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An der Grenze des Skibaren

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VON DANIEL BODMER, BERN

Mit 8 Bildern ( 117-124 ) Vorbei sind die Zeiten des besinnlichen Dahingleitens über sanft gewellte, lang ausgezogene Hänge, verblichen der Ruhm des Blindenhorns, der Fuorcla Ziteil, des Hahnenmooses und des Hessisbohls, die es dem noch wenig schwungerpichten Skiläufer alten Stils gestatteten, kilometerweit hindernislos gemächlich abzufahren. Mit der Verbesserung der Ausrüstung und der Skitechnik wandelte sich auch das, was ich « Skistil » nennen möchte. Dieser Skistil ist Ausdruck seiner Zeit.

Im Skifahren wird die Trennung der Geister immer schärfer und offenkundiger. Vor Zeiten wurde noch kaum unterschieden zwischen Leistungs- und Tourenfahren, zwischen Renn- ( Publikums- ) und Privatsport. Heute dagegen haben wir sogar eine deutliche Dreiteilung: Rennsport, Pisten-und Tourenfahren, wobei diese drei Richtungen immer stärker auseinanderstreben und bald kaum mehr unter einen Hut zu bringen sind.

Der Tourenfahrer wirkt heute weitherum altmodisch, konservativ. Er fühlt sich in die Defensive, manchmal unversehens in die Rolle eines « Tartarin sur le Righi » gedrängt und als solcher belächelt. Auf den sich immer noch ausbreitenden technisierten Pisten mit ihrem reinen und sturen Abfahrts-rummel, inmitten des dazugehörigen Avant- und Apres-Ski-Geplänkels, wirkt der feil- und ruck-sackbewehrte alpine Fahrer als anachronistische Erscheinung.

Heisst das wohl, dass er beim « Skistil » von Anno dazumal stehengeblieben, ein museumswür-diges Relikt der Vergangenheit geworden sei? Zweck dieses Aufsatzes ist zu zeigen, dass dies nicht der Fall ist und auch der skilaufende Bergsteiger alten Schrots und Korns - übrigens ebenfalls dank einer vollkommeneren Technik - heute ganz neue Wege geht. Berge sind nicht nur ins Blickfeld, sondern in den Aktionsbereich des modernen Tourenfahrers gerückt, die auf keiner Skikarte, keinem Skiführer zu finden sind und einst dem reinen Sommertouristen vorbehalten schienen.

Diese Gipfel zeichnen sich teils durch besonders steile oder enge Schneehänge, teils durch Feisund Eishindernisse oder durch alles dies zusammen aus. Fragt man nach dem « Warum? » solcher extremer Skitouren, so wäre ich um eine Antwort ebenso verlegen wie als Bergsteiger gegenüber dem Nicht-Alpinisten. Steht der Drang nach dem winterlichen Bergsteigen, der Genuss einsamen Spurens in unberührtem, wechselvollem Gelände, der Rausch und Kitzel der Steilabfahrt durch führigen Schnee oder ganz einfach die Entdeckerfreude im Vordergrund? Ich vermöchte es nicht zu sagen.

Aber die Grenzen des « Skibaren » werden nicht nur geländemässig, sondern auch saisonal und geographisch ausgeweitet. Begann früher der Skibetrieb im Dezember und endete im April, so kommen nun immer mehr auch vorwinterliche Fahrten auf, und die Ski-Hochtouren-Saison endet im Juni oder gar Juli. Der Ski drang aber auch in neue Gebiete vor, ja sogar in die wärmeren Zonen, zum Ätna, zum Atlas, zum Libanon; und es wird nicht lange gehen bis auch das asiatische Höchst-gebirge sich ihm erschliesst.

