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Eine Mount McKinley-Besteigung Anno 1961

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VON WERNER HIMMELSBACH, Z. Z. VANCOUVER, KANADA

Mit 1 Bild ( 100 ) Der Mount McKinley ist mit 6193 m der höchste Berg in Nordamerika. Er überragt seinen nächsten Nachbarn um 1000 m und wird deshalb auch der Monarch der Alaska-Bergkette genannt. Ein Berg von 6000 m ist in den Anden von nicht sehr grosser Bedeutung, schon gar nicht im Himalaya, wo fast 1000 Gipfel den des Mount McKinley übertreffen; trotzdem hat besonders dieser Berg bemerkenswerte Anziehung.

Bradford Washburn, der Erstbesteiger des Westpfeilers und Autor der Mount McKinley-Karte sagte: « Auf seinen Höhen herrscht ein Klima, das im Jahresdurchschnitt das strengste sein dürfte, welches auf unserer Erde vorkommt. » Dieses aus dem 300 m hohen Flachland aufragende Mount McKinley-Massiv gehört zu den grössten Einzelerhebungen der Erde überhaupt. Es verfügt ausserdem auch über die höchste ständige Schneedecke unseres Planeten, und die Höhendifferenz vom Basislager zum Hauptgipfel, übertrifft den Mount Everest-Wert um volle 700 m. An dieser subpolaren Eis- und Granitpyramide wurden in der besten Besteigungszeit: Mai und Juni, Windstärken von 150-200 km/Std. gemessen, die die Temperaturen in wenigen Minuten bis auf 60 Grad unter Null bringen können.

Allen diesen Faktoren galt bei der Auswahl unserer Ausrüstung unsere besondere Aufmerksamkeit.

Den Plan für eine Expedition zum kältesten Berg der Erde fasste ich schon seit Jahren; jedoch die hohen Kosten und die 4-5wöchige Zeitspanne, die dazu notwendig ist, schreckte alle Interessenten ab. In den Jahren 1959 und 1960 nahm ich dann an mehreren Erstbesteigungen in der unerforschten Bergwelt von British-Columbia teil. Zwei meiner damaligen Seilgefährten zeigten Interesse und hatten auch genügend Zeit und « Dollars », um an einem solchen Unternehmen teilzunehmen. Nach wochenlangem Suchen und Prüfen unter den Mitgliedern des « British Columbia Mountaineering Club », welchem wir angehören, konnten wir unsere kleine Expedition zusammenstellen: Werner Himmelsbach, 30, Vancouver, British-Columbia; Expeditionsleiter; Ralph Hutchinson, 31, Rechtsanwalt, Nanaimo, British-Columbia, Jim Woodfield, 32, Versicherungsagent, Vancouver, British-Columbia; John Wilson, 33, Tierarzt, Cansort, Alberta.

Es war schwer zu glauben, doch der langersehnte Tag war endlich angebrochen.

Frühmorgens am 5. Mai bestiegen wir die Maschine der « North-West Airlines », die uns über Seattle nach Anchorage in Alaska bringen sollte, und damit war die erste kanadische Expedition auf dem Wege zum Mount McKinley unterwegs.

In Anchorage erwartete uns eine alte Freundin, Helga Bading. Ihre Liebe zu den Bergen hat sich eher verstärkt durch das letztjährige Erlebnis am Mount McKinley, als sie, von Höhenkrankheit befallen, vom Berg geflogen werden musste.

Am Abend trafen wir Don Sheldon, unseren Busch- und Gletscherpiloten, mit dem ich nach dem 150 km entfernten Talkeetna flog. Meine Kameraden sollten am nächsten Tag mit der Bahn nachkommen.

