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In der Lawine

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

IN MEMORIAM VON R. ZELLWEGER, NEUENBURG

Mit 2 Bildern ( 236, 237 ) Alpinisten, welche es im allgemeinen nicht verschmähen, von Gefahren zu berichten, die sie in den Bergen bestanden haben, scheuen es doch meist, die Erinnerung an eine erlebte Begegnung mit dem Tode wachzurufen. An Erfolg gewöhnt, ziehen sie es vor - sei es aus Stolz oder aus Zartgefühl -, ihre Erinnerung an Augenblicke der Niederlage für sich zu behalten. Es sind dies sehr natürliche, ehrenhafte Bedenken; übrigens gibt es nichts Hässlicheres als einen Unfall. Jedenfalls wird ein Bergsteiger, für den die Leidenschaft, den Berg kennenzulernen, ein Mittel ist, um sich selbst besser zu erkennen, auch die schwersten Unfälle in seiner Karriere als ebenso aufschlussreiche Bewährungsproben zu betrachten suchen wie seine glücklich und ohne Zwischenfall verlaufenen Besteigungen. Wenn er nach einer solch ernsten Warnung ( wenn er überhauptwieder zum Berg zurückkehrt, so tut er es in besserer Kenntnis seines Unternehmens. Seiner Schwächen und Fehler bewusst, wird er den Berg vermehrt respektieren und lieben. Dieses Gefühl, das ich erfahren habe, wird meinen vielleicht zu persönlich erscheinenden Bericht über einen selbst erlebten, im ganzen eigentlich recht banalen Unfall rechtfertigen.

Unter den zahlreichen Besuchern, die sich alljährlich mit der kleinen Zahnradbahn aufs Brienzer Rothorn führen lassen, kehren sicher sehr wenige im Winter über den Nordhang dahin zurück. Man kann mit den Ski wirklich schon weit herumgestreift sein, ohne an diese Möglichkeit gedacht zu haben. In mir wurde die Idee vor ein paar Jahren geweckt, an einem stürmischen Tag, den ich in Gesellschaft dreier junger Entlebucher Skifahrer in einer Hütte im Tessin verbrachte. Ich hörte zuerst nur mit einem Ohr zu, wie sie die verschiedenen Aufstiegsrouten miteinander verglichen - alle ziemlich alpin - und dann von der Abfahrtsroute sprachen, mit welcher die Champions des Tales anfangs Juni ihre Saison abzuschliessen pflegen. Diese Einzelheit - das Datum - hatte es mir angetan: die Aussicht, mit Sommerski auf 2000 m hinauf zu steigen. Im nächsten Jahr sind wir hingefahren.

Eines frühen Sonntagmorgens, am 11. Mai 1958, als die Berner Landschaft in voller Blüte stand, sprachen wir wieder einmal, wie man es so gerne tut, von unserer Premiere am Rothorn. Jener Aufstieg in dickstem Nebel, der uns jede Sicht verunmöglichte, stand uns wieder vor Augen, unser Hinundherstapfen in den steilen Hängen auf der Suche nach dem Übergang, unsere wiederholten, vergeblichen Versuche bis zum endlichen Erfolg dank einer Aufhellung, die beglückende Rast in der Sonne am späten Nachmittag und dann das herrliche Dahingleiten bis in die blühenden Frühlingswiesen hinabDiesmal würde es eine Tour ohne jede Störung geben. Wir hatten keine Zweifel; der Föhn garantierte schönes Wetter.

- « Das Lawinenbulletin? Hat es jemand gehört? » « Nur halb; wir werden an Ort und Stelle urteilen. » In den Wäldern des Flühlitals ist der Mai eingezogen; es wird also endlich eine richtige Frühlingsfahrt werden. In Sörenberg frühstücken wir in Gesellschaft junger Soldaten einer in Versetzung begriffenen Rekrutenschule. Eine letzte Etappe führt uns auf einem Alpsträsschen zur Schlachtalphütte ( 1334 m ), und wir parkieren unsern Wagen neben letzten Schneeresten, wo schon andere Vehikel stehen. Wir sind die letzten Ankömmlinge. Gerade über uns steigt der Gipfel tausend Meter empor. Es ist viertel über acht Uhr.

Ça y est?

Andiamo!

