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An den Pfeilern des Brouillard

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Michel Piola, Genf

Kletterei am Pilier du Bout du Monde oder Bonington-Pf eiler

Abgelegen, rauh, majestätisch. Manche haben diese zur Ebene abfallenden, durch chaotische Eisströme getrennten, langen und felsigen Grate mit ihren Geschwistern im Himalaya, beinah am andern Ende der Welt, verglichen.

Diese interkontinentale Parallelsetzung ist kaum erstaunlich: Die Entlegenheit der Ziele, die grosse Höhe, die Vielfalt des Geländes, die Notwendigkeit, sich allein auf den eigenen Mut und Willen verlassen zu müssen, das alles sind genügend geeignete Gründe, um Alpinismus und Himalaya-Bergsteigen zueinander in Beziehung zu setzen.

An der Noire de Peuterey, der Gugliermina, dem Brouillard oder dem Frêney haben viele Generationen ungewöhnlich talentierter Alpinisten sich für eine einzige und kühne Sache eingesetzt: den ( Grand Alpinisme ).

Von T. Graham Brown und F. S. Smythe an der Major und an der Sentinelle Rouge über G. Boccalate, G. Gervasutti, R. Desmaison, W. Bonatti, J. Harlin, G. C. Grassi, P.A. Steiner, P. Gabarrou und viele andere bis zu B. Grison und P. Mailly in der

Unter andern hat Walter Bonatti in den fünfziger und sechziger Jahren unseres Jahrhunderts diesem Teil des Montblancmassivs sein Zeichen aufgeprägt.

Als guter Kenner des Gebietes und erfahrener Alpinist hat er dort einige seiner schönsten Stunden erlebt ( Grand Pilier d' Angle, Pilier Rouge des Brouillard, Solobesteigung der Major usw. ) und die dramatischste Erfahrung im Leben eines Menschen gemacht ( Drama am Pilier Central des Frêney ). Vor allen Dingen durch sein Buch A Mes Montagnes habe ich die der Gegend eigene stark ausgeprägte Atmosphäre in mich aufnehmen können.

Noch ehe ich dort hinaufging, kannte ich Ausblick beim Aufstieg zum Eccles-Biwak auf die drei Granitpfeiler in den Südabstürzen des Montblanc folglich die unglaubliche Heldentat am Frêney, die verborgene Geographie der Gletscherzuflüsse, wusste von der Kälte und den manchmal an diesen öden Orten herrschenden Stürmen, aber auch von der für den Alpinisten, der zum Kampf mit dieser mächtigen Natur auszieht, notwendigen Bescheidenheit.

In der Direktroute am Pilier Central des Frêney hatte ich bereits ermessen können, welche Entschlossenheit und welches Mass an Energie — zusammen mit dem nötigen Glück - für derartige Unternehmen erforderlich sind.

Ich hatte vor allem beurteilen können, dass es äusserst wichtig ist, Seilgefährten zu haben, die tüchtig und erfahren sind, auf die man wirklich in jeder Lage zählen kann. Leider konnte ich kein anderes Projekt mehr mit meinen damaligen Gefährten Pierre-Alain Steiner und Jöri Bardill ausführen, die beide zu früh den Tod in den Bergen fanden. So bin ich denn mit einem andern Schweizer Bergführer, mit Daniel Anker, dem Partner bei manchem Abenteuer, im Sommer 1989 ausgezogen.

Im herrlichen roten Granit Der Kessel des Brouillard, weiter westlich als das Becken des Frêney, ist ein bevorzugtes Ziel für den Alpinisten und Kletterer.

Stufenweise unter dem Pico Luigi Amedeo aufsteigend, den langen Grat des Brouillard verteidigend, wetteifern fünf Pfeiler aus herrlichem Granit miteinander an Schönheit und Eleganz.

Die drei am weitesten in der Mitte liegenden ( Pilier Rouge, Pilier Central und Pilier de Droite ) sind die bekanntesten und beliebtesten.

Der Anmarsch dorthin erfolgt - ein inzwischen seltener Fall in den Alpen - vom Tal aus zu Fuss, ohne andere technische Hilfe als den eventuellen Transport der Säcke mit einer Materialbahn bis zum Ende der ersten Etappe, der Monzino-Hütte.

Von dieser Hütte aus, einem richtigen Berghotel, muss man zunächst über einige Moränenrücken aufsteigen, um auf den chaotischen Brouillard-Gletscher zu gelangen.

Die vielfältige und wechselnde Gestalt dieses langen Eisstroms zwingt zu einem an seine Struktur angepassten Vorgehen, am besten jedoch so eng wie möglich an der Sockelzone der Pointe de l' Innominata, dort, wo das Netz der Spalten am wenigsten dicht und die Gefahr von Eisabbrüchen auf ein Minimum beschränkt ist.

18. Juli 1989, 3 Uhr morgens, Monzino-Hütte: bib - bib... bib - bib... Die schwachen, sich aber ständig wiederholenden Töne haben uns schnell aus unserm festen Schlaf gerissen! Nach einem rasch hinuntergeschlungenen Frühstück nehmen wir unsere Rücksäcke und dringen in die Nacht ein, nur der Schein unserer Stirnlampen geht uns voraus.