Am 6. Mai um 10 Uhr starteten Don und ich mit der mit Ski ausgerüsteten « Piper-Cub. » Zuerst flogen wir über das unendliche, von Elchen und Bisons bevölkerte Flachland nördlich von Anchorage. Für Don, nebenberuflich auch Grosswildjäger, war es eine Freude, mir Tiere zu zeigen, da wir zeitweise nur in etwa 50 m Höhe flogen. Bald überquerten wir die Vorberge der 350 km langen Mount McKinley-Kette. Um 12.30 Uhr landeten wir in 2100 m Höhe auf dem Kahiltna-Gletscher; ganze 30 km von unserem Ziel entfernt. Don verlor nicht viel Zeit, und schon war er wieder mit seinem kleinen Flugzeug auf dem Weg zurück, um das nächste Mitglied der Expedition zu holen. Zuerst war ich etwas benommen von der plötzlichen Stille, die mich umgab; nicht der kleinste Windhauch war zu spüren und das Wetter war einzigartig: Das Ganze eine überwältigend schöne Landschaft. Im Norden, 4000 m höher, der Mount McKinley, eingerahmt vom Mount Foraker ( 5000 m ), Mount Hunter ( 4400 m ) und mehreren 3000 m und 4000 m hohen, zum Teil namenlosen Bergen, und gegen Süden erstreckt sich der 80 km lange Kahiltna-Gletscher.

Um 17 Uhr hörte ich dasFlugzeug nahen, beobachtete dessen Landung auf 2400 m Höhe, und 20 Minuten später wurde ich durch Jim von meiner Einsamkeit erlöst. Wir errichteten unser 4-Mann-Logan-Zelt, brauten uns eine Kanne Tee, während sich der Schatten des Mount Foraker schon langsam über unseren Lagerplatz warf. Um 19.30 Uhr, bei John's Ankunft, steckten wir schon in unserer wärmsten Bekleidung. Innerhalb weniger Minuten fiel die Temperatur von plus 30 Grad bis weit unter Null, und als Ralph um 21.30 Uhr landete, befand ich mich schon in meinem doppelten Schlafsack.

Unser erster Tag galt dem 18 km langen Aufstieg bis zu unserem nächsten Camp nahe den « Air drop ». Die 60-70 Pfund schweren Lasten und die fast unausstehliche Hitze waren nicht gerade angenehm. Müde erreichten wir nach 8 Stunden unseren « Air drop » und damit unser Lager II. Wir hatten Glück. Von nahe einer halben Tonne an Ausrüstung und Verpflegung verloren wir nur zwei Kanister mit je 4 Liter Benzin; natürlich hatten wir für ein solches Missgeschick vorgesorgt. Wir hatten immer noch 30 Liter in Reserve.

Am Montag, dem B. Mai: Jim und ich brachten Vorrat zu unserem geplanten Lager III in 3300 m Höhe am Kahiltna-Pass; steileres Gehen, aber dafür kürzere Distanz. Es gab keine grössere Gefahr durch Gletscherspalten; jedoch gingen wir angeseilt und prüften jede verdächtige Mulde. Ralph und John gingen den langen Weg zurück zu unserem Landeplatz, um den Rest der Ausrüstung zu holen und kamen erst spätabends müde im Lager II wieder an.

Am 9. Mai trugen wir unsere Lasten zum Kahiltna-Pass hinauf und errichteten unser neues 4-Mann-« McKinley »-Zelt, ein ausgesprochenes Hochgebirgszelt, hergestellt aus feinstem Segel-stoff und orange gefärbt. Um das Lager bauten wir eine 2 m hohe Wand aus Schneeblöcken, die wir aus dem windgepackten Schnee teilweise aussägen mussten. So waren wir für das Schlimmste vorbereitet. Diese Arbeit bereitete uns keine besonderen Schwierigkeiten, denn wir waren geübte Fachleute im Bauen von Iglus. Monate zuvor trainierten wir im Hochgebirge im Staate Washington ( USA ) diese Arbeit, denn Iglus, so sagte man uns, sind im hohen Norden von grosser Wichtigkeit. Doch ausgerüstet mit zwei guten Zelten wollten wir nur im Ernstfall eine Iglu-Unterkunft bauen.