Die Route stellt kein Problem. Vorerst handelt es sich darum, den breiten Geröllkegel zu ersteigen, und dann führt der Weg in sanfter Neigung weiter bis zum Beginn des Nesselwäng-Couloirs, durch dieses hinauf und in Richtung rechts weiter, dann schräg rechts aufwärts, um, die Roten Böden und die Hänge unter dem Grat in der Diagonale querend, den kleinen Übergang zu erreichen, der sich unmittelbar westlich vom Hotel öffnet. Von da wird uns ein Spaziergang von wenigen Minuten zum höchsten Punkt ( 2349 m ) führen. In zwei guten Stunden werden wir uns ohne Zweifel die Hand drücken: « Salut! Biaise, Willi, André, Jean-Pierre. » Dann werden wir es uns in einem geschützten Winkel an der Sonne bequem machen und, wie schon so oft, uns als Könige unseres Schneereiches fühlen...

In Wahrheit aber finde ich mich nach diesen zwei Stunden wieder am Ausgangspunkt unserer Tour, mit blauviolettem Gesicht und roten Augen, ohne Ski und Sack, ohne Uhr und ohne Brille. Zerschunden und zerschlagen liege ich hingestreckt auf einer Tragbahre, mit grosser Mühe atmend und zitternd in meinen durchnässten, blutbefleckten Kleidern - dennoch glücklich, noch am Leben zu sein, aber beunruhigt über das Schicksal meiner Kameraden. Was passiert war? Ich wusste es nur zu gut.

Am Ausgang von Sörenberg macht eine scheinbar permanente Warntafel die Skifahrer auf die Lawinengefahr am Rothorn aufmerksam. Wir haben sie mit einem Blick gestreift und sind, ohne sie weiter zu beachten, vorbeigegangen. Als wir aber zum Fuss des grossen Lawinencouloirs kamen, durch welches gezwungenermassen alles, was von der Nordflanke herabkommt, abfliessen muss, untersuchten wir aufmerksam die Beschaffenheit des Schnees: es war kalt, der Schnee war fest; selbst mit geschulterten Ski sank der Fuss kaum ein. Diese günstigen Verhältnisse ausnützend, waren uns zwei oder drei Partien zu Fuss vorangegangen. Die eine sahen wir schon als kleine schwarze Punkte die ausserordentlich steilen Schneehänge senkrecht unter dem Gipfel emporsteigen; die andere, auf halber Höhe der unsichtbaren Spur des Sommerweges folgend, stieg über die Felsen, um dann zum Übergang abzuzweigen. Es waren zweifellos Berggewohnte. Wir vermuteten noch weitere auf dem Gipfel. Auf jeden Fall fühlten wir uns nun sicher. Nach den ein- geschlagenen Routen zu urteilen, konnten die Bedingungen dort oben nicht schlecht sein. So schnallten wir ohne jedes Bedenken und Zögern die Ski an die Füsse und setzten eifrig und frohen Herzens hemdärmlig den Aufstieg fort.

Die Felle und Harscheisen griffen vortrefflich. Wir klommen das enge, steile Couloir direkt empor und überholten bald eine Berner Partie. Bald darauf gelangten wir durch die schroffe Mündung des Kamins hinaus und erreichten die erste Terrasse. Hier kreuzten wir drei Skifahrer aus Flühli, die in blendendem Stil über die vollkommene Schneedecke abfuhren.

Einige Minuten vor meinen Freunden an dieser Stelle angelangt, gewahre ich, dass wir die Wahl zwischen zwei Weiterwegen haben. Ein Steilhang von ca. 80 m Höhe und 400 m Breite, der in eine Art Sporn ausläuft ( P. 1953 m ), muss umgangen werden. Die vorangegangenen Partien scheinen alle links, wo der Hang am steilsten ist, aufgestiegen zu sein. Oben sehe ich die letzten unter den grossen Steilhängen unter dem Gipfel entlang sich durch die Flanke bewegen. Ich habe wenig Lust, ihrer Spur zu folgen, und entschliesse mich für die andere Möglichkeit, für das geneigte Tälchen, das sich rechts zwischen dem Steilhang und den zackigen Felsen des Bretterstocks öffnet. Das Tälchen scheint westlich des Sporns in einer Schulter zu endigen, über welche hinweg ich nicht sehen kann, die aber ohne Zweifel auf die normale Route zum Sattel führt. Ich entschliesse mich, an einer günstigeren Stelle auf meine Freunde zu warten, und gehe, meiner Sache sicher, gegen 9 Uhr weiter.

