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Erstbesteigung des Pumo Ri

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

VON UELI HÜRLEMANN, EBNAT-KAPPEL

Mit 6 Bildern ( 9-14 ) Endlich ist es soweit. Die letzten Koffer sind im Taunus verstaut. Am 27. Januar 1962 verlassen wir, G. Lenser, H. Rützel, E. Forrer und ich, unsere Heimat, um bei strömendem Regen Richtung Genua zuzusteuern. Südlich der Alpen ist das Wetter besser, und wir erreichen bei Sonnenschein die Hafenstadt. Die majestätische « Victoria » liegt schon einige Tage im Hafen und wartet geduldig bis die flinken Matrosen ihr den letzten Glanz gegeben haben.

Noch sind zwei Tage bis zur Abfahrt. Zuerst halten wir einmal Nachschau, wo unser Gepäck ist, denn dieses ist schon vor uns in Genua eingetroffen. Wir erschrecken natürlich nicht wenig, als uns mitgeteilt wird, dass die Hafenarbeiter in einen Streik getreten sind. Deshalb liegen unsere Sachen noch im Lagerhaus und sollen dort liegen bleiben, bis der Streik vorüber ist. Dieser Bericht weckt uns brüsk aus unseren Reiseträumereien. Wir laufen den Weg vom Hafen zum Bureau unserer Schiff-fahrtsgesellschaft und zurück, einige Male im Tag. So liebenswürdig die Italiener sonst sind, heute ist von keinem etwas zu wollen! Am Abend sitzen wir in unserer Herberge und beraten hin und her. Unsere letzte Hoffnung ist das Deutsche Konsulat in Genua. So früh als möglich setzen wir uns am nächsten Tag mit ihm in Verbindung. Um 13 Uhr fährt ja schon das Schiff! Und die Hilfe kommt, denn Konsul Enrico scheint schon oft solche Probleme gelöst zu haben und ist bei weitem nicht so aufgeregt wie wir. Formular und Formular wird mit den Unterschriften gezeichnet. Endlich um 10.30 Uhr fährt ein Lastwagen vor den Schuppen, und einige Arbeiter, die aus ihrem Schlaf geweckt wurden, helfen mürrisch beim Umladen. Im letzten Moment, eine Viertelstunde, bevor die Schiffssirene heult, wird unsere Last vom Kran gehoben und in den tiefen Schlund des Schiffsrumpfes ver- senkt. Die letzten Passagiere steigen an Bord, der Landungssteg wird hochgezogen, und nach einem kurzen, markdurchdringenden Hupen werden wir aus dem Hafen gelotst. Einige Passagiere winken noch lange ihren Lieben, bis sie ausser Kenn weite sind.

Unser Leben auf dem Schiff ist alles andere als Training für die kommende Zeit. Und der Kellner hat recht viel mit uns zu tun! Ab und zu denken wir, in uns für die kommenden Wochen Vorräte anzulegen. Und gut überstehen wir die Seereise und landen fast etwas wohlbeleibt in Bombay.

Obwohl unsere persönliche Zollabfertigung für orientalische Begriffe sehr schnell gegangen ist, müssen wir doch noch zwei Wochen in Bombay verbringen. Tag für Tag warten wir auf eine Genehmigung aus Nepal, ohne die wir nicht einmal nach Indien einreisen dürfen. Wie es sich später herausstellte, war diese nur in der Unordnung der Indischen Bürokratie untergegangen. Am achten Tag handeln wir eigenmächtig und kommen überein, dass Ernst und Gerd mit dem « Taunus », der inzwischen schon durch die Formalitäten durchgeschleust worden ist, nach Delhi fahren, um dort auf der Nepal-Botschaft für die nötigen Papiere zu sorgen. Und während Hans und ich wieder geduldig im Zollgebäude sitzen, steuern sie im Hundertkilometertempo der Hauptstadt Indiens zu. Und schon vier Tage später sitzen Hans und ich zufrieden in der holpernden Eisenbahn. Es hatte sich alles schneller geklärt, als wir je vermuteten. Wir erhielten plötzlich einen Anruf ins Hotel vom Deutschen Konsulat und die Mitteilung, die Bewilligung sei zum Vorschein gekommen Doch mussten wir mit unserm Spediteur noch den ganzen Tag in der Stadt umher, zu Zoll, Polizei, zum Bahn-Büro, doch am Abend hatten wir alle Papiere endlich in der Tasche, mussten dann aber noch geduldig die Abfahrt des nächsten Expresszuges abwarten.

