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Tirich Mir 1982

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

1982

Pierre Galland, Neuchâtel

L' Himalaya, ça ne s' explique pas ...ou plutôt si.

L' Himalaya, on ne peut résister à sa fascination.

B. Pierre 1 Mitglieder der Expedition: Markus Itten, Bern ( Chef der Expedition ); Daniel Chevallier ( genannt Yèti ), Chaumont; Heinz Fahrer, Bern ( Arzt ); Pierre Galland, Neuenburg; Ernst Hunziker, Münchenbuchsee; Toni Knecht, Zürich; Eric Marchand, Villeret.

Alle Alpinisten, denen einmal das Glück widerfahren ist, die Hochgebirgswelt Asiens zu entdecken, sind von ihr verzaubert und warten ( oftmals fast unbewusst ) nur auf die Gelegenheit, dorthin zurückzukehren. Auch ich bin vor Freude aufgesprungen, als mich an einem Winterabend 1981/82 mein Kamerad Yèti mit Unschuldsmiene fragte, was ich von einer Reise nach Pakistan, mit einem 7000-Meter-Gipfel in Aussicht, halte. Obschon der Hindukusch ( der allerdings nicht zum Himalaya gehört ) Ziel der Expedition sein wird, macht sich bei mir sofort diese Faszination, von der Bernard Pierre spricht, bemerkbar.

Eine kleine Gruppe von Berner Alpinisten wendet sich im Jahre 1981 an die pakistanischen Behörden mit dem Ersuchen um eine Bewilligung für die Besteigung des Hauptgipfels des Tirich Mir ( 7707 Meter ); eines Berges, der sich in unmittelbarer Nähe der pakistanischen und afghanischen Grenzen erhebt. Da die vier Bergsteiger bis Ende Januar 1982 keinerlei Nachricht mehr erhalten, glauben sie, die Angelegenheit sei damit wohl endgültig erledigt. Doch sie täuschen sich! Anfang Februar bekommen sie die vorschriftsmässige Bewilligung für die Zeitspanne Juni-Juli. Es bleiben ihnen also kaum noch vier Monate, um ihre Mannschaft zusammenzustellen und alles zu organisieren... Die Wette kann trotzdem gehalten werden; acht Alpinisten ( unter ihnen drei Romands ) fliegen Anfang Juni nach Rawalpindi.

Wir reisen in zwei Gruppen, mit einem Abstand von drei Tagen. Ich gehöre dabei der zweiten Equipe an, die die Schweiz am 6. Juni verlässt. Im Flugzeug ziehen Erinnerungen an meinem inneren Auge vorbei: vor zwei Jahren Nepal, letztes Jahr das hohe Atlasgebirge, und diesmal wird es Pakistan sein. Ich beobachte meine Gefährten, die ich erst seit einigen Wochen kenne. Für alle von uns ist es eine Reise ins Unbekannte. Erweist es sich doch als schwierig, in Europa Informationen über Pakistan zu erhalten, das als Neuland gilt und viel weniger dem Tourismus geöffnet ist als seine Nachbarländer. Zudem wollen wir uns dem Land nicht mit zu vielen vorgefassten Meinungen nähern.

UdSSR Pakistan, geographische Lage China Islamabad, Rawalpindi: zwei Städte, die nur wenige Kilometer auseinanderliegen; dazwischen der Flughafen. Über Islamabad gibt es nicht viel zu sagen. Die sehr modern anmutende Hauptstadt des Landes besteht aus ziemlich regellos angeordneten Betonblöcken, die dem Ganzen einen unpersönlichen Anstrich verleihen. Wir begeben uns nur deswegen dorthin, um die unumgänglichen Formalitäten, die übrigens rasch erledigt sind, hinter uns zu bringen. Im Gegensatz zu Islamabad ist Rawalpindi ( oder ) eine typisch asiatische Stadt mit ihrem Menschengewimmel, ihrem Lärm und ihrem pulsierenden Leben. Ein Hotel, wo noch der althergebrachte Charme der englischen Kolonialzeit herrscht, dient uns als Unterkunft. Dieses Hotel wird von den Expeditionen als Stützpunkt verwendet, und auch wir versorgen uns mit den uns noch fehlenden Dingen wie Nahrung, Treibstoff und sonstigem Material. Vor allem aber wollen wir uns mit der pakistanischen Lebensweise befreunden. Dies, indem wir zu Fuss die Gassen der Basare durchstreifen, wo alles nur mögliche feilgeboten wird und wo von Pferden gezogene Karren sich mühsam an kleinen, geradezu künstlerisch dekorierten Bussen und Taxis vorbeizwängen. Im Gegensatz zu Indien oder Nepal wirkt hier alles viel weniger bunt. Braun-graue Farbtöne beherrschen das Strassenbild. Die wenigen Frauen, denen wir begegnen, sind ganz verschleiert und oft in Schwarz gekleidet. Die Männer tragen weite, gebleichte Kleider aus leichtem Tuch, die sich für Temperaturen, die im Laufe des Tages über 40° ansteigen, gut eignen.