Nach einem umfangreichen und gut zubereiteten Dinner von Jim machten wir uns für die Nacht zurecht. Hohe Wolken formten sich um die nahen Gipfel. Ein letzter Blick auf unseren Höhenmesser gab Anlass zur Beunruhigung. Er zeigte 3340 m, also 40 m mehr als bei unserer Ankunft. Und richtig, den ganzen Mittwoch verbrachten wir wegen des schlechten Wetters im Zelt. Im Laufe des Tages stieg der Höhenmesser bis auf 3380 m, ein ungutes Zeichen. Dies wurde bestätigt durch den Schneesturm, bei welchem wir am nächsten Tag erwachten. Trotzdem, mit Hilfe von Karte, Kompass und viel Glück fanden wir den Weg zurück zu Lager II, um die letzten Verpflegungspakete zu holen. Wieder hatten wir ungeheuer schwere Lasten zu tragen, und nur die Eskimo-Schneeschuhe machten das Vorwärtskommen im hüfttiefen Schnee möglich. Beim Abstieg markierten wir die Route mit Bambusstöcken, dank denen wir ohne besondere Schwierigkeiten den Weg zum Lager III zurückfanden. Am Nachmittag besserte sich das Wetter, hauptsächlich mit einem sehr heftigen Nordwind, der die Temperatur in der folgenden Nacht bis auf 22 Grad unter Null sinken liess.

Am Freitag, dem 12. Mai, brachten wir die Lasten vom Vortage bis auf 3650 m, und den Rest des Tages verbrachten wir beim Aussortieren der Höhenrationen.

Der 13. Mai war ein ganz besonderer Tag. Frühmorgens trugen wir die zweite Ladung bis zu den am gestrigen Tag hochgeschafften Paketen, wo wir am Nachmittag, nach einem zweiten Marsch zurück zu Lager III, unsere Schneeschuhe mit Steigeisen vertauschten. Erst jetzt fühlten wir uns richtig als Bergsteiger. Das lange, ermüdende Gehen auf dem Gletscher, zusammengerechnet waren es über 100 km, war vorbei. Von jetzt an war jeder Schritt nicht nur ein Vorwärts, sondern auch ein ausgesprochenes Steigen, und jede Stufe, die ich in das blanke Eis schlagen musste, war freudige Arbeit.

Lager IV errichteten wir etwa 200 m vom « Windy Corner » entfernt, berüchtigt wegen der erbarmungslosen Stürme, die durch die trichterartige Verschneidung an dem Westpfeiler jagen. Es wurde uns geraten, nicht zu lange an dieser Stelle zu verbleiben, und der Wind, der sich mit seiner Rauhheit die ganze Nacht über unser Zelt hermachte, war eine wirkungsvolle Bestätigung dieser Warnung.

An diesem Tag trafen wir auch die Graham-Gruppe, welche sich nach erfolgreicher Besteigung auf dem Abstieg befand. John D. Graham selbst war sehr bekümmert über seine erfrorenen Fingerspitzen. Er war begleitet von einem Mount McKinley-Park-Ranger und zwei erstklassigen Schweizer Bergsteigern: Felix Julen, ein Bergführer aus Zermatt, und Adolf Reist aus Interlaken, Mitglied der Schweizer Himalaya-Expedition 1956 und Besteiger des Mount Everest. Wir sollten sie am nächsten Tag noch einmal treffen.

Wir kampierten neben einem Lager von US-Armeeverpflegung, die nach der letztjährigen Rettungsaktion der J.Day-Seilschaft zurückgelassen wurde. Die verschiedenen Konserven, wie z.B. « Frankfurter Würstchen mit Bohnen, » waren eine willkommene Abwechslung unseres Schmor-gerichts aus « Cornedbeef » und getrocknetem Gemüse.

