Eine Rundtour im Clubgebiet
Von Pfr. E. Brandii ( Section „ Alvier " ).
( Piz Sol-Heidelspitz-Calanda. ) Die Beschaffenheit des Clubgebietes gestattet es auch einem Bergsteiger zweiten oder dritten Ranges, seine Erlebnisse an einem Orte mitzutheilen, wo man sonst nur den Koryphäen des Alpinismus begegnet. Kommt wieder einmal ein hervorragendes Gebiet an die Reihe, so kommen wir von selber auch zum Schweigen, und der Platz gebührt wieder den Großen des Reiches. Mehr als eine bescheidene Nachlese aus dem immerhin vielseitigen Clubgebiet an der wilden Tamina wollen diese Zeilen ja auch nicht sein.
Dienstag den 30. Juli, Nachmittags zwischen 4 und 5 Uhr, finden sich im „ Frohsinn " zu Valens folgende Herren zu einer Piz Sol-Tour zusammen: Hauptmann Pozzy S.A.C., Dr. Jörger S.A.C., cand. med. Cathomas, stud.h.um. Jäger, C. Schindler und der Schreiber dieser Zeilen. Ein letzter fröhlicher Trunk von dem edeln Naß, das man von hier an hüten muß, wie einen kostbaren Schatz, gibt Kraft und heitern Sinn zum ersten steilen Anstieg, den uns die Schwarzseher der Gesellschaft erschweren wollen, indem sie aus jedem Nebelstreifen, der noch an den „ Hörnern " herumstreicht, einen schlechten Morgen heransorakeln. Aber die Optimisten haben den Vortritt und scheinen, als Lasaalp erreicht ist, auch Recht zu behalten mit ihrer Ansicht vom guten Wetter. Im gold'nen Abendsonnenschein erglänzen die Bündnerfiraen, so viele ihrer hier schon sichtbar sind, voran aber die grotesken Massen des klotzigen Calanda. Langsam entweicht der rosige Schimmer des Abends; „ die Sterne ziehen still herauf, einer nach dem andern — uns sind es lauter Hoffnungssterne. Noch wird der Alp-segen1 ) angehört, und das Idyll ist vollständig. Wir schlüpfen, in zwei Partien getheilt, in die engen Behausungen der Nacht. Wie ist man doch genügsam hier oben, und drunten im Thal gilt der hygienische Satz: „ Das größte und luftigste Zimmer ist zum Schlafen gerade gut genügt Wie viel Kubikmeter reine, herrliche Luft mehr als ein Städter schlürft man dann aber auch dafür am Tage ein, den man schon beim Morgengrauen jauchzend begrüßt!
Wenn Herr Schießer im letzten Jahrbuch seine Befriedigung über Bewirthung und Nachtlager auf Alp Lasa ausspricht, so darf einen Theil dieses Verdienstes die Section „ Alvier " für sich in Anspruch nehmen, welche trotz ihrer geringen Mittel im Jahr 1887 Decken, „ Finken " und Eßgeschirr hinaufgeschafft hat und dafür sorgt, daß stets gutes Lagerheu da sei. Vom Jahr 1890 an hoffen wir den Freunden der „ Grauen Hörner " noch besseres Quartier anbieten zu Vgl. Jahrbuch S.A.C., XXIV, pag. 46.
E. Brandii.
können, indem wir zusammen mit der Alpgenossenschaft Valens einen neuen Heuschermen mit einem besonderen Appartement für die Touristen zu erstellen gedenken. Alp Lasa wird eben doch immer, schon wegen Ragaz, der bevorzugte Ausgangspunkt für die Grauen Hörner bleiben, wenn auch Einzelne zur Abwechslung die von Herrn Prof. Dr. Gröbli beschriebenen, in ihren Vorzügen auch von mir nicht unterschätzten Aufstiege von Sargans über Vilters oder Wangs wählen dürften 1 ). Bewirthung und Nachtlager sind eben auf jener Seite für eine Gesellschaft doch sehr prekärer Natur. Es darf auch hier schon gleich bemerkt werden, daß der Weg über Lasa eigentlich der leichteste ist, bei dem zugleich eine Verirrung ausgeschlossen scheint. Er ist durch die Natur vorgezeichnet.