Sonntag, 13. Juni Weniger als eine Woche nach unserer Abreise aus der Schweiz sind wir zum Aufbruch bereit. Wir verfügen jetzt über einen Verbindungsoffizier, Major Javed, der uns schon bei der ersten Kontaktnahme einen ausgezeichneten Eindruck machte. Auch in Zukunft werden wir uns glücklich schätzen, diesen charmanten und energischen Mann, der sein Land bestens kennt und uns grosse Dienste leisten wird, als Begleiter bei uns zu haben. Wir fahren gegen Norden, zu den Bergen, weit weg von den Städten und den überhitzten Ebenen.

Zwei Minibusse bringen uns in einem Tag auf guten Strassen nach Dir, am Fusse der ersten grösseren Berge. Unterwegs begegnen wir Fahrzeugen aller Art, auf denen in gekonnter Weise Szenen aus dem ländlichen und dörflichen Leben mit seinen typischen kleinen Häusern aufgemalt sind; ein eigenartiges Schauspiel! Kurze und zufällig eingeschaltete Halte erlauben uns, den Zauber der in diesem Erdteil an allen Strassen anzutreffenden Tee-buden zu geniessen, wo ständig Wasser gekocht, Ragout geschmort und Chappatis gebraten werden.

Die Etappe von Dir bildet den Endpunkt der geteerten Strasse und erfordert das Wechseln der Fahrzeuge. Das übliche Transportmittel ist hier der Jeep, den man wirklich als allgemeines Verkehrsmittel bezeichnen kann: ein sol- Chitral. Im Hintergrund der Gipfel des Tirich Mir ches Vehikel fährt niemals mit weniger als 12 Menschen an Bord! Wir laden unser Material auf ( 1 Tonne ) und klettern dann selbst ( 15 Personen mit dem Chauffeur und seinen Helfern ) in 3 Jeeps! Unnötig zu erwähnen, dass wir die Fahrt, hoch oben auf einem Kar-tonstapel sitzend, erleben, was uns immerhin eine Panoramasicht garantiert. Mit zunehmender Höhe nimmt auch die Hitze ab, und die Hänge zeigen sich in saftigem Grün. Die Bergzüge bilden für die Wolken hier ein erstes Hindernis, was die nötigen Niederschläge abgibt, um die schönen Kulturen und die bis auf mehr als 3000 Meter hinauf reichenden Zedernwälder entstehen zu lassen. Die kurvenreiche Strasse überquert mehrere Flüsse, wovon einer noch von Winterschnee bedeckt ist. Die Fahrzeuge traversieren diese Schneebrücke und weichen dabei auf geradezu akrobatische Weise einem Lastwagen aus, dessen eine Rad die Decke durchbrochen hat. Wir schalten einen kurzen Halt ein, um Wasser in die überhitzten Kühler zu füllen, was den Chauffeuren zugleich erlaubt, einige kleinere Reparaturen vorzunehmen. Daneben schneiden Einwohner von Dir grosse, schmutzige Schneeblöcke heraus, die sie auf Camions laden, um sie dann in der Stadt zu verkaufen. Gruppen von Flüchtlingen, beladen mit ihren wenigen Habseligkeiten, gehen vor uns her. Wir ergreifen die Gelegenheit, um ein bisschen mit den Afghanen, die mit Patronentaschen, Handgranaten und Gewehren behan- Muzhgol, Endpunkt der fahrbaren Strasse gen sind und sich vorbereiten, zum Kämpfen in ihr Land zurückzukehren, ins Gespräch zu kommen. Auf ungefähr 3000 Metern Höhe erreichen wir schliesslich den Pass, über welchen wir ins Kunartal gelangen. Der Bergkamm, auf dessen Scheitelpunkt wir uns jetzt befinden, riegelt das Hinterland weitgehend vom Einfluss der Monsunwolken ab. Die sich vor uns öffnende Landschaft lässt uns ein unübersehbares Netzwerk trockener Täler entdecken. Unsere Blicke schweifen über karge Weiten, wo die graubraun getönten Bergflanken sich von den bebauten grünen, ja manchmal fast golden wirkenden Talböden abheben. Unzählige Kurven bringen uns ans Ufer des Flusses, der - unter beeindruckendem Tosen -seine schlammigen Fluten der nur wenige Kilometer entfernten afghanischen Grenze zuwälzt. Und die Jeeps fahren weiter dem Fluss entlang gegen Drosh und Chitral; eingehüllt in Staubwolken und den sengenden Strahlen der Sonne ausgesetzt.

