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Reise von Grund bei Hasle über das Hintere Wetterhorn

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Bei der in die Gemeinnützigen Schweizerischen Nachrichten aufgenommenen Keisebeschreibung der Herren Meyer von Aarau, die so viele merkwürdige Nachrichten über das Jungfrauhorn sowohl als über die Eisregion von unsern Hochgebirgen enthält, habe ich wahrgenommen, daß man nur Sagen kennt von Männern, die durch das Urbachthal über das Gebirge in die Lautergletscher gedrungen, und daß man in der Meinung steht, es sei dieser Gletscher höher als anderthalb Stunden hinauf noch von keinem menschlichen Fuße bestiegen worden.

Da ich diese unbekannte Gegend in Gesellschaft eines meiner Freunde schon vor geraumen Jahren bereist, so glaubte ich nicht länger anstehen zu sollen, um durch die Mitteilung meiner Reise die gewünschten Aufschlüsse und dadurch einen Beitrag zur näheren Kenntnis dieses Teils unserer Hochgebirge zu liefern.

Unsere Absicht war einzig nur die, den Zusammenhang der höchsten Eisgebirge, ihre Verkettung, die Lage der verschiedenen Eisthäler von einem hohen Standpunkte her kennen zu lernen, und zugleich den Versuch zu wagen, ob nicht auch über das hohe Eisgebirge, welches den Lauteraargletscher von dem Thal der Aare zwischen Grund und Guttannen sondert, gegen die Grimsel zu gelangen sei, da man uns dieses Unternehmen als nicht mit zu großen Gefahren begleitet geschildert hatte.

Mit einem wackeren Wegweiser versehen, begaben wir uns von Grund bei Meiringen hinweg bei dem schönsten Wetter auf den Weg und kamen nach kurzem Steigen in das wenig bekannte einsame, aber wegen seiner E. Stetthr.

schroffen Felswände sehr malerische Wiesenthal, das Urbachthal genannt, durch welches sich der Ausfluß des Gauligletschers in die Aare ergießt. Nach einer halben Stunde ist man schon am Ende dieses reizenden Thälchens, und dann befindet man sich an den Fuß des Hangenden Gletscherhornes angelehnt. Von da an muß man über vier Stunden anfangs durch hohe Tannenwälder, dann durch Alpen immer sehr steil in die Höhe steigen. Bald kömmt man an eine Stelle, wo der Weg sich teilt; der eine geht dem Gaulibach entlang in die Höhe, der andere aber, so rechts durch steile Alpen führt, ist eine halbe Stunde näher, vor welchem kürzeren Wege, den wir eingeschlagen haben, jedermann, der diese Reise unternehmen wollte, zu warnen ist, denn man kömmt nach einigen Stunden. an eine senkrechte Felsenwand von mehreren Hundert Schuh hoch, wo man bei einer Stelle von ungefähr fünfzig Schritten lang quer durch diese Felsenwand schreiten muß, wo man nur die Spitze der Füße in angebrachten Löchern abstellen, sich kümmerlich mit den Händen festhalten kann, und wo der Körper diese Strecke hindurch ganz ob dem Abgrunde schwebt; man kann sich vorstellen, wie uns bei diesem Hinüber- schreiten zu Mute war. Endlich kamen wir nach fünf Stunden auf die oberste Alp, die an dem südlichen Abhänge des Ritzlihorns gelegen ist ) und von dem Gauligletscher her, an den sie stößt, die Gaulialp genannt wird ( jetzt Mattenalp ). Diese Alp kann nur vier Wochen im höchsten Sommer benutzt werden, liegt zwei Stunden höher als das Holz wächst, und aus diesem Grunde sowohl als wegen der Gefahr vor den Lawinen ist die Sennhütte nichts anderes als eine in die Erde gegrabene weite Höhle, wo wir übernachteten.

Bald setzte uns unser Wegweiser durch sein zwar ehrliches Geständnis, daß er sich nicht getraue, uns allein über diese Eisberge zu führen, die so schreckensvoll, aber doch so reizend von den letzten Strahlen der Abendsonne erleuchtet vor unsern Blicken lagen, in große Verlegenheit, aus welcher uns aber unser Wirt, ein flinker Gemsjäger, der diese Alp benutzte, durch sein willkommenes Anerbieten, uns bis auf die Grimsel zu begleiten, gezogen hat. Am folgenden uns unvergesslichen 10. August machten wir uns des Morgens nach drei Uhr auf den Weg, verließen die Seite des Ritzlihorns, wo wir dann dem Gauligletscher entlang, der sich westlich ganz um das Hangende Gletscherhorn herumzieht, immerfort in die Höhe kamen. An dem südlichen Abhänge dieses Eisberges erreichte der bemeldete Gletscher seine oberste Höhe, wo er sich dann eine halbe Stunde weiter gegen Westen mit dem Rosenlauigletscher bei einem.Punkt vereinigt, von dem man die Kirche von Grindelwald erblickt. Da waren wir nun in einer Gegend, wo keine Spur von Vegetation mehr zu erblicken ist, wo sich die Natur in einem ewig starrenden Zustande befindet, und wo sich der Winter vom Sommer nur durch die mehr oder weniger starken Eis- und Schneemassen unterscheidet.

