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Grépon-Ostwand

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von René Piguet

Mit 1 Bild ( 4Zürich ) Die zerhackte Granitmauer, die sich zwischen dem Glacier des Nantillons und dem Glacier de Trélaporte erhebt, ist den Bergsteigern des Alpenkranzes längst kein unbekannter Ort mehr. In etlichen Erlebnisberichten ist insbesondere ihre Nord-Süd-Überschreitung gepriesen und zur klassischen Wallfahrt des Kletterers erkoren worden. Zahlreich sind denn auch heute, im Zeitalter der Breitenentwicklung des Alpinismus und beim parallel dazu erreichten hohen Stand der bergsteigerischen Technik, die Seilschaften, die an klaren Sommertagen diesen schwierigen und doch so eleganten Weg unter die Füsse und Hände nehmen.

Es reizte uns, eine weniger begangene Route zum Gipfel des Grépon einzuschlagen.

Spät an einem Augustnachmittag des sengendheissen Sommers 1949 wandern Guido und ich hoch über der Mer de Glace auf dem gut ausgebauten Weg, der zur neu errichteten Hütte d' Envers des Aiguilles führt. Unser Tagesziel ist aber das Refuge de la Tour Rouge.Vom Hauptweg abweichend, weisen einige unauffällige Pfadspuren und drei Steinmännchen über grosse Blöcke hinweg zum Glacier de Trélaporte hinauf, welchen wir wenig später queren. Dort, wo er mit einer steilen Schneezunge die Gréponwand am weitesten hinauf beleckt, soll sich der Hüttenweg zum zierlichen Biwakhäuschen, das einem roten Zahn, eben der Tour Rouge, zu Füssen liegt, im trockenen Felsen fortsetzen. Hüttenweg? Unsere Augen suchen die von der Wand gebildete Bucht ab, und bald ist uns klar, dass wir für dieses Mal die hergebrachte Vorstellung von einem wohlausgebauten Steiglein abstreifen müssen. Den bequemen Mantel der Zivilisation, in welchen wir uns in den Niederungen tagtäglich mit Wohlbehagen einzuhüllen wissen, werfen wir in diesem Zeitpunkt von uns. Es beginnt eine Bergfahrt und damit ein Schreiten durch ein anderes, viel rauheres und dem Ursprung näheres Leben, aber ein Leben durchpulst von feurigen Augenblicken, die sich später in der Erinnerung zum immerstrahlenden Glanze vereinigen werden.

Die vom Himmelslicht aufgehellte Schneezunge sieht wie erstarrter Gischt einer schäumenden Brandung aus. Hohe Wellen schlagen vom nahen Felsenufer zurück, voneinander durch düstere Eisschluchten getrennt, die in das scheinbar unergründliche Reich des Neptuns der Gletschermeere führen. Eine Riesenspalte durchbricht den Eissturz in seiner ganzen Breite und reicht von Granitwand zu Granitwand. An ihrem nördlichen Ende steigen wir in die kühle Gruft hinab, bauen uns da unten an abgeschliffener Felsplatte ein Seilpendel und erwischen damit einen brüchigen und kräfteraubenden Riss, der uns von einem Standplatz weiter oben in die weisse Schneeflut zurückführt. Wir eilen aufwärts, von Welle zu Welle springend, um im Süden der Bucht, nach Überwindung des Bergschrundes, das für uns etwas mehr Sicherheit bietende Felsenufer zu erreichen.

Hier setzt die eigentliche Grépon-Ostwand an, eine 700 Meter hohe Fassade. Das Bretterhüttlein, zu dem wir eine Stunde später nach harter Kletterei gelangen, bildet nur Etappenziel einer langen Durchmessung der Wand. Es horstet hundert Meter über der Gletscherzunge auf einer nur wenige Quadratmeter grossen Plattform und ist mit Drahtseilen an den Granit gefesselt. Mit dem Erreichen dieses Ortes glauben wir den Fähigkeitsausweis für die Überwindung der ganzen Wand bereits in der Tasche zu haben, denn die morgige Fortsetzung soll um nicht vieles schwieriger sein als der Hüttenanstieg.