... 09 Uhr 10 - ich folge dem offiziellen Rapport - brach ein Stück der grossen Wächte, welche die Felsen des Hotels mit dem Gipfel des Rothorns verbindet, ein und stürzte fast senkrecht auf die sehr steilen Hänge herab, auf welchen noch die ganze Schneelast vom März und April, von einigen Föhntagen aufgeweicht, lag. Auf einer Breite von 200 m kam eine dicke Schneeschicht ins Rutschen, fuhr zu beiden Seiten des Sporns ( P. 1953 ) ab und verwandelte sich in eine gigantische Grundlawine, die fünfzehn Skifahrer in die Tiefe riss. Zwei Kilometer weiter unten, in der Gegend von Schlacht, kam sie zum Stehen. Aber all das erfuhr ich erst am folgenden Tag.

Während ich im Gefühl voller Sicherheit meinen Aufstieg lebhaft fortsetzte, war mein Blickfeld, mit dem Tälchen in seiner Axe, beschränkt. Da der alte, schmutzige Schnee zusehends weicher wurde, entschloss ich mich, in weit ausholendem Zickzack bis zur Schulter weiterzugehen. Meine einzige Sorge galt der Wahl der richtigen Trasse; sonst dachte ich an nichts und war glücklich, in den Bergen zu weilen. Ich glaube, den verhängnisvollen Knall nicht einmal gehört zu haben. Plötzlich sah ich auf hundert Meter vor und über mir den Horizont einstürzen. Wie eine Grundwoge bewegte sich die Schneemasse abwärts. Ich war starr vor Überraschung. Obwohl ich das Ausmass der Lawine, von der ich nur einen kleinen Teil übersehen konnte, unterschätzte, wusste ich natürlich sofort, dass meine Lage kritisch war. Ich weiss nicht, ob die Zeit noch gereicht hätte, um die Ski loszuschnallen Meine Reaktion war einfach: fliehen! Sehr bewusst verwendete ich aber noch eine gute Sekunde dazu, meine Chancen abzuschätzen. Sie waren offensichtlich winzig klein. Und doch hoffte ich noch, meine Ski drehen und, in der Diagonale nach rechts ausweichend, mich zum Fuss des Steilhangs hinüber retten zu können. In der nächsten Sekunde sah ich schon die Masse links an mir vorbeifliessen; mit Schnellzugsgeschwindigkeit bewegte sie sich pfeifend abwärts. Ich glaubte mich gerettet; aber schon im nächsten Augenblick sah ich mich verloren: ein neuer Schneestrom stürzte zu meiner Rechten wie ein Wasserfall von den Felsen herab, überflutete die Zone, über die ich mich hatte retten wollen, und riss mich mit.

Bevor ich mich von den Ski befreien konnte, waren meine Beine blockiert. Ich versank jedoch nicht im Schnee, sondern behielt den Kopf über dem Tumult. Was ich sah, glich gar nicht den Naßschneerutschen, die dem Frühlingsskifahrer wohlbekannt sind. Und doch erschien mir das « Schauspiel » und die Rolle, die ich darin spielte, um nicht zu sagen wohlvertraut, so doch geradezu klassisch ( ich hatte schon viel Ähnliches gelesen ). Mein Geist blieb vollständig klar, und ich betrachtete mich selbst sehr genau. Und in welcher Verfassung! Aber ich empfand keine Angst; denn es blieben mir noch tröstliche Illusionen: ich dachte, dass die Lawine am Grunde des Abhangs, wo ich meine Freunde in Sicherheit glaubte, zum Stillstand käme. Ich stellte mir ihre Reflexionen vor im Anblick meines Missgeschicks: « Warum, zum Teufel, ist er nicht bei uns geblieben? » Dieser Gedanke war mir unangenehm; aber bald hatte ich andere Sorgen. Je mehr die Hangneigung abnahm, um so stärker wurde der Druck der Schneemassen. Manchmal steigerte er sich fürchterlich. Mit verzweifelter Kraft versuchte ich in einer Art Boxkampf meinen Kopf freizubekommen und zu schützen, wurde aber vom Schnee immer mehr eingepackt und konnte kaum mehr atmen und, was das Schlimmste war: ich fühlte mich immer mehr nach unten gezogen. Begraben! Das Gesicht im Schnee! Die Angst, unter dem Druck zu ersticken, schnürte mir plötzlich das Herz zu. Ich sah jede Hoffnung schwinden und flehte um Erbarmen. Ich schrie, ich schluchzte in meiner Ohnmacht, ich wollte geloben, nie mehr in die Berge zu gehen. « Nein, kein Feilschen! » - « Doch!... », da wurde ich ins Leere geschleudert.