Vor uns lag eine Ebene, die mehr einem großen Eisbecken als einem Gletscherthal gleichkommt, und welche südlich ganz von der hohen Gebirgs kette, der Lauteraargrat genannt, die den Lauteraargletscher nördlich begrenzt, eingeschlossen wird. Dem Ritzlihorn und anstoßenden Bergen Reise von Grund bei Hasle über das Hintere Wetterhorn.

nach kann man längs diesem Eisbecken bei dem Gebirgsstock, das Hühnerthäli genannt, vorbei durch ein kleines Eisthal einen Pfad ein- schlagen, der auch auf die Grimsel führtallein da wir bei diesem viel kürzeren Wege unseren Zweck nur zur Hälfte erreicht haben würden, so blieben wir unserem Vorsatze getreu, der dahin ging, auf das vor uns liegende, in dortiger Gegend das Ewige Schneehorn genannte, Eisgebirge, was aber sonst unter dem Namen des Hintern Wetterhorns bekannt ist, zu gelangen. Nun kamen wir über den Gauligletscher, der in der Höhe, wo wir waren, ganz eben, aber deshalb gefährlich war, weil noch immer viel Schnee auf dem Gletscher lag, der die Eisspalten bedeckte; dieses Hindernis wurde jedoch durch die Sorgfalt unseres Gemsjägers, obgleich nur nach vielen Umwegen, überstiegen, und so gelangten wir an das mit ewigem Schnee und Eis ganz überzogene Hintere Wetterhorn. Jetzt mußten wir zum Schirm für unsere Augen den mitgenommenen schwarzen Flor anziehen und die Fußeisen anbinden. Höchst mühsam ging es sodann etwelche Stunden den steilen Berg hinauf, wo wir öfters eine Strecke lang hinunter glitschten und uns durch die Wegweiser an Seilen wiederhinaufziehen lassen mußten. Sowie die Sonne höher stieg, wurde der Schnee weicher; dies vermehrte die Beschwerlichkeit unserer abenteuerlichen Reise außerordentlich, überdies litten wir durch das Zurück-prellen der Sonnenstrahlen sehr von der Hitze und mußten, ungeachtet wir bis an die Schenkel im Schnee staken, unsere Röcke abziehen, dennoch wurden wir, dank der reinen stärkenden Bergluft, nicht ermattet &O kamen wir allmählich und noch drei Viertelstunden von der obersten Höhe entfernt zu einer IV2 Klafter breiten Gletscherspalte, die sich mehr als eine Stunde lang dem Berge nach zog. Da es unmöglich war, hinüberzukommen, so hielten wir Rat mit unsern Wegweisern, was nun vorzunehmen sei? Als wir aber von dem Gemsjäger den entsetzlichen Ausspruch vernahmen, daß wir, es koste auch was es wolle, über diesen Eisschrund setzen müßten— weil die Sonne den Schnee so erweicht habe, daß wir tei unserem Rückwege unfehlbar versinken würden — da verloren wir vollends den Mut. Bei gefahrvollen Reisen hat man doch im schlimmsten Fall immer die Wahl zurückzukehr.en; aber jetzt, da wir uns den Rückweg abgeschnitten sahen^ erkannten wir so ganz unerwartet daß Schreckliche von unserer Lage. Trostlos gingen wir eine Viertelstunde dem furchtbaren Schrunde entlang und kamen dann an eine Stelle, wo sich über denselben in der Vertiefung von einem Klafter eine vermutlich durch den [Wind erzeugte Schneebrücke vorfand. Alsobald begann der Gemsjäger jâas gefahrvolle Unternehmen, sich durch uns an einem Seile auf diese Brücke hinunter zu lassen; noch hängend durchstach er die Schneebrücke imit seinem Stock und glaubte sie zu unserer innigsten Freude haltbar genug, um uns zu tragen. Da wir ihn nun losließen, legte er seinen jStock quer über die gefahrvolle Brücke, schritt sodann leicht über clen-tselben hin und schwang sich jenseits mit großer Behendigkeit in die jHöhe, klammerte sich hierauf am Bord der Eisspalte in den Schnee, hielt ;uns von da aus seinen Stock entgegen, den wir nach unserem Hinunterlassen ergreifen sollten und womit er uns, auch wenn die Brücke einfallen jwürde, sicher hinaufzuziehen versprach. Wir folgten, mit Grausen zwar, jpeinem Rate, denn wir hatten keine andere Wahl, überschritten zitternd die so bedenkliche Brücke und kamen auf angezeigte Weisef jenseits derselben in die Höhe gezogen, glücklich hinüber, indessen nicht ohne die größte Sorge für unseren zweiten Wegweiser, der sich als der letzte mit vieler Gefahr selbst auf die Schneebrücke hinunter lassen mußte.

