Ein Jubiläumsblatt der schweizerischen Gebirgskartographie: Blatt Tödi
VON EDUARD IMHOF, ERLENBACH-ZÜRICH
Mit 3 Bildern ( 53-55 ) Mit dem ersten Bande des Jahrbuches gab der SAC eine « Excursionskarte für 1863 und 1864 » heraus. Sie stellte die Tödigruppe dar, und kein Geringerer als Dr. Theodor Simler schrieb dazu einen einführenden Bericht.
Heute, im Jahre der Zentenarfeier des SAC, erfreut die Eidgenössische Landestopographie die schweizerischen Alpinisten durch die Herausgabe einer neuen, höchst bemerkenswerten Karte der Tödigruppe.
Von der alten Tödikarte, vom heutigen Jubiläumsblatt, wie auch von einigen anderen Dingen soll hier kurz die Rede sein.
Man hat es in jüngster Zeit überall hören und lesen können, dass dem Doktor Simler im Jahre 1861 auf dem Gipfel des Tödi die zündende Idee zur Alpenclubgründung zugeflogen war. Der Tödi ist der Schicksalsberg des SAC, die Tödigruppe wurde erstes Exkursionsgebiet, am Tödi entstand die erste Clubhütte, mit einer Karte des Tödi ebnete der SAC unserer Gebirgskartographie den Weg in eine neue Zeit.
Was aber mochte vor hundert Jahren die Schritte Simlers gerade zum Tödi geführt haben? Diese Frage lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die sehr engen Zusammenhänge der Geschichte des SAC mit derjenigen der schweizerischen Kartographie. Auf diese Zusammenhänge hinzuweisen dürfte heute wohl angebracht sein.
Bis gegen 1840 waren die meisten Gebiete der Schweizer Hochalpen nur sehr dürftig und lückenhaft kartiert. Da setzte das grosse Werk des Genfers Guillaume-Henri Dufour ein. General Dufour, Wege abweichen. Mit Freude nehmen wir jedes neue Blatt zur Hand. Mit besonderer Spannung aber erwarten wir das Vorrücken der Blätter ins Hochgebirge, wo bisher nur Karten 1:50 000 zur Verfügung standen.
Im Laufe der letzten Jahre erschienen die neuen Karten 1:25 000 des Prättigau, der Berge um Davos und an der Albula, der Silvrettagruppe, der Diablerets und anderer Gebiete. Die topographischen Darstellungen der Schesaplana, des Piz Linard, des Piz Kesch und vor allem der Bergüner Stöcke sind wahre Kabinettstücke. Heute folgt nun, wie eingangs gesagt, das Blatt Tödi 1:25 0001. Sieben mal sieben schwere Folianten könnten nicht annähernd eine solche Fülle exakter, zuverlässiger Auskünfte über dieses zerklüftete Fels- und Gletscherrevier vermitteln, wie hier ein einziges Blatt Papier. Wir danken diesen Reichtum der sinnvollen Zusammenarbeit einer beträchtlichen Anzahl ungenannter Ingenieure, Kartographen, Linguisten, Drucker usw., die ihr schönes und schwieriges Handwerk in aller Stille, aber mit Leidenschaft betreiben.
Als Kartenfachmann ist der Schreibende dieser Zeilen wohl in der Lage, auch einige Mängel der neuen Karten nicht zu übersehen. Da und dort mögen Inkonsequenzen und knotige Extrem-lösungen in der Schreibweise der Ortsnamen einiges Kopfschütteln verursachen oder gar den Zorn der Gerechten heraufbeschwören. Der liebe Gott sei den hierfür verantwortlichen kantonalen Nomenklaturkommissionen gnädig. Der Topograph wird versuchen, durch die Finsternis der babylonischen Sprachverwirrung zum Lichte vorzudringen und diesen oder jenen Stein des Anstosses aus dem Wege zu räumen. Dieser Stossseufzer ändert aber nicht an meiner Überzeugung, dass die neuen, sprachlich bereinigten und weitgehend den einheimischen Sprechformen angeglichenen Schreibformen mit viel einstigem linguistischen Schutt aufgeräumt haben. Ob « Sichelkamm » oder « Sichelchamm », die neuen Landeskarten gereichen unserer Landestopographie dennoch zur Ehre, und sie gelten bei den Fachleuten in aller Welt als erstrebenswerte Vorbilder. Durch sein Eintreten für fortschrittliche Lösungen kommt unbestreitbar auch dem SAC ein Verdienst zu an den glücklichen Entwicklungen der schweizerischen Landeskartierung.
