Obligatorische Unfallversicherung und Bergunfälle
und Bergunfälle Von Ulrich Oertli
( Luzern ) Immer wieder gehen bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt Anfragen ein, ob Bergunfälle versichert seien. Dies beweist eine gewisse Unsicherheit der Freunde des Bergsportes hinsichtlich dieser Frage und das Bedürfnis nach Aufklärung, um gegebenenfalls andernorts Versicherungsschutz zu suchen oder aber sich von gewissen Gefahren des Bergsportes fernzuhalten. Zur Beruhigung und Orientierung der interessierten Kreise seien die nachfolgenden Ausführungen bestimmt:
1. Art. 67 KUVG gibt der Anstalt das Recht, aussergewöhnliche Gefahren und Wagnisse von der Versicherung auszuschliessen. Es sei vorweg bemerkt, dass sich diese Ausschlussbestimmung nur auf Nichtbetriebsunfälle bezieht; Betriebsunfälle sind immer von der obligatorischen Versicherung gedeckt. In Anwendung dieser Bestimmung hat der Verwaltungsrat der Anstalt in seinem ersten die aussergewöhnlichen Gefahren betreffenden Beschluss als von der Versicherung ausgeschlossen erklärt:
« Ziff. 1: Bergsport, soweit er nicht gebahnte Wege benützt, die auch für Mindergeübte leicht gangbar sind. » Ein blosser Blick zeigt, dass diese Bestimmung in ihrer Tragweite höchst unsicher ist, dass sie der erforderlichen Klarheit und Bestimmtheit ermangelt und den Versicherten im Ungewissen lässt, wie weit der Versicherungsschutz bei Ausübung des Bergsportes geht. Was sind gebahnte, was nicht gebahnte Wege? Was ist ein Mindergeübter? Wann ist der Weg leicht gangbar? Die Anwendung dieser Ausschlussbestimmung hat zu grossen Schwierigkeiten geführt, und es ist leicht verständlich, dass von Seiten der Freunde des Bergsportes sehr bald der Wunsch ausgesprochen und die Forderung gestellt wurde, diese Ausschlussbestimmung fallen zu lassen. Bei einer Neu-Überprüfung des Verzeichnisses der ausgeschlossenen Gefahren hat der Rat neben einer Reihe anderer auch diese Ziffer 1 von der Liste gestrichen, so dass auf dem Bergsport nicht an sich schon das Odium von etwas Gefährlichem lastet, das des Versicherungsschutzes nicht würdig wäre.
2. Nun ist aber der Verwaltungsrat nach der angeführten Bestimmung des Art. 67 KUVG überdies ermächtigt, Wagnisse von der Versicherung auszuschliessen, und von dieser Ermächtigung hat er von Anfang an Gebrauch gemacht. In allen seinen diesbezüglichen Beschlüssen sind die Wagnisse als ausgeschlossen erklärt worden, wobei dieser Begriff wie folgt definiert wurde: « Als solche gelten Handlungen, durch die sich ein Versicherter wissentlich einer besonders grossen Gefahr aussetzt, welche durch die Handlung selbst, die Art ihrer Ausführung oder die Umstände, unter denen sie ausgeführt wird, gegeben sein kann oder in der Persönlichkeit des Versicherten liegen 1 Diese Abhandlung stammt aus der Feder von Herrn Dr. Ulrich Oertli, Sub-direktor der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt Luzern, und gibt uns einen authentischen Aufschluss über die Versicherungsfrage bei Bergunfällen.
