Eine Hochtour im Bergell
Die erste Ersteigung* der Scioranadel ( Ago di Seiora, 3201
4. Juni 1893.
A. von Bydzewsky ( Sektion Bern ).
Von In dem Zuge der Pizzidel Ferro erhebt sich, weit nach Osten vorgeschoben, mehr als 1 Kilometer von seinem Haupt- gipfelt der Cima della Bondasca ( 3293 mentfernt, wie ihm nicht zugehörig, der 319& « * hohe Pizzo del Ferro orientale. Diesem, dem innersten Winkel des Albignathales entsteigenden Berg galt unsere Expedition. Da ich ihn schon von meinen frohem Streifereien her als leichten Gipfel kannte, wollte ich sehen, was für eine Resultante bei dem erstmaligen Zusammenwirken der etwas heterogenen Kräfte meiner kleinen Karawane gefunden würde, um mich dann erst, nach dieser Probe, an ein schwierigeres Unternehmen zu machen.
Ein Einspänner brachte mich, mein Zelt und das übrige Gepäck von Promontogno bis Pranzara, Die Führer Emile Rey und Christian Klucker und die Träger folgten zu Fuß. Von Pranzara zur Schäferhütte ( 2064 m ) im Albignathal gingen Rey und ich voran; Klucker kam mit dem Zelt- di Sdora.
träger und dem Mann, der das Lagerheu hinaufschaffte, von Vicosoprahus, hinterdrein. Dieser trat, am Ziel angekommen, mit seinem Tragkörbe sehr bald den Rückweg an, während der Zeltträger oben blieb, iHn> während unserer Abwesenheit von der Hütte, das allgemeine Hab und Gut vor den langen Fingern einer etwa vorüberziehenden Schmuggier-bande zu schützen. Das von diesem Gesindel häßlich zugerichtete Dach der Hütte wurde, so gut es ging, wieder ausgebessert.
Ohne Anstrengung hatten Key und ich den Aufstieg zur Albign*-htitte von Pranzara aus, eine Strecke, zu der ich sonst mehr als drei Stunden benötigte, in 2 Stunden 40 Minuten ausgeführt. Es war dies eine Folge der so ungemein leichten Gangart des voransschreitenden Rey. An den steileren Stellen des Wegs, die ein langsameres Gehen bedingten, war es die Welt des Kleinen, in Gestalt niedlicher Leber- und Laubmoose^ kleiner Pilze, Strauchflechten und mannigfacher Exemplare von Primeln und Steinbrech, die das Auge des Naturfreundes ergötzte. Aber ebenso fesselten seinen Blick, jenseits des von der Albigna durcheilten schmalen Pian dei Buoi, die in einer über IV2 km. langen Flucht steil aufsteigenden Riesenmassen der Bacone-Largokette, mit dem einer Mauerkrone gleichen* den, dreigipfeligen Stock der Cima del Largo ( 3188 m ), der Fuorcla
Von der Hütte aus erblickt man auf der Ostseite des Albigriajthales, von Nord nach Süd gerechnet, die drei Largospitzen, die Bacone-Abattirze, f.«,1, ;: :,; Eine Hochtour im Bergett.
das Ende des Baconegrat|, M* Cima di Cantone, den Castellogletscher, die Vorwerke der Cima di Cantone und di Castello, den Monte di Zocca und den Pizzo del Ferro orientale Mehr im Vordergrunde die Zunge des Albignagletschers und dessen Absturz. Zum Schlüsse den Pizzo di Cacciabella. Wenige Schritte von der Hütte nach Süd über den Einschnitt, zwischen den beiden Rundhöckern der Albignathalenge hinweg-und auf den Rücken des zweiten von ihnen steigend, steht man vor einem Naturgemälde, wie es deren wenige in den Alpen giebt.
Dicht am Fuße des von dem raschen Albignawasser umspülten Granit- hügels setzen nach rechts und links allmählich ansteigend und Über einen Kilometer lange Bogen beschreibend, weißgraue bis schwarze Granitmauern an, die, bei einer Gesamthöhe von 2000 Fuß, dem Stande des Albignagletschers zur Eiszeit entsprechend, gegen 1000 Fuß hohe, meist unnahbare, glattgeschliffene Wände aufweisen. Diese steinernen Mauern, deren Westseite die östliche noch an Steilheit und Wildheit überbietet, umschließen eine sandige, hie und da mit kurzem Rasen bedeckte, von den mäandrischen Wasserläufen der Albigna durchzogene, an 3 km. im Umfang messende, kreisrunde Fläche. Eine in ihren Größenverhältnissen wunderbare, mitten in das Herz unseres Hochgebirges versetzte Arena. Bei ihrem Anblick erwacht in einem die Lust, sie auf windschnellem Rosse zu durchfliegen. Thatsächlich finden sich auf ihr Reste der Losung von Pferden oder Maultieren vor. Es bleibt aber ein Rätsel, wie bei dem steilen, streckenweise treppenartigen Weg diese Tiere aus dem Thale herauf, noch unbegreiflicher, wie sie wieder zu Thal geschafft worden.
Über die Sohle dieses grandiosen Kesselthals hinwegsehend, erblickt man in gerader Richtung den warzigen Rücken des Albigna-Eisstroms mit seiner über einen halben Kilometer breiten, sich von links nach rechts ein wenig umbiegenden Zunge und vor letzterer, in chaotisch-wildem Über einander, die Riesenblöcke seiner Stirnmoräne. Welches Wort ist es, dessen Schall von den Geistern der Einsamkeit hier oben an des Wanderers Ohr getragen wird, das ihm jeder Block, jeder Fels zu nennen scheint? Das Wort, dessen Laut ihm noch nachtönt} wenn er schon unten im freundlichen thale weilt? Das Wort: ödeSo wüst und leer, wie .hier, ist es nicht im coupierten Terrain des Bondascathals, so auch nicht in dem räumlich noch größeren Thal des Fornogletschers. Da wirkt anheimelnd in der großartigen Ruhe der Gedanke an die dicht heranführende, gutgebahnte Straße, den bequemen und gefahrlosen Zugang und die noch weit hinten, mitten in der Wildnis aufgebaute, den Wanderer gastlich empfangende Schutzhütte. In vier Jahren ein einziges Mal stieß ich im Albignathal auf menschliche Wesen und zwar am 30. Mai 1893. Hätte ich sie lieber nicht getroffen, diese, eines ehrlosen Handels ehrlose Werkzeuge. Es waren Schmuggler, die Verwüster der Albigna und der Foraohütte.
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Ai. von Bydzewsky.
;'der rechten, westlichen Seite ist Aufgang zum Gletscher ein verhältnismäßig bequemer und leichter und zur frühen Morgenstunde gefahrlos; nicht so auf seiner linken, der östlichen Seite. Hier erschweren oder verhindern auf zwei Drittel der Gesamtlänge steile, an ihren obern Kanten mit Trümmern besetzte Eiswände den Aufstieg. Das die feierliche Stille unterbrechende Krachen der aufschlagenden Steine läßt es auf dieser Strecke rätlich erscheinen, sich nicht in eine allzu große Nähe seiner krenelierten Eismauern zu begeben. Auf dieser Seite tritt auch die Albigna aus mäßig hohem Thor ans Tageslicht. Fast jedes Jahr ändert sie ihre Ausflußöffnung.