Von Wanzen zerstochen erwachen wir am ersten Morgen in der « Indischen SBB ». Aber beim nächsten Halt werden wir von uniformierten Kellnern mit Eiern und Tee bewirtet, was viele Unannehmlichkeiten vergessen lässt. Obgleich die Fahrt durch das weite, ab und zu eintönige Land recht langwierig ist, sind wir doch sehr beeindruckt von all dem Gesehenen. Das Bild bleibt während der drei Tage dasselbe: riesige ausgetrocknete Reisfelder, eines neben dem andern, ab und zu einige Bauern mit ihren grossrädrigen Ochsengespannen. Die Vegetation ist wie tot. Alles sehnt sich nach dem erfrischenden Monsunregen. Wir aber hoffen, dass dieser noch möglichst lange ausbleibe!

Nach dem fünften Umsteigen erreichen wir die Bahnendstation Raxaul, nahe der nepalesischindischen Grenze.

Hier mussten wir mit unseren Freunden wieder zusammentreffen, und wir hoffen, dass sie vor uns angekommen sind und für den Weitertransport des Gepäcks vorgesorgt haben. Wie ich von einem Besuch beim Polizeiposten auf dem Rückweg zum Bahnhof bin, entdecke ich mitten in einem Gewühl von Dorfbewohnern den grauen « Taunus ». Ganz erstaunt schaut mich mein Rikscha-Fahrer an, als ich von seinem Wagen springe, ihn ausbezahle und zum Auto springe. Und zufrieden schütteln die Freunde und ich die Hand, sind es doch zehn Tage seither, dass wir uns in Bombay trennten. Gespannt höre ich den Erzählungen über ihre Erlebnisse zu, über einen Überfall, dem sie in der letzten Nacht mit knapper Not entgangen sind. Eine Horde von über hundert Bauern wollten sie, bei einer Rast in einem lichten Wäldchen, berauben. Unserer Kameraden einzige Rettung war die Flucht ins Auto und sofortige Abfahrt. Aber die Strasse war von mit Bambusstöcken bewaffneten Bauern gesperrt. Mit Vollgas rasten sie in die darob überraschte Menge hinein. Ein wildes Durcheinander. Stöcke sausten nieder. Steine wurden geworfen, so dass die Windschutzscheibe in tausend Stücke sprang. Unsere Freunde kamen aber durch und erreichten Samastipur, wo sie den Polizeiposten aufsuchten. Auf die Frage, ob die Angreifer sie wohl getötet hätten, antwortete der Polizist mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit: « Yes, Yes. » Das einzige, was die Polizei unternahm, war die Stellung einer Polizeibegleitung bis Raxaul!

Ernst und Gerd fahren weiter, um am andern Tag in Kathmandu einzutreffen. Bei strahlendem Wetter folgen auch wir ihnen, nach zwei weiteren Tagen « Zollkrieg ». Zuoberst auf einem schwerbeladenen, uralten, russischen Lastwagen sitzen Hans und ich.

Von einem fast 3000 m hohen Pass vor Kathmandu sehen wir zum erstenmal die Himalayariesen in weiter Ferne. Endlich sind wir wieder in einem Land der Berge: in Nepal!

Von Schweizern, die in Kathmandu tätig sind, werden wir herzlich empfangen. Jean-Jacques Roussi, der Käsefachmann, ist in diesen Tagen unsere grösste Hilfe. Ohne ihn wären wir in mancherlei Schwierigkeiten geraten. Dank ihm ist es möglich, dass wir schon nach vier Tagen startbereit sind und mit 57 Kulis unseren 20tägigen Anmarsch beginnen Bis zum ersten Etappenort können wir uns noch mit Jean-Jacques'Wagen fahren lassen. Dann aber steht der erbarmungslose Marsch vor uns. Die noch von der Seereise verweichlichten Muskeln schmerzen uns so sehr, dass wir schon nach wenigen Stunden unseren Kulis kaum mehr folgen können. An einer Flusseinmündung, im tiefeingeschnittenen Sun-Kosi-Tal, ist unser erster Marschtag zu Ende. Nima Dorje, unser Koch, setzt sich schon beim Anmarsch voll für uns ein. Zwar bietet ihm der Menuplan keine besonderen Schwierigkeiten: morgens Milchreis, mittags gekochte Eier, abends Risotto und ab und zu ein an Altersschwäche gestorbenes Huhn dazu. Drei Wochen müssen wir uns mit diesen Mahlzeiten begnügen, weil unsere europäische Verpflegung erst ab Basislager verwendet werden darf.