Und nun die beiden Karten der Tödigruppe, diejenige des Jahres 1863 und diejenige von heute. Ihre Konfrontation drängt sich auf. Die erstere besitzt den Massstab 1:50 000. Die hier beigegebene Abbildung zeigt einen kleinen Ausschnitt photographisch l^mal auf 1:40 000 vergrössert.
Die zweite Abbildung zeigt den entsprechenden Ausschnitt aus der kürzlich erschienenen neuen Landeskarte 1:25 000, ebenfalls 114 mal und somit auf 1:20 000 vergrössert.
Solche Vergrösserungen waren notwendig, weil die originalen, äusserst feinen Kartenbilder im hier vorliegenden Buchdruck nur mangelhaft wiedergegeben werden könnten. Unsere Abbildung der neuen Tödikarte gibt nur die linearen Bildelemente, nicht aber die Färb- und Schattentöne.
Die Gegenüberstellung der beiden Abbildungen lässt die ausserordentliche Steigerung der topographischen Aufnahmegenauigkeit erkennen. Die alte Karte aber verrät nicht minder die Hand eines begnadeten Kartenkünstlers. Leuzinger verzichtete auf Höhenkurven, brachte aber die Reliefformen sehr anschaulich durch Schattenschraffen zu plastischem Ausdruck. Bemerkenswerter-weise wählte er hierfür die Südbeleuchtung. Er ergänzte sein Bild durch zahlreiche Höhenkoten. Seine Karte ist ein Kupferstich von hoher Qualität.
Die neue Karte basiert auf photogrammetrischen Aufnahmen. Ihre linearen Elemente wurden durch sog. « Schichtgravur » erstellt. Träger der Gravurschichten sind Glasplatten. Die so ent- 1 Landeskarte der Schweiz 1:25 000, Blatt 1193, Tödi. Erste Ausgabe 1963. Eidgenössische Landestopographie, Wabern-Bern.
169 und Herausgabe der eidgenössischen und kantonalen Originalaufnahmen für das ganze Gebiet der Schweiz. So entstand die sog. « Siegfriedkarte », für Jura, Mittelland und Südschweiz im Massstab 1:25 000, für die alpinen Gebiete in 1:50 000. Von nun an war dies in unserem Lande die Karte des Bergsteigers. Sie hat der Öffentlichkeit, der wissenschaftlichen Forschung, der Touristik und insbesondere dem Alpinismus unermessliche Dienste erwiesen.
Menschenwerke aber sind vergänglich. Die Ansprüche an die Karten stiegen weiter an. Die technischen Methoden und Hilfsmittel der Kartenerstellung verfeinerten sich. Etwa um die Jahrhundertwende setzte bereits schon die Kritik an den « veralteten » Karten ein und damit auch das Getuschel um neue Projekte. Eine schweizerische Grundbuchvermessung stand in Vorbereitung. Eine solche aber setzte neue, genauere geodätische Grundlagen voraus. So hüben die Ingenieure der Eidgenössischen Landestopographie erneut an, die höchsten Alpengipfel zu erklimmen, um dort die erforderlichen Messungen vorzunehmen. Etwa zwischen 1914 und 1925 wurde in den Jahrbüchern und Zeitschriften des SAC wiederholt darüber berichtet. Freilich, der erste Weltkrieg begrub für längere Zeit die schönsten Wünsche. Nachher aber wurden die Arbeiten mit Eifer fortgeführt, und es wurden bald auch die neuen photogrammetrischen Methoden in den Dienst der topographischen Gebirgsaufnahmen gestellt. Man bearbeitete Muster für neue Landeskarten. Man diskutierte jahrelang Inhalte, Ausdrucksformen und Massstäbe. Es ist hier nicht der Ort, auf diese interessante und bewegte Periode der schweizerischen Kartengeschichte näher einzutreten, doch sei daran erinnert, dass in dem von 1927 bis 1934 tobenden siebenjährigen eidgenössischen Land-kartenkrieg sich auch der SAC glorreich geschlagen hat. Man balgte sich in Sektions- und Delegiertenversammlungen, man gab 1932 ein kartographisches Sonderheft der « Alpen » heraus; das Badener Central-Comité mit Centralpräsident Dr. Felix Gugler zählte mit zu den Urhebern einer vom Verfasser dieser Zeilen