Der Hintergrund unseres Hochthales ist schöner als der Abschluß des Pornothaies. Bei diesem teilen und heben sich die einzelnen Gipfel vom ganzen Zug des Hintergehänges zu wenig ab, und wenn auch der Torrone orientale, der eigentliche „ Torrone ", an seinem Ost- und Westfuße je eine tiefe und weite Einsattelung besitzt, so ist er seiner kegel* förmigen, schmächtigen Gestalt wegen nicht im stände, in wirkungsvollem Gegensatz zu der ihn erdrückenden Masse der Kette zu treten und den allgemeinen Eindruck aufzuheben. Dieser Eindruck der geringen Gliederung und der Schwere wird noch verstärkt durch die großen dunkeln Gesteinswände, welche der Torrone Centrale, Occidentale und ihr Zwischenglied, mit dem namenlosen Gipfel, aufweist. So haftet am gesamten Gipfel* auf bau des Torrone occidentale und seiner nach Norden gerichteten Breit* seite, bis tief auf den Fornogletscher hinab und ebenso beim Torrone Centrale, einem Rhomboid mit harten, geraden Linien, an seiner östlichen* größern Hälfte fast gar kein Schnee.
Die Zocca bildet, von unserem Granithügel aus gesehen, das sichtbare Hintergehänge des Albignagletscherthals. Jähwandig entsteigt ihr Ostfuß der Einsattlung der Forcella di S. Martino. Über drei Absätze hinweg schwingt sich ihre Kammlinie aus der Tiefe des Passes von 2743 m über 400 Meter hoch zu ihrem Gipfel empor, noch kurz vor diesem eine Einschartung überspringend. Nach Osten zieht sich ihr Grat nach einer Einkerbung in einer längern, fast horizontalen Firnschneide weiter, um dann, sich allmählich senkend, die Verbindung mit dem Vorgipfel des Ferro orientale herzustellen. Ein von der Gipfelscharte unseres Berges niedergehender, steiler Fels- und Schneegrat teilt ihre uns zugekehrte Nordflanke in zwei fast gleiche Hälften.
Die Zocca ist ein schöner Berg. In ihrem Aufbau herrscht keine Monotonie, sondern eine reiche Abwechslung. Ihr Anblick wirkt belebend und erheiternd auf den Beschauer. Sie ist keine klassisch edle Gestalt, aber das Ganze steht in Harmonie mit seinen Teilen, und auf ihrem Silberweiß und ihren gefälligen Formen, die den Gedanken der Leichtigkeit zum Ausdruck bringen, ruht das Auge des durch das Düstere und Rauhe seiner nähern Umgebung einst gestimmten Wanderers, über die weite Eine Hochtour im Bergett.S7 Fläche der Thalstufe und den Eiswall des Gletschers hinwegsehend,'mit um so größerem Wohlgefallen. Mit dem Vorgipfel des Ferro orientale schließt der für uns sichtbare Hintergrund des Albignahochthals ab. Weiterhin am Ferro orientale vorbei, in das Innerste des südwestlichen Firnbassins des Albignagletschers, ist* notîh^tarata ehres'Menschen Fuß gedrungen, nur Gemsen sah ich dahin flüchten. Dort führt ein steiles Couloir am Nordhang dieses Teils der Ferrofcette hinauf und gerade im Westen, an dem Ansatzpunkt der Sciora- und Ferrokette, starrt uns ein kleiner Hängegletscher, über steilen Bunsen, drohend entgegen. Ein ge^ heimnisvoller Winkel ist es. Aus ihm heraus den Überging ins obere Sammelbecken des Bondascagletschers zu versuchen, wäre eine Bivouac-nacht wohl wert.
Der Hauptübergangspunkt zwischen dem Bondascä- und Albignathal, der sogenannte Passo di Cacciabella, ist, besonders auf der Bondascaseite, in schneearmen Sommern, wegen der mit scharfkantigen Granitblöcken besäeten Halden schwer zu begehen. Jedenfalls ist er der kürzeste Übergang und bietet eine herrliche, weitreichende Kundsicht. Viel interessanter und in den Morgenstunden ungefährlich ist der Passo di Sciora ( wie ich ihn nennen will ), die Scharte zwischen der Punta Pioda und der Scioranadel.
Das Nachtlager am Abend des 3. Juni bereiteten mir meine Leute .mit der nötigen Sorgfalt in meinem Zelt. Ihrem Treiben zusehend, gedachte ich der guten und aufrichtigen Dienste, die mir M. Barbaria so oft und mit solcher Bereitwilligkeit an dieser Stelle geleistet hatte. Dabei raucht der Mann nicht und trinkt nicht, für mich unschätzbare Eigenschaften, und hält sich sauber. Als Führer vorangehend, verdirbt ei* mir nicht mit Tabaksqualm die Luft und ich brauche seinetwegen nicht das in diesen Gegenden ohnehin voluminöse Gepäck durch das Mitführen von Wein in den schweren Glasflaschen zu vergrößern.
Es mochte halb drei Uhr morgens gewesen sein, als ich in meinem Halbschlummer auf dem granitnen Boden des Kundhöckers vor der Hütte harte, hastige, im Gebrause und Gepfeife des nahen Albignastnrzes kurz verhallende Schritte vernahm: es war Rey.'Auf meinen Zuruf schob er den Stein, der die Enden der Zeltdecke zusammenhielt, beiseite. Ich band, die Bänder los und ging in die Hütte, Toilette zu machen, und mein erstes Frühstück, warme Milch init Weißbrot, zu mir zu nehmen. Die Nacht war für mich im ganzen gut verlaufen, meine drei Leute mögen es aber auf ihrem gemeinschaftlichen, nicht allzu breiten Lager unbequem gentig gehabt haben. Besonders dem Träger Pasini, der etwas leichtfertig in diese, jähem Temperaturwechsel und rauhen Winden ausgesetzten Höhen ohne den nötigen Mundvorrat und warme Kleidung hinaufgestiegen war, hatte die Kälte der Nacht arg zugesetzt. In einer der beiden Nächte, die ich hier oben verbrachte, hatten wir Schneefall, der in trockenen Eis-.,, .vsv*, krystallen herniederrieselnd mich im Zelte glauben ließ, es käme tin Regenschauer herab.
Nach Verlauf einer Stunde waren wir marschfertig und verließen die Albignahütte um 3 Uhr 40 Min. Der Träger blieb in der Hütte zurück.* Bei der Rückkehr fanden wir alles Jn bester Ordnung vor, weder fehlte etwas am Proviant, noch am sonstigen Hab und Gut. In dem Mann war eine gewisse „ wilde Ehrlichkeit " vorhanden. Besonders da er Hunger litt, wäre es sehr verzeihlich gewesen, wenn er sich dieses oder jenes zu Gemute geführt hätte. Wir teilten mit ihm dann, was wir hatten. Über die* Thalstufe und die Trümmermassen der Frontmoräne des Gletschers hintibergekommen, sahen wir, daß es im vorjährigen Gletscherthor der Albigna stille war. Ihre Wasser hatten sich weiter östlich einen neuen Ausweg geschaffen^ uns starrte nur eine leere, dunkle Öffnung entgegen. Wie fast imtneT bei der Begehung des Albignagletschers, erstiegen wir ihn auch dieses Mal an seiner westlichen Seite und befanden uns nach einstündigem Gang ( um 4 Uhr 40 Min. ) ziemlich hoch oben auf seinem sanftgewölbten Rücken. Das Wetter ließ das Beste hoffen. Eine frische Brise von Norden her, die sich in unserem Rücken als bloße Luftströmung fühlbar machte, hatte auf den uns umgebenden Höhen einen mehr stürmischen Charakter angenommen. Vom Gipfel der Cima di Castello flatterten leichte Wolkenwimpel von Hochschnee in den blauen Äther hinaus, um, vom Sturm davongetragen, unten auf der italienischen Seite zur Ruhe zu kommen. Im Südwesten, über dem Ferro orientale, ötand; der erbleichende Vollmond. Ein nüchtern frischer Morgen war es mit der kühlen Poesie einer klaren, reinen Bergluft, dem Eis unter unsere Füßen und der steinern kalten Umgebung, Weiter oben auf dem Gletscher, gegen sein Sammelbecken zu, stießen wir im Schnee auf die Spuren von Schwärzern, der hier zeitweise auftretenden pikant-unheimlichen und un-, schönen Staffage einer schönen Natur.
