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A. W. Moore als Alpenpionier

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Mit 1 Zeichnung.Von Paul Montandon.

Wenigen Alpenfreunden aller Länder war es beschieden, eine so bedeutende Anzahl hervorragender Erstbesteigungen alpiner Hochgipfel und neuer Passüberschreitungen auszuführen, wie dem Engländer A. W. Moore.Vorkämpfer in der alpinen Glanzzeit, durchstreifte dieser Unermüdliche von 1862 an im Laufe einiger Sommer in Begleitung bester Schweizerführer unsere und die französischen Alpen, reiste auch zweimal mit Freunden in den Kaukasus. Geboren 1841, war ihm nur ein kurzes Leben vergönnt. Überarbeitet schloss er schon im Februar 1887 an der Riviera die Augen, kurz vor Antritt seines hohen Amtes als politischer Sekretär des India Office. Eine Zeitlang war er Schriftführer des Alpine Club gewesen und hatte zweimal eine Wahl zum Präsidenten ausgeschlagen.

Seine ersten Besuche der Berge geschahen 1860 und 1862, und seine hauptsächlichsten Besteigungen 1864 und 1865, einige auch 1872, in welchem Jahr er infolge eines Fehltritts vom Rande einer Gletscherspalte die linke Schulter ausrenkte. Dies behinderte ihn von da an sehr, verhinderte ihn aber nicht, 17 Tage nachher, den linken Arm in der Schlinge, mit den beiden Anderegg den Mönch über den 60° steilen Nollen zu besteigen, statt die ihm vorgeschriebene Wartezeit einzuhalten2 ). 1868 und 1874 wirkte Moore an der ersten und zweiten Expedition in den Kaukasus mit. Als Erste bestiegen die Teilnehmer den Kazbek und den Elbrus.

In den Alpen hatten jene frühen Bergsteiger noch « l' embarras du choix ». Wenn sie auf der Höhe eines von ihnen gewählten neuen Hochpasses anlangten, brauchten sie sich bloss zu fragen, welchen der jungfräulichen Gipfel links oder rechts sie mit ihrem Besuche beehren wollten. Christian Almer, geboren 1826, also damals in seinen besten Jahren, und Jakob Anderegg, geboren 1828, waren meist Moores Leibführer. Dazu steuerten, wenn sie zusammen-spannten, Moores fast gleichaltrige Freunde Horace Walker, Foster, Edward Whymper oder Morshead weitere erstklassige Verstärkungen bei in der Person eines Melchior Anderegg oder Michel Croz, beide schon damals sehr geschätzte Führer, zu denen sich zeitweise auch Hans Baumann oder Peter Perren gesellte. Sie durften also so ziemlich alles wagen, auch ohne Steigeisen und zuzeiten sogar bloss mit Alpenstöcken versehen statt Pickeln ( Brenvadenn die Kräfte unserer Führerkönige erlahmten auch in wildesten Séracs und an höchsten Eishängen nie.

Moore hatte ein gutes topographisches Auge. Es zeigt sich dies in seinen klaren Wegbeschreibungen, und das Zusammenstellen von kühn erdachten Plänen verstand er wie kaum ein Zweiter. Er hatte eine Vorliebe für schwierige Hochpässe, für neue Verbindungen zwischen zwei Tälern. Dies besonders im wenig erforschten Dauphiné, wo man mangels zuverlässiger Karten oft nicht wusste, wohin man auf der Gegenseite eigentlich geriet. Also noch ein schönes Stück Romantik! Die damalige sardinische Karte war höchstens Notbehelf, half aber in der Not nicht immer. Die Unterkunftsfrage vor einer grossen Bergfahrt musste sehr oft in Gottes freier Natur oder im besten Falle in mehr oder weniger guten Heuschobern gelöst werden, sogar in La Bérarde, dem Zentrum der Gruppe. Zdarskys Schlafsäcke waren noch Zukunftsmusik! In den primitiven Dauphine-Wirtshäuschen, wo solche vorhanden waren, bekamen die Reisenden als Proviant höchstens hartes Brot, Butter, alten Käse und sauren Wein, bestenfalls noch Eier. Fleischkonserven wurden viel später.erfunden. So erzählt Moore immer wieder, wie sie sich im Biwak an heissem Wein ( mit Wasser oder Kaffee vermischt ) und Butterbrot erlabten, was schliesslich nicht gar so übel tönt. Er und sein Freund Horace Walker nützten ihre Ferien gehörig aus, oft ohne Ruhetag zwischen mehreren Hochfahrten. Ich denke an die Dreierserie Col d' Hérens-Rimpfischhorn-Dom ( Versuch bis hoch oben ) in drei Tagen, letztere zwei mit Abmarsch von Zermatt aus. Almer war immer und zu allem bereit.