Wenn wir heute solche Ziele mit Ski angehen dürfen, so kommen uns folgende Errungenschaften zugute:

1. Verbesserung des Skis, der Bindung und der Fellbefestigung, 2. Verwendung von Harscheisen mit Haifischzacken ( einfache Bilgeri-Harscheisen waren schon früh, aber nur als Ersatz von fehlenden Kanten in Gebrauch ), 3. Schaffung des kurzen Sommerskis, mit dem sich auch in den engsten Rinnen wenden lässt und der bei Eis- und Felskletterei weniger behindert, 4. bessere Kenntnis der Beschaffenheit und des Verhaltens der Schneedecke. Sie ermöglicht eine sehr zuverlässige Beurteilung der Befahrbarkeit steilster Hänge und damit eine Eindämmung der Unfallgefahr in Lawinen. Es gibt Berge, die überhaupt nur unter ganz bestimmten, oft einmaligen Schneeverhältnissen ohne Übergrosses Risiko mit Ski angegangen werden können.

Nichts Neues ist dagegen die winterliche Begehung von Fels und Eis, worin die Pioniere schon eine grosse Meisterschaft entwickelten, von der einzelne junge Premièren-Erstreber noch nichts zu wissen scheinen.

In der Folge findet der Leser zur Illustration einige Kurzberichte über Skifahrten, die besonders ausgefallen scheinen mögen und deren Wiederholung jedenfalls nicht beliebig möglich oder gar ratsam ist.

1. Reissend Nollen 3003 m Wie der Titlis blickt auch sein westlicher Nachbar auf das alte klassische Skigelände des Jochpass-Trübsees hinab. Selten sind aber jene, die neben der überdimensionierten Rennbrille, dem Hirschen-pullover und dem Skiliftabonnement noch Felle auf den Jochpass mitnehmen. Schon das Jochstöckli, nur eine halbe Stunde oberhalb der Passhöhe, ragt oft aus einem unberührten Schneemantel, während drunten im Schatten des Graustocks der Kult der Schnelligkeit Orgien feiert.

Wenn ich 's nicht von zuverlässiger Seite gehört hätte, würde ich kaum glauben, dass diese breit ausladende, steile Firnflucht schon Skifahrer auf sich geduldet hatte, ohne sie unmutig abzuschütteln. Sonnenarm, ein frostig abweisender Schild, wölbt sich der Hang unter dem langgezogenen Grat, nur in ein Drittel Höhe von einer Felsbank unterbrochen. Bei dieser gleichmässigen Steilheit skibaren Schnee vorzufinden, ohne ein übermässiges Risiko einzugehen, ist doch geradezu eine Quadratur des Zirkels. Ist der Schnee plastisch und führig, so droht er als Lawine abzugleiten; ist er verfirnt und gefroren oder windverharscht, so läuft man Gefahr, beim geringsten Kanten- oder Gleichgewichtsfehler eine rasante und mit grösster Wahrscheinlichkeit letzte Rutschpartie in der Fallinie anzutreten.

Ein herrlicher April-Sonnentag führt mich nach Trübsee. Wohltrainiert aus Frühlingsferien zurück, ruft es in mir: jetzt oder nie! Zu viert steigen wir auf dem morgenharten, rauhen Firn in den Sattel jenseits des Jochstöckiis. Dort trennen wir uns in zwei Gruppen. Während ein junger, bewährter Kamerad sich mir begeistert anschliesst, halten die beiden anderen nach rechts gegen den Wendensattel. Anfänglich können wir uns noch, nach links schräg ansteigend, mit Fellen und Harscheisen auf der körnigen Oberfläche verhaften. Die Felsbank wird zum einzigen Stützpunkt in der Flanke. Etwa 50 m höher erreicht diese ihre grösste Steilheit und zwingt uns, zu Fuss mit geschulterten Ski in der Senkrechten emporzustreben. Wunderbar, wie sich der Schnee heute ohne Zuhilfenahme des Pickels treten lässt. Unsere Himmelsleiter endet auf dem Gipfelfirst, wo uns die Sonne wärmend liebkost. Nur wenige Schritte sind 's noch zum höchsten Punkt. ( 4 Stunden nach Aufbruch. ) Welch ein Götterthron! Höher und höher steigt der jubelnde Tag, während unten in den weissen Weiten das Ameisengewimmel immer dichter wird. Schon hat die Frühlingssonne da und dort mächtige Löcher in die Schneedecke gebrannt; wir warten, bis sie auch in unserem Nordhang gewirkt hat. Endlich halten wir die Spannung nicht mehr aus. Es ist hoher Mittag, als wir mit leichter Beklemmung und nach einem Kontrollblick auf die Bindung zum ersten Schwung in die nun beleuchtete Flanke ansetzen. Die Enttäuschung ist gross: noch keine Spur von Sulz. Glücklicherweise gibt ein ganz zartes Neuschneeschäumlein etwas Führung. Jeder Bogen führt um Stockwerktiefe hinab, und doch scheint der Hang immer gleich hoch. In der grössten Neigung des Mittelteiles rutschen wir vorsichtshalber seitlich ab, bis ich plötzlich modellierbaren Schnee unter den Füssen spüre. Und nun beginnt der Rausch. Bogen an Bogen reihen wir; jedesmal ist das Jochstöckli als felsige Wegmarke höher und näher. Zum Abschluss die berühmte Sulzli-Abfahrt direkt nach Norden zum Trübsee. Und wenn wir nun zurückblickend emporstaunen, so jagt uns hinterher die Abfahrtsstrecke wohlige Schauer über den Rücken.