Am Morgen war der Wind so kalt und so stark, dass wir unsere Rucksäcke im Zelt packen mussten. Um « Windy Corner » zu erreichen, mussten wir direkt gegen den Wind gehen; die Windstärke betrug etwa 80 km/Std. Die Sichtmöglichkeit war schlecht, doch einmal über den Sattel hinweg, befanden wir uns auch schon in besseren Verhältnissen. Das Gehen wurde jedoch mehr und mehr erschwert, je höher wir stiegen, und immer häufiger mussten wir uns eine Ruhepause gönnen. Endlich auf 4300 m fanden wir einen geeigneten Platz für das Lager V.

Es war auf dieser letzten Strecke, als die zwei Schweizer uns aufholten und uns baten, ihnen unser Radiogerät zu leihen. John D. Graham hatte Schwierigkeiten mit den erfrorenen Fingern und Felix und Adolf wollten mit Don Sheldon ( Pilot ) Verbindung aufnehmen; ihr eigenes Gerät hatte versagt, 13 Die Alpen - 1964 - Les Alpes193 Felix und Ralph stiegen bis zu 4500 m, da die direkte Transmission bis auf 4300 m durch den Mount Hunter blockiert wurde. In der Zwischenzeit errichteten wir unser Lager und führten eine angenehme Unterhaltung mit Adolf. Nach mehreren Misserfolgen mit unserem Gerät kehrten Felix und Ralph zur rechten Zeit für den Nachmittagstee zurück. Um 16 Uhr verabschiedeten sich die zwei erfolgreichen Bergsteiger.

In der folgenden Nacht verschlechterte sich das Wetter zunehmend. Ein steifer Wind wütete über uns. Es hörte sich wie eine Brandung am Meer an. Wir fürchteten, dass einer unserer inneren Aluminiumstäbe brechen oder das Zelt reissen könnte; doch es sollte noch Schlimmeres überstehen.

Am nächsten Morgen sahen wir uns wieder beim Bau einer Schutzwand, den Rest des Tages verbrachten wir mit Kartenspiel und Lesen.

Am Dienstag, dem 16. Mai, herrschten verbesserte Sichtverhältnisse, und wir waren auf dem Abstieg, um mehr Lebensmittel nachzuholen.

Am « Windy Corner » hatten wir schwer gegen den Wind zu kämpfen und eine Verständigung war nur durch Zeichen möglich. 4000 m tiefer verbesserte sich das Wetter zu einem leichten Schneesturm. Später beim Aufstieg, zurück zu Lager V, kämpfte sich die Sonne allmählich durch die milchige Schicht von hohen Wolken.

Am Mittwoch war es ein heiteres Erwachen für Jim und mich. Kein Schneetreiben, kein Sturm, nur vereinzelte Wolken im Süden. John und Ralph teilten unsere Begeisterung nicht. Beide litten an Kopfweh und zeigten wenig Interesse an einem frühen Aufbruch. Mit zwei leichten Lebensmittel-paketen machten wir uns um 10.15 Uhr an den Aufstieg über den Westpfeiler mit der uns wohlbekannten 200 m hohen Eiswand. Felix hatte uns schon früher auf die von ihm zurückgelassene Handleine aufmerksam gemacht. Doch zu unserem grössten Nutzen waren die von ihm geschlagenen Stufen, die zwar nach 10 Tagen etwas Säuberung benötigten, aber nicht einen ganzen Tag harter Arbeit, die wir dafür berechnet hatten. Um 15.15 Uhr erreichten wir die 4900-m-Marke am Westpfeiler. John und Ralph stiegen sofort wieder ab, während Jim und ich noch etwa 200 m höher stiegen und die zwei Pakete in einer Felsennische verstauten.