Nach einer Woche Marsch über Berg und Tal sind wir wiederum bei Schweizern zu Gast. In Jiri, wo vom Schweizerischen Hilfswerk eine Musterfarm und' ein Spital entstanden sind, werden wir vorzüglich aufgenommen und bewirtet.

Mit vier grossen Käselaiben « Zusatzlast » beginnen wir den Weitermarsch. Die Merkmale unseres Weges sind die sehr grossen Höhenunterschiede. Es ist fast die Regel, am ein und selben Tag von 800 m ü. M. auf 2200 m aufzusteigen, um dieselbe Höhendifferenz auf der andern Seite des Passes wieder abzusteigen. Der letzte Abstieg bringt uns in das Dudh-Kosi-Tal. Sieben Tagesmärsche höher entspringt dieser Fluss zu Füssen der höchsten Berge der Welt. Wir überqueren den « Milch-fluss », wie er zu Deutsch genannt würde, unzählige Male auf schmalen, schwankenden Brücken, bis wir, in Schweiss gebadet und nur mit Turnhose bekleidet, an einem schönen Nachmittag Namche Bazar erreichen. Das Dorf liegt in einer sonnigen Mulde, umringt von weissen Gipfeln. Noch ehe wir Gelegenheit haben, uns in Kleider zu stecken, werden wir von dem hier stationierten Polizei-trupp zu Tee und Biskuits eingeladen. Die Kulis marschieren unter der Führung der Sherpas weiter. Etwas oberhalb des Dorfes mietet unser Sirdar ein ganzes Haus für uns, da wir vorhaben, einige Tage hier zu verweilen. Die Kulis von Kathmandu verlassen uns wieder, und wir müssen uns um neue umsehen. Auch haben wir hier die letzte Möglichkeit, Nahrungsmittel einzukaufen.

Nach einer Stunde köstlichen Diskutierens verabschieden wir uns von den gastfreundlichen Polizisten und steigen zu unsern Kulis hinauf. Die erste Arbeit, die unser wartet, ist die Soldverteilung. Jeder Kuli erhält seinen Lohn und quittiert mittels Daumenabdruck. Wir amüsieren uns immer sehr bei diesem Anlass. Das Geld wird aufs genauste untersucht und mit dem Nebenmann verglichen. Leicht beschädigte Noten werden uns sofort zurückgegeben. Wenn dann jeder noch seinen « Backschisch » ( Trinkgeld ) erhalten hat, verabschieden sie sich und treten ihren langen Heimweg an.

In den nächsten Tagen haben wir einige Besuche zu erfüllen. Einmal sitzen wir bei Urkien, einmal bei Nima Tenzing und ein anderes Mal bei unserem Sirdar. Rührend ist die Gastfreundschaft dieses gutmütigen Bergvolkes. Von morgens früh bis abends spät sitzen wir bei Tisch und werden fürstlich bewirtet mit Kartoffeln, getrocknetem Jackfleisch und gesalzenem Tee. Auch ein alkohol-haltiges Getränk müssen wir reichlich trinken. Überall wird uns Tschang und Rakschi in Mengen vorgesetzt.

Am dritten Tag unseres Aufenthaltes in Namche Bazar strömen von allen Seiten unsere neuen Kulis heran. In all den umliegenden Dörfern hat unser Sirdar seine Freunde und Bekannten benachrichtigt, dass es etwas zu verdienen gäbe. So kommt es, dass die meisten Träger mit unseren Sherpas irgendwie verwandt sind.