vorbereiteten Denkschrift an das Eidgenössische Militärdepartement. Im Jahre 1934 stimmte dann die Bundesversammlung einhellig einer Botschaft über die Erstellung und Herausgabe neuer Landeskarten zu. Dieses neue eidgenössische « Kartengesetz » sah für die ganze Schweiz u.a. die Herausgabe neuer topographischer Karten in den Massstäben 1:25 000, 1:50 000, 1:100 000 usw. vor. Neu war hierbei die zu erwartende hohe Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Karten, neu war die für alle Blätter vorgesehene Reliefschattierung, neu war aber vor allem die Kartierung des schweizerischen Hochgebirges im Massstab 1:25 000, statt wie bisher nur in 1:50 000. Alle Kartenfreunde - und welcher Bergsteiger zählt sich nicht zu diesen - sahen den kommenden Karten mit grosser Spannung entgegen. Aus militärischen Erwägungen trieb man zunächst die Herstellung der Blätter 1:50 000 voran. Die Kinder- und Flegeljahre der neuen Landeskarte dauerten dann freilich etwas lange. Neue Wege des technischen Vorgehens mussten gesucht und entwickelt werden, es fehlte an Fachpersonal, die Mobilmachung des zweiten Weltkrieges fuhr mit zusätzlichen Aufgaben dazwischen. Nach Kriegsende aber erschien dann in stets beschleunigter Folge Blatt um Blatt. Heute ist das gesamte Kartenwerk des Massstabes 1:50 000 für das Territorium der Schweiz abgeschlossen. Es fehlen lediglich noch einige wenige ausländische Randgebiete.
Im Jahre 1953 setzte auch die Herausgabe der Blätter 1:25 000 und ein Jahr darauf diejenige der Blätter 1:100 000 ein. Sie übertreffen an Schönheit und Klarheit die manchenorts allzu dichten, stark belasteten Blätter des Massstabes 1:50 000. Die vorzüglich redigierte Karte 1:100 000 ist heute unsere nützlichste Gebietsübersichtskarte; sie ist die Karte des Autotouristen, der mit offenen Augen durchs Land fährt. Die Blätter 1:25 000 aber weisen bei all ihrer Klarheit einen bisher nicht gekannten Reichtum an Einzelheiten auf. Ihr Bild ist besonders im Gebirge von verblüffender Naturähnlichkeit. Nur noch Blinde und Heiden können mit dieser Karte vom rechten trand und Lionel Terray ( der Expeditionsleiter)-J.Ravier-Sirdar Wangdhi. Nur der erkrankte M. Lenoir hatte im Basislager zurückbleiben müssen.
Fast 3000 m fixe Seile hatte man angebracht, um « das Ungeheuer zu zähmen ». Die Eroberung des Jannu ist wohl das Schwerste, was bisher im Himalaya gemacht wurde - eine Spitzenleistung des französischen Alpinismus und ein Vorbild mustergültiger Organisation und harmonischer Mannschaftsarbeit.
Literatur: « La Montagne », 1962, p. 231 und 267-287.
3. Eine Klein-Expedition der Indischen Armee unter Leitung von Major S. Rana machte am 26. April 1962 die Erstersteigung des südwestlich vom Kabru gelegenen Koktang, der 6147 m = 20 165 ft. kotiert, aber wahrscheinlich etwas höher ist.
Literatur: AAJ ( American Alpine Journal ) 1963, p. 528.
4. Etwa 27 km nordwestlich des Kangchendzönga steht der ziemlich selbständige Nupchu Peak ( 7028 m = 23 059 ft. ). Die Schweizerische Himalaya-Expedition 1949, welche diese unbekannte Gruppe erkundete, kam an seinem SW-Grat bis etwa 6800 m. Die Bezwingung dieses stattlichen Berges gelang erst der « Osaka University Old Boy's Club Expedition » unter der Leitung von Prof. Sasuke Nakao, und zwar von S, vom Nupchu-Gletscher aus. Am 20. Mai 1962 erreichten T. Tsubaki und Sherpa Chotale den Gipfel, am folgenden Tage weitere fünf Japaner und zwei Sherpa. Dann teilte sich die Expedition in drei Gruppen für ihre wissenschaftlichen Arbeiten: Botanik, Entomologie und Bodenkunde.
Literatur: BdW ( Berge der Welt ) V, 1950, S. 1-80. AAJ 1963, p. 519.