Wie schon anfangs erwähnt, galt unsere Expedition dem Ferro orientale ( 3198 m ), einer Erhebung der den Albignathalschluß bildenden Kette der Pizzi del Ferro^ um festzustellen, welcher Teil der Val di Mello durch; diesen äußersten, Östlichen Ausläufer der Ferrogruppe zum Abschluß gebracht werde und ob nicht die Benennung Punta del Qualivo, nach dem sich weiter östlich befindenden Thal Qualivo und der Alp gleichen Namens, mehr Berechtigung hätte als die nach der westlich gelegenen Alpe di Fèrro. Zugleich aber beabsichtigte ich auch bei einem, dem Anscheine nach, leichtern Unternehmen meine beiden Führer in gemeinsamem Handeln an einander und mich an Rey zu gewöhnen. Als ich aber der noch unerstiegenen, trotzigen Nadel, des Ago di Sciora, gedachte, die ich bereits zweimal ohne Erfolg zu ersteigen versucht hatte, änderte ich meinen Plan; in der Begleitung eines Kluçker und eines Rey und bei dem herrlichen Wetter mußte die Besteigung gelingen oder sie war überhaupt unmöglich.
?u welchen unliebsamen Zwischenfällen dieses Abweichen von meiner altbewährten Taktik führte, wkd der/.geneigte; Leser aus dem Folgenden zur Genüge erfahren.
Nachdem wir auf dem guten Schnee des ebenen Gletschers eine größere Strecke schnell vorwärts gekommen waren, gelangten wir über Firn steiler ansteigend an den Fuß des Bollwerks der Punta Pioda. Um 6 Uhr erblickten wir im Einschnitt des Zoccapasses den Beherrscher der Albigna-Disgraziagruppfy den Monte Bello oder della Disgrazia/ und fttjjf, Minuten darauf, in ein kleines Gletscherthal einbiegend, die schreckliche, sich kerzengerade in die Mifte erhebende Scioranadel. Wie in Max Klingers schönem Bild „ Eva und die Zukunft " die Tigerin in der Schlucht, auf ihren Vorderpranken hoch aufgerichtet, jeglichen Durchlaß verwehrt, steht hier im Agothal die Scioranadel dem Wanderer zu Häupten, scheinbar jeden Augenblick ihn zu zerschmettern bereit. „ Une véritable Dent du Géant ", meinte Eey.
Dem Qflerrî(è^el zwischen der Cima di Sciora und der Punta Pioda ausgesetzt, letzterer näher gestellt, bildet die Scioranadel 1 ) ) von Süd nach Nord gerechnet, die zweite Erhebung des Sciorakammes und schließt das kleine, in die Vorwerke der Cima di Sciora und Punta Pioda eingelassene Gletscherthal ab. An ihrer nördlichen, der Punta Pioda zugekehrten Seite führt in einer Scharte ein guter Übergang aus dem Albigna- in das Bondäscathal. Nach Süden, »über eine kleine Einkerbung hinweg, verbindet sie ein mit zwei Felsköpfen besetzter Grat und eine Einsattelung mit der Cima di Sciora ( 3241 m ). Von der Moräne, die sich am Fuße der Strebemauer der Punta Pioda befindet, aus gesehen, hat die Scioranadel die Form einer Harfe, die schönere Gestalt. Stolz abweisend und vornehm kühl blickt sie hernieder. Wechseln wir den Standpunkt und treten näher an die südliche Umrandung des kleinen Gletscherthal » heran, so stellt sich die Nadel dem Beschauer als ein wildes Gebilde starrer Unnahbarkeit und verhöhnenden Trotzes dar. In ihrer oberen Hälfte spitz zulaufend und bei einer Neigung von ungefähr 75 ° gegen den Horizont ansteigend, ist sie die Verkörperung des geographischen Begriffs der Nadel.
Die Sonne stand bereits ziemlich hoch am Himmel, als wir uns dem Hintergrund des Agogletscherthales näherten. Im Rückblick hatten wir den in bläulich-weißen Duft gebadeten Monte della Disgrazia. Auf der an der Nordseite des Thales sich emporziehenden, kleinen Moräne aufsteigend, stießen wir nach einigen Schritten auf Blutspuren und gelangten bald an eine Stelle, wo der feinere Moränegruß tind Schutt zusammen* getreten und -gebackt war. Hier mußte eiqe Gemse gesetzt oder mit ihrem kaum geborenen Jungen geruht haben. Es dauerte auch nicht lange, so sahen wir am Fuße der eben passierten Steilwände der Punta Pioda eine Gemse und deçen Junges. Nachdem es im Gefelse in schnellerem, fluchtartigem Tempo emporgekommen war, schritt das große Muttertier, als es in einer Schneerunse eine gewisse Höhe erreicht hatte, langsam und bedächtig schräg gegen den Grat hinauf. Das wohi nicht mehr als eintägige Kitzchen, seiner Größe nach einer Katze gleichkommend, aber etwas höher, trippelte dicht an der Seite seiner Mutter, des öfteren etwas zurückbleibend, einher. Wir verhielten uns ganz unbeweglich und still und sahen mit Vergnügen dem allerliebsten Schauspiel zu. Besonders in die Augen springend war, neben dem Unterschiede in der Größe der beiden Geschöpfe, der in der Farbe: das Hellrotgelb des Muttertiers und das mehr dunkle Blaßfahlrot ihres kleinen Sprossen.
Gegen 7 Uhr hielten wir auf dem Firn, im südlichen Thalwinkel der Scioranadel, eine Frühstücksrast. Ich saß, wie immer, auf dem zusammengerollten Seil. Die Cantonespitze sah von unserem Platz so flach und gedrückt aus, daß ich den sonst so schönen Berg im ersten Augenblick gar nicht wieder erkannte. Nach beendeter kurzer Mahlzeit marschierten wir auf den durch die Wände der Cima di Sdora und den Querriegel der Scioranadel gebildeten Winkel zu, ließen die die Nadel auf ihrer Südseite durchsetzende sog. Barometerschlucht rechts liegen und hielten, am Fuße der zum Bergschrund steiler ansteigenden Böschung angekommen, eine Beratung. Die Stelle des beabsichtigten Einstiegs in die Felsen war insofern eine schlimme, als die auf dem Firn zerstreut umherliegenden größeren und kleineren Gesteinstrümmer sie als dep Steinschlag ausgesetzt erkennen ließen. Trotzdem war sie entschieden die beste. Mehr nach links, südöstlich, hatten wir glatte Wände mit für den Augenblick unthätigen Lawinenrinnen vor uns, aber die vorgerückte Tageszeit konnte in ihnen jeden Augenblick das unheimliche Leben wieder erstehen lassen, und rechts, nordwestlich, gab es in dem die Nadel von ihrem Querriegel trennenden Schluff drei senkrechte, höhere Absätze oder Sprünge, die ein Aufwärtsklettern wohl vereiteln konnten.
Nach der Beratung ( sie war wie immer bei dergleichen Gelegenheiten von nicht sehr langer Dauer gewesen ) banden wir uns ans Seil^ ( 7 Uhr 30 Min. ) und stiegen, Klucker und Key voran, steil gegen die Kandkluft aufwärts, passierten sie anstandslos und begannen um 7 Uhr 45 Min. das Erklettern der Wände. An geeigneter Stelle wurde hier " meine Eisaxt zurückgelassen. Unsere Einstiegsstelle befand sich etwas nördlich von der Hauptschlucht, in der sich der Querriegel des Ago und die Wand der Cima di Sciora treffen, und unterhalb der erwähnten Ein- 0 sattelung. Gleich anfangs hatten wir es in dem oberhalb der Einstieg«stelle sich emporziehenden kaminartigen Riß mit sehr brüchigem Gestein V^ îfrjX^*?
zu thun. Nachdem wir gegen 100 Meter an Höhe gewonnen hatten, verließen wir den Riß der Steine wegen, die losgetrennt werden konnten, denn zu längerer Ausräumungsarbeit fehlte e^ uns an Zeit. Als die Felsen ungangbar wurden, mußten wir wieder in den Riß zurück. Aus letzterem herausgekommen, traversierten wir auf einem Schuttband nach rechts in die Höhe und über Schnee wieder in die Runse hinein.