Im Anfang seiner alpinistischen Laufbahn war Moore ein 23j ähriger Mann. Seine Kurzsichtigkeit zwang ihn zu grosser Vorsicht. Wenn die Verhältnisse sich sehr schwierig gestalteten, wurde er mitunter von einer gewissen Mutlosigkeit befallen, was er ganz ruhig eingesteht. Er war wohl etwas nervöser als der kaltblütigere und anfänglich etwas erfahrenere Whymper.

Moores neue Besteigungen und Passüberschreitungen sind hauptsächlich folgende:

1862: Erste und 1865 zweite Überschreitung des Sesiajochs. 1864: Brèche de 1a Meije ( in La Grave grosses Aufsehen erregend ). Les Ecrins ( mit zwei Freilagern, eines ohne Decken ). Col de 1a Pilatte, Momingpass, Wetterlücke im Nordabstieg ( drei schwierige Pässe; den Moming überschritt er mit bloss sechs Nägeln an jedem Schuh 1 ).

1865: Porta da Gliems, Piz Roseg, Obergabelhorn, Pigne d' Arolla und Col de Breney, Mont Blanc-Brenvaroute ( als Höhepunkt, besonders von ihm ins Werk gesetzt ).

1870: Winterjoch ( « nicht empfehlenswert » ).

1872: Studerhorn ( neuer WegGross Nesthorn ( neuer WegVersuch Weisshorn vom Biesgletscher ( Unfall: Luxation der linken Schulter ); usw.

Selbstverständlich bestieg er die meisten übrigen Hochgipfel der Zentralalpen, wenn auch nicht als Erster. Edmund von Fellenbergs Verdienste und diejenigen anderer schweizerischer Bergsteiger würdigte er nach Gebühr. Am Bietschhorn wurde Moore dreimal durch schlechtes Wetter zurück- A. W. M00RE ALS ALPENPIONIER.

getrieben. An den Fahrten von 1864 hatte besonders Christian Almer seinen Teil, dann auch Michel Croz als Begleiter Whympers. Diejenigen von 1865 leitete Jakob Anderegg, die Mont Blanc-Brenva-Expedition mit seinem Vetter, dem berühmten Melchior.

Bemerkenswerte Bergfahrten Moores, allein mit Almer, sind auch die Besteigung des Mont Blanc vom Col de Voza, nach einem Talmarsch von zehneinhalb Stunden am Vortage. Die vereisten Felsen der Aiguille du Goûter ( Moore hatte nur einen Handschuh !) waren so schwierig, dass Almer A. W. Moore.

Zeichnung von Oswald Saxer, Zofingen.

behauptete, nicht für 1000 Franken möchte er wieder dort hinunter! Im Abstieg verloren die zwei im Walde oberhalb Chamonix im Finstern den ganz nahen Weg und biwakierten während drei Stunden.

Ebenso hervorzuheben ist die Wetterhorn-Überschreitung Moores und Horace Walkers mit Almer und Rudolf Boss direkt von Grindelwald aus mit Abstieg über den Eisfall des Rosenlauigletschers nach Rosenlaui und Rückkehr am gleichen Abend nach Grindelwald, ein zwanzigstündiger, zum Teil schwieriger Marsch. Die Wellhornfelsen erklärte Almer damals als ganz unzugänglich, ein interessantes, weil unzutreffendes Urteil. Um das Aletschhorn zu besteigen, liefen Moore und Almer von Zermatt nach Visp hinunter und hernach von Naters in zweidreiviertel Stunden zur Belalp hinauf, wo sie aber einen Tag auf besseres Wetter warten mussten. Nach dem Aletschhorn querten sie den Beichgrat auf schwieriger Variante, nächtigten in Guggistafel und überschritten am folgenden Tage die Wetterlücke, zum Teil im Nebel. Der Grat von der Lücke zum Breithorngipfel hinauf gesehen erschien ihnen als äusserst schwierig! Im Nordabstieg von der Lücke hatten sie grosse Mühe durchzukommen.

Moore schrieb über seine Fahrten zu seinem Vergnügen ein ausführliches Tagebuch, das hernach auf Drängen seiner Freunde 1867 in etwa 100 Exemplaren gedruckt und an sie verteilt wurde. Diese Arbeit gilt als ein authentischer, genauer Bericht über das Bergsteigen jener Jahre. Moore offenbart darin ein hoch entwickeltes Gefühl und Verständnis für die Schönheit der Alpennatur. Er war kein beschränkter Sportfex: niemand kenne eine Berggegend, der nicht alle ihre Täler im Auf- und Abstieg begangen habe. Er handelte nach diesem Grundsatz, und zwar oft genug zu Fuss, auch wo eine Fahrgelegenheit erhältlich gewesen wäre.

