tückischen und ausgesetzten Riss.
Am <Oubli>-Pfeiler können wir mit Klemmkeilen zwei prächtige Routen frei begehen: die "Uzamati" - so heisst der Indianerstamm, der dem Yosemite den Namen gegeben hat - und die "stay-clean" - bleib sauber.
Im Juli schaffen wir die Königsroute, die "Métal-Hurlant" ( SS +, 500 m ), die wir schon im Vorjahr angegangen haben: eine vom Weg an schlechthin wunderbare Führe. Unverhofft steht uns das Glück zur Seite und zeigt uns, wie wir die grosse Verschneidung dort, wo sie oberhalb der siebten Länge blockiert ist, mit einer sehr eleganten und waghalsigen Plattenkletterei rechts umgehen können ( VI, mit 2 BH auf 35 m ).
Die Geschichte des ( Eldorado ) nähert sich dem Ende. Auf die ins Auge springenden Routen folgt noch die Erkundung der scheinbar unbegehbaren Pfeiler, unter anderen des eher kurzen ( Djamsmodèle ) und des originellen "Marche-ou-crève" (Geh oder stirb), ein treffender Name, der aber nicht durchgehend eröffnet ist. Es sind dies zwei schöne ausgerüstete Varianten der "Septumania". Zum Schluss noch ein paar Leckerbissen: die mächtigen, 500 Meter aufragenden Pfeiler.
Rechts an die Route "Takitorleavit" schliesst der Pfeiler <Woo Li> an. Er ist nicht ausgerüstet, bietet aber mehrere sehr schöne Seillängen, eine davon, im steilen Mittelteil, in künstlicher Kletterei.
Der aussergewöhnliche Aufschwung des Pfeilers "Motörhead" ( ausgerüstet ), bietet dreizehn Seillängen vollkommenster Kletterei. Dann die "Venon" ( AS-, 500 m ), eine Route, die wir beinahe übersehen haben. Zu unserer grossen Überraschung - wir kämpfen gerade mit den Tücken der zweiten Länge - stösst hier eine gleichgesinnte Seilschaft zu uns. Es sind unsere Interlakner Freunde D. Flühmann und B. Hutmacher, die sich schon durch einige Erstbegehungen im Haslital einen Namen gemacht haben. Sie nehmen sich den herrlichen roten Pfeiler zwischen "Simple Solution" und "Radio-Sonde" vor in der Absicht, ihn auszurüsten. Wir hingegen verfolgen mit neuem Elan die "Venon" weiter und erleben eine erstaunliche dritte Länge. Dieser Abschnitt scheint zwar vollständig glatt und steil, weist aber (genau wo es sein muss) richtige kleine Stufen auf, die ein angenehmes Freiklettern ermöglichen. Es folgen eine Dülferstelle, die einem die Finger auszureissen droht, dann ein kleines Dach, das sich mit zwei artif-Schritten (Al) überwinden lässt; übrigens die einzigen der ganzen Route. Beim Emporklimmen entlang einer mächtigen Schuppe erleben wir Augenblicke überbordender Freude, ausgelöst durch die wunderbare Umgebung und das Gefühl der Verbundenheit mit den gleich nebenan kletternden Freunden. Weiter oben erreichen wir mit ein paar heiklen, aber gut gesicherten Schritten etwas weniger steile Platten. Wir gehen noch immer ausschliesslich auf Reibung und bewegen uns ganz nahe an der Rutsch-grenze, auf einem wundervoll rötlich gefärbten Fels.
Angesichts der Unzahl noch zu eröffnenden Routen und der aussergewöhnlichen und im Überfluss vorhandenen Klettermöglichkeiten am Grimselsee beschliessen wir, diesem Gebiet einen Grossteil unserer Freizeit zu widmen. Unsere Suche beschränkt sich deshalb nicht auf die <Eldorado>-Wand. Andere Urgesteinskuppeln ( dômes> ) von allerdings bescheideneren Ausmassen sind ebenfalls schön. Rechts oberhalb des Eldorado findet sich der Dôme de l' Oubli, dessen klare Strukturen uns locken. Seine Höhe beläuft sich auf 200 bis 250 Meter. In Wandmitte zeichnet sich eine mächtige Verschneidung ab. Unmittelbar rechts davon zieht sich ein prächtiger, den Rand zweier Dachüberhänge spaltender Riss empor. Im Handstreich eröffnen wir hier die schöne Route <Les Larmes de Rire>. Nur die schwierige erste Seillänge erfordert das Schlagen von zwei Sicherungshaken. Alle weiteren Kletterstellen lassen sich mit Klemmkeilen absichern, wobei sich die Schwierigkeiten im IV. und V. Grad bewegen. Freikletterei soviel man sich nur wünschen kann! In der Gipfelwand, kurz nach einigen zweifelhaft anmutenden Schuppen, gelangen wir zu einer letzten, sehr ausgesetzten Stelle, verzichten aber zugunsten des sichereren und lohnenden Ausstiegs der <Takitorleavit> auf diesen ( Endspurt ).
Der Grimselsee bietet ebenso schöne wie abwechslungsreiche Kletterei, die niemals mühsam oder beschwerlich ist. Die Routen eignen sich deshalb auch für kleinere und schmächtigere Kletterer, insbesondere für Frauen. Ein solches Gelände ist auch wie geschaffen, wenn nur wenig Zeit zur Verfügung steht - was uns auf eine etwas verrückte Idee gebracht hat...
Am 15. September, bei Tagesanbruch, erklettern wir so rasch wie möglich die "Septumania". Mittels Abseilen gelangen wir wieder zum Fuss der Wand und nehmen uns sogleich die "Motörhead" vor, dann die "Venon" und schliesslich die "Métal-Hurlant". Da wir uns noch in guter Verfassung befinden, wechseln wir das Terrain und setzen am "Dôme de l' Oubli" unsere prächtige Routenabfolge fort. Dann macht sich doch langsam die Müdigkeit bemerkbar, und etwas langsamer ersteigen wir die "Larmes-de-Rire" und zum Schluss die "Uzumati"... Uff! Es wäre noch hell genug um weiterzumachen, aber mehr als 2000 Meter Klettern mit unserer Routenkenntnis als einziger Vorbereitung sind genug. Später, im Oktober, bezwingt Yves die "Septumania" im Alleingang, in etwas mehr als einer Stunde.
Das Gebiet am Grimselsee mit seinen phantastischen Platten aus hartem, kompaktem und vom Gletscher poliertem Granit ist ein Geheimtip für alle Seilschaften geworden, die sich dem modernen Kletterstil verschrieben haben. Es waren viele im Jahr 1982, und es werden bestimmt mehr werden...
Also, Fortsetzung folgt!