Bis dahin war alles nach Wunsch gegangen. Kluckers Bedachtsamkeit, von Reys Feuereifer unterstützt, leistete das Menschenmögliche. Bald. aber schlössen sich unter spitzem Winkel die hohe Steilwand, die wir links hatten, und die niedrigere sie begrenzende Felsrippe rechter Hand zusammensomit war uns in der Runse der weitere Durchpaß verwehrt. Oberhalb ihrer ging die rechtsseitige Felsrippe in eine Wandstufe über. Nachdem Klucker mich bedeutet, ich möchte im Grunde des Risses ruhig stehen bleiben und das Weitere abwarten, schwang er sich auf den Rand der rechtsseitigen Einfassungsmauer hinauf und gleich darauf folgte ihm Rey. Klucker versuchte nun ( hier war auch Führerambition mit im Spiel, sonst hätte er wohl diese aussichtslose.Stelle nicht attaquiert ) oberhalb des Risses an dem Felshöcker oder der Wandstufe, die zugleich abgewaschen war und Oberhang hatte, hinauf zu kommen. Die Wandstufe besaß eine Höhe von über drei Meter und ich konnte ihr Ende, aus meinem Riß heraus, in dem ich wie in einem Laufgraben stand, nicht sehen. Es geht offenbar sehr schwer. Rey, seinen Kameraden in Not sehend, hilft ihm mit der Haue seines Pickels, und als Klucker ein Stück hinaufgelangt war, unterstützte er des Emporkletternden rechten Fuß, indem er die Spitze der Axt fest an den Fels drückte. Da aber Rey selbst keinen sicheren Stand hatte, war die Hilfe keine ausgiebige. Noch ließ Klucker nicht nach. Seine Linke packte in die moosbedeckte, dünne Erdschicht einer etwas vertiefteren Stelle, um durch erstere hindurch, wenn auch nur einen festen Griff zu finden, dem er seine Körperlast anvertrauen könnte, denn dieser Mann vermag es, an einem Arm sich in die Höhe zu ziehen. Aber auch dieser Halt fand sich nicht. Noch eine Minute übermenschlicher Anstrengung und ich sehe seine Muskeln ins Zittern geraten, langsam gleitet er zurück auf den Rand der den Riß begrenzenden Felsrippe. Die Führer kommen unverrichteter Sache zurück.
ïley befand sich in fieberhafter Aufregung. Mit sich überstürzender Schnelle kletterte er längs dem Rande der Felsrippe in hockender Stellung an mir vorüber, hinunter auf das an den Kamin ansetzende Felsband und bringt durch sein Ungestüm zwei Felsstticke in Bewegung, die zu mir in den Riß herunter ihren unheilvollen Weg nehmen. Der größere, wohl 40 Centimeter im Geviert messende Block streift mir den Arm und bleibt schwerfällig weiter rollend sehr bald fest. Der kleinere folgte ihm, ohne mich zu treffen. Durch den Zuruf, ich glaube Kluckers, gewarnt, hatte V ,'h Li 2A- von BydzewsJcy.
ich mich blitzschnell, ehe ich noch des Blockes ansichtig wurde, dicht an die linke Steilwand gepreöt und entging so dem Verderben. Soaét wäre mir wohl der Arm oder die Schulter zermalmt oder der Fuß zer* Quetscht worden. Die Wand des Risses, nach der Felsrippe zu, hatte reichlich Manneshöhe und nicht mehr als Meterbreite. Ohne sich durch diesen Zwischenfall im geringsten aus der Fassung bringen zulassen, kletterte Rey an mir vorbei weiter hinab, um an anderer Stelle, mehr unten im Riß an der südlichen Wand, ein Durchkommen zu suchen. Sein Versuch mißlang und er mußte wieder in den Riß zurück.
Wir verlassen jetzt den Schluff endgiltig, wenn auch nicht auf Mmmer wiedersehn, und kommen uhter dem beschriebenen Höcker durch auf ein Felsband. Von hier aus versucht Rey, von Klucker unterstützt, nochmals parallel mit dem Felshöcker dem Grat des Querriegels der Nadel näher zu kommen. Vergeblich! Das Terrain war hier an den Wänden durch Lawinen stark abgeschliffen und die Aufgabe war eine unmögliche. Während dieses Kletterversuches stand ich mehr zurück, n^her dem verlassenen Riß zu, und starrte verlorenen Auges die beiden auf seinem Grunde liegenden Felsstücke an, wobei ich ungefähr die Gedanken und Gefühle eines Soldaten hatte, der auf dem Schlachtfelde ein nicht zum Crepieren gekommenes Hohlgeschpß betrachtet.
Die Geduld fing mir an auszugehen. Sollten wir wirklich abgeschlagen werden und zurück müssen in diese unheilvolle SpalteNoch blieb ein Ausweg, die Traverse längs den Wänden nach Norden zu » Was ich schon bei unserem Anstieg, als ich die Wände näher zu Gesicht bekam, für bedenklich gehalten und gegen Klucker bei Reys drittem Versuch geäußert: „ daß wir doch schwerlich um jene tiberhängende, in die Luft frei hinausragende Felsrippe herum könnten ", mußte jetzt dennoch geschehen, Wir waren gezwungen, die Traverse auszuführen, was bei dem plattigen Bau der Felsen, der einigermaßen an den d«s Saß Maor und der Froppa erinnerte, ein bedenkliches Unternehmen war. Die einzelnen Phasen dieser Traverse waren folgende: Wir marschieren längs einer Reite von Schneeflecken auf abschüssiger Felswand, kommen hierauf, oberhalb lotrechter Wände, auf etwas längerer Strecke über Schnee, der einer abschüssigen, glattgewaschenen Platte auflag. Die Gefahr lag nahe, daß die Schneeschicht und wir mit ihr ins Rutschen l ) kämen. Dann folgte eine steil abfallende, schlimme Platte ohne Griffe. Derselben, um die Reibung zu vergrößern, den linken Schenkel auflegend, rutschte ich, wie ich es einst am Antelao unter Führung M. Barbarias gethan, vorsichtig hinüber. Hierauf in einem Riß nach links in die Höhe. In exponierter Lage auf schmalem Band um eine Felsrippe herum, gelangen wir endlich in eine Schlucht. Auf dem Schnee der letzteren Poduren ( Springschwänze ) in Menge.
Es ist 9 Uhr> und über den Pïrngrat der Cima di Cantone hinweg erblicken wir die silberglänzenden Häupter des Berninastockes. Mit dieser an den südöstlichen Wänden des Querriegels der Nadel liegenden Schlucht nahm das Abenteuerliche in dem Charakter unserer Expedition ein Ende.Von der Podurenschlucht auslaufend, kamen wir bequem in nordwestlicher Richtung schräg aufwärts, längs mit Schnee bedeckten Wandstufen über eine Reihe von verschneiten, zwischen, den Bruchkanten aufrecht stehender Platten eingelassenen Rillen und Rissen, oberhalb der nach Südost gerichteten, mit der Barometerschlucht abschneidenden Felswände, zu einem unter der südlichen Agoscharte befindlichen, schmalen Band, auf welchem wir es uns, es mochte halb zehn Uhr sein, so bequem als möglich machten. Die Überwindung des 180 Meter betragenden Niveau-unterschiedes zwischen unserer Einstiegsstelle in die Felsen und unserem jetzigen Rastplatz hatte gegen l3k Stunden beansprucht.