Moore war einer der ersten, welche das Hochgebirge auch im Winter aufsuchten. So ging er im Winter 1866 über Finsteraarjoch und Strahlegg, 1867 nochmals über die Brèche de 1a Meije in dreizehneinhalb Stunden von La Grave nach La Bérarde statt der achteinhalb Stunden zur Sommerszeit. Im Winter 1869 besuchte er auch die Grands Mulets. In verschiedenen Teilen seines Tagebuches entdecken wir die Erwähnung recht interessanter Charakterzüge seiner Führer und ebenso solche seiner Turengenossen. Ausser Croz waren es fast nur Schweizerführer — vor allem Almer, Melchior und Jakob Anderegg — welche sie in Dienst hatten und welchen diese jungen Engländer ihre Erfolge verdankten, es auch stets anerkannten. Es war wohl nicht besonders praktisch, dass zwei Grössen wie Almer und Croz sich nur durch Zeichen gegenseitig verständlich machen konnten und die Verhandlungen stets auf dem Umweg über die Herren vor sich gingen. Die zwei waren einander ebenbürtig, aber es überrascht, dass Almer, obwohl etwas älter, bei Meinungsverschiedenheiten über den Weg immer der sich zurückhaltende, freundlich und friedlich Bleibende war. Croz war vielleicht der Gebildetere der beiden, aber er liess sich leicht hinreissen und blieb hartnäckig bei seiner Meinung, auch wenn alle anderen gegenteiliger Ansicht waren. Ging er dann gerade an der Spitze, so musste man ihn gewähren lassen, bis er selber einsah, dass Almer und die übrigen recht hatten. Übrigens zwei prächtige Führer, die einander achteten und im ganzen sehr gut zusammen auskamen, trotz der verschiedenen Temperamente. Hie und da neckten sie einander und wurden nur dann schlechter Laune, wenn in gewissen französischen Turistenhotels ihre Tagesrechnung sich höherstellte als ihr Sold als Führer.

Moore hat auch Humor und erzählt allerlei lustige Episoden, die unsere Reisenden stets von der guten Seite nahmen. So berichtet er, wie im Wirtshaus von St. Martin-de-Belleville das ganze Tischbesteck aus einem alten rostigen Messer mit halbem Griff bestanden habe, so dass die Turisten sich mit ihren Taschenmessern behelfen mussten. In welcher Weise sie ihre Suppe assen, darüber schweigt die Geschichte! In einem andern « Hotel » des Dau- phiné, wo bisher keine Bergsteiger hingeraten waren, erweckten die Gletscherseile die Neugier der Einheimischen gar sehr, worauf ihnen Croz in allem Ernst erklärte, dass mit den Seilen Gemsen eingefangen und sodann eingespannt und zum Ziehen abgerichtet würden, was als bare Münze angenommen und offenbar geglaubt wurde. Nach La Bérarde hatten die Reisenden ihr Gepäck « unten herum » geschickt. Als sie es aber nach dem Abstieg aus der Brèche in Empfang nehmen wollten, fehlten fast alle Zigarren. Das war in jener unwirtlichen Gegend, fern von aller Zivilisation, ein schwerer Schlag. Also Reklamation: « Monsieur X ( der Träger ), vous avez beaucoup fumé hier? » Die Antwort des Braven lautete: « Oh, monsieur, moi je ne fume jamais! jamais! » Eingezogene Informationen lauteten, der Mann sei nicht nur ein grosser Raucher, sondern auch der grösste Lügner der ganzen Gegend.

An einer Anzahl Bergfahrten nahm auch der um ein Jahr ältere Edward Whymper teil, und es wäre interessant, Moores Berichte mit jenen der « Scrambles » zu vergleichen und die Auffassung der zwei Autoren einander gegenüberzustellen.

Betrachtet man Moores Bergfahrten, so müssen uns viele derselben mit Bewunderung erfüllen, besonders auch in Anbetracht des Zeitalters, in welchem sie unternommen wurden. Die Überschreitung des Mont Blanc vom Col de Voza, allein mit Almer, wurde bereits erwähnt. Ebenso überstieg er den Weissen Berg vom Glacier de Miage aus ( mit Foster, Jakob Anderegg und Hans Baumann ). 1220 nachts brachen sie in Courmayeur auf, standen um 3W nachmittags auf dem Gipfel, um ß45 Uhr auf den Grands Mulets und um lü40 Uhr abends in Chamonix. 19 Stunden 50 Minuten Marsch in einem Tage.