Eine Talverbreiterung hat hier das in dieser eintönigen Landschaft eine grüne Oase bildende Städtchen Chitral entstehen lassen. Landepiste, Elektrizitätswerk sowie eine Betonbrücke passen allerdings wenig zum mittelalterlichen Basar und dem zur Ruine zerfallenen Palast, der durch eine Flussschleife geschützt ist. ( Was diesem Marktflecken übrigens schon immer zur Stellung eines Verwal-tungszentrums verholfen hat. ) Von unserem Hotel aus sehen wir - allerdings noch sehr weit entfernt und von Gewölk umhüllt - die Schneegipfel, auf die wir so rasch als möglich unseren Fuss setzen möchten. Wir beeilen uns, die Formalitäten und die unumgänglichen Behördenbesuche zu erledigen.

Am übernächsten Tag erwartet uns eine Etappe von 70 Kilometern. Wir nehmen in den Jeeps Platz und folgen dem Fluss auf einer ziemlich guten Strasse, die abwechslungsweise wilde, wüstenartige, von der Sonne verbrannte Schluchten und dann wieder - wo Bewässerung möglich ist - im Schatten von Fruchtbäumen und Pappeln liegende, bebaute Gebiete durchquert. Wir verlassen die Fahrzeuge in Muzhgol ( am Fusse des Zanipasses ) und führen die traditionellen Gespräche mit den Trägerchefs. Darüber gibt es bloss zu berichten, dass deren Hartnäckigkeit in den Lohnverhandlungen nur mit ihrer Ausdauer und Energie zu vergleichen ist, mit denen sie ihre Aufgabe erfüllen - doch dazu muss der Vertrag erst einmal abgeschlossen sein. Ur- teilt selbst: Die erste Etappe führt uns von Muzhgol ( auf etwa 2000 m Höhe ) über den mehr als 3800 Meter erreichenden Zanipass nach Shagrom ( 2800 m ). Wobei zu erwähnen ist, dass diejenigen Träger, die nur die erste Etappe mitgemacht haben, am selben Abend auf der gleichen Route zurückkehren. Der landschaftlich einmalige Aufstieg zum Pass versetzt uns in Entzücken: der von unten kahl erscheinende Hang gliedert sich in mehrere, von weitem nicht zu erahnende Talmulden und -stufen. Dort, wo Bäche durchfliessen, wird auch der Boden bestellt. Bis auf eine Höhe von über 2500 m treffen wir noch auf mehrere Dörfer. Oberhalb der letzten Wohnstätten schlängelt sich dann der Weg durch Geröllhalden empor, uns an gelbblühenden Eremurus ( Lilienschweif oder Schweifaffodill ) und anderen schönen, uns aber nicht namentlich bekannten Pflanzen vorbeiführend.