Unser eFrtthstücksrast mußte nach einer halben Stunde abgebrochen werden, da uns noch der schwierigste Teil der Arbeit, das Erklimmen des eigentlichen Gipfelaufbaues der Nadel, bevorstand. Neben dem an meiner. linken Seite ausgebreiteten Rucksack ( wir saßen das Gesicht der Bärometer-schluoht zugewandt ) hatte Rey Platz genommen, ihm zu Füßen Klucker, der wohl schon bei unserem Herannahen erkannt haben mochte, flaß eine Ersteigung der Nadel in dem Bereiche der Möglichkeit liege, denn er benahm sich, im Gegensatz zu dem wie Quecksilber beweglichen Piemontesen, auffallend ruhig. Ich hatte eben meinen Usteri-Reinacher Aneïoïdbarometer einer Seitentasche meines Rucksacks entnommen und auf diesen hingelegt, um die Höhe der über uns befindlichen Scharte zu messen und. das Instrument dann mit auf den Gipfel der Nadel zu nehmen, als Rey sich plötzlich erhebend meinen Rucksack, den er zu tragen hatte, packte und, ohne darauf zu achten, ob noch etwas auf demselben liege, in die Höhe riß. Ich griff zwar nach dem hinunterrollenden Aneroid, aber da ich hart am Abgrund saß, durfte ich mich nicht zu weit vorwerfen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und mit dem Instrument hinabzustürzen. Erst schlug der Apparat im Rollen auf eine kleine Felsleiste auf, machte einen Satz, und von einem tieferen Felsband nochmals abprallend, flog er in die Luft hinaus und verschwand. Verloren! Der Gedanke, wegen der Unvorsichtigkeit eines Mannes, der als Führer vor allem hätte besonnen sein sollen, die Höhe der Scioranadel nicht haben messen zu können, ein Unternehmen, das ich während zweier Sommer vergeblich geplant hatte, war mir unerträglich. Diese Messung hatte für mich ein um so größeres Interesse, als der Gipfel des Ago im Siegfried-Atlas irrtümlicherweise die Quote von 3235 m führt. Ohne nach dein verlorenen Instrument zu fahnden, brach Rey in leidenschaftliche Klagen aus; „ j'ai perdu mon courage, je ne peux pas faire l' ascension, voilà le malheur qui me suitKlucker, ohne ein Wort zu äußern, ohne eine Miene zu verziehen, klettert an den Felsen hinunter der Tiefe zu, Während Rey nicht daran dachte, seinem Gefährten an die Hand zu gehen. Sechzig Meter unter unserm Standpunkt, tief in dem Schnee d0f Schlucht vergraben, fand Klùcker das Instrument, das, als er ;es V$t brachte, noch in seinem Lederetui steckte; sogar der Tragriemen war nicht gerissen. Ich öffne das Futteral, und siehe da! selbst das auf der Trpinmel angebrachte Thermometer ist intakt geblieben, bloß die eine Seitenschraube der Trommel war ein wenijg gelockert.. Leider ging bei der durch den Unfall hervorgebrachten Verwirrung Kluckers wertvolle Gletschörbrilie verloren, so daß er für seinen zwiefachen Freundschaftsdienst einen schlechten Dank erntete.
Um 10 Uhr, fünf Minuten nach dem Aufbruch von unserem .Rast-platz, waren wir über Schnee in der Scharte am Fuße des Ago di Sciora angekommen und begannen, Klucker voran, dann Rey und zuletzt ich, von ihrem mit Schnee bedeckten Grunde aus die glatte und.steile, an drei Meter hohe Waiidstüfe zu erklettern. An die Wandstufe schloß sich, etwas mehr nach oben, ein gegen 50 Meter langer, sehr schmaler, teilweise mit Schnee erfüllter, sich von links nach rechts steil emporziehender Riß, der sich bald verbreiterte, bald verengte und dessen linke Bruchkante höher war $ls die rechte. Aus dieser Spalte brachte uns eine mühsame Kletterei, bei der darauf zu achten war, daß nicht die sich am oberen Ende der Spalte mehr nähernden, in verschiedenem Niveau befindlichen und vom eigentlichen Felskörper abstehenden Bruchkanten den zwischen ihnen Emporkletternden wie in einer Zwickschere oder Zange einklemmten, was ihn gezwungen hätte zurttckzugleiten und mehr unten einen Ausweg zu suchen auf die rechtsseitige Felskante heraus.
Von hier vermittelt eine zweite, nach links aufwärts führende Spalte unser Weiterkommen. In ihr, die ausgewaschene Rinnen und Rillen aufwies, fanden wir ein ganz eigenartiges, ungemein feinkörniges und in der Masse vollkommen homogenes, prachtvolles Gestein vor. „ Une pierre plus uniea, meinte Rey. Das Jähe, Steile bei unserer Anstiegsroute war so prädominierend, daß ich Klucker, der unseren Zug anführte, fast immer senkrecht über mir sah und es mir vorkam, als kletterten wir an lotrechten Wänden empor. Klucker schätzte die Steigung auf etwa 80 Grad. Überhang hatten wir, soviel ich mich dessen erinnern kann, nicht. Nacji einer von mir aufgenommenen Photographie der Scioranadel und der an jener ausgeführten Winkelmessung steigt die untere Hälfte der Nadel unter 65, die obere unter 75 Grad.gegeii die Horizontalebene an. In dem oberen Teile der Wand waren uns " Vereisung und Schnee öfter sehr hinderlich. Ruhe und kaltes Blut waren da doppelt nötig.
,:t^^wpì Beim ÀntrW schirierig^^Çai8âg0n wurde der det Sohle des Schuhes anhaftende, festgebackene Schnee durch Anklopfen am Fels erst aufö sorgfältigste entfernt. So zum Beispiel, als ich auf den winzig kleinen Sims eines Felspfeilers hinaustreten mußte, um von da, in überaus « xppnjerter Stellung, nach rechtshin den Zutritt zu einer neuen Spalte zu gewinnen. Den an der Südseite des Ago sich emporziehenden Kissen und Spalten verdankt überhaupt der Ersteiger die Möglichkeit des Er* klimmens dieses Felszahns. Ihnen folgten wir, und sie brachten uns auf den Gipfel. Einen anderen Weg giebt es nicht.
In der letzten sich von rechts nach links hinaufziehenden Spalte, deren oberes Ende sich ungefähr 60 Meter unter einer aus ( 1er Wand vorspringenden kleinen Kanzel befand, trafen wir eine Stelle, wo der Riß, bauchig erweitert, au seiner linken Seite einen drei bis vier Meter hohen, glatten, steilabfallenden, leistenartigen Felsabsatz hatte und nach rechts, zwischen diesem Absatz und der Wand des gewachsenen Gesteins, sich eine ganz mit Eis und vereistem Schnee ausgekleidete und zum Teil ausgefüllte, schmale Spalte, eine Spalte also in der Spalte, emporzog. Auf dem Boden dieses Risses machte sich nun Klucker, mit seiner Eisaxt rasch arbeitend, freie Bahn, hieb und trat den Schnee zusammen, löste und entfernte die durch ihre Glätte hinderliche Eisbekleidung und gelangte so aus dem Riß, über das obere Ende des Absatzes hinweg, ins Freie. Ich zog es vor, mit der Beihilfe Reys mich an der linksseitigen, schmalen Wandstufe emporzuarbeiten, was mir mit einiger Anstrengung gelang. Aus diesem Caöon en miniature, in welchem der oben überhängenden und sich zusammenschließenden Wände wegen eine Art Zwielicht herrschte, in den vollen Sonnenschein heraustretend, erblicken wir rechts über uns das Ziel unserer Anstrengungen: den Gipfel der Sciorä-nadel, links deren zackigen Vorgipfel und uns zur Seite einen kleinen Felskopf.
