Fründenhorn-Südwand
Von Hans Wyttenbach
Erster direkter Durchstieg am 20. August 1944 ( Bern ) Eigentlich beabsichtigten wir nach der letztsonntäglichen Tschingelspitz-Südwand einen Nordaufstieg mit Schnee und Eis.
Aber es stand bald fest, dass dem Fründenhorn von Süden her ein Weg abgetrotzt werden sollte, hatte doch mein Gefährte Edwin Krähenbühl dasselbe auf allen üblichen Routen schon erstiegen und war der Kreis zu schliessen. Ich erklärte mich hierzu bereit, weil es mir am letzten Sonntag gar einladend erschien und Routensuche ein überaus erfreuliches Kapitel der Bergsteigerei ist.
Zu der Besteigungsgeschichte, denn eine solche existiert bereits für die Südwand, finde folgendes seine Würdigung:
Die Südwand hat eine ansehnliche Breite und bietet verschiedene Durch-stiegsmöglichkeiten. Eine von diesen hat die Partie J. Berger mit Fritz Ogi sen. und Hermann Ogi am 19. Juli 1936 ausgeführt, wobei ein Couloir in der östlichen Hälfte der Wand benützt und der Nordostgrat unterhalb der obersten Abseilstelle erreicht wurde. Wir suchten die direkte Linie auf den Gipfel.
Nächtlicherweile eilen wir durch das Gasterntal, das diese Woche ein entsetzliches Unwetter hat über sich ergehen lassen müssen. Die Wunden, die das Wildwasser in den Talgrund gefressen, sind noch nicht vernarbt. Weite Strecken des Strässchens sind versandet, mit Geröll überdeckt, Brücken weggespült. In Seiden — hier hat sich eine stattliche Touristenzahl zu einem überaus zwanglosen Fest zusammengefunden — zünden wir die Laternen-kerze an. Wie notwendig diese Lichtquelle ist, zeigen uns die Stellen am Wege nach Heimritz, der auf grosse Strecken vollkommen weggerissen worden ist. Glücklich langen wir aber im Heimritz an und legen uns bald zur Ruhe.
Schwarz umfängt uns noch die Nacht um 4 Uhr. Mühsam bahnen wir uns den Weg über die verschütteten Ufer der Kander. Die Brücke, welche sonst den Mutthornwanderer an den andern Talhang trägt, ist von brüllenden Wassern weggespült. Ein Notsteg leitet hinüber. Wirr liegen Tannen und Blöcke umher. Wir stolpern durch die Wüstenei. Allmählich gelangen wir aus diesen Trümmern und kommen auf dem Wege rasch voran. Der Tag erwacht und steigt rotwolkig in den Himmel.
Angesichts der eindrucksvollen Abstürze, die die Südseite der Dolden-horn-, Blümlisalp- und Gspaltenhorngruppe kennzeichnen, queren wir den Alpetligletscher auf der Fründenjochroute in Richtung auf das Hängegletscherchen am Fusse der Südwand. Der Leser glaube nicht, das Gletscherchen sei steil und arg zerrissen, nein, im Gegenteil, es ist ganz flach. Wir machen Halt und sitzen auf unsere Säcke; doch gutes Sitzen verlangt nach besserem Liegen. Der Rucksack in Verbindung mit dem Pickel dient als Rückenlehne, das « Oberländer Tagblatt » isoliert nach unten. Also faul und Nüsse knabbernd bestaunen wir den Weg. Er ist gekennzeichnet durch die Gipfelfallinie. Links ist im untern Drittel ein gelber, dreieckiger Felsturm, der Weg muss rechts durch, in den obern zwei Dritteln geht es mehr links.
Über einen Schneekegel erreichen wir die Felsen und erklimmen eine bräunliche Stufe, die nur von einer grauen Kalkschicht unterbrochen wird. Eine senkrechte Verschneidung führt unter erheblichen Schwierigkeiten auf weniger geneigte Platten, über die wir rasch an dem dreieckigen Turm vorbei emporsteigen und dahinter auf ein Grätchen gelangen. In herrlichem Fels geht es eine Seillänge steil hinauf. Von hier führt ein Schuttband nach Westen. Wenig absteigend erreichen wir ein enges Couloir, worin sich Berneralpenmilch-konserven an völlig unbeachtetem Reklameort als erste Zeichen der Zivilisation vorfinden. Mit dieser Entdeckung kommen auch die Befürchtungen, dem Gipfel nicht mehr fern zu sein, und tatsächlich erreichen wir ihn bald nachher über steile Platten und ein anregendes Schlusswändchen, den Steinmann auf Grund der letztsonntäglichen Erfahrung leicht umgehend, wenngleich die letzten Schritte schnurgerade dahinzielen.
Das Wetter hat sich ausgezeichnet gehalten, trotz der bedrohlichen Aspekte, die es am Einstiege geboten. Immer wieder neu erfreuen uns die kühnen Gipfel, die allüberall in den Himmel ragen und ihre Einladung in unerreichter Einfachheit und Schönheit demjenigen zukommen lassen, der sie selbst schon angenommen. So muss man Berge lieben, sie schätzen und ehren, sie sauber angehen und kennenzulernen versuchen, bevor man ihre Einladung annimmt.
Also und anders meditieren wir kauenderweise und stellen fest, dass schon eine Stunde verstrichen ist. Als Abstieg wählen wir den interessanten Westgrat, um uns eine ermüdende und schwielenbrennende Hackerei über die Normalroute zu ersparen. Knapp eineinhalb Stunden nach dem Aufbruch sitzen wir beim Tee in der heimeligen Fründenhütte, gastlichst bewirtet vom Hüttenwart Ogi und dessen Frau, und versuchen uns über die Bedeutung und praktische Auswirkung unserer Route zu einigen. Hier das Ergebnis unserer Diskussion: Die Anmarschwege sind, wenigstens der vom Gasterntale, lang und derjenige von der Fründenhütte etwas widersinnig, muss man doch vom Fründenjoch, den schönen Westgrat querend, auf das Gletscherchen absteigen. Es ist zu sagen, dass die direkte Ersteigung der Südwand für denjenigen eine Berechtigung hat, der das Fründenhorn auf allen praktikablen Routen bereits erstiegen und zum Abschluss, um den Kreis zu schliessen, von Süden auf den Gipfel will. Die Südwand ist aber auch für den der Weg, der Freude an der Routenfindung hat. Die Tour weist keine ausserordentlichen Schwierigkeiten auf, und es kann alles frei geklettert werden. Es liegt viel loses Gestein auf den Bändern und Absätzen, das bei starkem Wind oder bei Schneeschmelze in Bewegung gerät, so dass es sich empfiehlt, den Aufstieg nur bei völlig ausgeaperten Felsen durchzuführen.