Bergsteigen in Ecuador
Otto Gebhardt, Zürich
Fehlende Jahreszeiten In Ecuador bestehen die Anden aus zwei rund 650 Kilometer langen Ketten. Dazwischen liegt ein 20 bis 40 Kilometer breites Hochtal mit der Hauptstadt Quito auf 2800 Meter. Aus einem hügeligen Gelände ragen mächtige Fünf- und Sechstausender empor - alles erloschene oder noch tätige Vulkane. Da sie recht weit voneinander entfernt sind, muss man für ihre Besteigung jeweils drei Tage einkalkulie-ren.
Eigentliche Jahreszeiten gibt es nicht. Längere Schönwetterperioden wie in den Alpen sind im Hochland aber selten. Der stets aus dem Osten kommende Wind bringt viel Feuchtigkeit aus dem Amazonasgebiet. Die Gipfel sind deshalb meist bereits um die Mittagszeit mit Wolken verhangen - ein Grund, sehr früh aufzustehen. Als geeignetste Zeit zum Bergsteigen gelten die Monate November bis Februar oder Juli bis September.
Äquatorsonne Als besteigen wir schon am zweiten Tag nach unserer Ankunft den Rucu Pichincha, 4700 Meter hoch und direkt vor den In den Anden ist alles anders Ahson Uds andinìstas! dCorno les gusta el EcuadorPSo ähnlich beginnen viele Gespräche in diesem Land, das, rund siebenmal grosser als die Schweiz, für südamerikanische Verhältnisse ein Winzling ist. Bergsteiger heissen hier eben nicht Alpi-, sondern Andinisten. Vom ( Mister ), wie man den Fremden nennt, will man als erstes wissen, wie ihm das Land gefällt. Das heisst, sofern er Spanisch spricht. Denn mit anderen Sprachen lässt sich hier gar nichts anfangen. Englisch ist überhaupt nicht gefragt; Amerikaner scheinen nicht sonderlich beliebt zu sein. Gibt man sich aber als Europäer, ja gar als zu erkennen, wird man mit einer unglaublichen Herzlichkeit aufgenommen. Die Schweiz: Das bedeutet Geld, Käse, Uhren und Berge. Erklärt man dann, letztere seien maximal 4600 Meter hoch, erntet man meist ein mitleidiges Lächeln. Denn auf dieser Höhe befindet man sich hier sogar noch unterhalb der Schneegrenze.
Rast am Cayambe. Im Hintergrund Antisana ( links ) und Cotopaxi Toren Quitos gelegen. Die Landschaft ist grün, auf steilen Halden weiden Kühe. Um 4500 Meter beginnt man die ( dünnere ) Luft zu spüren. Noch sind wir zu wenig akklimatisiert. Die letzten Meter bewältigen wir langsam und schleppend. Der Rückweg bietet keine Probleme, führt uns aber zum Schluss durch armselige Quartiere über der Stadt. Für lateinamerikanische Verhältnisse handelt es sich wohl nicht um Elendsviertel, trotzdem wirken sie bedrückend.
Im Hotel angekommen, stellen wir fest, dass uns die Äquatorsonne ganz ordentlich verbrannt hat, trotz Sonnenschutzfaktor 15. Jetzt begreifen wir auch, weshalb hier sogar Kinder einen Hut tragen. Wir werden noch einiges lernen müssen...
Nicht ganz harmlos: der Cayambe ( 5840 m ) Am übernächsten Tag starten wir mit einem klapprigen Mietwagen zum 100 Kilometer entfernten Cayambe. Er liegt genau auf dem Äquator. Eine gepflasterte Strasse führt vom gleichnamigen Städtchen zur Hütte auf 4600 Metern. Unser Vehikel streikt aber lange vorher - 13 Kilometer vor unserem Ziel. Das bedeutet mit dem schweren Gepäck einen Fussmarsch von 4 Stunden.
Zum Glück nimmt uns schon bald ein freundlicher Lieferwagenfahrer mit. Trotz der fürchterlich schlechten Strasse rast er dahin, als sässe ihm der Teufel im Nacken. Wir müssen uns mit aller Kraft festklammern, um nicht von der offenen Ladebrücke geschleudert zu werden. Plötzlich stoppt unser Chauffeur, steigt aus und begibt sich zu uns nach hinten - mit einer Flasche Whisky in der Hand. Nachdem er selber einen tüchtigen Schluck genommen hat, beginnt sie zu kreisen. Ein Gespräch kommt in Gang. Er besitze eine grosse Farm im Norden, wir müssten ihn unbedingt besuchen. Das meint er durchaus ernst. Die Leute hier zeigen riesiges Interesse an allem, was aus Europa stammt. Zum Schluss verrät er uns sein Hobby: Lieferwagen-Rallyes! Offenbar hat er uns auf eine Trainingsfahrt mitgenommen.