Und endlich Moores und seiner Genossen unbestreitbar grösste Leistung in Konzeption wie Ausführung, die Besteigung des Mont Blanc vom Brenvagletscher aus. Hier waren die Meinungen von vorneherein geteilte. Almer und Christian Lauener äusserten gelegentlich, die Besteigung sei vielleicht möglich, sei aber gefährlich wegen überhängenden Gletschern. Melchior Anderegg, dem alles Risiko zuwider war, erklärte sie direkt als « eine miserable Dummheit », welchem Urteil sich Peter Perren anschloss. Jakob Anderegg dagegen hatte zur Gewohnheit, sich über alle berechtigen Bedenken seines doch sehr verehrten Vetters lustig zu machen. Moore endlich, damals 24 Jahre alt, war anfangs ebenfalls gegen einen Versuch, wurde dann aber anderer Ansicht, als er Gelegenheit hatte, von der Höhe des Col de 1a Brenva die anscheinend nicht sehr ausgedehnten, zum Brenvagletscher abfallenden Hänge und die ihnen entspringende Felsrippe zu betrachten. Der Neigungswinkel betrage im Mittel 37%°. Nach einem Freilager am Gletscher wurde die Besteigung am 15. Juli 1865 durch Moore, Frank Walker ( 59 Jahre alt ), Horace Walker Sohn und G. S. Mathews unter Leitung der zwei Anderegg ohne Unfall durchgeführt und Chamonix spät abends am gleichen Tage erreicht. Im Laufe derselben sagte Melchior als Antwort auf eine Frage, « man müsse nun hinauf, denn ein Zurückgehen sei nicht möglich ». Beim dünnen, waagrechten Eisgrat ( blaues Eis ohne eine Spur von Schnee ) rutschte und ging Jakob, als der Leitende, einfach hinüber, ohne sich auch nur umzusehen. Gemäss Bild im Band II des « Alpine Journal » und einer Bemerkung in Moores Bericht hatten alleHerren bloss Alpenstöcke mitgenommen, also weder Pickel noch Steigeisen, und werden diesen Mangel wohl öfters empfunden haben. Später löste Melchior seinen Vetter in der Leitung ab und leistete bei den obersten Séracs ein Bravourstück, in dem er den 15 Fuss höheren Rand einer Spalte in senkrechter Kletterei bezwang. Diese Bergfahrt erregte in alpinen Kreisen berechtigterweise grosses Aufsehen.

Nach dem guten Ausgang dieser Expedition scheint Almer seine Ansicht geändert zu haben. Denn fünf Jahre später ( 1870 ) führte er Coolidge als Zweiten hinauf, direkt zum Mont Blanc-Gipfel, den Col de 1a Brenva rechts lassend.

Aber ein Element der Gefahr bleibt wohl trotzdem mit diesem grossartigen Weg verbunden. Julius Kugy, dem wir 1900 unter dem Gipfel unmittelbar nach seinem Brenvaaufstieg begegneten, erklärte uns damals, diese Route sei gefährdeter als diejenige des Monte Rosa von Osten. Und auch Josef Knubel, welcher die Brenva im Auf- und Abstieg begangen hat, äusserte sich in ähnlicher, respektvoller Weise. Der Name Col Moore am Fuss der Hänge erinnert nun an denjenigen, welcher die erste Begehung zum grossen Teil ausgedacht und in die Wege geleitet hat. Seine Beschreibung im Tagebuch und im « Alpine Journal » ist meisterhaft.

Es mag heute von Interesse sein, hier den Eindruck wiederzugeben, welchen Moore im Laufe einer Eigerbesteigung bei Betrachtung der Nordwand ( eigentlich Nordwestwand ) empfing: Niemand könne sie richtig beurteilen, der sie nicht aus gewisser Höhe betrachtet habe. Ausgenommen im Dauphiné habe er nirgends derartig glatte, unzugängliche Felsen gesehen. Dagegen äusserte sich Farrar in einem Briefe, nach einem Gang über die Wengernalp in Begleitung des Führers Kederbacher, wie folgt: « Wenn Sie die Wand von Alpiglen aus betrachten ( also vom Nordwestfuss ), sieht sie durchaus nicht schlecht oder sogar sehr steil aus. » Die zwei Kämpen waren damals ( 1883 ) auf der Suche nach einer recht schwierigen Bergfahrt und, fährt Farrar weiter, « Kederbacher war dafür, die Wand zu versuchen; er war ein grosser Mann auf Platten, wie denn die Kalkgebirgekletterer oft grossartig sind. » Es wäre interessant gewesen, zu sehen, wie hoch die zwei ohne « Schlosserei » gekommen wärenI Farrar zog dann die Westwand desWeiss-horns vor.

Damit nehmen wir Abschied von A. W. Moore, diesem jugendlich unternehmenden Bergsteiger und interessanten Erzähler aus alten schönen Zeiten, die in unsern Bergen endgültig vorüber sind, nun aber in grösserem Maßstabe ihre Auferstehung in entfernten Weltteilen feiern.

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