Nach einem letzten Abschiedstrunk verabschieden wir uns herzlich von unseren Gastgebern und neuen Bekannten. Unser nächstes Ziel ist Tjangboche. Auf einer sonnigen Terrasse inmitten mächtiger Eisriesen liegt das schmucke Kloster. Wir sind überwältigt von dem Anblick, der sich uns hier bietet. Ringsum riesige Berge, die wir bis jetzt nur nach dem Namen kannten. In nächster Nähe erheben sich Nuptse, Lotse, Ama Dablam und Kangtega und viele andere Berge, von denen niemand weiss, wie sie heissen. Obwohl alle über 6000 m hoch sind, sagen die Sherpas, dass bei ihnen die kleinen Berge keinen Namen hätten. Hier in diesem Kloster hat das kirchliche Oberhaupt der Sherpas seinen Wohnsitz. Mehr als 50 Mönche dienen ihrem Vorgesetzten, dem Oberlama. Auch von ihm werden wir wieder zum Tee eingeladen. Später lassen wir uns von Urkien und Sirdar, die beide fromm sind, zu einer Messe überreden, die speziell für uns und unser Gelingen am Berg abgehalten wird. In einer Ecke im Innenraum des Tempels wird uns ein Platz angewiesen. Im Chor murmeln die frommen Väter ihre Gebete. Sonderbar ertönt ihr regelmässiges Murmeln. Auf ein Zeichen des Ältesten hin verstummen alle, und ein Mönch kommt mit einer Kanne mit für uns übelriechendem Tee auf uns zu und schenkt einem jeden eine Tasse ein. Wir müssen feststellen, dass es sich um gesalzenen Tee mit vergorener Butter handelt, und mit etwelcher Überwindung trinken wir den uns feierlich dargebotenen Trunk. Ganz benommen und dem Erbrechen nahe verlassen wir die Messe, hoffend, dass uns Buddha nun seine Unterstützung geben werde.

Am letzten Morgen unseres Anmarsches stehen wir unvermittelt vor unserm Ziel, dem Pumo Ri, der zuvor immer hinter Wolken oder riesigen Moränen verborgen blieb. Nun aber steht er ganz versilbert vor uns, am linken Rand des Kumbu Beckens. Im Laufe des Tages kommen wir ihm immer näher, und immer abweisender erscheinen seine Flanken, so dass wir uns im stillen die Frage stellen, ob wir ihn zu besteigen vermögen? Auch die Sherpas schauen mit beinahe ängstlichen Blicken zum Berg hinauf, denn auch sie sehen ihn zum erstenmal so direkt vor sich. Die Kulis werden sogar schweigsamer und bestaunen den « Tochterberg », wie er zu deutsch heisst. Gegen Mittag können wir unser Basislager an einer sonnigen und windgeschützten Lage errichten. Nachdem jeder Träger seinen wohlverdienten Lohn erhalten hat, zieht die wieder fröhliche Schar ihren Heimatdörfern zu.

Wir müssen nun unser Basislager so gemütlich als möglich einrichten, denn wir werden zwei Monate hier unser Zuhause haben. In den ersten Tagen fühlen wir uns richtig krank, denn wir spüren die dünne Luft sehr stark. Wie Gelähmte schleichen wir in unserem Lager herum und können uns nicht vorstellen, dass wir in den nächsten Wochen einen Berg besteigen wollen. Das Lager befindet sich bereits in einer Höhe von 5300 m ü. M. Am vierten Tag ist mir so übel, dass ich meinen Rucksack packe und mit Urkien wieder etwas absteige, um mich langsamer zu akklimatisieren. Nach drei Tagen bin ich wieder wohlauf und steige erneut zum Basislager auf.

Aber noch zwei Tage liegen wir herum, ehe wir neues Leben zu gewinnen scheinen. Wir betrachten jetzt den Berg etwas genauer, sehen ihn immer wieder von einer andern Seite an und unternehmen dabei kleinere « Einmarschtouren ». Den zuerst geplanten Weg über den SW-Grat müssen wir fallen lassen. Zwei riesige Felsabsätze versperren den Weg auf dem Grat. Auch der Zugang zum NW-Grat ist unmöglich. Wir konzentrieren uns auf die SO-Flanke. Zwar scheint sie gefährlich zu sein, doch hoffen wir, unsern Weg so viel als möglich in die Felsen verlegen zu können, um so dem Eisschlag und Lawinen bestmöglich ausweichen zu können. Wir tragen mit den Sherpas eifrig Lasten zum Lager I hinauf, das wir am Fusse der Felswand aufschlagen. Alle sind gespannt, was für Schwie- rigkeiten uns wohl diese Felswand machen werde. Nach einer Woche ist alles, was wir am Berg brauchen, über die lange Seitenmoräne des Kumbugletschers ins Lager I hinaufgetragen. Der Wand ist ein 200 m langes, steiles Schneefeld vorgelagert. Dieses zu überwinden bringt uns schon nach kurzer Zeit ausser Atem. Deshalb muss sich unser erster Vorstoss auf die Überwindung dieses ersten Schneefeldes und die Auskundschaftung des Weiterweges beschränken. Wir erkennen schon jetzt, dass ein hartes Stück Arbeit auf uns wartet. Abwärtsgeschichteter, vereister Fels wird unser erstes Hindernis sein.

