Doldenhorn-Nordwand
2 Scheideggwetterhorn-Nordwand: im Risskamin der Wandmitte Photos Hannes Stähli, VVilderswil griffiger, so dass alles frei geklettert werden konnte bis zum Pfeilerkopf...
Nach der nächsten Plattenterrasse kamen mit dem grossen Überhang und einer anschliessenden senkrechten Seillänge nochmals ernstere Schwierigkeiten. Dann aber war der Blick frei zur überwältigenden Schlusswand, aus der zuoberst noch ein weisses Seil im Winde baumelte. Doch bis zu deren Fuss waren es noch mindestens 200 Meter mit zum Teil schwierigen Teilstücken; es hörte einfach nicht auf.
Endlich konnten wir hinüberqueren zum Ausstiegskamin, das auf die Nordostkante führte.
Nach dem ersten Stand hatte diesmal Edi die Ehre, eine ähnlich glatte Stelle wie die meinige vom Vorabend zu überlisten. Es war ein hartes Stück Arbeit für ihn. Ich munterte ihn auf, so gut es ging, und sicherte konzentriert. Ich wusste aus Erfahrung, wie wenig es braucht, um zu stürzen, besonders insolch extrem schwierigen Situationen.
Aber nach einem Scharren und Geklimper von Haken und Karabinern war es geschafft. Nach zwei weitern, steilen Seillängen sahen wir endlich wieder hinüber in die Engelhörner. Die Stunden waren einmal mehr im Flug vergangen, und wir durften keine Zeit verlieren!
Die Nordostkante, auf der wir jetzt dem Gipfel zu kletterten, war doch weniger steil als die Wand selbst. Wir kamen gut voran. Trotzdem überraschte uns zum zweitenmal die Dunkelheit. Mit der Stirnlampe bewaffnet, nahmen wir die letzten zwei Seillängen auf und erreichten den Gipfel des Scheideggwetterhorns ( 3361 m ) um 20.00 Uhr. Überglücklich schüttelten wir einander die Hände.
Vor genau 36 Stunden hatten wir in der ersten Seillänge gesteckt! Trotz der Müdigkeit wollten wir über den Verbindungsgrat zum Wetterhorn ( 3701 m ) weiterklettern, um wenigstens die Türme hinter uns zu bringen.
Eigentlich hätte uns der Vollmond leuchten sollen, aber der Nebel trieb sich immer dichter davor herum. Uns blieb nichts anderes übrig, als in pechschwarzer Nacht weiterzusteigen.
3Doldenhorn-Mordwand: die ersten Meter 4Tiefllick zum Oeschinensee Photos Markus Liechti, Liebefdd Nach zwei Stunden mühsamen Kletterns und Abseilens hatten wir genug. Ein zweites Mal nahmen wir unser Daunenzeug hervor und schlüpften in den Schlafsack. Doch diesmal mussten wir uns in eine Sicherung hängen, sonst hätten wir wohl den « Abstieg » ohne Halt gemacht!
Die Nacht war lang und kalt; doch die Müdigkeit Hess uns trotzdem ein wenig schlafen...
Wunderschön kündigte sich der Morgen über den Engelhörnern an. Wir warteten, bis uns die ersten Sonnenstrahlen erwärmten. Erst dann packten wir alles zusammen, erreichten bald darauf den Hühnergutz Gletscher und überquerten ihn bis hinüber zur Krinne. Die Glecksteinhütte dort unten kam uns vor wie ein Hotel. Schnell seilten wir uns ab zum Krinnengletscher, verstauten Seile, Haken, Karabiner in die Rucksäcke. Mit merkwürdig weichen Knien stiegen wir ab zur Hütte, wo uns Hans Kaufmann wie Könige bewirtete. Wir genossen wieder alle Annehmlichkeiten der Zivilisation.
Zwei Stunden später marschierten wir hinunter zum Lauchbühl, wo uns Edis Bruder erwartete und uns zu meinem Auto hinaufbrachte. Die Nachmittagsonne beleuchtete unsere Wand von der Seite, so dass wir von hier aus die Aufstiegsroute nochmals vor Augen hatten.
Eine unserer grössten Bergfahrten war glücklich zu Ende gegangen.
Doldenhorn-Nordwand
Markus Liechti, Liebefeld BE Bilder n bis 7 Mit nassem Rücken erreichen wir die Fründenhütte auf der luftigen Felskanzel. Erleichtert fällt der Blick hinunter zum blauen Auge des Oeschinensees, an dessen Ufer wir noch vor zwei Stunden lachend und vergnügt gesessen haben, jeder darauf bedacht, vom eigentlichen Grund unserer Anwesenheit abzulenken. Hier oben gelingt das aber keinem mehr. Die Wand ist zu nah, sie ist da,
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5Konzentriertes Aufsteigen in der Doldenhorn-Nordwand 6Kleiner Mensch in grosser Wand l Dem Ausstieg entgegen Photos Markus Liechti, Liebefeld wenn auch von Wolken umhüllt. Nur die letzten Meter, die steilsten, sind zu sehen und bestätigen ganz eindrücklich, dass uns morgen kein Spaziergang bevorsteht.