Der 18. Mai wurde für uns zu einem sehr langen Tag. Um 5 Uhr Wecken. Doch es wurde 8.30 Uhr, bevor wir endlich zum Aufbruch gerüstet waren. Der Aufstieg zum Hochlager war sehr zeitraubend. Den Grat erreichten wir um 13 Uhr, und von hier an war jeder Schritt eine Qual. Der Schneesturm, der uns überraschte, wehte uns mit den schweren Lasten von 50-60 Pfund fast aus unserem Stand. Nach weiteren 6 Stunden hatten wir die 350 m Höhenunterschied bis zum geplanten Hochlager bewältigt. Unser Zelt erstellten wir in 5200 m Höhe, an der westlichen Ecke des grossen Schneebeckens unterhalb des Denaly-Passes.

Der Felsenrand hinter unserem Zelt öffnete uns ein gewaltiges Panorama, das beherrscht war durch den Mount Hunter im Vordergrund und den Mount Foraker bis ins Unendliche.

In der folgenden Nacht fiel die Temperatur bis unter 40 Grad, und am Morgen hatten wir trotz der doppelten Zeltwand Eiszapfen über unseren Köpfen.

Akklimatisierung war unsere Hauptarbeit für Freitag, den 19. Mai. Jim und ich machten eine Erkundung der Umgebung und der Route zum Denaly-Pass. Wir fanden dabei zwei 2 x 2 m Daunendecken, mit denen wir unser Zelt viel behaglicher machten. Für den nächsten Tag planten wir den Aufstieg zum Gipfel, ganze 1000 m über uns.

Widerwillig krochen wir am Samstag, dem 20. Mai, aus unsern Schlafsäcken. Ich hatte in der Nacht alle verfügbaren Bekleidungsgegenstände angezogen: Doppelte Unterwäsche, Hemd, einen dicken Pullover, 2 Paar Socken und Zeltschuhe, Weste, Kletterhosen, Überhosen und Daunen- jacke, und all dies in einem doppelten Daunenschlafsack. Zu allem war ich noch an der Reihe, das Radiogerät warm zu halten. So musste ich auch noch dieses in den Schlafsack nehmen. Trotz allem hatte ich eine angenehme Nacht!

Um 5.30 Uhr begannen wir den Aufstieg über die sehr steile Südwestseite zum Denaly-Pass. Jim und ich lösten uns gegenseitig in der Führung ab. Das Wetter wurde immer schlechter und Ralph und John litten unter der lähmenden Wirkung der Höhenluft. 150 m oberhalb des Passes mussten wir wegen schlechter Sichtmöglichkeit aber aufgeben.

Sonntag, 21. Mai. Wundervoll klar. Die Sonne war um 5 Uhr schon über der Schulter des Hauptgipfels aufgegangen. Doch ihr Glanz tat wenig zur Linderung der Kälte. Das warme Frühstück aus Haferflocken, Biskuits, Milch und Schokolade tat uns sehr wohl. Um 6.30 Uhr verliessen wir das Lager und tauchten auch sofort in den Schatten des Mount McKinley, der uns erst wieder zwei Stunden später am Denaly-Pass die Sonne freigab. Unsere Arbeit vom Vortag war nicht umsonst gewesen, denn wir machten guten Fortschritt. Ralph, Jim und ich hatten bereits gefühllose Zehen, doch wir machten uns wenig Gedanken darüber. Die Verhältnisse am Pass waren enttäuschend. Ein ungeheuer starker und kalter Wind jagte feinen Schnee horizontal in unser Gesicht. Unsere Route verlief von hier über den Harper-Gletscher, der, allmählich steiler werdend, zu dem mächtigen Muldrow-Gletscher abfällt.

Schon in 5500 m Höhe mussten wir die Orientierung verloren haben, jedenfalls befanden wir uns nach einer langen Überquerung in einem uns unbekannten Eisbruch. Ein Blick auf die Karte bestätigte unsere Befürchtungen; wir befanden uns in der Nordostwand unterhalb des « Farthing Horn. » Der Wind hatte sich zu 80-100 km/Std. verstärkt und der Schnee, der dadurch aufgewirbelt wurde, stach in unser Gesicht gleich tausend Nadeln. Zeitweise konnte ich den zweiten Mann am Seil kaum erkennen. Sollten wir aufgeben? Wir wussten zu gut, dass dies das Ende der Expedition sein würde. Dem andauernden schlechten Wetter und der aussergewöhnlichen Kälte, der wir seit Tagen ausgesetzt waren, fühlten wir uns nicht mehr gewachsen. Zum erstenmal seit acht Stunden nahmen wir etwas Nahrung zu uns. Der Tee, den ich in einer Plastikflasche unter meinem Hemd trug, war zum Teil gefroren.