In den nächsten Tagen wird die Wand von Gerd und Ernst bestiegen. Während Hans und ich für den Nachschub sorgen, plagen sich die beiden Kameraden mit Seil und Haken im schwierigen Fels. Urkien, der sich nicht an den Berg heran wagt, wird als Basislagerverwalter eingesetzt. Sirdar, der gerne den Kranken spielt, schicken wir nach Namche hinunter, um frisches Jackfleisch, Kartoffeln, Zucker, Tee und Petrol zu holen. Mit unseren zwei verbleibenden Sherpas, Nima Dorje und Nima Tenzing beginnen wir den Transport aufwärts. Ernst und Gerd haben in der Zwischenzeit ein gutes Stück der Wand durchstiegen und eine Route fixiert, aber auch erkannt, dass es nicht ohne ein Zwischenlager in der Wand geht. Schon am nächsten Tag steigen sie, unterstützt von Hans und den Sherpas, wieder hoch mit dem Vorhaben, erstmals die Nacht in der Wand zu verbringen. Weil ich heute Ruhetag habe, liege ich den ganzen Tag im offenen Zelt und schaue den andern mit dem Feldstecher zu. Rasch sind die Kameraden bei der Stelle angelangt, wo sie gestern kehrt machten. Aber die Schlüsselstelle im untern Wandteil wartet auf sie! Eine senkrechte, 30 m lange, brüchige Verschneidung bildet die einzige Möglichkeit, höher zu kommen. Laut tönen die Hammerschläge bis zu mir ins Lager herunter. Plötzlich steht Ernst oberhalb des Steilaufschwunges auf einer Kanzel. Sein « Ho-Duli-Duli-Du »-Ruf klingt erleichtert. Rasch sind fixe Seile angebracht, so dass die andern nachsteigen können.

Mit vereinten Kräften stellen sie unser kleinstes Zelt auf. Nicht jeder Freund des Campingsports hätte sich mit diesem ausgesetzten Platz abfinden können: die ebene Fläche entspricht nicht einmal den Bodenausmassen des Zeltes; gegen aussen müssen Steine aufgeschichtet, und gegen innen muss Eis weggepickelt werden. Hans und die beiden Nima steigen mit leeren Rucksäcken wieder ab und überlassen Gerd und Ernst sich selbst. In der Dunkelheit, die schon seit einer Weile hereingebrochen ist, stolpern die drei müde zum Lager heran. Ich habe ihnen ein wackeres Abendbrot bereitet, über das sie gierig herfallen.

Am nächsten Tag bin ich an der Reihe, und Hans ruht sich aus. Schwer bepackt, wie Maulesel, schnaufe ich mit den Sherpas den Schneehang hinauf. Unten am Felsen liegt unser Depot. Wir seilen uns an, setzen die Helme auf und beginnen den Weiterweg. Obwohl das Wetter schön ist, bietet die Kletterei keinen Genuss mit den Lasten auf dem Rücken. Man meidet jede unnötige Bewegung und schaut nur, dass man so schnell als möglich das Ziel erreicht; für uns ist es das Wandlager. Aber da ist der Platz so klein, dass nur einer nach dem andern hin kann, um seinen Rucksack im Zelt zu entleeren und wieder eine Seillänge zurückklettern. Plötzlich ertönten die Stimmen der Freunde. Weit oben erkennen wir sie an ihren roten Windjacken. Sie rufen uns zu, dass sie den Ausstieg aus der Wand gefunden hätten; es sei jedoch zu spät, an diesem Tag noch bis auf den Grat zu kommen. Deshalb sollen wir mit Material etc. so hoch wie möglich aufsteigen und die Sachen deponieren.