Ich liebe diese einfachen, biwakartigen Unterkünfte. Sie sind dem lärmigen Strom der Hüttenbummler entzogen. Sie schützen uns gut genug vor der Unbill der Witterung und den Tücken der Gebirgsnacht, ohne uns zu verwöhnen. Ein Aluminiumlöffel mit abgebrochenem Stiel erhält hier, in Ermangelung eines andern, den Wert eines silbernen im Tal. Das Wasser, sonst überall im Überfluss vorhanden, wird zum kostbaren Gut.

Wir haben vermutet, dass keine Quelle in Hüttennähe vorzufinden sein werde, und vor dem Einstieg in weiser Voraussicht — derer wir in den Augen unserer Erzieher so oft mangeln — Eisstücke in unsere Filzhüte und Windjacken gepackt. Jetzt teilen wir das gehütete Nass mit vier Franzosen aus Paris, die uns auf den Fersen gefolgt sind.

In der Nacht peitschen die Winde in grausamer Art die Regentropfen gegen die Bretterwände. Mit Geheul dringen sie durch das schlecht verstopfte Fensterloch und rauben uns den Schlaf, den wir bis spät in den Vormittag nachzuholen versuchen.

Erst als sich die wilden Elemente wieder beruhigt und im dichten Nebel verzogen haben, stehen wir auf. Wir hören irgendwo Wasser rauschen. Das Plätschern muss von Norden kommen, dort, wo eine Rinne von der Aiguille de la République herabzieht. Zwei unserer Pariser Kameraden machen sich mit einem Behälter auf den Weg und kehren nach zweieinhalb Stunden mühsamer Felsarbeit mit einigen Litern zurück. Wasser ist kostbares Gut!

Die folgende Nacht bereitet im stillen alles für einen glanzvollen Tag vor, der uns beim Erwachen als himmlisches Geschenk vor der Haustüre liegt. Wahrlich, so weit war gestern unser Wunsch nicht gegangen! Rasch rüsten wir zum Aufbruch.

30 Meter südlich des Refuge de la Tour Rouge, wo der « Hüttenweg » vom Gletscher heraufkommt, setzt ein enger Kamin an. Wir machen uns in der Morgenkühle fröstelnd an die Arbeit und erhalten einen kleinen Vorgeschmack der kommenden Schwierigkeiten. Es folgt eine kleine Höhle, der wir durch ein lustiges Felsloch entschlüpfen. Eine lange Seillänge weiter oben stossen wir auf Spuren eines sandgepolsterten Biwakplatzes, der auf eine waagrechte, schmale Leiste hinüberführt. Wir turnen in heikler Gewichts-ausbalancierung um eine gerundete Kante und krabbeln auf allen Vieren eine Plattenrinne hinauf zu einem sachte fliessenden Wässerlein in unmittelbarer Nähe der Tour Rouge, die eben jetzt vom Purpurlicht der Morgensonne übergossen wird. An diesem kühlen Nass hatte sich einst Mummery gelabt, als er am 1. August 1881 das erstemal versuchte, seinen Grépon anzugehen. « Wir hatten herrliche Risse in der Nähe des Gipfels entdeckt, passende Schneecouloirs weiter unten und mit dem Auge der Liebe nach einiger Anstrengung auch erfreuliche Spalten, Felsbänder und Übergänge gefunden, die den unteren Teil mit dem oberen in Verbindung bringen mussten », können wir in seinen Berichten über diese Ostwand lesen. Sein vorausschauender Blick sagte ihm jedoch schon hier bei der Tour Rouge, also noch weit unten in der Wand, dass ihm auf diesem Wege höchstens die Möglichkeit winke, die Scharte südlich des Gipfels, die sogenannte Brèche Balfour oder die Kerbe Charmoz-Grépon zu erreichen und nicht den Gipfel selbst. Von diesen beiden Scharten, die von der Nantillonseite her weit einfacher zu erreichen sind, wusste er aber noch keinen Weiterweg zum Ziel. So sah begreiflicherweise der kühl berechnende Engländer den Zweck einer Fortsetzung des Aufstieges nicht ein und kehrte hier unverrichteter Sache um, um einige Tage später die Erschliessung der heute berühmten Nordroute feiern zu können.