Ich versuchte einen direkten Aufstieg zum Gipfel, musste aber nach einer knappen Seillänge wieder aufgeben.

Der einzige Ausweg war eine Querung zur Nordseite, gegen Wind und Schnee. Unsere Lage war verzweifelt. Ralph und Jim hatten immer noch starre Fusse. John taumelte mehrere Male infolge Sauerstoffmangels. Ich selbst war erschöpft von den Anstrengungen des Tages.

100 m höher, als wir uns kaum mehr gegen den Wind aufrechthalten konnten, hielten wir zum zweitenmal Rat. Die Orientierung hatten wir nun vollständig verloren, doch wir wussten, solange es aufwärts geht, kommen wir näher dem Gipfel. Auf Händen und Füssen krochen wir vorwärts. Auf 6000 m Höhe übernahm Jim die Führung. Ralph und John als Nummer drei und vier. Und so erreichten wir um 17.20 Uhr den Südgipfel des Mount McKinley ( 6193 m ).

Es kam so plötzlich, als wenn ein Flugzeug aus den Wolken auftaucht. Erst nach einigen Zweifeln an dem Erfolg fielen wir uns in die Arme und beglückwünschten uns voll Freude.

Hier standen wir im glänzenden Sonnenlicht. Den ganzen Tag über glaubten wir uns in einem Schneesturm, doch es war nur ein Schneetreiben, hervorgerufen durch den starken Wind. Die McKinley-Bergkette, das Flachland, das ferne Meer, der ganze nordamerikanische Kontinent lagen zu unseren Füssen. Doch wir genossen diesen Triumph nur sehr kurz, denn die Dringlichkeit des Abstiegs verlangte das Weitergehen. In Eile machten wir einige Bilder mit der einzigen Kamera, die nicht gefroren war.

Mit äusserster Vorsicht stiegen wir unseren Weg zurück. Doch immer häufiger strauchelten wir, sicherten uns gegenseitig beim Abstieg über die steile Wand zum Denaly-Pass, wobei der Unfall 1960 schwer in unserer Erinnerung haftete. ( Absturz einer 4-Mann-Seilschaft. ) Um 23.30 Uhr, ganze 17 Stunden nach unserem Aufbruch, kamen wir wieder in unserem Hochlager an.

Während ich mit dem Zubereiten einer Suppe vollauf beschäftigt war, wurden Ralph und Jim von John beim Entfernen der Schuhe unterstützt; ihre Füsse hatten alle Anzeichen von Erfrierungen. Wir verbrachten die halbe Nacht beim Versuch, wieder etwas Gefühl in sie zurückzubringen, aber ohne Erfolg. Keiner von uns verliess am Montag das Zelt mehr als ein- oder zweimal. Wenn ich es auch gestern nicht wahrhaben wollte, dass meine starren Füsse Erfrierungen erlitten haben könnten, heute war kein Zweifel mehr: Meine Zehen waren geschwollen und färbten sich dunkelrot.

Diesen Abend wärmten wir unseren Radio über unserem Primuskocher für einen Versuch, die Mount-Susitna-Radiostation zu hören. Ralph ging die wenigen Schritte zum West-Buttress-Grat, und in eisiger Kälte sandte er die erste Botschaft unserer geglückten Besteigung des Mount McKinley aus.