2. Haut de Cry 2969 m Wer kennt schon diesen wenig spektakulären, ein Schattendasein führenden Walliser Berg oberhalb Ardon? Zwar überragt er das Rhonetal nicht minder stolz und aussichtsreich wie die Dent de Mordes. Mit Gräten, Rippen, Schluchten und Hängen wuchert er nach allen Seiten und stellt in seiner Ausdehnung an sich ein respektheischendes alpines Gebilde dar. Aber als touristisches Ziel? Nein, da spielt er keine Rolle.

Als Freund Uttendoppler eines Mai-Abends diesen Berg als Skiziel aufs Tapet brachte, löste er nur verständnislose Mienen aus. Auch ich kannte ihn eigentlich nur aus den « Tragédies alpestres » von Charles Gos, weil bei einem winterlichen Besteigungsversuch von SE der Walliser Führer J. J. Bennen hier den Lawinentod erlitt. Wo aber soll auf diesen weitgehend felsigen Gipfel eine Skiroute führen? Auch der Initiant ist sich offenbar über die Einzelheiten der Routenführung nicht im klaren, wenn er auch des bestimmtesten versichert, dass es durch die NW-Flanke von Derborence aus gehen müsse. Um so besser, wenn wir uns wieder einmal in der so selten gewordenen Pionierrolle gefallen dürfen, mit all dem Prickelnden, Lockenden, das die Wegungewissheit, das Abenteuer im Menschen auslöst.

Die gegebene Skiroute nach Derborence 1449 m führt von Anzeinde 1876 m über den Pas de Cheville 2038 m. Zufällig erfahren wir, dass das Fahrsträsslein von Pont de la Morge nach Aven seit kurzem bis tief ins Tal der Lizerne verlängert worden sei. Hoch über dem Wasser der tief eingefressenen Schlucht schneidet es den linken Hang, z.T. in längeren Galerien. Es endet bei Motelon 1253 m, wo die Talsohle erreicht und der Bach gequert wird. Nur dreiviertel Stunden Wanderung bleiben uns noch durch eine Landschaft, deren wildschaurige Romantik, durch die einbrechende Dämmerung gesteigert, die Vorstellungen aus Ramuz'Werk übertrifft. Uralter, mächtiger und ehrwürdiger Bergwald nimmt uns auf. Gespenstische Baumleichen vermodern unterm Moosüberzug. Gespannt suche ich den geheimnisvollen See durchs Geäst zu erspähen. Er kündigt sich durch Sumpf und kleine Tümpel an. Endlich taucht im letzten Tagschein die grünblaue, tannendunkle Wasserfläche auf, gegen Norden verlandend. Auf einer Abkürzung umgehen wir sie rechts, springen über den Ausfluss und erreichen in wenigen Minuten die Alphütten von Derborence, wo wir Heulager bekommen. Das Wetter ist wenig versprechend; aus tiefen Wolken rieselt feiner Regen.