Die grosse Hütte empfängt uns menschenleer, schmutzig und kalt. Wir spüren die Höhe, schlafen schlecht, leiden unter Kopfschmerzen. Aufbruch um 3 Uhr in sternklarer Nacht. Im Schein der Stirnlampen stolpern wir über brüchiges Gestein zum Bergschrund am Fuss des Gletschers. Ohne Pickel, Seil und Steigeisen müssten wir hier umkehren. Mit unserer Ausrüstung kommen wir auf dem beinharten Schnee jedoch gut voran. Die Höhe macht uns jetzt erst ab etwa 5500 Meter zu schaffen; eine Leistungssteigerung ist unverkennbar. Trotzdem sind wir froh, als wir um die Mittagszeit bei strahlendem Sonnenschein auf dem Gipfel stehen. Die Sicht reicht ein paar 100 Kilometer weit.
Beim Abstieg zeigt sich dann, dass mit diesem Eisriesen nicht zu spassen ist. Der Schnee ist jetzt von der Sonne durchweicht; viele tiefe Spalten sind zu umgehen. Vom inzwischen eingetroffenen Hüttenwart erfahren wir dann, dass am Cayambe seit kurzem zwei Andinistas verschollen sind.
Cotopaxi - höchster tätiger Vulkan der Welt Der Cotopaxi ragt als mächtige weisse Pyramide aus dem gleichnamigen Nationalpark. Er ist zwischen 5980 und 6030 Meter hoch. Genaueres scheint man hier nicht zu wissen.
Sicher jedoch ist, dass er der höchste aktive Vulkan der Welt ist.
Eine 35 Kilometer lange Sandpiste zweigt südlich von Quito von der Panamericana ab. Ringsum ist alles saftig grün, Lamas und wilde Stiere kreuzen unseren Weg. Man gelangt bei einigermassen guten Verhältnissen mit dem Auto bis auf etwa 4600 Meter Höhe.Von diesem Punkt lässt sich die Hütte in einer knappen Stunde erreichen. Hier erwartet uns eine stürmische Nacht - an eine Bergtour ist nicht zu denken.
Am folgenden Nachmittag kämpfen sich rund 70 Jugendliche durch das Schneegestöber zu uns empor. In Quito ist Feiertag; sie wollen das Wochenende hier verbringen. Die meisten verfügen aber nur über Turnschuhe oder ausgediente Latschen. Wir können uns kaum vorstellen, dass man mit derartigem Schuhwerk einen so hohen Berg in Angriff nehmen will, was nämlich einige von ihnen durchaus vorhaben. Zum Nachtessen gibt es Fleisch, Spaghetti und Reis, dazu ein höllisches Gebräu. Selbstverständlich sind wir eingeladen. Wir nehmen das Angebot dankbar an, neigen sich doch unsere Vorräte wegen des verlängerten Hüttenaufenthaltes bereits ihrem Ende zu.
Die Fragen über uns und unsere Herkunft wollen kein Ende nehmen. Einer lädt uns ein, den Heiligen Abend bei ihm zu verbringen. Einfach so. An Schlaf ist nicht zu denken. Diverse Transistorradios verbreiten sogar um 2 Uhr morgens noch laute Musik. Da nur wenige Matratzen vorhanden sind, schlafen die meisten auf dem Boden. Decken oder Ähnliches besitzen sie nicht, sie frieren erbärmlich. Im Schlafraum lassen einige gar während der halben Nacht den Benzinkocher laufen.
Schon halb sechs. Es stürmt immer noch, aber der Himmel ist klar. Eigentlich schon viel zu spät für einen Sechstausender, aber wir wollen es trotzdem versuchen. Notfalls können wir ja umkehren. Alles scheint uns angenehmer, als noch einmal einen Tag in dieser ungemütlichen Hütte verbringen zu müssen. Dankbar kriechen drei verhinderte Gipfelstürmerinnen in unsere zurückgelassenen Schlafsäcke. Hoffentlich erhalten wir letztere wieder zurück. Es ist bitterkalt, vermutlich 20 Grad unter Null. Der feuchte Schnee, den uns der Sturm um die Ohren bläst, gefriert sofort zu Eis.