kann. » Wenn nun auch Bergtouren nicht mehr unter den Begriff der aussergewöhnlichen Gefahr als einem Spezialrisiko fallen, so ist es doch sehr wohl möglich, dass eine einzelne Bergtour, die unter ganz besonderen Umständen ausgeführt wird, den oben definierten Wagnisbegriff erfüllt und daher von der Versicherung ausgeschlossen ist. Der Umstand, dass Ziffer 1 des Verwaltungs-ratsbeschlusses von 1918 aufgehoben worden ist, schliesst die Einordnung gewisser Bergtouren unter den Wagnisbegriff nicht aus. Dabei hat das eidgenössische Versicherungsgericht ( EVG ) erklärt, dass, nachdem der Gesetzgeber die Anstalt zum Ausschluss ermächtigt habe, es ihr auch überlassen sei, zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen der Wagnistatbestand erfüllt sei, und dass sich die Versicherten an die Definition des Wagnisbegriffes im Verwaltungsratsbeschluss halten dürfen, wobei immerhin diese Bestimmung gleich dem Gesetz der richterlichen Auslegung unterliege. Eine Prüfung der Wagnisdefinition des Verwaltungsrates zeigt nun aber, dass damit wohl eine allgemeine Umschreibung des Wagnisbegriffes gegeben wird, dass aber wiederum eine Reihe einzelner Elemente besonders erwähnt werden, die nicht einfach gewogen oder gemessen werden können, sondern einer vernünftigen, dem Zweck der obligatorischen Versicherung genügenden und die Berechtigung des Ausschlusses nicht illusorisch machenden Interpretation bedürfen. Durch einen zu weit gefassten Wagnisbegriff dürfen nicht Tatbestände, die nach allgemeinem, gesundem Empfinden unter die Versicherung fallen, von ihr ausgeschlossen werden, wie umgekehrt durch eine zu enge Definition die Ausschlussbestimmung nicht wertlos gemacht werden darf. Im nachfolgenden sollen einige der charakteristischen Elemente des Wagnisbegriffes erläutert, sodann soll anhand einiger Beispiele dargetan werden, was die Praxis der Anstalt und der Gerichte als Wagnis betrachtet. Dabei halten wir uns weitgehend an zwei in letzter Zeit ergangene Urteile des EVG ( i. S. Staubli vom 14. November 1946 und i. S. Schafflützel vom 22. Mai 1948 ), in denen diese Fragen in einlässlicher Weite erörtert werden.
3. Bekanntlich ist die Antalt berechtigt, die Versicherungsleistungen zu kürzen, wenn der Versicherte den Unfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Grobe Fahrlässigkeit bedingt eine Kürzung, Wagnis die Ablehnung der Versicherungsleistungen.
In beidem liegt ein gewisses Verhalten des Versicherten, das eine ganz verschiedene rechtliche Wertung erfährt, und das daher wohl auch ganz verschieden geartet sein muss. Grobe Fahrlässigkeit bedeutet die Ausseracht-lassung jeglicher, bzw. der für jedermann selbstverständlichen Vorsicht: wer grobfahrlässig handelt, will aber an sich die Gefahr ( den Unfall ) nicht, er wehrt nur eine schon vorhandene Gefahr aus Gleichgültigkeit oder Fatalismus zu wenig ab, oder er lässt es völlig darauf ankommen, ob und wie sich die Gefahr auswirkt. Er verhält sich mehr oder weniger passiv. Anders beim Wagnis. Dieses bedeutet weniger eine Steigerung der groben Fahrlässigkeit, als vielmehr eine andere Einstellung zur Gefahr. Kennzeichen für den Wagnisbegriff ist das « sich in die Gefahr stürzen wollen », der Wille, mit ihr den Kampf aufzunehmen, das Suchen der Gefahr, um an ihr sein Können zu erproben. Um ihr standzuhalten, genügt es nicht, wie z.B. bei den ausgeschlossenen, aussergewöhnlichen Gefahren, wachsam zu sein und Unvorsichtigkeiten zu meiden, vielmehr bedarf es meist einer positiven Anstrengung, oft eines Höchstaufwandes an Kraft, Ausdauer, Gewandtheit. Dabei ist aber besonders hervorzuheben, dass wenn auch das Wagnis vornehmlich auf dem Gebiete des Turnens und des Sportes vorkommt, diese in ihren allgemein gepflegten Erscheinungen, auch wenn sie Mut, Kraft und Ausdauer verlangen, nicht unter den Wagnisbegriff fallen. Pflege von Turnen und Sport ist als im nationalen Interesse liegend versichert, nur deren extreme Formen, die an Verwegenheit, an ein direktes Herausfordern der Gefahr grenzen, sollen ausgeschlossen sein. Um diesen Gegensatz zu veranschaulichen, erklärt das EVG z.B. das Hin-unterspringen von einer hohen Mauer oder von einem rasch fahrenden Zug, das Schlittschuhlaufen auf dünner, schwankender Eisdecke, das Reizen eines gefährlichen Hundes als Wagnis, während das Überspringen einzelner Stufen beim Treppabgehen, das Nichtbenützen des Geländers, das Eislauffahren mit schlecht befestigten Schlittschuhen, das ungenügende Ausweichen vor einem als gefährlich bekannten Hunde nur unter den Fahrlässigkeitsbegriff fällt ( Urteil Schafflützel ).