Nun wurde der Berg immer steiler und der Schnee immer weicher, so daß wir zuletzt bis an die Brust hineinsanken. Die Wegweiser mußten voraus, um uns nur einigermaßen den Weg zu öffnen, da erschöpften sich doch zuletzt nach so vielen Anstrengungen ihre Kräfte, die wir nur noch mit geistigen Getränken zu unterhalten vermochten; doch wir waren nahe bei unserem Ziele, und nachdem wir, ohne zu rasten, von der Gaulialp hinweg beinahe acht Stunden lang gestiegen, erklimmten wir gegen elf Uhr, also in dreizehn Stunden von Grund hinweg, den so ersehnten Punkt, nahe bei dem Gipfel des Hintern Wetterhorns.. Ohne viele Mühe hätten wir von da hinweg in einer guten Viertelstunde die oberste Bergspitze erreichen können, allein wegen dem uns noch bevorstehenden sehr weiten Wege bis auf die Grimsel glaubten wir ratsamer, auf dieses Vergnügen Verzicht zu thun. Der Bergrücken war sehr schmal und kaum fünf Schuh breit, indessen lagerten wir uns so gut als möglich im tiefen Schnee und genossen mit Begierde unser sparsames, obgleich so sauer verdientes Mittagessen.

Nun überließen wir uns auf dieser schwindeligen Höhe dem Anstaunen der erhabenen Gegenstände, welche die uns ganz umgebende Eisregion darbietet, mit jenem Frohsinn, den die so leichte Luft auf solchen Berghöhen fast bei jedermann hervorbringt.

Nach den so gut möglich gemachten Beobachtungen glaubten wir uns nicht zu betrügen, wenn wir unsern Standpunkt einige Hundert Schuh höher schätzten, als das uns gegenüberliegende Ritzlihorn * ), welches nach der von Herrn Meyer von Aarau Vater besorgten Ausmessung der Berghöhen 10,180 Schuh über das Meer erhaben ist. Wir konnten den Lauteraargletscher, der 2V2 Stunden unter uns in einem geradelaufenden und eine gute Viertelstunde breiten Thal liegt, fast seiner ganzen Länge nach von ungefähr sechs Stunden übersehen. Gerade gegen uns über jenseits dem Gletscher stand das noch ungefähr 2000 Schuh höhere Schreckhorn, von dessen so sehr imponierendem Aussehen wir unsere Blicke nicht abwenden konnten. Dieser Eisberg, den man von Bern her so schön in einer ganz pyramidalischen Gestalt erblickt, ist wirklich ein ganz einzelnstehender hoher Gebirgsrücken, den wir aber wegen seiner so steilen Wände ganz unersteigbar glauben. Gegen Mittag zieht sich der Finsteraargletscher, der seiner Richtung nach sehr wahrscheinlich mit dem Untern Grindelwaldgletscher in Verbindung steht, und gegen Norden der Lauteraargletscher in paralleler Richtung seinem Fuße nach; gegen Osten sondert ihn ein kleines Eisthal, das benannte zwei Gletscher verbindet, von dem Gebirge, das sich gegen den Zinkenstock hinzieht, welcher letztere sowohl wegen seiner Krystallgruben, als weil dort der Lauteraargletscher der Aare* ihren Ursprung giebt, bekannt ist. Gegen Westen endlich ist der Mettenberg bei Grindelwald die Unterlage des Schreckhorns. Die Viescherhörner konnten wir vor dem genannten Berg nicht sehen, hingegen nahm sich das in der gleichen Bergkette folgende Finsteraarhorn als das höchste Schneegebirge in der schweizerischen Alpenkette, das wir in seiner furchtbaren Gestalt in der Nähe hatten, außerordentlich schön aus. Dieser Berg-Koloß erblickt sich kaum von einem andern Punkt her so sehr in seiner ganzen, Größe, seine nördliche Seite ist ganz senkrecht, vielleicht gar überhangend, und weil er deshalb den Schnee nicht halten kann, so entsteht hieraus das dunkelgraue Aussehen des Felsens von seinem Fuße hinweg bis auf seinen Gipfel, was ohne Zweifel wegen dem Abstand mit den übrigen ganz beschneiten Bergen die Ursache ist, daß ihm und dem an seinem Fuße sich hinziehenden Gletscher ein Namen ist beigelegt worden, der ihn so richtig bezeichnet. Weiterhin gegen Osten sieht man vielleicht bis nach Bünden hinein eine unzählbare Menge von hohen Eishörnern, die sich zwischen dem Titlis und Pettina* ), der höchsten Spitze des Gotthards, zeigen.