" Radio Anchorage, Radio Anchorage, this is the Canadian party on Mt. McKinley. Successful climb May 21. Please pick up frosthitten members at 10,200 feet ( 3100 m ) from to morrow on, urgent. "

Keine Antwort; doch er wiederholte die Botschaft mehrere Male, in der Hoffnung, dass man uns hören würde.

Wir starteten sehr früh am Dienstagmorgen. John und ich halfen Ralph und Jim beim Anziehen der Stiefel, sie mussten ungeheure Schmerzen ausstehen. Jim kroch als erster aus dem Zelt, stand aufrecht und fiel sofort wieder flach zu Boden. Er versuchte es noch einmal, und wieder lag er flach. Er hatte sein Gleichgewicht gänzlich verloren. Beim dritten Versuch stützte er sich auf zwei Eispickel, und nur allmählich gewöhnte er sich an die unausstehlichen Schmerzen. Stillschweigend packten wir unsere Sachen. Die Grimmigkeit unserer Lage lastete schwer auf uns. Zwei Mann mit schweren Erfrierungen an den Füssen, John höhenkrank und ich ausser meinen erfrorenen Zehen noch benommen von der Schlaftablette, die ich noch spät in der Nacht zu mir genommen hatte. Schmerzvoll war unser Abstieg zum Westpfeiler. Stunden später, auf 4900 m, legten wir zum erstenmal eine längere Ruhepause ein. Vor uns lag der schwierigste Teil des Abstiegs, die berüchtigte 200 m hohe Eiswand. Ralphs Worte: « Ich könnte mich hinlegen und sterben » jagten mir Schrecken ein. Zu diesem Zeitpunkt konnten wir uns kaum mehr aufrecht halten und nur der Wille zum Überleben trieb uns noch vorwärts. Drei Stunden später erreichten wir Lager V ( 4300 m ).

Während des ganzen Tages sandten wir einen Hilferuf nach dem anderen nach Anchorage, doch ohne Erfolg. Wir wollten unbedingt am selben Tag noch zum Lager III absteigen, von wo man uns am 1. Juni, laut Abmachung, abholen sollte. Was sich während dieser neun Tage ereignen konnte, war nicht auszudenken. John, unser Arzt, sprach schon von Amputationen.

Aus Verzweiflung wollten wir schon das Radiogerät in die nächstbeste Spalte werfen. Doch plötzlich vernahmen wir das Geräusch von einem Flugzeug. Hat die Höhenluft unsere Sinne schon angegriffen? Nein, über uns flog Don Sheldon mit seiner kleinen « Piper-Cub. » Er flog dreimal über unser Lager, bevor er etwa 100 m entfernt auf dem einigermassen flachen Schneefeld landete ( 4300 m ).

Nur einmal zuvor hatte er eine Person aus dieser Höhe geflogen und das war Helga Bading. Sie wog zu der Zeit weniger als 100 Pfund und Don hatte zu diesem Zweck seine Maschine bis auf das Allernotwendigste abgetakelt.

Diesmal war er nicht auf eine so hohe Landung vorbereitet, und Ralph und Jim wogen mehr als 150 Pfund. Seine Leistung verlangte neben Geschicklichkeit auch sehr viel Mut.

Jim wurde als erster nach einer 20 Minuten entfernten « Goldmine » geflogen. Kurz vor 21 Uhr wurde Ralph abgeholt, gerade zur rechten Zeit, denn eine halbe Stunde später kam ein starker Wind auf, der eine Landung unmöglich gemacht hätte. Nach einer Zwischenlandung an der Goldmine wurden beide zusammen direkt nach dem Hospital in Anchorage geflogen.

John und ich waren nun allein. Wir hatten mit Don ausgemacht, das er uns am übernächsten Tag, Donnerstag, den 25. Mai, vom Lager III abholen sollte.