Das auf der anderen Seite des Passes gelegene Shagromtal wird von einem Fluss entwässert, der direkt den Gletschern des Tirich Mir entspringt. Dieses Tal ist noch tiefer eingeschnitten als die vorangegangenen, aber da es so nahe der höchsten Berge liegt, verfügt es über genügend Wasser, um bis auf über 3000 Meter Ackerbau zu ermöglichen. Nach einem ganztägigen Aufenthalt ( es leben die Verhandlungen !) können wir uns wieder auf den Weg machen. Im Verlauf der 3 folgenden Tage steigen wir das Tal hinan. Drei Tage, drei Etappen, an die wir uns noch lange erinnern werden. Zuerst das Sherniaktal, wo auf über 3500 Metern der einzige Wald der ganzen Region gedeiht! Am Abend versammeln wir uns um ein grosses Feuer. Die Träger tanzen, singen, klatschen in die Hände und laden uns in Anbetracht der besonderen Gelegenheit zum Mitmachen ein; denn morgen werden wir die Grünflächen gegen eine Welt aus Fels und Eis austauschen.

Die zwei nächsten Etappen auf unserem Anmarschweg führen uns über den Gletscher. Die lange Trägerkolonne windet sich zwischen riesigen im Eis steckenden Gesteinsbrocken hindurch, bewegt sich hinauf, dann wieder hinunter, indem sie einen von früheren Expeditionen undeutlich vorgespurten Pfad verfolgt. Die letzte Nacht verbringen wir auf mehr als 4000 Metern Höhe, auf einer Seitenmo- räne, inmitten von grossen, runden, vom Gletscher herangetragenen Steinblöcken.

Abends knien unsere islamischen Träger angesichts der Siebentausender, die noch von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne beleuchtet werden, zum Gebet nieder; ein für uns Abendländer überwältigender und ergreifender Anblick.

Am folgenden Morgen, kaum hat die Sonne die höchsten Zinnen gestreift, brechen wir zur letzten Etappe auf, die uns durch diese von bizarren Eistürmen gebildete Landschaft führt. Die Höhe macht sich jetzt auch für die Träger bemerkbar, die dem Arzt ihren Kopf mit eindeutigen Gesten und in der Hoffnung hinhalten, Medikamente zu bekommen. Auch wir fühlen uns nicht überaus gut, denn wir sind sehr rasch aufgestiegen, und jetzt befinden wir uns auf über 4500 Meter. Mit einem Ausruf der Erleichterung entdecken wir unweit einer Gletscherbiegung mehrere von früheren Expeditionen zwischen mächtigen Moräneblöcken angelegte Terrassen. Kaum können es die Träger erwarten, wieder in angenehmere Klimazonen zurückzukehren. Hastig trinken sie eine Tasse Tee, nehmen ihren Lohn in Empfang, und schon sehen wir sie in einer langen, fröhlichen Kolonne talauswärts marschieren. Jetzt sind wir also alleine, mit einem Koch, seinem Gehilfen sowie drei Trägern, die uns beim Hinaufschaffen des Materials zu den ersten Lagern behilflich sein sollen. Wir errichten eine Küche, die durch Steinmäuerchen und eine grosse Plastikfolie geschützt wird, um alsdann die Zelte aufzustellen und all unser Material auszupacken. Unsere Bewegungen sind langsam, jede Tätigkeit verlangt häufiges Innehalten, währenddem wir zu den uns umgebenden Gipfeln hinaufspähen. Wir haben uns beeilt hinaufzukommen, um zu sehen, was sich hinter den uns noch überragenden Steinen verbirgt, und uns zu messen mit dem Berg, den wir gewählt haben. Aber für einige war der Aufstieg hart, so dass das Einschalten einer Ruhepause vor dem Erreichen grösserer Höhen unumgänglich ist.

Am nächsten Tag errichtet eine Equipe das Lager I auf etwa 5000 Metern Höhe. In den folgenden Tagen gilt es, den Weg zu spuren und die Lasten hinaufzutragen. Wir versuchen, immer etwas weiter auf dem an sich nur mässig steilen, aber eine entmutigende Längenausdehnung zeigenden Gletscher höherzukommen, wobei der Wind und der jeden Nachmittag fallende Schnee die Spuren stets wieder verwischen und uns so die Arbeit noch zusätz- in Richtung des Lagers II am Fusse des Irg Zorn lieh erschweren. Wir benötigen mehr als zwei anstrengende Wochen, bis es uns gelingt, ein Lager auf fast 6600 Metern aufzuschlagen. Hier, am Fusse eines Couloirs von 600 Metern, das den Weg zum Gipfelgrat freigibt, stehen wir am Beginn der eigentlichen Schwierigkeiten. Die zwei vergangenen, überaus anstrengenden Wochen haben sich ungünstig auf unsere Moral ausgewirkt. Denn anstelle der vorgesehenen zwei Lager mussten wir wegen der schlechten Verhältnisse nun deren vier errichten. Auf über 6000 Metern Höhe, bis zu den Knien im Schnee, mit einer erheblichen Last auf dem Rücken; wer sollte da nicht fast verzweifeln... Die unserer Meinung nach zu kurzen Marschstrecken werden andauernd von Haltepausen und Seufzern unterbrochen wie « Oh, ce sac, ce qu'il est lourd » oder anderen Ausdrücken von jenseits der Sprachgrenze, die wir ( Welschen ) aber durchaus verstehen.