Eine warme Föhnaufhellung überrascht uns, so dass wir um 6.00 Uhr aufbrechen können. Bald erlauben uns die tiefsten Lawinenentladungen, die Ski anzuziehen. Wir folgen ungefähr dem Sommerweg ins Tal der Derbonne, dessen unterster Teil tief eingeschnitten und nicht begehbar ist. Von P. 1582 müssen wir einige Dutzend Meter auf die Talsohle abfahren, die gewaltige Lawinenfrachten trägt. Über zwei kleine, dünn bestockte Stufen gelangen wir auf die Hochebene von Pra Fleuri, ca. 2100 m. Unser Gipfel, in dessen Fallirne wir uns befinden, verteidigt sich mit einem langgezogenen Felsgürtel, an dessen Fuss entlang wir steil schräg emporspuren. Rasch wächst die Neuschneeschicht, und der Nebel verschluckt uns. Die Orientierung wird schwierig, denn die Fluh zu unserer Linken verliert sich allmählich. Der Steilhang erfordert fleissige Ablösung beim Spuren. Hin und wieder gucken die Pointes de Tsérié 2728 m und 2710 m als Richtmarken aus dem Weiss. Auf einem kleinen Ruheplatz an ihrem Fuss beraten wir über den Weiterweg. Der uns am nächsten liegende SW-Grad scheint sowohl nach dem Führer als auch nach dem beschränkten Augenschein mit etwelchen Schwierigkeiten ( 2 Felsaufschwünge ) aufzuwarten. Demzufolge entscheiden wir uns für die Sommer-Normalroute über den N-Grat. Das zwingt uns allerdings zu einer langen, nicht ungefährlichen Traverse durch z.T. steile, ungebrochene Hänge bis an den Auslauf des Couloirs, das südlich P. 2739 auf den Grat führt. Angesichts der Schneebeschaffenheit und der Steilheit bleiben die Ski hier zurück. Um 10.30 Uhr haben wir die rund 100 m Höhendifferenz zu Fuss unter uns gebracht. Inzwischen ist es gänzlich unsichtig geworden. Tiefer, weicher Schnee wechselt mit kurzen, brüchigen Felsstufen, denen z.T. links ( östlich ) ausgewichen werden kann. Wie weit uns hier die Ski hätten dienlich sein können, ist mangels genügender Blickweite schwer zu beurteilen Der höchste Punkt verschwimmt weiss in weiss mit der Umgebung. ( 6 Stunden Gesamtaufstieg. ) Östlich dräut mitunter ein ungefähr gleich hoch scheinender Zwillingsgipfel aus dem Nebel hervor.

Die Freude, die uns im Abstieg die Brust schwellte, erstirbt plötzlich, als wir uns dem Couloirende nähern. Drei Paar Ski samt Stöcken sind verschwunden. Ein Oberflächenrutsch aus schwerem Neuschnee hat genügt, sie zu kippen und in die Tiefe zu befördern, trotzdem sie im Schütze eines Felsblocks eingesteckt waren. Bei der herrschenden schlechten Sicht ist das Suchen nach den Ausreissern besonders aufregend. Zum Glück trägt die gefrorene Unterlage. 100 m tiefer lagern die nicht allzu mächtigen Schneemassen und geben ihre Beute ziemlich rasch frei. Das wäre noch einmal gut abgelaufen. Erleichterten Herzens, aber um eine Erfahrung reicher, traversieren wir nach W zurück, wo eine herrliche Abfahrt im schmiegsamen Schnee beginnt. Sogar die Sonne schickt uns zum Abschied noch ein kleines, verschämtes Lächeln. Im Talgrund erlaubt der feste Lawinenschnee den Skikünstlern, sich erst recht voll zu entfalten. So sind wir vier schon am halben Nachmittag wieder in Derborence zurück, wo sich inzwischen der Frühling niedergelassen hat und die Bächlein zwischen den Krokussen murmeln. Wir aber sind uns alle einig, dass sich die lange Reise gelohnt hat, um den Haut de Cry zum Skiberg zu stempeln.

3. Gsür 2709 m Noch tragen die Bäume ihr buntes Laub, und schon ist der Winter ins Land gezogen und hat seinen Silbermantel über Gipfel und Gräte ausgebreitet. Nach den Tagen des wilden, vorzeitigen Flockenwirbels folgen lange Wochen reinster Bläue. Aber das Tiefland ist unter der Hochnebeldecke gefangen, die alle Farben auszuwischen, alles Leben zu vergrauen scheint. Wie Schimmel sitzt der Rauhreif an Baum und Wiese. Wer dächte daran, in den ersten Novembertagen schon nach den Ski zu greifen?

