Otto Hartmann: Im Zauber des Hochgebirgs
Seit Coolidges Josias Simler hat kein so „ gewichtiges " alpines Werk mehr auf meinem darunter ächzenden Redaktionstisch gelegen. Ein sich wie Holz anfühlender gepreßter Lederdeckel und 982 Seiten eines dicken Kunstdruckpapiers gestalten das Manipulieren mit diesem unhandlichen Großoktavband zu einer schweiß-treibenden Arbeit. Aufrichtig gesprochen, ich habe Bedenken darüber, ob nicht das ursprünglich einfacher angelegte und sich im wesentlichen auf Berg- und Talfahrten im Zillertal, in der Glocknergruppe, den Stubaier- und Ötztaleralpen, dem Ortlergebiet, den Dolomiten und dem wilden Kaiser, wo der Verfasser, ein unter dem Pseudonym Otto von Tegernsee schreibender Literat, als Alpenwanderer gut zu Hause ist, beschränkende Werk durch Ausdehnung des Gebietes und Textes und bedeutende Vermehrung der Illustration an Einheitlichkeit der Darstellung ebensoviel eingebüßt hat, als es an neuer Szenerie gewann. Aber es wäre unbillig, zu verneinen, daß auch in diesen neuen Teilen der Autor seinem Ideal treu geblieben ist, durch seine Schilderungen „ auch diejenigen den Zauber der Bergländer genießen zu lassen, die aus irgendeinem Grunde niemals Gelegenheit haben, diesen selbst an Ort und Stelle zu schauen ". Und es wäre undankbar und in einer Zeit, wo nationale Eifersucht neue Schlagbäume aufzurichten droht, auch unklug, zu vergessen, daß diese Vermehrung hauptsächlich der alpinen Schweiz zugute gekommen ist. Ihr gelten im Text die Abschnitte: Der Bodensee; In der Hochburg Europas ( dem Rhein entlang, an der Grenze Graubündens, im Rheinwaldtalvom Splügen nach Bellinzona; Prunk-kleinodien der Natur ( Lugano-Locarno und die oberitalienischen Seen ); durch den Simplon zum Großen St. Bernhard; zum Lac Léman; nach Bern; im Berner Oberland; im Firnenglanz der Jungfrau; der Sonnenturm von Zermatt; von der Rhone zum Vierwaldstättersee; durchs Zugerland zum Rheinfall. Auch die Abschnitte: Hochgebirgswinter und Winterherrlichkeit entnehmen ihr Material an Text und Bildern ausschließlich der Schweiz. Überall zeigt sich der Verfasser als ein sorgfältiger und kundiger Beobachter, der von großem Wohlwollen für die Schweiz und die Schweizer, ihre Geschichte, ihre politischen und Wohlfahrtseinrichtungen und von Verständnis für ihren Fremden- und Reiseverkehr erfüllt ist. Wo er nicht selber hingelangen oder sich durch Lektüre Aufschluß verschaffen konnte, bediente er sich, wie im Geleitwort anerkannt wird, der Unterstützung durch den Publizitätsdienst der schweizerischen Bundesbahnen, der Direktion der Jungfraubahn, zahlreicher offizieller Verkehrsbureaus und ihrer Direktoren, von denen die von Interlaken und Bern mit Namen genannt sind. Natürlich auch gelegentlicher Gewährsmänner, wie der geistlichen Herren im Simplonhospiz und auf dem Großen St. Bernhard. Es konnte nicht ausbleiben, daß solche ihm etwa mehr sagten, als sie wußten, oder daß er sie mißverstanden hat. So ist mir kaum glaublich, daß es „ im Jahre 109 v. Chr. am Simplon zwischen den Römern und Cimbern zu einer Schlacht gekommen sei ", und ich habe schon wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß trotz der Inschrift von Vogogna von 196 n. Chr. der Gebrauch des Simplonpasses in der Römerzeit keineswegs über allen Zweifel erhaben sei. Es ist auch tatsächlich nicht richtig, daß irgendeinmal „ das Gebiet der oberitalienischen Seen mit dem Oberwallis, der penninischen Provinz, von den Römern zu einem einzigen Verwaltungsbezirk verschmolzen worden wäre, was diese Straße nötig gemacht habe ". Und auch mit dem „ Poeninus-Runsch " auf einer Votivtafel auf dem Großen St. Bernhard ( pag. 659 ) ist absolut nichts anzufangen, und über die Sarazenen an diesem Passe hätte noch mehr gesagt werden können. Nicht mit Unrecht hebt der Verfasser hervor, daß bei der Doppelneuauflage der reiche farbige Bilderschmuck und eine große Anzahl von Textillustrationen neu hinzugekommen seien. Von den farbigen Vollbildern, deren technische Ausführung von der Verlagsanstalt selbst besorgt wurde, betreffen folgende die Schweiz: Blick vom Seealpsee auf Säntis, Meglisalp und Altmann; Blick vom Kräzerli auf die Säntiskette; Blick zum Säntis mit Urnäsch; Panorama von der Hundwilerhöhe; Appenzeller Bauernhaus. Die leichtgetönte „ Karte der Westalpen " in 1: 2,000,000 verdient eigentlich diesen Namen kaum, da sie im Westen nicht viel über die Linie Genf-AnnecyChambery hinausgreift, im Osten aber noch über die Brennerlinie reckt. Aber diese willkürliche Teilung ist nun einmal bei den reichsdeutschen und österreichischen Geographen Mode.Von dem auf dem Gebiet der „ Karte der Ostalpen " liegenden Teil des Buches will ich schweigen, weil mir hier die Ortskenntnis mangelt, aber für die Schilderungen aus der und über die Schweiz dürfen wir Schweizer dem sympathischen Verfasser wohl dankbar sein.
Redaktion.