Schliesslich gehen wir mit Erleichterung die steilen und schwierigen Hänge des Couloirs an, wo der frische Schnee nicht haften bleibt Das Aufstiegscouloir vom Lager III aus gesehen.

Das Lager IV befindet sich auf dem Grat über dem dreieckigen Firnfeld.

Zwischen Lager II und Lager III.

Im Hintergrund der Gipfel des Tirich Mir mit dem nach links oben hinaufziehenden Aufstiegscouloir und wo das Weiterkommen, paradoxerweise, leichterfällt. Eine erste Rekognoszierung zeigt uns, dass der Aufstieg noch möglich ist und dass wir eine reelle Chance haben, den Gipfel zu bezwingen.

Am 10. Juli ist die ganze Equipe im Lager IM versammelt. Alle befinden sich in guter Verfassung und mit der genau richtigen Moral, um die Endphase in Angriff zu nehmen. 300 Meter Fixseile sind bereits verlegt, und der untere Rand des das Couloir auf 7000 Metern abschliessenden Felsriegels ist erreicht. Es bleiben noch 50 Meter schwieriger Felsen, dann ein steiler Firn- oder Eishang von 150 Metern, um den Pass, auf dem wir das letzte Lager einrichten wollen, zu erreichen.

Sonntag, 11. Juli Gestern haben Toni und ich bis spät gearbeitet, um die Seile zu befestigen; nun möchten wir ein wenig ausruhen. Eric und Yeti ziehen frühmorgens los, um die Schlüsselstelle - den heiklen, 50 Meter hohen Felsriegel - zu überwinden und mit dem notwendigen Material zu versehen. Wir beobachten zunächst ihren Aufstieg, worauf wir drei, Heinz, Ernst und ich, zu Beginn des Nachmittags dann selbst aufbrechen. Dies mit der Absicht, das Lager IV zu errichten und einen Gipfelversuch zu unternehmen, sofern die Verhältnisse es gestatten. Mit unserem persönlichen Material, dem Zelt und der Nahrung für drei Tage, sind wir schwer beladen. Wir wissen auch, dass wir uns eigentlich ausruhen sollten, aber die Tage sind gezählt, und wir können es uns nicht erlauben, auch nur einen davon zu verlieren.

Der Aufstieg entlang der in den Schneehängen verlegten Fixseile geht nur langsam, aber immerhin mit einer gewissen Regelmässigkeit, vor sich. Der Tiefblick nimmt rasch zu, während sich die Kameraden über unseren Köpfen mit den heiklen Passagen herumschlagen.

Phoio Pierre Galla Sonnenuntergang im provisorischen Lager III Dies ist nun der dritte Tag, wo ich mich in diesem Couloir aufhalte. Ich bilde den Schluss unserer Kolonne und benütze die Gelegenheit, den Aufstieg zu fotografieren. Die zwei andern, die diesen Abschnitt noch nicht kennen, haben es eilig, höher hinaufzukommen. Wir gelangen im selben Moment zum Fusspunkt der Felsen, als Eric den Riegel hinter sich gebracht und das Seil fixiert hat. Eben stösst Yèti zu ihm, und wir können nun unsererseits dieses senkrechte, allen von oben herabkommenden Pulverschnee trichterartig kanalisierende Teilstück in Angriff nehmen. Wir erreichen unsere Kameraden, die sofort absteigen müssen, da schon bald die Dämmerung anbricht. Sie sind sehr müde und lassen sich rasch den Seilen entlang hinuntergleiten.