Everest-Gebiet 5. ( Nachtrag. ) 1959/60 war eine « Japanische Yeti-Expedition » in Khumbu tätig, aber ohne Erfolg. Dieser Winter war so schneearm, dass man sich nicht einmal mit Yetispuren trösten konnte.
Literatur: Sangaku ( The Journal of the Japanese Alpine Club ) LV, 1960, p. 15/16.
6. ( Nachtrag. ) Die « Chinesische Everest-Expedition 1960 » und das berühmte Bild « aus 8700 m Höhe » sind noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Auf Grund von überaus sorgfältigen Berechnungen und Zeichnungen konnte Hugh Merrick nachweisen, dass diese Aufnahme aus einer Höhe von nur etwa 8500 m stammt, mit einem möglichen Fehler von + 50 m, also aus der Gegend der « Ersten Stufe ». Es ist keine echte « Standaufnahme », sondern ein Ausschnitt aus dem chinesischen Kinefilm ( Schmalfilm ), der am 9. Oktober 1962 beim Alpine Club in London vorgeführt wurde. Man konnte sich davon überzeugen, indem man den laufenden Film an der richtigen Stelle stoppte und mit der berühmten Photographie verglich. Wenn man den Film dann weiterlaufen liess, zeigte sich, dass die Kamera ( bzw. ihr Träger ) nicht mehr höher ging, sondern zum Basislager zurückkehrte. Es ist demnach in hohem Masse wahrscheinlich, dass die chinesischen Bergsteiger nicht weiter gelangt sind als bis zur « Ersten Stufe » oder höchstens bis auf den Grat zwischen « Erster » und « Zweiter Stufe ». So erklärt sich, dass es keinerlei Aufnahmen von der sehr photogenen « Zweiten Stufe » oder vom Gipfel gibt. Auch die anderen Unstimmigkeiten, auf die schon früher hingewiesen wurde, werden verständlich: kein Vordergrund, falsche Zeitangabe für die Aufnahme, Widersprüche zwischen dem indischen und dem chinesischen Wetterbericht, Fehlen topographischer Einzelheiten in der chinesischen « Routen-Beschreibung » usw. Trotzdem sei anerkannt:
171 standenen einzelnen ( farbgetrennten ) Bildelemente werden jeweils unmittelbar auf die Druckplatten lichtkopiert und auf der OfFsetpresse gedruckt. Durch solche Verfahren werden hohe Strichschärfe, ausserordentlich genaues Zusammenpassen der verschiedenfarbigen Bildelemente und damit die bemerkenswerte Sauberkeit und Klarheit der neuen Karten erreicht. Die Karten enthalten Höhenkurven mit 20 m Äquidistanz. Der Fels ist schattenplastisch durch schwarze Schraffuren dargestellt, wobei jedoch 100 m Zählkurven, ebenfalls schwarz, durchgezogen sind. Blaugraue durchsichtige Schattentöne und ein gelblicher Bodenton - letzterer nur für begraste Lichthänge - geben dem feinen Strichgefüge die erwünschte übersichtliche Gesamtplastik. All die verschiedenartigen Bildelemente vereinigen sich zu einer Synthese von Inhaltsreichtum, Präzision und klarer, übersichtlicher Bildhaftigkeit.
Das neue Blatt Tödi der Landeskarte 1:25 000 ist gleichsam das Jubiläumsblatt für den Schweizer Alpen-Club. Die nächsten Jahre werden uns die neue Karte 1:25 000 auch für die übrigen Hochalpengebiete der Schweiz bringen. Sie werden, ähnlich wie es vor 90 Jahren die Siegfriedkarte getan hat, der naturwissenschaftlichen und geographischen Erforschung der Schweiz neue kräftige Impulse geben.
Mit der neuen Landeskarte 1:25 000 aber werden die kartographischen Fortschritte im Gebirge nicht haltmachen. Der Kanton Glarus verfügt schon heute über eine nahezu lückenlose Karte 1:10 000, die im Rahmen der Schweizerischen Grundbuchvermessung und mittelst moderner luft-photogrammetrischer Aufnahmen erstellt worden ist. Die Landestopographie kartiert gegenwärtig den Aletschgletscher im Massstab 1:10 000. Andere Gebiete von besonderem wissenschaftlichem oder alpinistischem Interesse werden folgen.
Alpenclub und Alpenkarte schreiten gemeinsam voran zu neuen Entwicklungen.