4. Ohne Bedeutung sind die subjektiven Eigenschaften des Versicherten. Es kommt nicht darauf an, ob er besonders tüchtig, gewandt, ausdauernd ist, ob für ihn, angesichts seiner besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse, eine Handlung als weniger gefährlich erscheinen mochte, ob er vielleicht gleiche Gefahren schon mit Erfolg überstanden hat. Es muss vielmehr auf rein objektive Unterscheidungsmerkmale abgestellt werden, wobei Akutsein der Gefahr und kühner bis verwegener Charakter des Unternehmens recht greifbare Kriterien sind, die subjektiven Verschiedenheiten von vorneherein nicht viel Spielraum lassen. Wollte man das Vorliegen eines Wagnisses ausschliessen, wo sich jemand wegen seiner persönlichen Eigenschaften der betreffenden Gefahr gewachsen fühlen durfte, so würde der Ausschluss des Wagnisses überhaupt illusorisch. Wenn z.B. ein Kunstturner auf einer Balkon-brüstung oder einem Brückengeländer den Hochstand ausführt, so müsste darin ein Wagnis erblickt werden. Die Gefahr wird direkt aufgesucht, herausgefordert, sie liegt in der Handlung selbst und ist jeder Zeit gegeben; sie ist objektiv gegeben, der Umstand, dass der Kunstturner geübt und schwindelfrei ist, dass er früher schon mit Erfolg das « Kunststück » vollbracht hat, nimmt seiner Handlungsweise nicht den Wagnischarakter.
Zusammenfassend kann sonach gesagt werden, dass die vom Verwaltungsrat der Anstalt aufgestellte Umschreibung des Wagnisbegriffes von der Rechtsprechung anerkannt wird, insofern unter « besonders grosser » Gefahr eine unmittelbar drohende, akute Gefahr verstanden und wenn zugleich ein ins Kühne bis Verwegene gehender Charakter des Unternehmens verlangt wird ( entreprises téméraires, atti temerari ) ».
5. Und nun zwei konkrete Fälle: a ) Im einen handelte es sich um den Absturz des Versicherten St. in den Engelhörnern bei der Erkletterung der Vorderspitze über die Westkante. Im obersten Teil, kurz vor dem Gipfelgrat, verlor er infolge Ausbrechens einer Felswarze den Halt und stürzte ca. 50 m in die Felswand ab, wobei er sich Frakturen am Fuss und Unterschenkel zuzog. Die Anstalt hat das Unternehmen als Wagnis betrachtet und die Entschädigungspflicht abgelehnt. Sowohl die kantonale Instanz wie auch das EVG sind ihrer Auffassung beigetreten. Die Engelhörner sind Kletterberge par excellence ( vgl. z.B. Gerecht: « Alpen » 1936, S. 404 ). Eine Kletterei in den Engelhörnern weist alle wesentlichen Merkmale auf, die nach den vorgehenden Ausführungen den Wagnisbegriff charakterisieren. Mit Mut, Kraft, Zähigkeit, Ausdauer etc. wird der Kampf mit der Gefahr aufgenommen Die Gefahr wird in ihrem ureigensten Bereich aufgesucht, herausgefordert.
Das EVG hat sich zur Frage, ob ein Wagnis vorliege, wie folgt geäussert:
« In erster. Linie ist zu prüfen, ob der Aufstieg Westkante—Vorderspitze als gefährlich erscheine, d.h. ob sich der Versicherte bei ihm wesentlich erhöhten Unfallrisiken normaler Lebensbetätigung aussetzte. Diese Route ist nun nach dem Gutachten des Experten eine sehr exponierte und technisch sehr schwierige Kletterpartie, an die sich überhaupt nur wirklich tüchtige und geübte, d.h. mit der neuzeitlichen Felstechnik mit Haken, Seilzügen und Scherensicherungen usw. vertraute Kletterer heranwagen dürfen. Diese Auffassung wird bestätigt durch Etter ( in ,Die Alpen'1944, S. 210 ff. ), wonach die Kante abschüssige, griffarme Felsplatten und senkrechte Risse, überhängende und glatte Felswände, .ungeheuer exponierte Stellen und ,äusserst schwierige'Quergänge aufweise, deren Bezwingung sehr schwere Kletterei erfordere. »...