An den fixen Seilen geht es in flottem Tempo voran. Mit den Sherpas ergibt sich ein gutes Klettern. Sie sichern zuverlässig und klettern als zweite am Seil so gut wie ein gewandter Westalpen-Berg-steiger. Wir müssen nur staunen, was die Kameraden für uns schon erschlossen haben. Vereiste Couloirs wechseln mit senkrechten Wandstellen. Ja, sogar einen ausgesetzten Quergang haben wir zu bewältigen, der dem Götterquergang am Eiger in keiner Hinsicht nachsteht. Durch die verblüf- fende Ähnlichkeit vieler Stellen mit der Eigernordwand haben wir deshalb den verschiedenen Stellen dementsprechende Namen gegeben wie: Spinne, Götterquergang, Rampe, 2. Eisfeld usw. Der nächste Tag wird für uns wieder ein Feiertag: Ernst und Gerd erreichen den Grat. Alle atmen auf!

Anderntags packen wir wohlgemut noch einige Pfund auf unsere gewohnte Last. Heute steigt Hans vom Lager II nicht mehr ab. Er und Nima Dorje übernachten im ausgesetzten Lager. Sie wollen am andern Tag weitersteigen und eine erste Last ins Lager im Sattel hinauf bringen. Einen Tag später sollen dann Nima Tenzing und ich aufschliessen. So haben wir unseren Gang zum Gipfel geplant. Alle zusammen über den Grat und alle sechs auf den Gipfel! Aber wir haben uns zu früh gefreut, wir erleben die grösste Enttäuschung unserer ganzen Besteigung: Was sich an Stelle eines sanften Rückens, der sich zum Gipfelaufbau hinzieht, zeigt, übersteigt unsere schlimmsten Befürchtungen. Es ist ein Grat von einer unbeschreiblichen Wildheit. Felsaufschwünge, riesige, überhängende Wächten, Eisabbrüche und Eistürme wechseln ab. « Einfach unmöglich », meinten Ernst und Gerd nach ihrem ersten Versuch. Von unten schien alles so harmlos. Aber - wir müssen weiter. Am andern Tag versuchen Ernst und Gerd einen Weg nicht über den Grat zu finden, sondern rechts über eine lange Eiswand, die sich direkt zum Fuss des Pumo Ri-Gipfelaufbaus zieht und die gangbar zu sein scheint. Hans und Nima Dorje begleiten die beiden, während Tenzing und ich wieder die Wand hinunterseilen, um nochmals zwei Rucksäcke mit Verpflegung hinaufzubefördern.

Todmüde und mit hängenden Köpfen kehren aber unsere Freunde von ihrem Versuch zurück. Wieder nichts!

Wir halten Kriegsrat. Die Lage wird langsam ernst, denn die Lebensmittel werden knapp und der Monsun hat den aufgefangenen Meldungen nach bereits Ceylon erreicht. Aber so rasch wollen wir nicht aufgeben. Wir fassen neue Beschlüsse, wägen hin und her ab. Dann steigen Ernst und Gerd ins Basislager ab, um sich auszuruhen. Und damit in der Höhe nicht zuviel Nahrungsmittel gebraucht werden, gehen auch die beiden Nimas mit. Hans und ich übernehmen den Versuch, am Grat nochmals nach einem Weg zu suchen. Mit den letzten noch vorhandenen Haken und Seilen bewaffnet machen wir uns an die Arbeit. Unser erster Versuch scheitert aber an einem senkrechten, 50 m hohen Felsturm. Wir können nur einen Weiterweg planen und schon bricht der gewohnte Nach-mittagssturm herein. Wild tobt es um uns! Keine zwei Meter sehen wir, so dass wir so schnell als möglich ins Lager zurück müssen. Bereits sieht man vom Bart des Seilgefährten nichts mehr als ein wildes Eisgebilde. Auch die Brillengläser sind dick verklebt. Und wir fühlen uns erst wieder in Sicherheit, nachdem die Reissverschlüsse unseres Jamet-Zeltes zugezogen sind.