Unsere Gesellschaft brach am 31. Juli, Morgens 3 Uhr 30 Min., auf. Ob man sich beim Aufstieg direkt an den Wasserlauf der Vaplona halte oder von den Hütten rechts aufsteigt, um etwa in der Höhe von 2100 m pomadig eben hineinzubnmmeln: man muß auf einen Punkt gelangen, wo sich der Blick auf die Wildseefurke öffnet.
In wunderbarer Pracht geht die Sonne auf; ihre Strahlen wecken an den bisher dunkeln Wänden der zahlreichen Zacken ein seltenes Farbenspiel, das durch den Schichtenwechsel des geologischen Baues bedingt ist. Während dieses herrlichen Schauspiels wird die Furke erreicht. Es ist halb 6 Uhr. Ein kalter Luftzug weht vom Gletscher her und sorgt dafür, daß...
Eine Btmdtow t » Clubgebiet.
der erste „ Hock " nicht zu sehr in die Länge geht. Die Versuchung hiezu wäre freilich groß genug. Diese Gebirgslandschaft thut es Jedem an. Gerade zu Füßen liegt der „ grüne " Wildsee, lieblich anmuthend, wenn auch kein alter Ahorn und keine Schenke an seinem Gestade winkt. Vielgereiste Montanisten mögen manches ähnliche oder schönere Bild in Erinnerung habenim Augenblicke schien mir, wie 's so geht, nichts vergleichbar. Denn dem „ grünen See von Nemi ", an den ich wirklich dachte,, fehlen, wenn auch nicht die steilen Ufer, welche allerdings den Vorzug üppiger Vegetation und einer Schenke besitzen, die großartige Umgebung und der eisig frische Hauch der reinen Bergesluft. Dort ein alter Krater, hier die Gletschermulde. Doch ja, an dich noch dachte ich, blaues Auge der Scesaplana, Lünersee, der du zwar weniger hoch gelegen, dafür weiter herum dein reizendes Gestade dehnst! Und da ist ja auch er, ohne daß man ihn auf der Karte oder im Freien extra lange suchen muß, gerade durch die Lücke sichtbar, der Präsident der „ Clubveteranen ", der Piz Sol! Er steht zweifellos am rechten Ort, resp. ein Fehler in der Karte war uns unerfindlich. Entweder hat der Kritiker derselben schlecht gesehen oder der Herr Präsident, aus „ Täubi " darüber, daß sein Rutschen nicht unbeachtet geblieben, ist wieder an seinen ursprünglichen Platz gerückt1 ). Der Blick auf der Wildseelücke ist so schön, daß ich nicht anstehe, Kurgästen, welche mich oft über Bergtonren berathen, diese Tour anzuempfehlen, wenn sie nicht gerade den Piz Sol ersteigen und doch nähere Bekanntschaft mit den Grauen Hörnern machen möchten. Die Erreichung der Wildseelücke bietet, wie angedeutet, weder Gefahr noch Schwierigkeiten und lohnt doch reichlich die daran gewendete Mühe. Be-anspruchen die an einem der großartigsten Erdenflecke zu Tage tretenden PfäVerser Quellen doch schon allgemeines Interesse, so reizt es gewiß Jeden, der seinen siechen, matten Leib in die herrlichen Fluthen taucht, dem Ursprung derselben nachzufragen, and so Manchen von diesen, wenn er die alten Kräfte wieder gewonnen hat, zieht es mit unwiderstehlicher Gewalt zu jenen Höhen hinauf, welche hier zu Lande allgemein als das Reservoir des so viel Gewinn brinr genden, köstlichen Nasses betrachtet werden — eine Anschauung, welche auch von Geologen nicht abgelehnt wird' ). Ja, wenn man hier oben steht, so scheint Einem die Sache ganz plausibel, und mit etwelcher wissenschaftlicher Dialektik belügt man sich, sie sei eigentlich furchtbar einfach, ja gelöst. Vorläufig aber wird der dunkle Schooß der Berge das uralte Geheimniß eifersüchtig bergen und nicht so bald den Gelehrten preisgeben.
Doch die wissenschaftliche Quellenfrage focht uns kaum längere Zeit an, als ich hier sie darauf verwende. Das herrliche Ziel, das vor uns stand - lockte und der eisige Wind trieb zu sehr von der Stelle. Abermals keine Schwierigkeiten auf dem klar vor Augen liegenden Weg! wenn man auch froh ist, die wüste Trümmerhalde längs des Sees und Gletschers hinter sich zu sehen und mit ungeknickten Gliedern den flachen Grat zur Linken zu betreten, welcher den Blick in 's Valgrausa gestattet. Noch etliche Seufzer, noch etliche Schweißtropfen über den Firn, wegen des Neuschnees noch ein wenig Vorsicht am Gipfel und — wir sind oben, reichlich belohnt durch eine wolkenfreie Fernsicht. Was diese alles bietet — Andere haben es deutlich aufgezeichnet; man lese es dort nach, oder besser, gehe selber hinauf! Ich wünsche Jedem, daß ihm der Himmel so lache wie uns.