Wir folgen einige Meter dem spärlichen Wasserlauf und gewinnen südlich von ihm über etliche Bänder rasch an Höhe, trotzdem die Wand unübersichtlich ist. Die Erkundigungsfahrt, die wir gestern nachmittag als Ausfüllarbeit unternommen haben, leistet uns jetzt die von ihr erwarteten guten Dienste. Hinter einem wenig auffallenden, dunkelroten Block, von den Franzosen treffend als tour trapue benannt, biegen wir nach links ab, spreizen über einen tiefen Kamin und gelangen auf eine geräumige, hellgefärbte und nach aussen geneigte Plattform. Nach der Beschreibung sollte sie von einem Sockel in Form eines Kilometersteines geziert sein. Aus uns unbekannten Gründen scheint er jedoch seinen luftigen Standort verlassen zu haben, was in uns die Frage aufwirft, ob wir uns am rechten Übergangsort befinden. Hart hinter der Platte öffnet sich ein breiter Graben, eine senkrechte Wand zu uns her-aufschickend. Wir erspähen zwei Seillängen oberhalb unseres Standortes einen verwaschenen Hanfring. Von dort seilen wir uns in die schattige Schlucht hinunter und landen auf einem schmalen Band. Jetzt können wir bequem weiter nach links zur nächsten Wandrippe hinüber, auf welcher sich in der Folge der Weiteranstieg vollzieht.

Die Stunden beginnen zu eilen. Dies wird uns bewusst, als wir uns endlich in der Niche des Amis befinden, einem geschützten Plätzchen in ungefähr Wandmitte, aber erst am Anfang der « richtigen » Schwierigkeiten. Mein Freund Guido kratzt sich in den Haaren und macht ein bedenkliches Gesicht dazu. Anders die gut gelaunten Pariser, die mit uns denselben Weg gegangen sind, nichts im Leben schwer zu nehmen scheinen und nun gleich zur Weiterfahrt rüsten. Sie kommen verhältnismässig selten in die Berge, entbehren aber der Gewandtheit nicht. Am oberen Lauf der Seine, in Fontainebleau, liegt in der übrigen Zeit des Jahres ihr Übungsfeld an sehr niedrigen, aus sandigem Grund ragenden Felsen, die « Aufstiegsrouten » aller Schwierigkeitsgrade bieten. « Bleauzards » nennt der Volksmund jene Sonntagspilgerer nach Fontainebleau, die vornehmlich aus sportlichen Beweggründen ihrem Alpinismus huldigen. Wir sehen sie hier mit beispielloser Eleganz schwere Stellen meistern, die ihnen Bemerkungen wie « j'parie qu'c'était du quat'sup! » entlocken. Die Numerierung der Schwierigkeitsgrade hat bestimmt ihre Vorteile. Ich habe aber hier in Frankreich sowohl als in Italien beobachtet, dass die Berggänger dieser Länder ihre Fahrten allzu weitgehend nach diesem Gesichtspunkte klassieren. Es scheint mir, dass das Erlebnis, welches nicht nur aus der rein physischen Tat, sondern in hohem Masse aus dem Fühlen und Beurteilen der Tour geboren wird, gewollt oder ungewollt zu kurz komme, denn jede mathematische Klassifizierung verlangt, um exakt bleiben zu können, ein kaltes Rechnen, das nicht allzu tief im Gefühl schöpfen darf.

Unsere Gréponwand ist bedeutend steiler geworden. Die Platte oberhalb der Niche des Amis beweist uns das zur Genüge und ist zudem glatt und kleingriffig. Die folgenden Kamine sind besser eingerichtet und weisen uns einen klaren Weg aufwärts, bis wir gezwungen werden, auf einer kleinen Blockterrasse einen kurzen Halt einzuschalten, um das Weiterkommen zu studieren. Spuren von Begehungen sind kaum zu sehen, und die Beschreibung im Vallotführer ist für diesen Teil des Aufstieges knapp gehalten. Guido wendet sich nach links in die Wand hinaus zu einem Mooskissen, das wie ein gekittetes Schwalbennest an der Mauer klebt. Er benützt das Kissen als vagen Tritt und findet darüber einen versteckten Haken. Darauf entschwindet er meinen Blicken nach oben und braucht lange Minuten, um seinen Ruf zum Nachkommen erschallen zu lassen, der als Echo von weither in mein Ohr dringt. Beim Nachklettern kommt mir diese senkrechte und nur schlechte Vertikalgriffe bietende Stelle unheimlich vor, und mit einer kleinen Erlösung stelle ich fest, dass der Weiterweg durch Kamine, Risse und über rauhe Platten eher wieder unserem Können entspricht. Einen Zacken rechts umgehend, gelangen wir zu einer hübschen Schneeschulter.