Den Abend verbringen wir fünf still in einer Ecke, umgeben von einer fröhlichen und demnach lauten Gesellschaft von Hüttenbesuchern. Die können schon lachen! Aber können 's nicht auch wir, steht uns doch eine ganz grossartige Tour bevor? Die Verwirklichung eines langgehegten geheimen Wunsches. Sicher ist das ein Grund, sich zu freuen; nur sind wir eben noch nicht oben, und nur eitel Vergnügen wird es auch nicht sein. Nun — wir werden sehen...
Einige Sterne blinken durch die Wolkendecke. Es ist gewitterhaft. Zum Glück, denn so können wir morgen wieder mit schönem Wetter rechnen. In der Hütte bahnen wir uns einen Weg durch die lärmende Schar Richtung Wolldecken. Ans Schlafen wird zwar einstweilen nicht zu denken sein, aber versuchen kann man 's ja. Noch im Halbschlaf vermischen sich immer wieder die zwölf- und mehrstimmigen, dafür um so lauter vorgetragenen « Melodien » mit unseren schlaftrunkenen Nordwandgedanken, bis das Sandmännlein über das steile Eis heruntersteigt, um uns zu erlösen.
Wie gewohnt erwache ich einige Minuten, bevor uns der Hüttenwart weckt. Es ist zwei Uhr. Noch vor dem Morgenessen werfen wir einen kriti-schenBlicknachdraussenralles wolkenverhangen! Nur einzelne Sterne.Verflixt! Ohne grossen Elan setzen wir uns deshalb hinter die Tassen, und ohne grosse Worte wird beschlossen, trotzdem aufzubrechen. Umkehren kann man ja immer noch.
Die Lichtkegel unserer Stirnlampen tasten sich durch das kurze Weglein zum Gletscher hinunter. Prüfend betreten wir den halbwegs gefrorenen Schnee.Vielleicht trägt er weiter oben besser. Schon das kurze Stück zum Felsband verlangt die ganze Aufmerksamkeit. Der Gletscher ist fast aper, und schon nach wenigen Metern sitzt René halb in einer Spalte drin. Der Einstieg zum Felsband wird dank dem zurückweichenden Glet- Ausblick vom Feldberg über das Fahlertal auf Jura und Alpen Photo Willy Pragher, Freiburg i. Br.
Behäbiges Schwarzwaldhaus im Erholungsort Menzen-schwand, bekannt für « Ferien auf dem Bauernhof » Photoarchiv der Verkehrsgemeinschaft Hochschwarzwald in Neustadt scher auch immer schlechter. Beim grossen Steinmann betreten wir den Galletgrat. Ein leises Lüftchen macht nun das Steigen angenehmer. Abwechslungsweise über Felsen und Schnee verfolgen wir den Grat, bis wir plötzlich knietief in die Schneedecke einbrechen. Alles Schimpfen nützt nichts, nur ein Ausweichen in die Felsen, auch wenn diese wasserüberronnen und vereist sind. Wenig unterhalb des Wandfusses traversieren wir nach rechts und erreichen den Bergschrund.
Derjunge Tag erwacht, ohne dass sich das Wetter bessert. Die obere Wandhälfte steckt in den Wolken, und auch ohne diesen Vorhang wäre sie schlecht zu beurteilen, denn wir sehen sie von hier aus nur in extrem verkürzter Perspektive. Die Verhältnisse scheinen aber gut zu sein, weshalb wir uns entschliessen, den Einstieg zu wagen. Irgendeinen Rückzugsgedanken zu äussern, hätte doch keiner den Mut.
Beat und René überschreiten schon den Bergschrund, während Toni, Markus und ich noch die Steigeisen anziehen. Die beiden jungen Draufgänger werden ihre Kraft beim Pickeln schon brauchen. Mit gemischten Gefühlen folge ich ihnen, und erst mit dem gleichmässigen Steigen kommt die vertraute Sicherheit. Überraschend schnell gewinnen wir an Höhe. Der Schnee ist leicht gefroren, und mit jedem Tritt entsteht eine gute Stufe, so dass wir uns ohne Sicherung zwischen den hervortretenden Felsinseln hindurchschlängeln. Die anfangliche Unsicherheit wird nicht nur zur Sicherheit, sie weicht sogar einer hellen Freude, zumal auch das Wetter seinen Teil dazu beiträgt. Fast erholsam ist das Vorwärtskommen hier im Vergleich zu der ärgerlichen Schinderei unten am Galletgrat. Immer leicht nach links traversierend, halten wir gegen die Wandmitte zu. Die Schneeschicht wird zwar zunehmend dünner, dafür aber härter. Erst kurz vor einer leicht abstehenden Felskanzel treffen wir auf die ersten Meter Blankeis. Eine Eisschraube sichert dieses kritische Stück, und bald daraufsitzen wir dicht gedrängt auf dem abschüssigen Vorsprung.
