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Bergsteigen und Publizität

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VON RUD. SCHATZ, ÖLTEN

Den jungen Bergsteigern wird oft Sensationshascherei vorgeworfen darum, weil dann und wann in der Presse eine Meldung oder gar ein Bericht über ihre Unternehmungen auftaucht. So stellt sich denn die Frage: in welchem Verhältnis stehen Bergsteigen und Publizität zueinander?

Zunächst wird einmal jedermann zugeben, dass es keine « Sportart » gibt, die über eine derartige Publizität verfügt wie das Bergsteigen: Bergbücher gibt es zu Tausenden; die Alpinisten pflegen ihre Vereinshefte, die meist eine weit grössere Bedeutung haben als die Vereinsorgane anderer « Sportarten ». Bergsteigen ist zwar ein « Sport » ohne Zuschauer; wir rühmen uns dessen und freuen uns mit Recht darüber. Gleichzeitig aber beweisen die alpinistische Literatur und das Zeit-schriftenwesen, dass eben einerseits die Bergsteiger und auch eine weitere Öffentlichkeit doch an den Erlebnissen und Taten ihrer Kameraden teilnehmen wollen, und die guten Bücher berühmter Alpinisten beweisen ihrerseits, dass diese das Bedürfnis nach Mitteilung gehabt haben. Bergsteigen und Publizistik gehören also vielleicht nicht unbedingt zusammen, sie schliessen sich aber keinesfalls aus.

Dazu kommt, dass in keiner Sportart die gegenseitige Information eine so wesentliche Rolle spielt. Das naheliegendste Beispiel sind die Tourenführer, die die Routen angeben und damit dem Nachfolgenden den Weg weisen. Die alpinistische Literatur und die Zeitschriften haben nicht zuletzt die Aufgabe, vollständig und sachlich über alle Erstbegehungen zu informieren. Das hat nichts mit Billigung oder Missbilligung einer gewagten Fahrt zu tun, sondern nur mit der Chronisten-aufgabe, die unsere Zeitschriften haben. Es bleibt jedem unbenommen, eine Tour, die als gefährlich, steinschlägig oder äusserst schwierig geschildert wird, nicht zu wiederholen. Falsch aber wäre ein Totschweigen eines solchen Weges. Schliesslich gehört zum Informieren auch das Berichten über besondere Gefahren: wer hätte nicht aus dem glücklichen oder unglücklichen Ende bergsteigerischer Abenteuer schon Wesentliches gelernt?

Die sachliche Berechtigung der alpinistischen Publizität ist also wohl unbestritten. Drei Punkte aber sind vielleicht zu diskutieren, nämlich die Frage: Was veranlasst einen Bergsteiger, die Öffentlichkeit zu orientieren? Wie weit soll er dabei gehen? Und in welcher Art soll er es tun?

Die Motive, die einen Bergsteiger zum Schreiben bewegen? Sie sind wohl so verschieden, wie die Menschen selbst. Als Pflicht wird es jeder betrachten, eine Neutour dem zuständigen Organ mit Routenbeschreibung zu melden. Aber was darüber hinausgeht? Wir haben oben das Bergsteigen nur in Anführungszeichen als Sport bezeichnet, indem wir beim Wort Sport an manches Nachteilige denken, von dem das Bergsteigen frei ist: an Publikumsmassen, an Geschäft und Betriebmacherei.

Wenn wir aber den Sport als das betrachten, was er im wesentlichen ist, nämlich als körperliche Leistung ohne einen wirtschaftlichen, materiellen Zweck, dann ist auch Bergsteigen ein Sport, sicher ein besonders wertvoller, weil die mit dieser Leistung verbundenen Erlebnisse ausserordentlich tief sein können. Jede Leistung verlangt aber nach einem Maßstab; der älteste Veteran freut sich, wenn er in fünf Stunden auf den Säntis steigt; das ist keine Rekordleistung; für ihn aber bedeutet diese Zeit, dass er mit dem Durchschnitt der Jüngeren noch gut Schritt halten mag; er vergleicht sich mit andern. Ob man sich mit dem Spitzenkönner oder mit dem Durchschnitt vergleicht, das ist eine Frage des persönlichen Alters und - Ehrgeizes. Und da wären wir nun an einem wichtigen Punkt: seien wir doch ehrlich: bestimmt, alle grossen Bergsteiger steigen aus Liebe zu den Bergen, aus einer unerklärlichen Leidenschaft immer wieder auf die Gipfel. Aber wenigstens in ihrer leistungsfähigsten Zeit sind sie alle auch von einem gewissen Ehrgeiz getrieben worden - von Whymper zu Young und Hillary, zu Rébuffat, wen immer wir nennen. Alle Bergsteiger, die Bedeutendes leisteten, haben das auch - nicht bloss - aus Ehrgeiz gemacht. Solange sich dieser Ehrgeiz darauf beschränkt, selbst Gutes leisten zu wollen und nicht den andern herabzumindern, solange er ferner in den Grenzen der Verantwortlichkeit bleibt, ist nichts Schlechtes daran. Besser oder gleich gut zu sein wie der andere, das ist ein Gefühl, das jeder Bergsteiger gern kennt; vielleicht vergleicht er sich bescheiden nur mit drei, vier Sektionskameraden, vielleicht möchte er zu den Besten überhaupt zählen, das ist eine Frage der Quantität, grundsätzlich kommt es aufs gleiche heraus. Während aber der Leichtathlet, der Turner, ja sogar der Skifahrer messbare Leistungen vollbringen, die sie irgendwo einordnen, fehlt ein solcher Maßstab beim Bergsteigen. Es gibt keinen objektiven Maßstab: natürlich, wir kennen schwere und leichte Touren, aber der Berg, das Wetter, die Verhältnisse, sie sind kaum je dieselben, und auf Zeit klettern ist ein Unsinn, wenn man dafür die Sicherheit gefährdet. So sind denn die « berühmten », die « grossen » Alpinisten fast alle durch die Publizität zu dem geworden, was sie sind. Ein Jesse Owens wurde der Welt berühmtester Leichtathlet, ohne dass er eine Zeile schrieb, rein auf Grund von drei, vier Zahlen. Welcher « grosse Alpinist » hat nicht geschrieben, oder über welchen haben nicht wenigstens seine Seilkameraden geschrieben?