Unser Blick schweift wie eine fliegende Dohle den Wänden nach und setzt sich für einen Augenblick auf die Spitze der Aiguille de Roc, die greifbar nahe vor uns als immer unerklärlich bleibende Steinflamme in den Himmel lodert. Dann wandert er zurück und schiesst in einer kurzen Geraden 150 Meter hoch zum Südgipfel des Grépon hinauf. Stolz und herrisch fixiert uns die Schlusswand mit ihren Felsenaugen. Trotz unseres emsigen Hinschauens, das bald lieblich bittend, bald beschwörend und drohend ist, will sie keine sanften Züge annehmen. So straffen auch wir die unseren und lassen es auf ein Kräftemessen ankommen.

Die Nachmittagsstunde mahnt zur Eile. Ein erster Riss ist vollständig grifflos und muss mit der Dülfertechnik, das heisst mit ausgestreckten Armen und dem Stemmen der Sohlen gegen die Wand, überwunden werden. Hernach leitet ein beruhigendes Band in bequemer Wanderung noch näher an die Aiguille de Roc hinan. Weiter oben führt ein ähnliches nach rechts senkrecht unter die Brèche Balfour zurück. Die Erstbegeher, unter welchen sich G. W. Young und der St. Niklauser Führer Josef Knubel befanden, hatten diese Schleife, die wie eine Paßstrasse in weitem Bogen die Bergrampe überwindet, nicht entdeckt und den direkten Weg eines 60 Meter hohen Kamins gewählt, das sehr viel Können von ihnen verlangte.

Es folgt erneut ein Kamin. Das wievielte ist es schon? In diesem 35 Meter hohen Schacht finde ich lange keinen Standplatz, um meinen Kameraden nachkommen zu lassen. Erst ein Entweichen nach rechts gibt mir breiteren, waagrechten Boden unter die Füsse. Zwischen einem Block und der Wand führt ein griff- und trittloser Riss in die Fortsetzung des 35-Meter-Kamins zurück. Ein Seilwurf erleichtert uns diese Passage wesentlich, und bald stehen wir in der Brèche Balfour im kalten Nordwind, nur noch wenige Meter unter der gepriesenen Höhe. Die Dalle Lochmatter scheint uns die leichteste Brücke zu dieser Höhe zu sein, und so stemmen wir uns auf der Nantillonseite zu ihr hinunter und nehmen diesen glatten Granitpanzer unter unsere kritischen Blicke. In einladend schöner Rotfarbe, aber dafür sehr ausgesetzt und nur um wenig von der lotrechten Linie abweichend, führt er ins Lochmatterkamin hinüber. Ich gehe rechts der Platte hoch, zögere jedoch, sie zu traversieren, als ich die zwei einzigen winzigen Tritte gewahre, die für die Füsse benützt werden können. Für die Hände ist kein anderer Haltepunkt als die rauhe, glatte Wand. Was für Kerle waren diese Lochmatter! Ein von weither kommender Gedanke streift in diesem Augenblick meine Sinne. Goethe lässt den Werther in seinen Briefen die Meinung vertreten, dass das Zugreifen die natürlichste Tat der Kinder sei, denn sie naschen nach allem, und dass er seine Zurückhaltung im Handausstrecken nach der Ersehnten nicht begreife. Seit zwei Tagen opfern wir unser ganzes Dasein einer geliebten und begehrten Spitze. Wie Jäger, die auf Fang ausgehen, haben wir uns nach und nach in ihre Nähe gepirscht. Und nun? Kopfschüttelnd verstehen auch wir unser Zurückweichen in der letzten Phase unseres Ganges nicht und ziehen uns missmutig zur Brèche Balfour zurück. Hier, über eine natürliche Brüstung gelehnt, haben wir Musse, die Ostwand in ihrer ganzen schaurigen Länge zu betrachten. Einem herrlichen Weg sind wir gefolgt, der sich in immer steiler werdendem Aufstreben zum hochgelegenen Ziel erhebt. Sollten wir dieser Linie auf einmal nach irgendeiner Seite eine Knickung geben oder sie nicht zu Ende geführt ausgehen lassen? Die schönste Frucht in der Gipfelkrone würde damit un-gepflückt bleiben. Plötzlich packt es uns, das auf dem Glacier de Trélaporte begonnene Werk zu vollenden und ihm mit der Erklimmung der Fissure Knubel, welche den einzig logischen Schlußstrich dieser grossartigen Aufstiegsroute bildet, die letzte Feilung zu geben. Ein unbändiges Feuer in uns spürend, stürmen wir diesen an einwandfreie Kletterkunst höchste Anforderungen stellenden Riss zum Gipfel hinauf und setzen uns neben die metallene Madonna auf die Steinplatten.