Für uns bleibt das Schwierigste noch zu tun: die letzten 150 Meter bei aufkommendem Wind, einsetzendem Schneefall und einer schon stark vorgerückten Zeit. Nach einigen vorsichtigen Schritten kann ich meine Kameraden beruhigen: der Hang weist gute Bedingungen auf, auch wenn man stark auftreten muss, damit sich die Steigeisen in die darunterliegende harte Schicht verheissen. Wir setzen uns als Dreierseilschaft in Bewegung, steigen aber, um schneller vorwärtszukommen, gemeinsam auf. Heinz rollt hinter sich 150 Meter Fixseil ab, das uns selbst unter den schwierigsten Bedingungen den Rückzug sichern wird. Je höher wir kommen, desto mehr nimmt der Wind zu, und die Sichtverhältnisse verschlechtern sich zusehends. Allein, jeder für sich, denken wir nur daran, einen Schritt zu tun und dann noch einen, um die Höhe dieses verfluchten, uns ewig lang erscheinenden Couloirs zu gewinnen. Aber alles hat ein Ende, und schliesslich gelangen wir, vom Sturm umtobt und mit Herzen, die fast zum Zerspringen schlagen, auf den Pass. Wir müssen schreien, um uns zu verständigen und die notwendigen Arbeiten in Angriff nehmen zu können: das Seilende zu befestigen, eine kleine Terrasse herauszuschlagen und ein Zelt aufzustellen.

Bald stürzen wir uns hinein, und wir können endlich aufatmen. Währenddem der Kocher surrt, schlüpfen wir in unsere Schlafsäcke und teilen unseren Kameraden, die den Aufstieg von unten mitverfolgt haben, per Funk mit, dass alles in Ordnung ist.

Montag, 12. Juli 1982 Nach einer mehr oder weniger komfortablen Nacht, zu dritt in einem hastig aufgestellten Dunlopzelt, haben wir uns ein wenig erholt. Aber leider raubt ein Blick nach draussen jede Hoffnung: Schneetreiben, Nebel und ein heftiger Wind kämpfen um die Wette. Wir müssen besseres Wetter abwarten. Per Funk erfahren wir, dass Toni mit einem zweiten Zelt zu uns hinaufsteigt. Wir verlassen unser Zelt nur, um dessen Standort zu wechseln: hier ist es im Moment zu sehr dem Sturmwind ausgesetzt; zudem müssen wir noch eine zweite Plattform vorbereiten, ein Unterfangen, das auf dieser Höhe mehr als eine Stunde grösster Anstrengung erfordert. Toni stösst am Nachmittag zu uns, und wir hoffen sehr, dass wir am nächsten Tag zu viert versuchen können, den Gipfel zu erreichen; erlaubt uns doch eine Aufhellung beim Einbruch der Nacht, das sich unter uns ausbreitende Wolkenmeer zu bewundern.

Dienstag, 13. Juli 1982 Leider müssen wir unsere Hoffnungen begraben. Das Wetter ist noch schlechter als am Vortag, und unsere Gesichter widerspiegeln die Müdigkeit der zwei Nächte, die wir auf 7200 Metern Höhe verbracht haben. Um 8 Uhr erfahren wir, dass Eric am Vorabend von einem Unwohlsein befallen wurde und sich ge- DerTirich Mir vom Gletscher zwischen Lager II und Lager III aus gesehen.

Grob eingezeichnet die Aufstiegsroute durch das Couloir und über den Grat zum Gipfel nötigt sah, die Sauerstoff-Flasche zu benützen. Heinz, unser Arzt, ist der Meinung, dass er zu ihm hinabsteigen muss. Da sich seine alpinen Erfahrungen aber ( fast nur ) auf diese einzige Expedition beschränken, steht es ausser Frage, ihn alleine hinuntergehen zu lassen. Ernst ist ebenfalls sehr müde, und auch mir macht es nichts aus, wieder abzusteigen. Toni bleibt allein zurück. Er ist viel besser in Form als wir, und Yèti wird ja zu ihm hinaufkommen. Wir wissen, dass unsere letzte Chance, den Gipfel zu erreichen, schwindet. Aber was kann man gegen das schlechte Wetter tun...