Eines unfreundlichen Sonntagmorgens fahren wir zu zweit nach Matten im obersten Simmental. Hier bricht der Fermelbach schuttbeladen aus einer engen Waldschlucht und drängt den Hauptfluss mit einem mächtigen Delta an die andere Hangseite. Die dunkeln Tannen stehen wie erstarrt im Schmucke des Reifs. Bei Birchlauenen ( 1341 m ) durchstossen wir den Nebel, der als weiss wallendes Meer zurücksinkt. Vor uns ersteht eine andere Welt, wie eine Neuschöpfung so frisch, lachend und jung. Tief verschneit, stehen Albristhorn und Gsür winterlich vergreist gegen den blauen, mit leichten Spinnweben überzogenen Himmel. Beschwingten Schrittes geht es das weitläufige Tal einwärts. Die Sonne blitzt in den Scheiben der ganzjährig bewohnten schmucken Häusergruppe. Ein touristisch noch nicht « verseuchter » Fleck Erde. Bei Gruben, auf ca. 1400 m, geht unser Schreiten ins skilaufende Gleiten über. Die Schneeschicht ist zwar noch nicht stark, aber kompakt gefroren, mit einem feinen Neuschneeschäumchen. Mitten durch die dunkelbraunen Hütten und Stadel des Lägers hindurch geht es sanft hinan in offene, niedere Nadelbestände hinein. Noch sind die Geländeunebenheiten nicht ausgeglichen. Dem rechten Bachufer folgen wir bis in die Nähe der Felsstufe, welche das Massiv des Türmlihorns und Gsürs rundum abschirmt. Zwar durchbricht sie ein Bacharm, doch ist die Kluft von Eisgirlanden über und über verziert. Nordwestlich davon steht eine Fels- und Grasrippe vor, neben der sich ein Couloir auskehlt und oben in den jähen Grasflanken des Türmlihorns verliert. Diese, noch herbstlich gelb, haben ihre erste Schneefracht schon fast gänzlich in diese Rinne entladen. Schon von weitem fallen die knolligen, unregelmässigen Anhäufungen auf. Heute gibt sie eine gefahrlose, wenn auch mühsame Aufstiegsroute ab. Der unter der Sonnenbestrahlung nass abgestreifte Schnee ist beinhart gefroren und zwingt zum Skitragen. Hin und wieder queren wir zur Erholung auf die Begrenzungsrippe hinaus, die bei Lawinengefahr den einzigen halbwegs verantwortbaren Zugang zum Rüggentäli darstellt. Dreieinhalb Stunden nach dem Weggang erreichen wir die Schulter am Eingang zu dieser Mulde zwischen Türmlihorn und Gsür. Nachdem einmal der Steilhang zur Muldensohle gequert ist, lässt sich in bequemen Schleifen gegen den Sattel, 2359 m, aufsteigen. Er bleibt aber links liegen, wenn man sich direkt der abschüssigen Flanke des Gsür-NO-Grates zuwendet, die zur Schulter P. 2614,9 m führt und nur im allerobersten Teil nicht lawinengefährlich ist. Heute treffen wir gut gesetzten Schnee mit Pulverauflage an. Wir können den Grat sogar noch ein Stück weit mit Ski gipfelwärts verfolgen. Riesige Schneepolster halten die leichten Felsen verpackt, oft eindrückliche Wächten bildend. 40 Minuten kostet uns diese Schluss-strecke, während man im Sommer kaum eine Viertelstunde braucht. Stufe um Stufe muss der Fels vom Schneebewurf sorgfältig gesäubert werden. Über und über bepudert erreichen wir den Gipfel, der wohl noch selten mit Ski Besuch bekommen hat ( 6 Stunden Gesamtzeit ). O, ihr altvertrauten und doch stets wieder neuen Gipfel im Umkreis! Nur wenig Zeit bleibt uns zum Schauen; die Kürze der Tage drängt zur Heimkehr. « Anskiet » im steilsten Gelände.Vorsichtig wird der erste Schwung der Saison gedreht. Ja, die Beine sind der Abfahrtstechnik noch nicht entwöhnt. Ungern tauchen wir in den blauen Schatten, aber die stiebende Fahrt im führigen Schnee wärmt uns rasch das Herz vor Freude. Nochmals kehren wir in den Bereich der Sonne zurück, als es durch die 100 m hohe Steilrinne zum Fermelberg hinabgeht. Mittlerweile hat sich hier der Schnee stark erweicht und gibt uns allerhand zu schaffen; dafür ist der letzte Teil wieder ein reines Vergnügen. Zwar sind die Geländeformen durch den Schnee noch nicht eingeebnet worden; jeder Felsblock, jede Bodenwelle ragt ungebrochen empor. Aber wider Erwarten trägt uns der verfestigte Schnee in reizvoller Schaukelfahrt hinab. Unmerklich schleicht sich der Abend heran. Blaue Kälte mischt sich abschieds-frostig in den Goldschimmer. Und am Ende eines glückhaften Tages steht das fremde Reich des garstigen Nebels, das uns wieder für eine Woche in Besitz nimmt.