Die Berge leuchten um uns her, in unserer Seele noch mehr erhellt durch die Strahlung eines für Augenblicke vollkommenen Glückes. Von den Fels- und Eistürmen der Nähe lassen wir unsere Blicke hinabschweifen zu den bunten Zelten weit unten auf grüner Matte am Plan de l' Aiguille, wo wir gute Leute wissen. Es verbinden sich die Gedanken: beides, die Liebe der Menschen und das Geschenk der Berge — welch labender Quell für den Fühlenden!

Die vierte Nachmittagsstunde ist bereits angebrochen, als wir allein den Abstieg über die gleiche Route beginnen, da die Franzosenfreunde den meistbegangenen Abgangsweg über den Südgrat gewählt haben. Der unsrige gestaltet sich ohne grosse Geschichte. Immer und immer wieder ziehen wir das Seil ab, hängen es von neuem ein und lassen uns daran hinuntergleiten. Die Wand ist namentlich im oberen Teil zu steil, um ein freies Hinunterklettern zu gestatten. Zudem laufen wir mit der drohenden Nacht um die Wette, die uns im tiefen Graben unter der « Platte ohne Kilometerstein » einholt. Das Problem, an der leicht überhängenden Grabenwand zur Plattform hinaufzugelangen, ist in der Dämmerung nicht leicht zu lösen. Wir könnten die Stelle mit Hakentechnik meistern. Ich liebe jedoch das Hakenschlagen nicht, wo es anders geht. Das gellende Hämmern würde darüber hinaus die Nachtruhe entweihen, die uns inzwischen umfangen hat. Unzählige Male nehmen wir einen Anlauf, um das Seil um einen hochgelegenen Zacken zu schwingen. Als es endlich festsitzt, hissen wir uns mit Prusikknoten lautlos zur Platte hinauf.

Der Mond verkriecht sich hinter die breite Gréponmasse und lässt uns allein mit der Dunkelheit fertig werden. Die Felsen werden zu Geistern und beginnen sich schemenhaft zu bewegen und uns zum Narren zu halten. Wir finden Schwierigkeiten vor, wo bei Tag gar keine vorhanden waren, und tasten unendliche Male glatte Wände ab, wo wir Griffe zu erhaschen hoffen. Ein Biwak drängt sich auf. Heute einmal nicht dafür ausgerüstet, hassen wir die Nachtkälte wie eine giftige Schlange und ziehen vor, den Abstieg, wenn auch langsam, fortzusetzen. Da das Klettern im Dunkeln unmöglich geworden ist, gleiten wir nur noch am eingehängten Seil von Stufe zu Stufe in die Tiefe.

Das Bächlein bei der Tour Rouge hat zu träufeln aufgehört. Aber in einer reingewaschenen Schale streckt uns der Berg mit seinen felsigen Händen noch sein letztes Tröpfchen Wasser entgegen. Ich zerschlage mit meinem Hämmerlein, das nun doch zu Ehren kommt, ein Päckchen Ovomaltine zu Pulver. Darauf nimmt der Grépon mir das nicht gern gesehene Werkzeug aus der Hand und behält es für immer. Ich habe es später auf jeden Fall im Rucksack nicht mehr vorgefunden. Schliesslich hat es am Bächlein seinen Zweck erfüllt.

Gegen 4 Uhr morgens, nach 23 Stunden Kletterfahrt, erreichen wir unsere Unterkunft. 16 Meter Reepschnur haben wir für Seilringe in der Wand zurückgelassen und dabei jeden Ring nur einfach gelegt. Unsere Hände haben trotz den Handschuhen im Umgang mit den rauhen Steinen ordentlich gelitten. Es ist jedoch selten vorgekommen, dass ich mich so glücklich wie in dieser Nacht in die Decken gehüllt habe.

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