Den Abstieg nahmen wir über den westlichen Rand des Gletschers und den Sattel, 2593 m, nach Oberlavtina, 1909 m. Hier schied sich die Gesellschaft; die Hälfte eilte über Weißtannen der Heimat zu. Die Herren Pozzy, Jäger, Träger Rupp und ich beriethen den Weitermarsch. Als Ziel wurde vorausgesetzt, das Kalfeuserthal zu erreichen über den Heidelpaß. Vor uns lag gerade gegenüber in der Mittagssonne Valtüsch, wo wir zur Nacht zu bleiben gedachten; dazwischen der tiefe Thalkessel Badöni mit seinen vielen Wasserfällen, ein, wie von verschiedenen Seiten bestätigt wird, entzückender Anblick. Das hätte uns gelockt; aber 400 m in die Tiefe und 300 m wieder hinauf auf dem gewöhnlichen Weg bei der Mittags-
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gluth, das wollte uns nicht in den Kopf, da doch, nach der Luftlinie gemessen, Valtüsch so nahe lag. Wir wählten also den auch auf der Karte in gebrochener Linie angegebenen Pfad für Wildheuer und Sennen über die Krautplangg, zur Linken an der Berglehne. Er führt über mehrere Tobel, durch dichtes Gestrüpp, das aber auch losreißen kann, auf schlüpfrigem Boden oberhalb der Felsmauern hin, die in 's Badöni abfallen. l' is Stunden haben wir abgekürzt, aber wir gestanden uns, was Jeder gedacht: ohne Noth gehe ich nicht mehr hinüber!
Wir sind in Valtüsch schon um halb 3 Uhr. Welch'ein herrliches Plätzchen zur Siesta, und der ganze Rest des Tages gehört der Restauration des Leibes durch Baden, Essen, Trinken, Herumliegen — wirkliches „ dolce far niente”! Valtüsch, Melsern und Werdenbergern gehörend, ist eine schöne Alp. Peinliche Ordnung herrscht in und um die Hütten. Das Nachtlager in einem Heuschermen, in dem man doch auch stehen kann, vorzüglich. Nur gab ich mir das Versprechen, nicht mehr in eben eingebrachtem Heu zu schlafen. Armer Kopf! Den freundlichen Sennen hier unsern Dank für gute Aufnahme, auch wenn sie nichts davon erfahren sollten!
Am 1. August brachen wir erst um 6 Uhr auf; man geht hier auch bei so spätem Aufstieg noch lange im Schatten. Punkt 8 Uhr waren wir auf dem Heidelspitz ( 2432 m ). Der Aufstieg bietet nichts besonders Bemerkenswerthes. Wir nahmen den Gipfel nicht von der Paßhöhe, sondern über den Grat zur Rechten von der wohl selten begangenen Ostseite mit einer kleinen Kletterpftrtie. Die Aussicht ist beschränkt. Piz Sol; Sazmartin, Zinerspitz und Seezberg zeigen ihre dunkeln Rücken. Bedeutend ist einzig der Blick auf die Sardonagruppe ( Scheibe, Saurenstock, Segnes ) mit ihren Gletschern; besonders schön aber derjenige auf die Ringelbergkette.Von keiner Seite präsentirt sich die Ringelspitze so charakteristisch, wie von hier. Wen auch diese Gestalt der Nadel nicht abschreckt, der darf dort hinauf, vorausgesetzt, daß er sonst die Fähigkeiten dazu besitzt. Piz da Sterls erscheint um so unschuldiger. Aber es sind furchtbare Felswände, welche zum Kalfeuserthale abfallen. Dort hinunter zieht 's uns jetzt. Unsere Erwartungen waren hoch-, gespannt; aber keine Spur von Enttäuschung. Je weiter wir auf der großen, schönen Malanseralp fortschreiten und in die Tiefe dringen, um so schöner, entzückender erscheint es uns. Sieh'da, unter mächtigen Tannen dort in der Tiefe, durch die Felsen sich,zwängend, weißen Gischt aufwerfend, rauscht das klare Wasser; dieses,Rauschen ist der einzige Laut, der die erhabene feiertägliche Stille der Natur unterbricht; aber das majestätische Tosen macht das Schöpfungsbild, über dem sieh zugleich ein azurblauer Himmel wölbt, nur erhabener, großartiger. 0 könnten diese Wogen unsere Jauchzer, unsere Grüße nach vorn bringen und Viele », die im Kurort sich langweilen, sagen, wie schön ursprünglich es hier hinten im Thale sei. Hat wohl jener Engländer, den Dr. Gröbli citirt ( Jahrbuch, XXIV, pag. 4 ), zu viel gesagt?