Dazu kommt noch, dass der, der gut über seine Erlebnisse berichtet, im allgemeinen als besonders empfindsam betrachtet wird. Man glaubt, er habe die Berge besonders tief erlebt, weil er gut darüber berichtet. Seien wir ehrlich: das ist ganz falsch. Ich kenne manchen, der besser klettert und im Eise steigt als mancher bekannte Name - man hat kaum von ihm gehört. Ich weiss viele Stille, die mit Leib und Seele an den Bergen hängen und die voll sind von tiefen Erlebnissen: sie vermöchten nicht einen Satz darüber zu schreiben. Zunächst also eines: der « bekannte Bergsteiger » ist nicht immer der beste, weder als Alpinist noch als Mensch.

Begreiflich und verständlich aber ist es, dass manch einer « bekannt » werden möchte. Hängt nicht oft die Auswahl zu einer Expedition davon ab? Dazu kommt die naiv-menschliche Freude an irgendeiner Form des « Berühmt-Seins ». Kleine Schwächen? Ja, aber wie viele kennen sie nicht? Wir haben hier ein Motiv für die Publizität, das wir so oder so anerkennen müssen; es ist einfach da - unter andern natürlich.

Nun rechtfertigen diese Motive natürlich nicht einfach jede Form der Berichterstattung. Im Gegenteil: der Bergsteiger muss in der Regel bereit sein, für einige Zeit ein hartes, entbehrungsreiches, bescheidenes Leben auf sich zu nehmen, fern von den Annehmlichkeiten anderer Sportarten, fern von Massage, Spezialnahrung und Pfleger. Im Bergsteigen wird auch wie kaum irgendwo sonst die Kameradschaft auf die Probe gestellt; und wie könnten Kameraden zusammenleben, wenn sie nicht selbstlos und wahr zueinander wären? Von diesem Geist getragen sollte auch der bergsteigerische Bericht sein: einfach, bescheiden, ehrlich, wahr. Eine solche Publizistik wird man nicht nur nicht ablehnen, man wird sie freudig begrüssen. Wir alle profitieren ja davon! Wer möchte die Stunden missen, da er einen lebendigen Tourenbericht, ein gutes Bergbuch liest; die « Alpen » selbst leben ja von dieser Bejahung der Publizistik.

Schwieriger zu beantworten ist vielleicht die Frage, wie weit man den Kreis der Berichterstattung ziehen soll. Wer sachlich in die alpinistischen Zeitschriften schreibt, hat kaum je Kritik zu befürchten. Wer darüber hinausgeht, setzt sich allerhand Urteilen aus. Zunächst: der Umfang hängt nicht nur vom Bergsteiger, sondern auch von der Öffentlichkeit ab. Was von allgemeinem Interesse ist, erscheint in der allgemeinen Presse. Wenn einer Schützenmeister seines Vereins wird, ist das eine Angelegenheit des Vereins -, vielleicht noch des Lokalblättli. Wird er Olympiasieger, spricht die Welt davon. Wer den Everest besteigt, wird der Aufmerksamkeit der Journalisten beim besten Willen kaum entgehen. Aber ein Unterschied zu andern Sportarten besteht: beim Bergsteigen sind - in der Regelkeine Reporter anwesend. Der Bergsteiger selbst hat es meist in der Hand, wie weit er gehen will, er ist sein eigener Reporter. Da heisst es nun Mass halten und sich gegenüber kritisch sein. Ich glaube nicht, dass eine wohlgelungene, grosse neue Tour nur in eine alpinistische Zeitschrift gehört. Unser ganzes Volk ist so eng verwachsen mit den Bergen, dass es sich dafür interessiert, welche Wand, welcher Grat neu begangen worden ist, wenn es sich wirklich um bedeutende Fahrten handelt. Ich sehe an einer Meldung, an einem kleinen Artikel in der Tagespresse nichts Böses, wenn die dahinterstehende Leistung echt, der Bericht bescheiden ist. Zudem darf man wohl sagen, dass man dadurch auch für das Bergsteigen werben kann dort, wo es nötig ist: bei jenen, die nicht z'Berg gehen.