Von der in dieser Höhe so sehr verdünnten Luft verspürten wir keine andere nachteilige Folgen, als daß wir gegen den Gipfel des Berges sehr oft stille stehen mußten, um genugsam Luft einatmen zu können. Ein Pistol, das wir losdrückten, gab fast gar keinen Knall. Sowie auch die in dieser Höhe von Dünsten ganz gereinigte Luft dem Himmel eine ganz dunkelblaue und fast in das Schwarze fallende Farbe gab. Am meisten wirkte, wie schon gesagt, die Reverberation der Sonnenstrahlen auf uns, unsere Gesichter waren davon so sehr gerötet, aufgedunsen und verstellt, daß mein Freund und ich uns kaum mehr kannten, als wir den Flor ablegten.

Noch lange hatten wir uns an dem prächtigen Schauspiel, das diese hohen Auswüchse der Natur in so verschiedenen und seltsamen Formen darbieten, nicht satt gesehen, als wir wegen der Weite des Wegs, der uns noch bevorstand, an die Fortsetzung unsrer Reise denken mußten.

In fortlaufend gleich steiler Richtung ging es auf der südlichen Seite des Bergs hinunter, wo wir statt so großer Schneelasten, die auf der Nordseite waren, nur noch zwei Schuh Schnee fanden. Mittelst unseren Bergstöcken, mit denen wir ohne die mindeste Gefahr mit großer Schnelligkeit hinunter schlipften, verkürzten wir um vieles den Weg, kamen nach zwei Stunden fast zu hinderst auf dem Lauteraargletscher an und waren nur noch eine Stunde Wegs von der kleinen Scheidewand [Lauteraarsattel. Red.] entfernt, wo er westlich an den Obern Grindelwaldgletscher anstößt. Dieses lange Gletscherthal zeichnet sich vor den meisten Gletschern dadurch besonders aus, daß das Eis, weil sich das Thal nur wenig senkt, ganz eben ist und auch deshalb weder Risse noch Spalten hat, so daß man viele Stunden lang darauf so bequem fortkommen kann, wie auf einer gebahnten Straße. Nach dritthalb Stunden kamen wir in die Gegend, wo sich der Gletscher rechts durch das schon erwähnte kleine und ebenfalls ganz ebene Eisthälchen mit dem Finsteraargletscher vereinigt, und nach einer gleichen Strecke Wegs befanden wir uns am Ende des Gletschers, wo er sein klares Eis, von dem er den Namen erhalten zu haben scheint, verliert und über und über mit Felsstücken und Geschiebe, sonst Gufer genannt, bedeckt ist. Da sahen wir nun erst bei dem Anblick der fast senkrechten, erstaunend hohen Eiswand, wo der Gletscher aufhört, mit welch Ungeheuern Eismassen dieses Gletscherthal angefüllt ist. Wer sollte nicht glauben, daß dieses Thal schon seit seiner Formation in einem solch beeisten Zustand gewesen sei, und doch sollen der Sage nach Urkunden vorhanden sein, welche beweisen, daß vor mehreren Jahrhunderten in diesem ganzen Eisthale schöne Schafweiden gewesen seien. Eine Sage, die gleichwohl in der Möglichkeit gegründet ist, da man weiß, daß die einen Gletscher je nach ihrer Lage sich allmählich zurückziehen wie der Untere Grindelwaldgletscher, während daß andere sehr im Wachstum begriffen sind. Unter der gemeldeten Eiswand quillt ihrer ganzen Länge nach die Aare an einzelnen Stellen hervor, wobei der Umstand merkwürdig ist, daß ihr Bett gleich bei ihrem Ursprung breiter ist, als bei Coblenz, wo sie sich nach einem Lauf von mehr als fünfzig Stunden in den Rhein ergießt.

Gegen acht Uhr des Abends langten wir wohlbehalten auf der Grimsel an, wo wir von den in dieser unwirtbaren Gegend ausgestandenen Mühseligkeiten nach einem an diesem Tage vollbrachten Lauf von sechzehn bis siebzehn Stunden ausruhten.R. St. von Z.

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