4. Djebel Irghil M'Goun 4071 m - Après-première hivernale im marokkanischen Atlas « Pegasus, du alter Renner, Führ mich mal nach Afrika, Alldieweil so schwarze Männer Und so schöne Berge da. » So möchte ich einleitend, frei nach Busch, zitieren. Als unser Tourenkamerad von 1949, C. Wyatt, im Jahre 1950 diesem nördlichsten 4000er des Atlas'erstmals zu Leibe rückte, fand er nur spärlichen Schnee vor und konnte deshalb die Ski nicht bis auf den Hauptgipfel benützen ( « Alpen » 1951, S. 171 ). Wir waren 1954 glücklicher. Während der Pionier von W kam, drangen wir von NO vor. Das wäre nun also ein Vorstoss in die klimatisch-geographische und nicht mehr in die technische Grenzzone des « Skibaren ». Dass Skitouren in Afrika keine so ausgefallene Angelegenheit sind, versuchten verschiedene Aufsätze in den « Alpen » darzutun.

Unsere Atlasüberschreitung NW-SO aus dem Gebiete halbwegs zwischen Marrakech und Meknès sollte uns schon am zweiten Tag auf 1600 m mit Schnee in Berührung bringen, der über Nacht die trockenen, rotbraunen Erdhänge mit den blühenden Mandelbäumen und den vereinzelten Buschkrüppeln in eine gleissende, bizarre Winterlandschaft verwandelte. Ohne Ski wäre ein Vordringen zunächst unmöglich gewesen. Mehrere Pässe und gewaltige Temperaturschwankungen von -12 bis+42° haben wir hinter uns, als wir mit unserm Expeditionstross vom Herzen der Gebirgskette aus unseren Gipfel angehen. Betreut von den stets freundlichen, zuverlässigen und zähen Chleuhs ( Atlasbewohner ), befördern die Maultiere Zelte, Ausrüstung und Proviant an den O-Fuss des Tizi ( Pass ) Proubouma n'Amsod. Dem obersten Flusslauf des Asif M'Goum zu folgen, ist kein leichtes Stück, denn er bildet mehrere unbegehbare, tief eingefressene Schluchten, die umständliche Ausweichmanöver erfordern. Wir müssen nur staunen, mit welcher Sicherheit die Tragtiere sogar durch den weichen Schnee schreiten. Am späten Nachmittag des 14. Aprils befinden wir uns auf 2700 m, am Rande einer grossen, verschneiten Ebene. Während sich die Treiber in die Biwakhöhle eines grossen, überdachenden Felsens verziehen, entdecken wir zwischen mächtigen dunkelbraunen Blöcken am Bachrand einen wahrhaft romantischen Zeltplatz. Da es gilt, den Wettlauf mit der Hitze diesmal zu gewinnen, kochen wir abends eine Art Kraftfutter vor: Haferbrei mit Ovomaltine, der in der Frühe nur noch aufgewärmt werden muss. Dank dieser Vorbereitung kommen wir schon um 4.30 Uhr vom Lager weg und streben im zügigen Langlaufschritt über die weitläufige Hochfläche den N-Hängen des M'Goun-Massivs zu. Welches ist unter diesen rundlichen Kuppen der « Primus inter pares »? Trotz wolkenlosem Himmel ist mangels detaillierter Karten die Orientierung nicht leicht. Im reichlichen, frischen Pulverschnee steigen wir hart spurend schräg zu einer Rippe an. Rasch weicht die rosig gedämpfte, noch von grossen blauen Schattenzonen durchsetzte Morgenbeleuchtung der grellen, alles überhellenden und verflachenden subtropischen Steilbesonnung. Nach einer Weile setzt die Rippe plötzlich einen etwa 100 m langen Felskamm auf, hinter dem jedoch wieder Skigelände zu winken scheint. Die winterliche Kletterei mit aufgeschnallten Ski ist nur ein kurzes, gar nicht unwillkommenes Intermezzo, das mit einer lOmetrigen Abseilstelle schliesst. Unsere Rippe endet bald in einem Gipfel, aber westlich schliesst ein ähnlicher an. Welches ist wohl der rechte? Nach fünfeinhalb Stunden pflanzen wir die Ski auf dem ersten Ziel ein, nachdem wir die letzten 100 m zu Fuss zurückgelegt haben. Es hätte uns überrascht, wenn sein Nachbar nicht höher gewesen wäre; hoffentlich taucht dahinter nicht noch ein weiterer Gipfel auf. Nach beiden Seiten untersetzte, langgezogene, weissgescheckte Geröllrücken mit zahlreichen Erhebungen. Fesselnd ist der Gegensatz zwischen den lichten und reinen Schneehöhen und der farbgesättigten, staubge-schwängerten Erdoberfläche im Süden. Fern im Westen erkennen wir noch die leuchtende Gipfelgruppe des Toubkal-Massivs, und alte Erinnerungen werden wach.