Die Westkante, die erstmals 1936 überwunden wurde, stellt mithin eine spezifische Gefahrenzone dar. Der Kletterer muss sich hier an einer viele hundert Meter hohen, teilweise senkrechten, ja teilweise sogar überhängenden, mauerartigen Felskante und -wand emporarbeiten, oft auf fingerbreiten Gesimsen stehend und die Fingerkuppen an winzige Vorsprünge und Warzen gekrallt. Wegen einer geringfügigen Ursache kann der Halt verlorengehen, sei es nun infolge Ausrutschens, Loslösens eines Griffes oder Trittes oder einer kleinen Unachtsamkeit, die auch dem Tüchtigsten passieren kann. Dann aber ist der Kletterer meist nicht mehr in der Lage, durch ein korrigierendes Verhalten die Situation zu retten.
Der solche Kletterunternehmungen in besonderem Masse charakterisierende mehrstündige Kampf mit den Tücken der Felswand verleiht ihnen in den Augen ihrer Freunde Reiz und Anziehungskraft. Der Kletterer liebt Abenteuer, Mut-und Leistungsproben, wie sie der Kampf mit dem Berg mit sich bringt: der wesentliche Teil seines Erlebens in den Bergen ist die Gefahr'bzw. deren Überwindung...
Die besondere Gefährlichkeit liegt in der Natur des Unternehmens begründet, sie besteht, aus den angeführten Gründen und wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, an der Westkante schon unter normalen Verhältnissen. Ob nun von den ausserhalb menschlicher Unzulänglichkeit liegenden Gefahrenquellen, wie beispielsweise das unerwartete Ausbrechen von Griffen und Tritten, das plötzliche Kippen und Rutschen von Felsblöcken bei Belastung, der oft unberechenbare Steinschlag, der überraschende Wetterumschlag, die Vereisung der Felsen usw., einzelne im konkreten Falle mehr oder weniger stark oder überhaupt nicht ins Gewicht fallen, spielt keine Rolle. Wohl vermögen zweckmässige Ausrüstung und solides Können die allgemeine Gefahr herabzusetzen, aber nicht zu beseitigen.
b ) Der bei der Anstalt Versicherte Seh. verunglückte tödlich durch Sturz an der dem Wildhauser Schafberg vorgelagerten Südwand. Die Absturzstelle konnte nicht genau festgestellt werden, ebenso nicht die genauere Ursache des Absturzes. Nach den Umständen musste aber angenommen werden, dass sich der Absturz beim Klettern ereignete. Seh. hatte die Tour allein unternommen, er war als vorzüglicher, mutiger und kühner Kletterer bekannt. Er war eine Kletternatur durch und durch, scheute keine Gefahr ( vergleiche z.B. seine Publikationen in « Die Alpen » 1946, S. 1 ). Er trug Kniehosen und war mit Kletterschuhen ausgerüstet. Die Anstalt hatte die Entschädigungspflicht abgelehnt, da sie in dem Unternehmen des Seh. ein Wagnis erblickte. Das kantonale Versicherungsgericht hat die Klage zugesprochen, indem es vor allem auf die Ansicht der Experten abstellte, wonach die fragliche Tour von einem geübten und gut trainierten Kletterer unternommen werden durfte. Das EVG dagegen hat den Standpunkt der Anstalt geschützt. In seinem Urteil hat es angeführt, dass nicht auf die subjektiven Eigenschaften des Verunfallten abgestellt werden dürfe — dass sonach die Tüchtigkeit, Erfahrung, Mut, Ausdauer, Ausrüstung etc. keine wesentliche Rolle spielen —, sondern dass die Handlung als solche, rein objektiv zu werten sei. Da angenommen werden musste, dass Seh. beim Klettern abgestürzt war, stellte sich sonach vor allem die Frage, ob und eventuell wann das Klettern in den Bergen in ein Wagnis ausmündet und daher von der Versicherung nicht mehr gedeckt ist. Da sich das EVG in seinem Urteil gerade hierüber sehr einlässlich ausgesprochen hat und seine diesbezüglichen Ausführungen für Sport- und Kletterfreunde von besonderm Interesse sind und den Wagnisbegriff sehr gut zur Darstellung bringen, seien sie im Nachfolgenden in extenso wiedergegeben:
« Die Art von Unternehmung, die im vorliegenden Fall getätigt wurde, das Klettern im Gebirge ( Felsklettern ) gehört in die vorderste Reihe der Tatbestände, für welche die Anwendung des Wagnisbegriffes in Frage kommt Man denkt zunächst sogar an die Kategorie der aussergewöhnlichen Gefahren: Klettern ist für den Menschen nicht eine normale Art der Fortbewegung, sowohl wegen der Benützung aller vier Extremitäten, als auch wegen der vertikalen Richtung. Es wird denn auch fast nur aus sportlichem Interesse betrieben; jedenfalls soll hier vom Klettern, soweit es im Zusammenhang mit beruflichen Verrichtungen vorkommt — wo es ja durch die Betriebsunfallversicherung oder eventuell, bei landwirtschaftlicher Nebenbeschäftigung, durch die Nichtbetriebsunfallversicherung gedeckt ist —, nicht die Rede sein. Sportliches Klettern ist indessen, trotz seinem aussergewöhnlichen und gefährlichen Charakter, nicht als aussergewöhnliche Gefahr ausgeschlossen. Das mag seinen Grund darin haben, dass es eine Unterart des Bergsportes ist und dass der Bergsport, selbst die Hochgebirgstour, nicht ( genauer: nicht mehr ) im Verzeichnis der aussergewöhnlichen Gefahren figuriert. Aber obgleich der Bergsport und mit ihm der Klettersport aus dem Gesichtspunkt der aussergewöhnlichen Gefahr nicht ausgeschlossen werden wollte, muss, wenn im einzelnen Fall die Bergtour, bzw. Klettertour den Charakter des Wagnisses annimmt, der Ausschluss aus letzterm Gesichtspunkt erfolgen. Die Voraussetzungen: akute Gefahr und Kühnheit des Unternehmens, sind sicher dann gegeben, wenn dem Kletterer mehr oder weniger ständig der Absturz droht und er diesen nur durch ein Höchstmass von Anspannung vermeiden kann. Dann ist der Unterschied gegenüber der einfachen aussergewöhnlichen Gefahr in die Augen springend. Bei welchen örtlichen Verhältnissen etc. eine solche Situation als erreicht zu erachten ist, muss der Beurteilung im einzelnen Falle überlassen werden. Nur als allgemeine Richtlinie kann ungefähr dies gelten: Solange der Berghang nicht allzu stark abfällt, und auch seitlich die Route nicht exponiert ist, braucht das Risiko nicht derart zu sein, dass Wagnis anzunehmen wäre. Nähert sich hingegen die Neigung des Berghanges stark der Vertikalen, so wird trotz Vorhandenseins natürlicher Haltemöglichkeiten, wie Felsvorsprüngen, Gesimsen, Rippen, die Absturzgefahr eine akute, gar bei Brüchigkeit des Gesteins. Unter solchen Umständen ist der Wagnistatbestand als erfüllt zu erachten, jedenfalls dann, wenn es an der unerlässlichen Ausrüstung: Tragen von Kletterschuhen, gefehlt hat oder wenn die Tour ohne Begleiter oder bei schlechter Witterung unternommen wurde. Gleicht vollends der Berghang nach Steile und Beschaffenheit geradezu einer Wand, so dass künstliche Tritte und Griffe notwendig werden und daher mit Kletterhammer und Mauerhaken gearbeitet werden muss, so hat das Unternehmen von vornherein ausgesprochenen Wagnischarakter. Dieser kann alsdann nicht aufgehoben werden dadurch, dass die Requisiten für solche Kunstkletterei zur Hand waren und überhaupt alle technischen Sicherheitsvorkehren getroffen waren. Rein subjektive Momente, wie persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten, dürfen wie weiter oben ausgeführt wurde, sowieso keine Rolle spielen für die Beantwortung der Frage, ob ein bestimmtes Unternehmen als Wagnis zu bewerten sei oder nicht.