Da sind nun gerade unsere alpinistischen Kreise oft ungerecht: wenn ein Hillary oder sonst ein Himalayastürmer mit seinen Artikeln durch die ganze Weltpresse geistert, findet man das in Ordnung. Wenn einmal ein junger Kletterer eine anspruchslose Notiz in einem Blättlein erscheinen lässt, wird er als Sensationshascher etikettiert. Dabei, das darf ich wohl auf Grund eigenen Urteils sagen, werden hier in unsern Alpen noch heute oft Leistungen vollbracht, die punkto Willenseinsatz, Durchhaltevermögen und alpinistischem Können mindestens so eindrücklich sind wie jede Achttausenderbesteigung. Und noch etwas: hinter denen oft auch ebenso viel seelisches Erleben steht. Aber ich möchte überhaupt nicht mit den Wörtern « ebenso », « mehr als », « fast so gut » etc. um mich werfen. Zugegeben, wer die Publizität sucht, geht an die Öffentlichkeit: er muss ihre Kritik auf sich nehmen. Aber im übrigen: seien wir Bergsteiger doch tolerant, soweit wir überhaupt tolerant sein können. Es gibt leichtsinnige Dummheiten, die wohl beanstandet werden müssen, wenn das nicht schon vom Schicksal besorgt wird. Sonst aber heisst Bergsteigen frei sein. Das ist ja das Schöne daran, dass der eine über Pässe wandern und nur Steine oder Blumen suchen, der andere in steiler Wand hängen kann, und beide sind sie Bergsteiger. Es möge doch jeder so in die Berge gehen, wie es seinem Alter, seinem Wesen, seinem Können entspricht, wie es ihm am meisten Freude macht. Denn darum gehen wir doch nicht zuletzt, um uns selbst zu sein, um uns der Freiheit zu freuen. Und hüten wir uns vor allen Verallgemeinerungen: nicht jeder, der einmal an einem Sonntag ein Wändlein hinaufschlossert, ist ein seelenloser Roboter, dem alle tieferen Erlebnisse in den Bergen fremd bleiben, und nicht jeder, der mit dem Bergstock in der Hand über Pässe wandert, ist nur schon darum ein naturoffenes, tief empfindendes Gemüt. Es gibt bei den wilden Kletterern, bei den Wanderern, bei den Hochtouristen, bei den Hüttenbummlern, es gibt überall dieselbe Menukarte von Menschen mit allen guten und schlechten Eigenschaften, die diese Lebewesen auszeichnen. Gut so! Lassen wir sie, soweit das überhaupt zu verantworten ist. Geben wir Freiheit. Urteilen wir weniger, freuen wir uns mehr. Und um zum Thema zurückzukommen: wenn es einem gefällt, so eine jungfräuliche Wand hochzukrabbeln, wenn er darauf trainiert, geplant und gebangt hat, wenn er es dann geschafft hat und sich als kleiner Tensing fühlt, und wenn er dann nicht wider- stehen kann, und selbst oder durch einen Freund eine Notiz darüber seinem Heimatblatt einschickt - eine ausführlichere hoffentlich den « Alpen » -, dann lassen wir ihm den Spass: er ist deswegen weder charakterlich minderwertig noch ein Sensationshascher. Hand auf 's Herz: wären wir in seinen H osen, wie hielten wir es wohl?

So möchte ich zum Schluss kommen alpinistische Publizistik ist zunächst eine Pflicht andern Bergsteigern gegenüber. Sie ist ferner ein legitimer Ausdruck des allgemein-menschlichen Bedürfnisses, andere an der eigenen Leistung teilhaben zu lassen. Ist es einem gegeben, in guter Form zu berichten, dann macht er vielen Lesern und Bergkameraden Freude damit. Verlangen muss man aber eines: wirkliche Leistungen, wo von Taten berichtet wird; Ehrlichkeit in Inhalt und Form; Bescheidenheit und das Wissen darum, dass jede gelungene Tour ein Geschenk des Schicksals ist, dass alle unsere Kräfte nicht ausreichen, wenn das Geschick es anders will, und dass der beste Bergsteiger kein Übermensch ist; er braucht weder besonders gut, noch besonders mutig in einem allgemeineren Sinn zu sein; er ist ganz einfach ein guter Bergsteiger: nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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