Diese Pause ist sicher verdient und bietet Gelegenheit, der Freude über das gute Vorrücken Ausdruck zu geben. Übermütige Sprüche versuchen den Anschein zu wecken, wir befinden uns nicht über gähnender Leere, sondern in einer fröhlichen Tafelrunde.
Doch nur ein Blick überzeugt uns schnell vom Gegenteil. Drüben am Fründenhorn und an der Blümlisalp kriechen mehrere Punkte dem Gipfel zu; am Doldenhorn hingegen sind wir allein -allein in dieser 600 Meter hohen, glatten Eiswand! Die Hälfte glauben wir schon geschafft zu haben, was allerdings schwer abzuschätzen ist, wenn man mitten drin steht. Ganz eindeutig aber wird uns der obere Teil ein Mehrfaches dessen, was wir unten leisten mussten, abverlangen; denn die Wand wird nach oben immer steiler, der trittige Schnee spärlicher. Stellenweise fehlt er sogar gänzlich, dort, wo er oben aus der Wand gerutscht ist. Glücklicherweise hilft uns Petrus; ab und zu streift sogar ein Sonnenstrahl die Wand.
Gespannt auf das nun Kommende, steigen wir weiter. Nach zwei Seillängen wird der erste Standplatz aus dem Eiss gehauen und eine Eischraube eingesetzt. Mit hartem, trockenem Schlag prallen die Eisstücke auf meinen Helm, die Schultern und den Rucksack. Mit gesenktem Kopf steige ich, ohne aufzublicken, in den mageren Stufen neben den in die Tiefe surrenden Geschossen auf. Ohne Helm würde man hier unweigerlich erschlagen. Seillänge reiht sich an Seillänge. Stand - Selbstsicherung - Nachsteigen -Seil-Umhängen; dies alles wiederholt sich immer wieder und wird zur Routine. Den exponierten Standort in der steilen Wand finden wir auf einmal sogar sehr reizvoll. Gegen 2000 Meter steil über dem Oeschinensee - ein überwältigender Tiefblick! Aber ein Blick hinauf vermag die ganze Hurra-Stimmung gleich wieder zu dämpfen. Immer steiler wird es, und immer langsamer kommen wir vorwärts. Eine dünne Firnschicht erlaubt noch ein Gehen auf den Frontzacken. Windfahnen mit Triebschnee küssen von oben meinen Nacken und lassen mich leise erschauern.
Immer wieder aufatmend, erreicht man den nächsten Standplatz, hängt den sichernden Karabiner in die Eisschraube ein und versucht die noch fehlenden Seillängen abzuschätzen. Sind es noch drei - oder fünf- oder gar noch mehr? Langsam wünscht man sich doch, endlich draussen zu sein. Aber als Trostpreis kommt wieder ein Sonnenstrahl, taucht die ganze Wand in gleissendes Licht, löst sie von der im Schatten liegenden Umgebung und zaubert eine himmlische Szenerie hervor.
Immer wieder leicht links haltend, streben wir dem Ausstieg zu. Das Ziel naht, doch die letzten Meter verlangen noch äusserste Konzentration. Im Felsband unterhalb des Gipfels lösen sich ein paar Steine, sausen in die Tiefe und lassen einen sehr eindrücklich klarwerden, was passiert, wenn einer... Die letzte Seillänge ist blank. Es ist zudem das steilste Stück, und nur noch auf den vier Frontzacken stehend, steige ich vorsichtig höher. Unter mir 600 Meter gähnende Leere. Die Wadenmuskeln sind schmerzhaft gespannt, während die rechte Hand mit der Pickelhaue einen Halt zu finden sucht. Mit tastendem Spürsinn gewinne ich Meter um Meter. Es ist ein Zusammenspiel körperlicher und geistiger Kraft, wie ich es noch nie erlebt habe. Ganz unvermittelt lässt die Steilheit nach. Ich trete wieder auf Schnee und erreiche nach ein paar schnellenden Schritten den Grat.Geschafft !!
Auch meine Kameraden folgen erleichtert nach. Ein befriedigtes Lächeln lässt ihre Freude erahnen und ein Nachlassen der Spannung erkennen. Die letzte Seillänge über die Felsstufe bietet keine Schwierigkeiten mehr, so dass wir uns nach sechsstündiger Konzentration und Kraftanstrengung aufdemGipfel glücklich die Hände reichenkönnen.
Hier oben ist es kalt. Wolken umbranden den Gipfel und lassen uns dem Himmel näher fühlen als der Erde. Die Freude kennt keine Grenzen und steht jedem im Gesicht geschrieben. Dem Proviant wird ganz tüchtig zugesprochen, und nur die unangenehme Temperatur lässt uns bald einmal zum Abstieg aufbrechen.
Zuerst steigen wir rasch über harten Schnee ab, versinken aber plötzlich in grundlosem Nassschnee. Mühsam und stumm kämpfen wir uns abwärts, aber auch die breite Spalte unten im Eisbruch kann unsere innere Zufriedenheit nicht mehr stören, denn ein langgehegter Wunsch ist in Erfüllung gegangen.