Wie köstlich geht sich 's im Schatten des Tannenwaldes, wie angenehm, auf seinem weichen Boden!
Wir genießen 's. Denn wir wissen, daß von St. Martin nach Vättis ein steiniger Weg dem Bach entlang uns noch auf und ab führt. Niemand, der seine Augen zu brauchen weiß, wird in St. Martin die in einem Loch an der Straße gesammelten Todtengebeine für Reste von Riesen sich aufschwatzen lassen. Auch an den heutigen Vättnern sieht man nichts mehr von der Vererbung einer Anlage zum Biesenhaften ' ).
Rüstig, wenn auch müde, schreiten wir voran. Herrlich tritt die Pyramide des Calanda in die Thalöffnung herein; ein neuer Plan wird in mir wach. Aber ich darf ihn nicht ernstlich vorbringen, bevor Magen, Kehle, Schuhe und Anderes geflickt, kurz, der ganze Mensch erneuert ist. Diese Wohlthat wird uns in Vättis, in das wir um 1 Uhr Mittags einwanken, zu Theil. Aus der Lerche lachen liebe, bekannte Gesichter uns entgegen; dort wird 's uns wohl sein. Vättis bleibt immer schön, so oft man auch dagewesen ist. Uns wollte das Glück, indem es uns gleich auch treffliche Gesellschaft finden Heß. Auf Wiedersehen in dem gemüthlichen Nest!
^jAls Führer fttr die von mir geplante Calanda-partie ließ sich Herr Kreisförster Jäger, Mitglied des S.A.C., herbei, obgleich er eben von dort herkam. Den 2. August, Morgens 4 Uhr, brachen'wir auf. Durch entsetzlich steilen Wald geht es, noch in der Kühle glücklicherweise, bergan, wohl zwei Stunden so. Auf einem ebenen Plätzchen mitten im Waldesdickicht biegt der Anfangs mehr rechts hinlaufende Weg links um zu einem von der Section Aivier errichteten Wegweiser, der, auf freiem Platze stehend, weithin sichtbar ist. Aber schon vor diesem Wegweiser zeigt sieh, wie nothwendig auf dieser Tour beim Auf- und Abstieg ein Führer ist. Die Wegmarkirungen können ihn nicht ersetzen. Von diesem Wegweiser geht es wieder rechts nach dem Gonschirolatobel hin. Dessen linke, uns gegenüber liegende Seite zeigt einen Schafweg, der aber an de« Felsen ausgeht und die von oben her Kommenden meist irreftthrt. Hier ein zweiter Weg weiser. Es ist schade, daß die Lawinengefahr nicht gestattete, den Pfahl weithin sichtbar in 's Tobel hineinzustellen; er mußte daher an die Felswand angelehnt werden und zeigt von dort die Richtung an. Leider wird dieser Wegweiser nicht von Allen, besonders nicht den von oben her Kommenden, sofort gesehen. Vom Felstobel an geht es steile Grashalden, die Vorsicht erheischen, aufwärts, bis eine Staffel erreicht wird, eine Oase im öden, wüsten, wasserlosen Kalkgestein des Berges. Hier die erste so verdiente Rast nach drei Stunden Aufstieg. Nach einer mäßig schweren Kletterei ge langenr'wir. in 's Haldensteiner „ Sehafthäli ". Von hier geht der gewöhnliche Weg links über die Geröllhalde. In gerader Richtung vor uns zeigt uns aber Herr Jäger die Möglichkeit der Abkürzung von mindestens einer halben Stunde. Ein Felsenthor lh sonst mit SchneeNach meiner Vergleichung des Erinnerungsbildes mit der Karte ist das die Stelle, wo der äußerste Schneewasser- Su$uß von links zum Gonschirolatobel seinen Ursprung hat; auf der Karte zwischen den Wörtern: „ Haldensteiner-Schaf- i.:
Furka Tsufelskirehli 2488 2*18 E. Brandii.