An dieser Stelle ließ Rey sein Eisbeil zurück. Dann ging e& wieder weiter. Die 60 Meter bis zu dem kanzelartigen Felsvorsprung überwanden wir verhältnismäßig leicht. Als ich bei ihm angelangt war, hatte Réy schräg nach links über mir auf dem Grat, zwischen dem nach]Westen'.. gerichteten Vorgipfel der Nadel und einem östlich von jenem dem Grat aufliegenden, wohl einen Kubikmeter großen Block, unter dem die Wand jäh anfiel, Posto gefaßt. Bei schwierigen Besteigungen kommt man zum mindesten an eine kritische Stelle, die in den gleichmäßigen Fortgang
Bydzèwslcy.
deren Ziel ein unerstiegener Gipfel ist, ins Gewicht fällt, ist, daß die Fährer Öfter, je mehr sie sich dem ersehnten Ziele nähern, desto unge^v duldiger werden, bis sie schließlieh in eine Art Taumel, um nicht äu sagen Rage, geraten. Dr. Güßfeldt bezeichnet diesen Zustand treffend mitdem Wort Berg-Ekstase. Dann verwandelt sich der Tourist ( der stalze General en chef ), wenn er dem Tempo der Führer nicht gleich folgen und sein eigenes Tempo gewahrt wissen will, in den Augen lôiner Mentoren in eine Art Mehlsack, den herauf zu ziehen und zu hissen heilige Pflicht ist, der sie erbarmungslos nachzukommen suchen. Dabei vergessen aber die guten Leute das Sprichwort, daß „ alle Stricke reißen " und im gegebenen Fall auch derjenige reißen konnte, an dem ich, wenn von der Kanzel abgestürzt, hin und her pendeln sollte. Bei Ihr angelangt ( Rey hatte, wie bereits erwähnt, schräg über mir auf dem Agograteinen festen Stand gewonnen ), versuchte ich, meine ÇSnde auf den Felsvorsprung aufstützend, durch sie allein die Last des Körpers emporzuziehen. Es ging nicht. Bei der Schmalheit des Vorsprungs drängte mich die Felswand, bei jedem, Versuch hinaufzukommen, in 4 m Leere hinaus. Key, der meine vergeblichen Anstrengungen gewahrt, zieht, um înir zu helfen und wohl in der Meinung, ohne ihn würde es nicht gehen, das Seil strammer an und ruft mir zu: „ je vous tiendrai!4* d.h. für alle Fälle, also auch denjenigen des Hinausfliegens. Wäre die Hilfe von einer mehr senkrecht über mir befindlichen Person gégebeô worden, also in diesem Fall von Klucker, der über mir stand, so hatte dieselbe einen Sinn, in der Weise aber, wie sie mir zu Teil wurde, zog mich das gespannte Seil seitwärts, vom Vorsprung und der Felswand weg, Über den Abgrund hinaus, der grauenvollen Tiefe zu, und, dem Zag'des Seils nachgebend, wäre ich, çine Pendelbewegung beschreibend, längs der Wand abgestürzt. Statt einer Hilfe, in meiner ohnehin prekären Lage, hatte ich also noch ein Hipdernis mehr zu überwinden. ^Vous me tirez en dehors ", rufe ich in halber Verzweiflung mit dumpfem Tone, da » Gesicht an der Wand, Rëy zu, denn schon war es mir, als stflrze ich, aller Halt war verloren. So riß mich einst Bettega, in dem untern Kamitt des Saß Maor und der Cima della Madonna, aus dem Gleichgewicht, so-Barbaria am Dente del Lupo im Bergeil. Das Seil ward lockerer und ich wieder Herr meiner selbst. Nochmals stütze ich die Hände auf den Weinen Vorsprung und, den Oberkörper so dicht als möglich seitwärts W die Wand über mir pressend, setze ich das linke Knie auf, erhebe mich auf den Vorsprung und gelange weiter auf schmaler Leiste zu eisern Fleckchen Schnee und vermöge eines noch schmäleren Risses, in den nur mein© Fußspitze hineinging, auf den Grat zu einem kleinen Felsblock, bei dem Rey postiert war. Ich atmete freier auf; ftlr mich war das die schlimmste Stelle der Besteigung gewesen.
Von äem Block stiegen wir einige Meter über den scharfen Grat zu éi&mr Stelle, auf der zar Not'zwei Personen gut stehen konnten. Klucker, der voran war, hatte bereits den Platz verlassen, um an der Breitseite der glatten Wand hin, weil der Grat ungangbar geworden^ das vom Gipfel der Nadel gegen Süden sich absenkende kurze Gratstück zu erreichen und dann auf ihm zur Spitze zu gelangen. Von Rey am Seil gehalten, die linke Hand am Fels, schob sich Klucker vorsichtig, längs der fünf bis sechs Meter langen Wand, auf kaum wahrnehmbaren Vorsprängen Fuß fassend, unterhalb des großen demAgograt aufsitzenden Felsblocks durch schräg aufwärts, bis zu der scharfen, vom Hauptgrat niedergehenden Felskante vor und kam, über sie hinaufkletternd, nur wenig rechts oder östlich von dem großen Block auf den Grat der Nadel. Hier blieb er und wartete, was er sonst nicht immer thut. Von Klucker sun Seil gehalten, folgte Rey. Während dieser und Klucker den heiklen Gang ausführten, stand ich auf einer vom Agograt nach Norden, gegen die Punta Piodä ausladenden, mit Schnee bedeckten, schmalen, der Bruchkante einer Platte gleichenden Felsleiste, die Linke an den^ gleich dem Hals çines Pferdes vor mir aufsteigenden Grat gestemmt, in der Rechten das Seil, denn „ auch Führer können stürzen ". Dem an steilem Schneehang Abrutschenden blinkt noch ein Hoffnungsstrahl, dem aber, des Fuß an des Ago Gipfèlwand gleitet, ist rascher Tod gewiß, denn über 100"Meter tief stürzt er hinab und zerschellt auf dem erbarmungslosen Gefelse. Auf winzigen Tritten, ohne Griffe an der glatten, wie durch-gesägten Wand,gelangte schließlich auch ich zu der sich dachfirstartig absenkenden und dann jäh abfallenden Kante, auf ihr rittlings aufwärts, dann nach rechts an abschüssiger Wand zu dem großen Felsblock des Hauptgrats. Hinter erstereih hielten Klucker und Rey und ließen mir den Vortritt auf den Gipfel, wobei Rey es nicht unterlassen konnte, sich an mich mit einer kurzen Anrede zu wenden, deren Sinn in den Worten „ vierge " und „ virginité " ausklang. Ich sah nach der Uhr, sie wies ein Viertel über elf. Der Aufstieg von der gegen 140 Meter unter uns .befindlichen Scharte hatte also 1 lk Stunde gedauert. Ohne die Eis-und Schneeauflagerungen freilich hätten wir ihn in kürzerer Zeit zur Augführung bringen können« Dazu kam noch, daß es ein zum erstenmal begangener Weg war. Zu wählen war da freilich nicht viel, er war traciert, wie man die Linie einer Straße absteckt. Loses Gestein kam fast gär nicht vor.