Obwohl unser zweiter Versuch von besserem Wetter begleitet ist, kommen wir nicht viel weiter. Der Felsturm, bei dessen Fuss wir gestern umkehren mussten, macht uns heute etliche Stunden zu schaffen. Ein abfallender Quergang bringt uns vom Grat etwas weg in die Südwand. In ihr gelingt es, den Turm zu umgehen und weiter oben wieder auf den Grat zurückzukehren. Bei dem Anblick aber, der sich uns jetzt bietet, bleibt uns fast der Atem weg. Wir stehen auf einer Erhöhung des Grates und haben erstmals den Blick auf den gesamten Weg, der zwischen uns und dem Gipfel liegt. Ungefähr tausend Meter zieht sich der messerscharfe, wild verwächtete Grat hin, bis er allmählich im Gipfelaufbau ausläuft. Unser einziger Gedanke ist: « Wie kommen wir da hinauf? » Weit und breit keine Möglichkeit, ein Lager zu errichten. Den ganzen Grat in einem Tag zu bewältigen ist ebenso unmöglich. Ziemlich entmutigt treten wir den Rückweg an. Erst, als wir wieder geborgen im Zelt liegen, beginnen wir unsere Überlegungen auszutauschen. Hans hält die ganze Sache zum voraus als völlig unmöglich. Auch mir scheint es ziemlich aussichtslos. Die einzige Möglichkeit besteht noch darin, mit einer sehr schnellen Seilschaft aufzusteigen, wobei alle notwendigen Gegenstände mitzunehmen sind, damit wir, wenn der Tag zur Neige geht, ein Biwak errichten können. Anderntags dann weiter und auf diese Art vorwärts, bis wir den Gipfel erreichen.

Vorerst müssen wir aber unsere Kameraden von unserem Misserfolg benachrichtigen. Ich steige am kommenden Tag über die Felswand ins Lager I ab. Ernst und Gerd sind gar nicht besonders überrascht von meiner Nachricht. Auch sie sind zu den selben Überlegungen gekommen wie Hans und ich. Wir besprechen eingehend den Plan. Sobald das Wetter sich bessert, heisst es: los!

Am kommenden Tag, kurz vor Einbruch der Nacht, erscheint auch Hans im Lager I. Er will nichts mehr vom Pumo Ri wissen! Er hat seine ganze Ausrüstung mit herunter gebracht.

Bei strahlendem Wetter steigen wir drei, begleitet von Tenzing und Dorje, wieder zum Lager III auf und rüsten uns hier für den letzten Versuch. Für fünf Tage Lebensmittel, 1 Zelt, die restliche « Schlosserei » und alle persönlichen Klamotten geben zusammen ein ganz beträchtliches Gewicht. Jeder von uns erhält so einen Rucksack von ca. 20 kg Schwere. Wir bedauern es sehr, dass wir unsere zwei treuen Sherpas nicht mitnehmen können, aber das würde unser Vorgehen zu sehr verzögern. So schicken wir die beiden wieder zu Hans hinunter. Hier oben benötigen wir sie nicht, und schliesslich gibt es in dem untern Lager eher noch etwas Rechtes zu essen.

Bei strahlendem Wetter verlassen wir am 15. Mai um 5 Uhr früh unser Lager III. Kaum sind wir vom Zelt weg, umfängt uns ein eisiger Wind. Jedoch bläst er zu unserer Freude endlich einmal von Norden. Solange dieser Wind weht, können wir mit gutem Wetter rechnen. Auf der uns schon bekannten Route gewinnen wir rasch an Höhe. Schon vor Mittag erreichen wir unsere letzte Umkehrstelle. Immer von neuem beeindruckt uns die Wildheit dieses Grates. Mitunter knallt es unheimlich im Eis, und nicht selten löst sich eine haushohe Wächte und verschwindet mit unheimlichem Lärm in der Tiefe.

Am frühen Nachmittag stehen wir vor einem abweisenden, 50 m hohen, senkrechten Eisturm. Den zu überwinden scheint uns heute nicht mehr möglich zu sein. Deshalb schlagen wir in einer einigermassen geschützten Mulde unser Kleinzelt auf, setzen die Kocher in Brand und geniessen dann eine warme Ovomaltine.