Wir haben so viel beunruhigende Beschreibungen dieses Aufstiegs zum Eccles-Biwak, einem kleinen, auf der Höhe des Brouillard-Gletschers errichteten Schutz-baus, gelesen, dass wir bereit sind, allen Schwierigkeiten die Stirn zu bieten und allen Tücken des Hochgebirges zu begegnen, um unser Ziel zu erreichen.

Abgesehen von einem kurzen nächtlichen Abirren vom markierten Pfad, einem Missgeschick, das sicher schon viele von uns erlebt haben, geht wirklich alles recht gut, und gegen acht Uhr sind wir in der Umgebung des Eccles-Biwaks dabei, aus einer Gamelle voll Harschschnee ein duftendes und warmes Getränk zu bereiten.

Von unserm Standort aus können wir in aller Ruhe die berühmten Pfeiler des Brouillard betrachten, in denen wir hoffen, die Möglichkeit für eine neue Kletterroute zu entdecken. Leider habe ich alle technischen Angaben zu Hause liegengelassen. Wir können also nur den Verlauf vorhandener Routen abschätzen, was unser Vorhaben nicht gerade erleichtert! Am Ende verlassen wir uns allein auf unsern Instinkt und beschliessen, den Pilier de Droite ( auch Pilier Bonington genannt ) an seinem tiefsten Punkt in Angriff zu nehmen, dort, wo schöne Verschneidungs-linien auf die logischste Weise der Welt zum oberen Teil des Pfeilers, einem erstaunlichen roten Felsbug, zu führen scheinen.

Unserer Gewohnheit getreu, beginnen wir sofort mit dem Klettern und teilen dabei den Tag ( und die Seillängen ) in zwei gleiche Partien. Einer von uns geht während der ersten Hälfte der Besteigung als Seilerster, der andere während der zweiten. Diese Technik macht es uns möglich, für die Seilmanöver kostbare Zeit zu gewinnen, indem die für die Übergabe des Materials notwendige Zeit an jedem Stand auf das Minimum reduziert wird: Das für den Seilersten unbedingt nötige Material - Hammer, nicht benutzte Haken, Bohrhaken, Klemmkeile usw. muss nicht jedesmal übergeben werden.

Wegen des langen Anmarsches haben wir unsere Bohrmaschine in der Morzino-Hütte zurückgelassen ( im Hinblick auf andere Projekte ) und nur zu setzende Bohrhaken mitgenommen.

Auch da versuchen wir, soviel Zeit wie möglich zu gewinnen: Nachdem der Seilerste den Stand nur mit einigen Klemmkeilen ausgerüstet hat, lässt er den Seilzweiten mit dem Sack nachkommen, der dann, in der toten Zeit während des weiteren Aufstiegs des ersten, den Stand definitiv ausrüstet ( Seilschlingen, Haken oder Bohrhaken ).

Diese da und dort zusammengesparten wenigen Minuten haben zur Folge, dass wir nach einer herrlichen Kletterei bereits in der In herrlichem Granit ( am Bonington-Pf eiler ) Mitte des Nachmittags auf der Schulter stehen, die den Gipfel unseres Pfeilers bildet, und dass wir genügend Zeit haben, um über unsere Route abzuseilen und dann das Eccles-Biwak noch vor der Dämmerung zu erreichen.

Der kleine metallene Schutzbau in Form einer Halbtonne, der sich auf halber Höhe eines die Séracs des Brouillard-Gletschers überragenden Felsrückens an den Hang lehnt, ist ein wahres Adlernest. Das Biwak kann maximal neun Personen aufnehmen ( aber in welcher Enge !), es ist der bevor- zugte Ausgangspunkt für Alpinisten, die den berühmten Grat der Innominata ersteigen wollen. An diesem Abend haben wir Glück und sind allein, können voll und ganz die extreme wilde Einsamkeit dieser Höhen geniessen, ehe wir uns beim Widerschein eines herrlichen Vollmonds, der diese Pfeiler am Ende der Welt in sein Licht hüllt, zur Ruhe legen.

Vollkommen glücklich über diesen herrlichen Tag, können wir jetzt nur mit dem Traum von einem weitern Tag an einem andern Pfeiler von gleicher Farbe ( dem Pilier Rouge ), von andern Klettertouren einschlafen und, warum nicht, mit dem Traum von ei- « steil,. nem gleichen übernächsten Tag mit einer dritten Tour ( der Aiguille Croux ) unter einer gleichen Sonne und mit ebensolchem Erfolg. Ehe uns die Rückkehr ins Tal wieder in die reale Welt der Menschen zurückbringt.1'Siehe dazu die Beschreibung der Anker-Piola-Rou-ten am Pilier Rouge und am Pilier de Droite des Brouillard, MB 3/91 Aus dem Französischen übersetzt von Roswitha Beyer, Bern Blick auf das Eccles-Biwak

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