Der Gipfel des Ago di Sciora ist ein Blockgipfel, und hat ungefähr 15 Meter im Umfang. Mit Ausnahme seines sich nach Westen, nicht gleich in jähem Absturz absenkenden Grates, fällt sowohl die Süd- als auch die Nordflanke, bei einer Gesamthöhe des oberen Aufbaues von über 140 Metern, in einer Flucht an 100 Meter tief ab. Die Wände .gA. von Bydzèwsky.
des Ago sind silbetgrau bis hellgelb. Der Nadel säulenartig schmale^ nach Südosten gerichtete, ohne irgend welchen Absatz fast lotrecht abfallende Wand, sowie ihre der Sciorascharte zugewandte Nordseite sind unersteiglich* Die Scioranadel hat, wie bemerkt worden ist, von dem nach ihr benannten kleinen Gletscherthal aus gesehen, die Gestalt einer Harfe, Auf dieser granitnen Harfe spielt nicht jeder Spielmann, er sehe zu, daß ihre Saiten ihm nicht die Finger blutig reißen. Nasses Wetter, das die Flechten schlüpfrig macht, und die geringste Vereisung verhindern unbedingt den Zutritt zum Gipfel. Auf ihm war es still und warm. Die Temperatur -f- 5° C. im Schatten. Während der Zeit, da ich das Aneroïd ablas, die Temperaturen des Instruments und der Luft bestimmte und die gefundenen Werte notierte, saß Klucker, ohne sich zu regen, in sich versunken in einer Vertiefung zwischen den Trümmern am Ostende des Grats, wie in einem Nest. Als ich meine Arbeit beendet hatte, erwachte er aus seiner Lethargie und errichtete, mit Reys Hilfe, aus dem wenigen disponibeln Material einen kleinen Steihmann, in dem meine Visitenkarte, zwischen zwei Steinen eingeklemmt, der Obhut der durch unseren Besuch erzürnten Geister der Nadel tiberlassen blieb, die mit ihr wohl nicht allzu zart umgehen werden. Meine kleine Ersteiger--fiasche hatten wir in Folge des durch den Sturz des Aneroids hervorgebrachten Wirrwarrs leider mit herauf zu nehmen vergessen.
Nachdem Klucker einige Gesteinsproben an sich genommen, brachetì " wir, es war gerade 12 Uhr, auf. Rey ging jetzt als erster am Seit, Oberhalb der scharfen Felskante ( des kurzen Gratstücks ) angekommen, auf der er jetzt ein Stück gegen die furchtbare Tiefe.zu, um die Traverse längs der Plattenwand unter dem großen Felsblock durch ausführen zu können, abrutschen mußte, zögerte selbst er. Die Stelle mußte nicht leicht sein! Beim Abstieg half mir Rey mit Eifer; öfter zu viel, manchmal zu wenig. Er ist wahrscheinlich viel mit Damen, dann auch mit Touristen ersten Ranges gegangen, daher die Extreme in seiner Hilfsleistung. Aus mir ward er nicht recht klug, welcher dieser beiden Kategorien er mich eigentlich zuzählen sollte, zu derjenigen der Damen oder der guten Touristen. Kein Kletterktinstler, noch Professionist in diesem Fach, rechne ich als Dilettant auf eine mildere Beurteilung meiner Leistungen von Seiten meiner Führer, und darin hat leider E. Rey des öfteren gefehlt. Jetzt ist er dahin, wie so mancher der Güßfeldtschen Führer eines frühen Todes gestorben. Möge das gütige Schicksal Kluekér ein gleiches Los ersparen!
Der Abstieg erfolgte in einer Stunde weniger fünf Minuten, ohne jeglichen Zwischenfall, und erforderte 20 Minuten weniger Zeit, âl& der Aufstieg. Wie immer, fand ich auch dieses Mal jenen leichter, als diesen. Unter der Kanzel kletterten wir durch. Von der Wandstufe
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kDrJfiHlaÈÀ -..,. :--.:^>-.r:^,- » oberhalb der Scharte sprangen wir einer nach dem andern die zwei bis drei Meter in den weichen Schnee. Auf meinen Wunsch hin versuchte Klucker von unserem Ras^Iatz unterhalb der Scharte aus auf einem jenseits der Barometerscblucht mit uns in gleichem Niveau ansetzenden Feieband, den Ostfuß der Scioranadel, uad damit die steingefährliche Passage unserer Anstiegsroute zu umgehen. Wir wären so ah dem nordöstlichen Socket der Nadel auf ein Klucker und mir bekanntes Gebiet, mit dem bequemen Abstieg ins Scioracouloir, gekommen. Da seine Rekognoscierung leider zu keinem günstigen Ergebnis führte, zogen wir auf iem alten Wege ab. Kurz vor unserem Aufbruch, der um 1 Uhr 35 Min* erfolgte, begann es zu schneien, ein Zeichen, daß das Wetter leinen Umschlag erlitten, von dem wir, auf drei Seiten von granitnen Wänden geschützt, vor uns das schmale Thal, noch nichts verspürten. Wie beim Abstieg von der Nadel, so ging auch jetzt, wo wir an den ^ Wänden des Querriegels hinabkletterten, alles gut. In den brüchigen Wänden oberhalb der am Morgen passierten kleinen Randkluft fand sich Androsace glacialis Hopp, in größeren Koloniebeständeiu Klucker ging Mer gegen Südost etwas zu weit vor und erhielten wir. beide, auch ich, der ihm wie immer getrost folgte, von Rey, der bereits, ohne daß wir es îtehœrlçt, hinter uns ein Stück abgeklettert war, einen kleinen ^RüflPela* Nachdem wir meinen Pickel, zur Hand genommen hatten, beeilten wir uns, über die trtimmerbedeokte Schneehalde, mit ihren fallenden Steinen und Lawinen, die diesen Weg bei schlechtem Wetter wohl ungangbar machen dürften, zu kommen.
Au der Mündung des Agogletscherthals, auf der Höhe der Quote 2610 m, gerieten wir in den Strich des den Albignagletscher heraus-jagenden, wütenden Nordwindes. War das ein fataler Wechsel! Auf dem Gipfel der Scioranadel war es so schön und still gewesen. Der Schneefall auf dem Querriegel der Sciora hätte uns ein Vorzeichen sein sollen; daß es aber so schlimm kommen würde, so faustdick, hätten wir nicht gedacht. Nach der schweren Besteigung mit allen ihren Peripetien tetmy wo wir schon glaubten unter Pallas Athènes Agis sicher wandeln zu können, ein neues, wenn auch nicht großes Ungemach, oh! ihr neidischeil GjÄtter^ über uns« Inmitten des furchtbaren Sturmes, der mit seiner bis auf die Haut dringenden eisigen Kälte schon an sich eine Plage Waiy waltete über uns noeh immer der Unstern Reys. Alles Schutzes bar, ich ohne Mantel ( den Rey am Morgen mitzunehmen vergessen hatte ), in verhältnismäßig leichter Kleidung, waren wir gezwungen, zu warten, denn bei Rey erfolgte jetzt die Auslösung seiner fieberhaften Aufregung: ein überaus heftiges Nasenbluten stellte sich ein. Vornüber gebeugt saÓ er ganz still auf einem Stein und in großen schweren Tropfen rann itin das Blut hinunter auf den schneeweißen Firn. Mir that der Mann, desseû S&# Wesen mir nicht gerade sympathisch war, leid, er war so tapfer! Ieh glaubte, es stehe schlimiö um ihn. Klucker, der wohl bemerkt haben möchte, was in mir vorging, sagte mit halbem Lächein sich zu mir wendend: .'„ es ist nichts!u Auf den Abhängen der Albignafirnmulde gerieten wir, auf längerer Streéke tief einsinkend, in geradezu entsetzlichen Schnee. Späterhin auf dem, sich mehr ausflachenden Gletscher wurde es wieder besser, blieb aber immer noch schlimm genug. Da der an den Seiten des Gletschers befindliche alte Winterschnee ein besseres Fortkommen yerspraöh, böget » wir von unserer Marschlinie mehr nach Westen ab und zogen längs den Steilwänden der Sciorakette hin. Aber auch hier gab es eine jämmerliche Waterei, wir sanken oftmals bis an die Hüften ein, wobei ein und das andere Mal einer meiner J^ttße, sich in den Zwischenräumen der unter dem Schnee vergrabenen, nebeneinander liegenden Blöcke verfangend, wiç von einer Palle oder Fußangel fesjtgehalten wurde. Aus diesem Schneesumpf heraus tettetén; .wir uns, hier konnten wir doch sehen wohin wir den Fuß setzten, auf die freiliegenden Blöcke der linksseitigen Moräne und blieben auf ihr bis zum Absturz des Gletschers.