Die Schneemasse ergoss sich wie ein Wasserfall durchs Couloir. Der Sturz war tief; er verschlug mir den Atem - und die ganze Zeit die Angst vor den Felsen, vor dem Schock des AufschlagsIch weiss nicht, wie der Sturz endete: Ich fand mich wieder, mit dem Rücken obenaufschwimmend, kopfvoran fortgerissen von einem rasenden Strom. Ich hatte die Augen offen, konnte aber nichts sehen und verlor die Orientierung. Da ich weiter an der Oberfläche blieb, ohne Blöcke, die über meinen Körper rollten, erschien mir die Fahrt fast wie eine Erholung. Ich wehrte mich nicht mehr und vollführte nur mit den Armen grosse, kreisende Bewegungen wie ein Schiffbrüchiger. Ich fasste neue Hoffnung. Die allgemeine Bewegung verlangsamte sich. Als sie aus dem Couloir heraus war, verteilte sich die ungeheure Masse und kam teilweise zum Stehen. Meine Ski hatte ich nicht mehr an den Füssen, und da ich mich nun frei bewegen konnte, wollte ich mich so schnell als möglich auf festen Boden retten. « Gerettet, welches Glück! » Aber als ich mich orientieren wollte, merkte ich, dass ich immer noch nichts sah. Ich fuhr mit der Hand über die Augen: keine Brille, aber weder Verletzung noch Schmerzen. Ich wusste nicht, wo in diesem Chaos die Füsse aufsetzen und war einen Augenblick ratlos. Da zeigte ein charakteristisches Grollen an, dass die Sache noch nicht zu Ende sei. Eine neue Woge warf mich um. Dieser letzte Teil der Fahrt war der grausamste. Ungeheure zusammengeballte Schneeblöcke schienen mich zermalmen zu wollen, und alles vollzog sich nun mit äusserster Langsamkeit. Ich war am Ende. Dass es doch aufhörte! Da - ein letztes, wildes Zusammenpressen, und das Ganze erstarrte. Würde ich mich bewegen können? Ich machte wütende, aber nutzlose Anstrengungen. Halb auf dem Bauch liegend, die Arme unter dem Körper verklemmt, steckte ich fast bis zum Kinn wie in Beton fest. Wenn ich den Kopf hob, sah ich den Tag durchscheinen. Ich hatte also mein Sehvermögen wieder. Ich blutete. Würde ich lange warten müssen? Obwohl der Atem mühsam ging, konnte ich ihn einen Augenblick anhalten: aber meine Stimme tönte nur schwach. Nach einiger Zeit - vielleicht war es sehr bald - hörte ich beruhigende Rufe. Welcher Trost! Dann die Befreiung. Ich sah einen Fuss, eine Hand. Drei Männer - die Skifahrer, die ich beim Aufstieg gekreuzt - hatten einen Graben zu meiner Grotte geöffnet. Mit Werkzeug, das sie in einer Alphütte geholt hatten, machten sie mich mühsam mit Schaufel und Hacke frei. Sie brachten mich auf den Rasen etwas unterhalb der Nesselwänghütte, deckten mich mit Wolldecken zu und kehrten zur Lawine zurück. Nun erst, an der Sonne liegend, begann ich vor Kälte zu zittern und Schmerzen zu empfinden. Sanitäts-soldaten besorgten meinen Abtransport.

Im Spital erfuhr ich dann, dass ich mit Rippen- und Wirbelbrüchen davongekommen war. Die tragische Bilanz des Lawinenunglücks betrug jedoch, wie das Radio am Abend meldete, vier Tote und sechs Verletzte. Meine vier Kameraden waren heil aus dem Abenteuer herausgekommen. Sie verdankten ihre Rettung ihrem guten Stern und ihrem richtigen Verhalten: In einer relativ geschützten Zone benützten sie die verfügbaren Sekunden, um ihre Ski abzuschnallen. Nur Biaise wurde einige hundert Meter mitgetragen, blieb aber unverletzt. Und ich, der ohne sehr schwere Folgen etwa einen Kilometer weit und über einen Höhenunterschied von 400 m mitgerissen worden war, hatte in den folgenden Wochen reichlich Musse, um mein Gewissen zu erforschen und meine Lehre aus dem Unfall zu ziehen.

... Manchmal noch, in der Morgendämmerung, lässt ein zuerst fernes, dann zunehmendes Grollen - eines Frühzuges oder eines Flugzeugs - das Schreckbild meines Erlebnisses neu in mir aufleben. Ich schrecke aus dem Schlaf auf, beruhige mich - und dann überkommt mich jedesmal von neuem ein Gefühl tiefer Dankbarkeit.Übers. F. Oe.

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