Ohne Einfluss bleiben muss auch die ethische Seite des Klettersports. Mag dieser auch höchst wertvolle Eigenschaften wie Wagemut, Geistesgegenwart, Furchtlosigkeit usw. fördern und so sein Teil zur Erzielung einer Elite von einsatzbereiten Leuten beitragen, so kann das doch vom Standpunkt der obligatorischen Unfallversicherung aus, die nur für die Deckung des gewöhnlichen Risikos geschaffen wurde, nicht in Betracht fallen. Übrigens ist das Felsklettern, soweit es militärischen Interessen dient ( Verteidigung des Réduits ) und faktisch in dienstlichem Rahmen geübt wird, durch die Militärversicherung gedeckt. Was die sonstige Ausübung des Klettersports betrifft, muss es Sache der Sporttreibenden sein, sich für die Gefahren privat versichern zu lassen. Über die Möglichkeiten vgl. z.B. Danegger: Die Rechtsfragen der Bergsteiger und der Skifahrer, Zürich 1938, insbesondere S. 37 ff. und S. 82. » 6. Aus diesen Urteilen wird der einsichtsvolle und verständige Alpinist ersehen, worum es geht. Nicht darum, einem gesunden, innerhalb vernünftiger Grenzen betriebenen Sport ein Stigma aufzudrücken, sondern Auswüchse des Sportes zu bekämpfen. Es ist eben eines nicht zu übersehen: Während in der obligatorischen Betriebsunfallversicherung die beruflichen Risiken des einzelnen Betriebes weitgehend erfasst und ihre Wertung in der Einreihung des Betriebes in einer der ca. 200 Klassen, die ihrerseits wieder in 10 Stufen aufgeteilt sind, findet und demnach die Prämie weitgehend individualisiert wird, haben wir in der Nichtbetriebsunfallversicherung nur eine Aufteilung in weibliche und männliche Versicherte mit je 2 Gefahrenklassen und 3 Gefahrenstufen. Das individuelle Risiko kann nicht erfasst werden. Man kann nicht darnach ausscheiden, ob einer Bergtouren und Klettertouren macht, ob er Velo fährt, turnt oder sonst einen Sport betreibt, ob er in der Freizeit irgendwelche gefährliche Arbeiten verrichtet, ob er als harmloser Fussgänger über Land geht oder seinen Garten pflegt etc. Wir haben nur 2 Klassen, in welche die Versicherten nach einem hervorstechenden Merkmal ( männlich — weiblich; beschäftigt in Betrieben mit ununterbrochener und regelmässiger Betriebszeit oder in Betrieben mit unterbrochener oder unregelmässiger Betriebszeit ) eingereiht werden. Nun geht es doch wohl nicht an, dass die Hunderttausende von Versicherten, die ein normales Nichtbetriebsunfall-risiko aufweisen, die sich nur den gewöhnlichen Gefahren des alltäglichen Lebens aussetzen, durch ihre Prämien das ausserordentlich grosse Risiko mitdecken, das z.B. mit waghalsigen Klettereien verbunden ist. Wer sich diesem ganz besondern Risiko aussetzt, soll es auch selbst tragen und sich gegebenenfalls, soweit möglich, bei einer privaten Versicherung Deckung suchen. Bei der Anstalt kann dies nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht geschehen. Diese wird aber auch in Zukunft den Begriff des Wagnisses sehr eng umgrenzen und nur in solchen Fällen zur Anwendung bringen, wo es « in die Augen springend ist », dass es sich um ein Ereignis handelt, dessen Deckung ausserhalb des Rahmens der Aufgaben der obligatorischen Versicherung fällt. Die von der Anstalt wegen Wagnis abgelehnten Fälle sind denn auch nicht zahlreich. SUVA-Versicherte, die dem idealen, Geist und Körper in gleicher Weise fördernden Bergsport in vernünftiger Weise huldigen, werden nicht befürchten müssen, dass sie, wenn ihnen trotz allem ein Unglück passiert, des Versicherungsschutzes entbehren müssen.