16. Mai. Schon um 6 Uhr früh haben wir unser Zelt abgebrochen und sind für den Weiterweg bereit. Ernst packt den Eisturm an. Zuerst versucht er es auf der Südseite. Jedoch müssen wir bald einsehen, dass es hier aussichtslos ist. Überhängendes, sprödes Eis weist uns ab. Wir packen die Nordseite an. Viel besser geht es zwar auch hier nicht, aber wir gewinnen langsam an Höhe. Das Eishakeneinschlagen und Rucksäckeaufseilen macht uns sehr müde. Endlich gegen Mittag können wir oberhalb des Turmes den Weiterweg aufnehmen. Und die Schwierigkeiten nehmen ab. Dafür liegt hier tiefer Neuschnee, und wir können uns nur noch mit den letzten Kräften vorwärts bewegen. Immer kürzer werden die Strecken zwischen den Rastplätzen. Um 16 Uhr erreichen wir endlich das lang ersehnte Plateau am Fusse des Gipfelaufbaus. Aufatmend entledigen wir uns der schweren Rucksäcke, errichten unser Zelt und werfen uns dann auch gleich darin nieder. Nach kurzer Verschnaufpause widmen wir uns der Kocherei. Wir essen zwar praktisch nichts mehr, aber grosse Mengen von Bouillon, Ovomaltine und Tee giessen wir in unsere ausgetrockneten Kehlen.

17. Mai. Heute steht ein grosser Tag vor uns. Wenn alles gut geht, werden wir den Gipfel erreichen. Schon um 3 Uhr früh schlüpfen wir aus unseren Schlafsäcken, und bald steht auch der Kocher in Betrieb. Bei Sonnenaufgang sind wir bereit für den Aufstieg. Wir lassen unsere schweren Rucksäcke im Zelt zurück, werden wir doch auch ohne sie noch genug zu schaffen haben. Leichter als erwartet gestaltet sich der Gipfelgang. Es steht uns kein nennenswertes Hindernis mehr im Wege. Jede Stunde bringt uns dem Gipfel näher. Die Strapazen der letzten Tage liegen uns aber noch merklich in den Gliedern. Wir lassen uns gerne in den Schnee fallen, um wieder etwas mehr von der dünnen Luft zu erhaschen. In diesem letzten Teil wechseln Blankeisstellen mit schneereichen Rinnen. Ein starker, eisiger Windzug lässt uns die Nähe des Gipfels vermuten.

Das letzte Hindernis, die Gipfelwächte, ist überwunden. Nun stehen wir auf dem Gipfel. Überglücklich reichen wir einander die Hände. Obwohl das Wetter schön ist, herrscht ein heftiger Sturmwind. Der Ausblick, der sich uns bietet, ist unbeschreiblich. Rings um uns erheben sich mächtige Berge. Im Osten ist die Everest-Gruppe, den südlichen Horizont bilden der Ama Dablam, Kangtega, Zolatse und Taboche, im Westen steht der riesige Cho Oyu und zu seiner Rechten der fast 8000 m hohe, noch unbestiegene Giachung-Kang. Nur nach Norden ist unser Blickfeld frei. Unendlich weit hinaus nach Tibet schweifen unsere Blicke. Braune Hügelzüge reihen sich aneinander, fast eine Wohltat, etwas anderes als nur Eis und Schnee zu sehenWir fassen in den Photokasten Bild um Bild. Erinnerungsbilder, denn nie mehr werden wir eine solche Weltweite von diesem Berg aus sehen.Doch der Sturm wird unerträglich. Unversehens liege ich, von einem starken Windstoss getroffen, im Schnee. Doch eine volle Stunde harren wir auf dem Pumo Ri aus und nehmen dann den Abstieg behutsam unter die Füsse. Im Biwaklager V angelangt, legen wir uns sofort nieder, völlig erschöpft, und schlafen sofort ein. Am andern Morgen rüsten wir uns für den Rückzug. Alle entbehrlichen Gegenstände lassen wir zurück, um möglichst in einem Zuge bis zum Lager III hinunter zu gelangen. Wir verzichten deshalb gerne auf schwergepackte Rucksäcke. Bei anhaltend glänzendem Wetter steigen wir so schnell als möglich zu unserem Ausgangslager hinab, wo wir von Hans und den beiden Sherpas, die in der Zwischenzeit eingetroffen sind, stürmisch begrüsst werden, alle froh und dankbar ob dem Gelingen. Ausgerechnet die einzigen vier zusammenhängenden Schönwettertage hatten wir zur Verfügung, um den Vorstoss zum Gipfel ausführen zu können.

Wieder gehört für uns ein Berg mehr zu den bestiegenen. Aber die Fahrt zum Gipfel des Pumo Ri bleibt für uns eine besondere Bergfahrt im Erinnern haften, dieser Berg im Kreis der Welt-Berge!

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