Mittwoch, 24. Mai. Um 10.20 Uhr waren wir mit dem Packen fertig, und mit ungeheuer schweren Lasten von etwa 80 Pfund, machten wir uns auf den Weg. Die Schneebrücken über die Spalten waren dem Gewicht scheinbar nicht mehr gewachsen, und zweimal war John meine letzte Rettung, als er mich aus einer eingezwängten Stellung befreite. Total erschöpft kamen wir spät am Abend im Lager III an. Das Wetter hatte sich in der Zwischenzeit zu einem ansehnlichen Sturm verschlechtert, und nur mit Mühe fanden wir unsere zurückgelassenen Verpflegungspakete.

Das schlechte Wetter hielt den ganzen Donnerstag und Freitag an, und als am Samstag, dem 27. Mai, um 5 Uhr die Sonne an unser Zelt schien, machten wir uns mit Eifer an die Arbeit, für Don Startbahn herzurichten. In zwei Stunden stampften wir mit unseren Eskimo-Schneeschuhen eine 120 m lange und 10 m breite « Rollbahn » in 80 cm Neuschnee. Mit Ungeduld warteten wir auf Don, doch die Wolken waren schneller. Als er um 8 Uhr endlich kam, befanden wir uns schon wieder im schönsten Schneesturm. Mehrere Male schwebte er über uns, doch an eine Landung war nicht zu denken. Enttäuscht verfolgten wir das Geräusch der Maschine, wie es sich in der Ferne verlor. Wie lange werden wir noch hierbleiben müssen? Das Ungewisse Wetter am Mount McKinley war uns wohl bekannt. Mit Lebensmitteln waren wir gut eingedeckt; es könnte noch 3-4 Wochen ausreichen, doch das Hauptproblem waren meine Zehen, deren äussere Schicht schon zu faulen begann.

Sonntag, 28. Mai. Das gleiche Wetter wie am Vortage, doch gegen 8 Uhr brach die Sonne durch. Zu unserem Schrecken mussten wir feststellen, dass unsere « Rollbahn » total verweht und zugeschneit war. In fieberhafter Eile machten wir uns an die Arbeit, denn in diesem tiefen Schnee würde das Flugzeug schon bei der Landung stecken bleiben.

Wir waren noch nicht ganz fertig, und schon konnten wir in der Ferne das Motorengeräusch vernehmen. Mit Dankbarkeit begrüssten wir Don nach der Landung. Als erster flog ich nach Talkeetna, wo ich drei Stunden auf John's Ankunft wartete.

Mit Don zusammen flogen wir noch am selben Abend nach Anchorage, von wo man uns sofort nach dem Hospital transportierte. Nach einer genauen Untersuchung meiner Füsse wurde ich sofort in ein isoliertes Zimmer verbracht. Noch am gleichen Abend traf ich meine Kameraden Ralph und Jim, die sich bereits an die Hospital-Atmosphäre gewöhnt hatten. Zu meinem Bedauern musste ich feststellen, dass Ralph bereits zwei Zehen verloren hatte und während meines einwöchigen Aufenthalts dort noch weitere zwei Zehen verlor.

Acht Wochen später, als ich meine Arbeit wieder aufnahm, machten Ralph und Jim die ersten Gehversuche, nachdem man ihnen alle Zehen amputiert hatte.

Wir bezwangen unseren Berg, doch der heimtückische Feind, die Kälte, mit dem gefürchteten Verbündeten, dem Wind, und auch der Sauerstoffmangel, hatten uns harte Schläge versetzt.

John, der mit leichteren Erfrierungen an den Fingern davonkam, konnte schon nach wenigen Tagen die Arbeit als Tierarzt in der Prärie von Alberta wieder aufnehmen.

Ich bin dankbar all denen, die zum Gelingen dieser Expedition beigetragen haben; insbesondere aber Don Sheldon, unserem Gletscherpiloten, für seine wertvollen Ratschläge zu Beginn der Expedi- tion und nicht zuletzt für seinen selbstlosen Einsatz bei der Evakuierung meiner Kameraden Ralph und Jim aus gefährlicher Höhe, durch welchen die Seilschaft vor einem grösseren Unheil verschont blieb.

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