Der Abstieg von 500 Metern an den Fixseilen stellt im Sturm und angesichts unseres erschöpften Zustandes wahrlich keine Vergnügungsfahrt dar. Bis wir uns nur ausgerüstet und das Zelt abgebrochen haben, vergeht fast eine Stunde. Und nachdem wir Toni viel Glück gewünscht haben, tauchen wir bei dichtem Nebel ins Couloir hinab. Das Abseilgerät erlaubt uns einen raschen und sicheren Rückzug, und schliesslich kommen wir über dem Lager III aus dem Nebel heraus. Yeti steigt uns entgegen, ist sich aber sofort im klaren, dass ihm die nötige Kraft fehlt, um zu Toni zurückzukehren. Dieser bleibt somit allein dort oben, während wir uns zu siebt und alle sehr müde im Lager III wiederfinden.

Mittwoch, 14. Juli Wir glaubten nicht mehr daran, aber das Wetter hat sich zum Guten gewendet. Um 7 Uhr erfahren wir per Funk, dass Toni aufgebrochen ist, um sein Glück allein, aber von den Hoffnungen der gesamten Expedition begleitet, zu versuchen. Wir können ihn nur mit unseren Stimmen ermutigen und seinen Aufstieg mitverfolgen. Nach Stunden nähert sich unser Freund, langsam aber sicher, dem 7707 Meter hohen Gipfel. Im Lager III beabsichtigen vier von uns, mit einem Teil des Materials zu den unteren Lagern hinabzusteigen. Nur Heinz und ich bleiben hier, um auf Toni zu warten. Doch machen wir uns keine falschen Vorstellungen: Wir wären wohl nicht in der Lage, zu unserem Kameraden emporzusteigen, falls dieser in Aus dem Französischen übersetzt von Theres Haudenschild, Bern Schwierigkeitn geraten sollte. Toni ist damit völlig auf sich allein gestellt.

Morgens um 7 Uhr aufgebrochen, klettert er während acht Stunden über steile, teils felsige, teils von einer frischen, unergründlichen Schneeschicht bedeckte Hänge, um gegen 15.30 Uhr den Fuss auf den höchsten Gipfel des Hindukusch zu setzen. Dies ist, sowohl vom physischen wie vom moralischen Standpunkt aus betrachtet, eine grossartige Leistung. Über Funk verfolgen wir seinen Aufstieg, teilen seine Zweifel, wenn Unklarheit über die einzuschlagende Route besteht, vor allem aber auch seine Freude, als es ihm gelingt, den Gipfel des Tirich Mir zu betreten. Kaum bleibt ihm Zeit, einige Fotos zu machen und die pakistanische Fahne zu hissen, dann muss unser Freund den 500 Höhenmeter überwindenden Abstieg zum Lager IV antreten. Dieses erreicht er, trotz einiger leichter Erfrierungen an den Fussen und grösster Müdigkeit, noch vor Einbruch der Nacht in guter Verfassung. Zwei Tage später ist die ganze Expeditionsmannschaft im Basislager vereint und kann die grosse, durch eine ausgezeichnete Teamarbeit errungene und durch den individuellen Erfolg von Toni gekrönte Leistung würdig feiern.

Sicher hätten bessere Wetterbedingungen es auch andern Alpinisten erlaubt, den Gipfel zu erreichen. Waren wir zu früh in der Saison, oder hatten wir ein extrem ungünstiges Jahr gewählt? Ohne Zweifel ist beides der Fall. Zudem muss festgehalten werden, dass das Jahr 1982 von vielen Unfällen und sehr ungünstigen Bedingungen im Hindukusch und im benachbarten Karakorum gekennzeichnet war.

Wie dem auch sei: Das Hauptziel der Expedition wurde erreicht, und wir haben eine aussergewöhnliche Reise erlebt. Die Expedition war voll und ganz privater Natur und wurde von den Teilnehmern ausschliesslich selbst finanziert. Zur Orientierung sei erwähnt, dass die Kosten pro Person etwa 6500 Franken betrugen, der Lohnausfall nicht inbegriffen. Die ganzen Vorbereitungsarbeiten wurden von den Teilnehmern, die sich 4 Monate vorher oft noch gar nicht kannten, selbst durchgeführt. Trotz Unterschieden sprachlicher und charakterlicher Natur sowie bezüglich der Expedi-tionskonzeption haben wir uns bis zum Schluss gut verstanden, was die Teamarbeit gefördert und damit die notwendigen Voraussetzungen für das Gelingen eines solchen Unternehmens begünstigt hat.

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