Der Übergang zum Hauptgipfel nimmt mit einem kurzen Abstieg nur eine schwache Stunde in Anspruch und lässt die Ski bis fast zuoberst zu Ehren kommen. Nun gilt es, nach dieser etwas komplizierten Aufstiegsroute eine skigerechte und möglichst lohnende Abfahrt zu finden. Zunächst rattern wir über die hartgefrorenen Krusten wieder zum Zwillingssattel hinab, queren unter dem Vorgipfel durch und erreichen den Aufstiegsgrat am Fusse der Abseilstelle. Offene, aber steile Schneehänge fallen nach NO in eine Mulde ab, in deren Grund wir unsere Aufstiegsspur gerade noch schwach erkennen. Lockend ist die Versuchung, in dieses makellose Neuland unsere Spur zu zeichnen. Aber der Schnee könnte durch die intensive Bestrahlung lawinengefährlich geworden sein, und unten lauern Felsabstürze. Behutsam tasten sich die ersten Kurzski in die Tiefe und verraten eine naßschwere, zähe Masse, durch die wir uns einer nach dem andern zu pflügen haben, tiefe Furchen hinterlassend. Erst wenn man verschnaufend anhält, werden einem so recht die Ausmasse dieser Flanke bewusst, in der sich die paar Menschlein vollständig verlieren. Mehrere 100 m schiesst der Hang unbarmherzig steil in den hufeisenförmigen Kessel. Trotz der grossen Abstände ist es uns bei diesem « weissen Abenteuer » nicht ganz geheuer. Wir spüren einmal mehr: hier sind in jeder Hinsicht die Grenzen des « Skibaren ». Was nützt uns die Wendigkeit der Ski, wenn sie eine teigige Masse umklammert? Zuletzt flüchten wir durch eine lange Traverse nach links von der Felssperre weg und winden uns in engen Schleifen zum Talgrund hinab, wo wir erleichtert aufatmen. Inzwischen ist Mittag vorüber, und die Sonne brütet senkrecht über einer schattenlosen Landschaft. Wir wachsen die Ski, was das Zeug hält, und doch klebt der Schnee auf der ebenen Strecke bis zum Lager, wo uns die Chleuhs mit dem rituellen Tee und ihrem freundlich-ironischen Lächeln empfangen.

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