Mit der Höhe haben wir keinerlei Probleme mehr. Unglaublich, wie schnell sich ein Körper anpasst. Unsere Zehen müssen wir allerdings alle Stunden warmreiben. Denn ( Elefanten- fusse ) oder so etwas Ähnliches haben wir nicht aus Europa herübergebracht. Trotz dieser unfreiwilligen Aufenthalte und dem andauernden Sturmwind mit entsprechend schlechter Sicht stehen wir nach 6 Stunden auf dem Gipfel. Das ist eine recht gute Zeit. Aus dem Krater kommt ein feines Räuchlein, das einen beissenden Schwefelgeruch verbreitet. Zunehmend dringt jetzt sogar die Sonne durch die turmhohen Wolkenberge. Ein unwirklicher, ungeheuer farbintensiver Anblick.
Beim Eindunkeln erreichen wir die Hütte, holen unser Material und stürmen unverzüglich weiter zum Auto. Wir müssen uns beeilen, denn der Nationalpark ist nachts geschlossen. Tatsächlich versperrt dann beim Eingang eine mit dicken Ketten gesicherte Barriere den Weg. Eine aussichtslose Sache. Wir haben aber Glück und finden den Wärter, der sich eben nach Hause begeben wollte.
Zum Chimborazo Der Chimborazo ist mit seinen 6310 Metern der höchste ecuadorianische Andengipfel. Er wurde 1880 von Edward Whymper erstmals bestiegen. Fast 80 Jahre früher musste der Der Cayambe ( 5840 m ). Dieser Berg erhebt sich rund 100 km nordöstlich von Quito und liegt genau auf dem Äquator.
Der Ausgangspunkt, Riobamba, ist eine laute, dreckige, ungemütliche Stadt. Trotz Regen fahren wir deshalb per Taxi zur rund 40 Kilometer entfernten Whymper-Hütte. Hier haben wir wenigstens Ruhe.
Vom Ende der Strasse erreichen wir die obere von zwei Hütten in etwa einer halben Stunde. Sie liegt genau auf 5000 Meter über Meer. Abends klart es plötzlich auf. Der Sonnenuntergang ist phantastisch. Kurz nach Mitternacht machen wir uns auf den Weg. Erst um 4 Uhr müssen wir die Stirnlampen hervornehmen, denn bis hierher hat uns der Vollmond den Weg über die steilen, rutschigen Schutt- und Geröllhalden gewiesen. Sobald wir zur schneebedeckten Zone gelangen, wird der Aufstieg problemlos. Spalten gibt es kaum, aber das Vorankommen im Neuschnee erweist sich als relativ anstrengend.
Schon bevor wir auf dem Gipfel stehen, fällt wieder der Nebel ein, und alsbald stecken wir mitten in einer grauen Suppe. Nur ein paar Holzstäbe markieren hier den höchsten Punkt Ecuadors. Wir haben unser Ziel also doch noch erreicht und drücken uns die Hände. Ein wenig feucht sind unsere Augen schon, aber diesmal nicht vom Sturm. Der Abstieg ist keineswegs einfach. Wir müssen unsere bereits vom Winde zugewehten Spuren mühsam suchen. Dank einigen Löchern in der dichten Nebeldecke finden wir schliesslich zur Hütte zurück, wo wir erneut eine lange, kalte Nacht verbringen. Anderntags marschieren wir in strömendem Regen zu Tal, entsprechend der Richtung, die der Hüttenwart uns gezeigt hat. Ein weit entferntes Geräusch weist uns den Weg über endlose Lavafelder, auf denen erstaunlich viele Sträucher wachsen.
Phantastischer Sonnenuntergang bei der auf 5000 m über Meer gelegenen Whymper-Hütte Nach gut 3 Stunden erreichen wir die Strasse, woher das Fahrgeräusch stammte. Hier stossen wir aber nur auf die
Erdbeben Nur wenige Wochen nach unserer Rückkehr bebte in den ecuadorianischen Anden wieder einmal die Erde. Die Katastrophe forderte über 1100 Menschenleben. Da die vom östlichen Tiefland zur Pazifikküste verlaufende Pipeline auf über 50 Kilometern zerstört wurde, entstand für das Ölexportland Ecuador auch enormer wirtschaftlicher Schaden. Die in der Folge vom Präsidenten verordneten Not-standsmassnahmen hatten Unruhen in zahlreichen Städten des 9-Millionen-Staates zur Folge.
Trotzdem ist Ecuador, verglichen mit anderen lateinamerikanischen Staaten, ein recht friedliches, wenn auch kein ( einfaches ) Reiseland. Ein Grossteil der rund 15 Fünftausender lässt sich von gut trainierten Alpinisten auch ohne Führer besteigen.
Legt man nicht Wert auf gehobene Ansprüche, sind für einen einmonatigen Aufenthalt einschliesslich Retourflug rund 4000 Franken zu veranschlagen.