Die an seinem Fuße sich ausbreitende weite Ebene, die Albignathalstufe, durchschreitend und die Steilwände dieses merkwürdigen Gebildes vor Augen, legt man sich unwillkürlich die Frage nach dessen Entstehen vor. Wenn an dieser Stelle nicht ejnst ein See gewesen ist, welchen Gedanken wir als unmotiviert beiseite lassen wollen, so haben die hier früher, in der Eisperiode, wirkenden Kräfte dasjenige zit- wege gebracht, was Professor Richthofen in seinem Werke ( Führet für Forschungsreisende auf S..258 ) mit dem Worte Thalcirke bezeichnet: eine durch Corrosion ausgeübte Beckenausschürfung. Die Felsbarriere-\ oberhalb des Albignasturzes höher und die vom Pizzo Cacciabella und Gasnile niedergehenden Eisströme größer gedacht, kann man annehmen, daß hier ein Hervorpressen dieser Ströme aus den Firnfeldern und an de«* Stelle ihres Zusammentreffens mit dem Albignagletscher, unter rotierender Bewegung, eine Ausdrechseiung stattgefunden hat.
Dr. Gtißfeldt, im Jahre 1869 Über den Zoceapaß aus der Valle di Mello hier durchkommend, erwähnt wohl ( „ die Hochalpentt, pag. 58 ) die durch das Hochwasser vom Jahre 1868 bewirkte Verwüstung dieser früher Bttit üppigen Weiden bedeckten Thalstufe, aber eine nähere Angabe über die Ursache dieser Katastrophe findet sich bèi ihm nicht.
Im Sommer des Jahres 1894, bei Gelegenheit einer photographischen Aufnahme im Albignatbal, wollte ich über den Albignagletscher an seiner östlichen, und nicht, wie gewöhnlich, an seiner westlichen Seite, auf die oben erwähnte Thalstufe hinabgelangen und kam dabei an die Stelle, wo der Eisstrom des Albignagletsehers, noch kurz vor seinem Ende, sich aanajèla&ÏÏ.'s'«'ut,'j den ihm den Weg verlegenden Granitplatten des unteren Casnile stauend, auf einer Strecke von ungefähr einem halben Kilometer, von seiner nördlichen Richtung nach Nordnordwest abgelenkt wird. Diesem Eiswall des Albignagletschers nun fallen an seiner Stauungsstelle die im Siegfried-Atlas ( Blatt 520/23 ) nicht angegebenen Schmelzwasser des Cantonegletschers, des bedeutendsten im Albignagebiet, zu einem starken Gletscherbach vereinigt in die Flanke, um in einem Gletscherthor unter dessen hoher Eisdecke zu verschwinden. Eingeengt von den Vorwerken des Casnile im Norden und demjenigen des Cantone im Süden, bohren sich diese Wasser, da ihnen jeder andere Ausweg genommen- ist^inàie Ëiswand des Àlbigna-gletschers ein5. Einige Schritte von dieser Stelle, den Âlbignàgiétsehër aufwärts, hört man in größerer Tiefe unter steb, durch die Eisdecke hindurch, ein Geräusch gleich demjenigen eines im vollen Gange befindlichen Hammerwerkes. Die Decke selbst scheint, in kurz zitternder Bewegung, zu dröhnen und zu oscillieren. Hier in der Nähe treffen sich die Albigna- und CantonewaséérV Aus irgendwelchen Ursachen, wie starke Schneeschmelze und heftige Regengüsse, Zusammenbruch des Abzugskanals ( verschiedenen Ursachen, die jetzt, so lange nach der Katastrophe^ »ich! mit Gewißheit zu ergründen sind ), stauten sich die Wasser des Cantonegletschers, denen der Ausgang verschlossen war, am Albigna-Eiswall empor, um dann, über ihn hinweg und unter ihm dureh sieh einen Ausweg bahnend, die Thalstufe zu überfluten, ohne deren weite Fläche das äin Zusammenfluß der Albigna und Maira liegende Dorf Vicosoprano vielleicht sehr schlimme Tage erlebt hätte.
Von einer in der untern Region des Albignagletscherthals in den dreißiger Jahren erfolgten Katastrophe ( einer Überflutung und dem Absturz größerer Felsmassen ) werde ich, da mir noch authentische Nachrichten fehlen, seiner Zeit an geeigneter Stelle Mitteilung machen.
Kurz vor 6 Uhr waren wir wieder zurück in der Albignahütte. Reys Unwohlsein und der schlechte Zustand des Schnees auf dem Gletscher ließen uns, wenngleich es abwärts ging, BU Stunden länger unterwegs bleiben,. als am Morgen. Im Jahr 1891 hatte ich bei guten Schneeverhältnissen denselben Weg, hin und zurück, in je 1 Va Stunden gemacht; heute hatten'wir für den Rückmarsch die ungemein lange Zeit von über 2V2 Stunden gebraucht.
Anhang. Wer Dr. P. Schreibers vorzügliches Handbuch der barometrischen Höhenmessungen ( Weimar 1883, B. F. Voigt ) zur Hand hat und darin die Kritik der Arbeiten J. Höltschls ( auf Seite 177 und 278 ff. ) liest, in dienen dieser das Aneroid Goldschmidt abfällig bespricht ( das Usteri-Reinacher Präzisionsinstrument, dessen ich. mich auch am 4. Juni 1893 bediente, ist nur ein verbessertes System von Rydzeasky.,:>V des Aneroid Goldschmidt ), wird vielleicht einiges Interesse daran finden, zu erfahren, was die Höhenmessungen, nachdem das Aneroid zweimal auf Fels aufgeschlagen und hierauf an 60 Meter tief, wenn auch auf Schnee, gefallen, für Resultate ergeben haben, da in diesem Fall nicht allein „ eine Abfahrt vom Berge mit Gepolter und Sprüngen " ( Höltschl ), sondern ein vollständiger Absturz und ein Aufschlagen stattgefunden haben.
Nach dem Sturze ergab die Ablesung: )Am 4. Juni 1893... ;....... 601,6 im.
.; JfostivTemp; 9 °(X, Lufttèmp. 5 * C Àm #8. Juni 1893 601,3 mm.
;r.Tetnp. 13 ° C, J^ifttemp. 11 ° C.
Mf der Höhe der Albl^nanCttte 2Ö641 ( Siegfaeä-Atla* ).
ergab die ito 5. Juli 1895 -.. Instr.Temp.
Lufttemp.
599,2 mm.
o \ Die Höhe der Scioranadel ( des Aga ) berechnete sieh auf 3201 ™, ein, wenn man das Höhenverhältnis der vier Gipfel der Sciorakette zu einander mit den durch Rechnung gefundenen Zahlen werten vergleicht, der Wirklichkeit sehr nahe kommendes Resultat.
Ton Süd dach Nord gerechnet hat die höchste Erhebung in der Kette die Cima di Sciora 3239 m An. ( Siegfried^Atlas 3241 >.*}, Punta Pioda 3214™ An,, Scioranadel oder Ago ( îî Sciora 3201 m, und die Sciora di Fuori 3144 " ».
Der Unfall mit dem Usteri-Reinacher Àneroïd-Barometer und dessen spätere Brauchbarkeit trotz dieses Unfalles galten mir als Bekräftigung dessen, was D^ Paul Schreiber auf S. 186 von dem Siedethermometer und, hier speciell, von dessen Zerbrechlichkeit sagt. Denn bei dem Absturz in die Barometerschlucht ( wie Führer Klucker sie nannte ) wäre ein Siedequecksilberthermometer in tausend Stücke gegangen und somit die ganzen Messungen wertlos gewesen* da man sich, röeHerr P, Schreiber ausführt, nicht nachträglich von der Konstanz des Kontroll-instrumentes hätte überzeugen können.
* ) Anmerkung der Red. ;Di«s ist nach gefìllliger Mitteilung von Herrn Ingenieur lyopograph. Meter die genau berechnete " Hßhe der letzten Revision.
IÄj&K&h^-kìk sì
II.
Freie Fahrten.
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