2646 E. Bossard del. 10. Vili ss.Sennenateia 1976 gefüllt und dann leicht übersteigbar, soll umklettert werden. Wir theilen uns. Der Führer nimmt den Benjamin der Gesellschaft an 's Seil, der Senior folgt 5 sie traversiren kletternd nnd ratschend einen schräg tiberhängenden Felsen. Ich stehe vor einer 6 m hohen, fast senkrechten Felswand, die mir gute Griff« zu gewähren scheint. Aber das Gestein bröckelt, und ich habe es'zum guten Theil der Vorsicht unseres braven Trägers zu verdanken, daß ich so gut wegkomme. Endlich'rufen sich beide Theile glttck-wünsehend an, und man findet, die Abkürzung sei thäli ", unmittelbar aber der Silbe „ Schaf. Der Auf- nnd Abstieg: am Calanda von nnd nach Vättis ist anf der Karte — an der wir übrigens nichts bemängeln — nach übereinstimmendem Urtheil gar nicht leicht zu bestimmen; ein Grund mehr, die Tour nicht ohne einen Vättisführer ( Jäger oder. K«Mer ) zu unternehmen. Es kann ja zur Ausnahme freilich auch efamal ohne einen Solchen gelingen.
Eine Rundtow im Glubgebiet.
2828 ij.
tlieuer erkauft. Aber was thut man nicht Alles, um abzukürzen, wenn man milde ist! Bald ist der Grat-bei Punkt 2413 erreicht — ein überraschender Anblick thut sich dem entzückten Auge auf. Die ganze Heerschaar der Tyroler und Bündner, mit den herrlichen Riesen darunter, in ewiger Schöne! Das ist die schönste Partie der Aussicht. Harmloser siebt von hier die Ringelspitze aus. Im Norden und Osten steigt dichtes Gewölk auf, während wir die langweiligen, öden Trümmerhalden Plateau um Plateau ersteigen. Der Calanda ist zweifellos ein bevorzugter Aussichtspunkt seiner Stellung wegen; ein eigentlich schöner Berg, in der Nähe besehen, ist er nicht! Mächtig und zackenreich, wie ein gothischer Dom, erhebt er sich von Vättis aus; aber er hat auf jener Sette gar keine Quellen und nur wenig Weide. Auf der Churerseite matten- und wasserreich, ist er aber — die Churerfreunde mögen mir 's verzeihen. entsetzlich langweilig! Den Calanda sollte man unmittel- T bar nach dem Piz Sol nicht besuchen, so instructiv die Rundtour ist. Der Abstand ist zu groß. Der Calanda, obwohl mehr Mühe und Gefahr ( wenigstens von Vättis aus ) inerirsäehiend, bietet in Aussicht dureh-aus nicht mehr, wogegen der Piz Sòl leicht und gefahrlos zu ersteigen, zugleich weit abwechslungsreicher und interessanter ist.
Punkt 12 Uhr hatten wir den Steinmann auf dem Haldensteiner Calanda ( 2808 m ) erreicht, hatten also acht mühevolle. Stunden gebraucht. Der „ Höckf im Schütze des mächtigen Steinmannes war denn freilich entsprechend schön und erquickend. Mehr und mehr ballen sich die Wolken. Um 1 Uhr brechen wir auf, verabschieden leider zu früh unsern vortrefflichen Führer und den bescheidenen Träger und wenden ans der Rheinseite zu. Wir suchen die Wege nach Untervaz, aber theils existiren keine vollständigen Verbindungen, theils finden wir nicht die vorhandenen. Ein machtvolles Gewitter, das großartigste im Sommer 1889, war losgebrochen und jagte die Erschreckten in Wald und Nebel umher. Endlich entkamen wir, ich weiß nicht wie, der schlimmsten Noth. Es war noch Tag, als drei milde Wanderer, naß und beschmutzt, von den Vorübergehenden bemitleidet und doch im Innern froh des Erlebten über die Brücke der Station Zizers zu-wankten. Diese bot uns doch wenigstens die Stärkung eines Glases Bier und vor Allein das Billet. Meminisse juvat! Schon die Erinnerung ist schön; doch schöner die Berge selbst mit ihrem unvergänglichen Reiz.
II
Freie Fahrten.