Die Besteigung des Cotopaxi
VON EDWARD WHYMPER
Der Name Edward Whympers ist mit dem des Matterhorns und dem Datum des 14. Juli 1865 so untrennbar verbunden, dass viele diesen Alpinisten nur im Zusammenhang mit diesem Berg und diesem Datum kennen. Es ist weniger bekannt, dass sein Vater ein Kunstmaler war und dass der junge, für die Studien und die Wissenschaften sehr begabte Edward mit 14 Jahren als Holzschneider im Atelier seines Vaters arbeiten musste.
Sein Talent als Zeichner bestimmte sein Schicksal. Er wurde von einem Verleger beauftragt, aus dem Dauphiné und der Schweiz Illustrationen über die Alpen zu zeichnen. Man kennt die Fortsetzung bis zum verhängnisvollen Datum, bis zum Erfolg und der Tragödie, deren man heute mit Feierlichkeiten gedenken wird.
1879 unternahm Whymper eine lange Reise in die Anden, um da die Anpassung des Menschen an die Höhe zu studieren. Er war von Jean-Antoine und Louis Carrel begleitet. Es war eine abenteuerliche Expedition, während der ihnen innert sieben Monaten acht Erstbesteigungen, unter anderem der Chimborazo ( 6310 m ) und der Sara-Urcu ( 4725 m ), gelang.
Nach seiner Rückkehr nach England verfasste Whymper sein neues Buch « Travels amongst the Great Andes of Ecuador », das ebensoviel Erfolg hatte wie die « Scrambles amongst the Alps », aber nicht ins Französische übersetzt wurde, weil das französische Publikum für die Antipoden nicht so viel Interesse hatte wie das angelsächsische, das sich dort heimisch fühlte wie übrigens auf dem ganzen Planeten.
« Am 14.Februar verliessen wir Machachi in Richtung Cotopaxi. Unsre Gruppe bestand aus Jean-Antoine, Louis, Mr.Perring, sechs eingeborenen Trägern, neun Maultieren, drei Arrieros und zwei Schafen - zwei hässlichen und reizlosen Tieren, die die grösste Abneigung zeigten, sich auf die Schlachtbank führen zu lassen. Sie kauerten auf ihrem Hinterteil und verweigerten jede Bewegung. Als es uns mit der grössten Mühe gelang, sie zum Aufstehen zu bringen, klemmten sie sich in unsere Beine und versuchten uns umzuwerfen.
Wir beabsichtigten, uns direkt zum Cotopaxi zu begeben, aber ein heftiges Gewitter zwang uns, in Pedregal Zuflucht zu suchen, einem kleinen Weiler, der aus einem Bauernhof und einigen Häusern bestand und in offenem Gelände, am Fuss und nördlich des Ruminahui gelegen war. Die Hacienda war von der üblichen hohen Mauer umgeben, und ein grosses Tor öffnete sich auf den Hof. An seinem Rand erhob sich eine zerfallene Kapelle, und wir wurden eingeladen, uns dort einzuquartieren. Bei einbrechender Nacht riefen die Glocken alt und jung zum Gebet. In Gruppen von zweien oder dreien überquerten sie die Heide. Während der Zeremonie waren sie ihre eigenen Priester.
Am Morgen des 15. Februar setzten wir unseren Weg durch das Tal des Rio Pita fort, eine hügelige Gegend, die immer trostloser und unfruchtbarer wurde, je mehr wir uns dem Berg näherten. Bald erreichten wir die weite und beinahe flache Ebene des Limpiopongo, die Wasserscheide zwischen dem Pita und dem Cutuchi. Ich fand da eine grosse Menge Käfer ansehnlicher Grosse, die zur 1 Auszug aus « Travels amongst the Great Andes of Ecuador », John Murray, London, 1892. 150 Familie unseres Maikäfers gehören, aber von einer Gattung, die bisher der Wissenschaft unbekannt war. Mr. W. Bates erschien sie von den übrigen so unterschiedlich, dass für sie eine neue Art geschaffen wurde ( Leucopeloea ). Dieses Insekt scheint mit Vorliebe auf dem Kopf zu stehen. Viele von ihnen habe ich in dieser interessanten Lage gesehen, noch mehr aber auf dem Rücken liegend, mit den Beinen gestikulierend und unfähig, sich umzudrehen; andere noch, die in dieser misslichen Lage gestorben sind. In der Ebene, etwas vom Vulkankegel entfernt, habe ich eine verwandte Gattung gefunden ( Platycoelia nigricauda ), etwa zweieinhalb Zentimeter lang, die ebenfalls neu war. Aber die Colpoden, die in den anderen Teilen der Anden von Ecuador zahlreich sind, und der langnasige Curculios, der in so vielen Gegenden an der Schneegrenze zu treffen ist, fehlten hier vollständig.
Die ganze Gegend war übersät von kleinen und grossen Lavablöcken, die offenbar vom Krater ausgeworfen worden waren.
Wir gingen auf den erstarrten Lavastrom des Yanasache zu, fanden ihn aber zu rauh für die Maultiere, umgingen ihn deshalb auf einer Höhe von 4100 m und erreichten ein Tal, das direkt zum Gipfel führte und mit Vulkanasche aufgefüllt war. Dieser Boden, der für den Menschen ziemlich leicht war, erwies sich als sehr mühsam für unsere Tiere. Um 15.50 Uhr, in einer Höhe von 4612 m, fanden wir eine Unterkunft, aus grobem Holz gezimmert, beschlossen, da unser Lager zu errichten, und schickten alle Tiere nach Machachi zurück. Wir fanden eine Flasche mit einem Zettel und erfuhren so, dass der Zufall uns zum Ort geführt hatte, wo auch V. Thielmann Halt machte.
Es war kein idealer Platz, um ein Lager zu errichten, da Wasser und Brennholz fehlten. Die Hälfte meiner Mannschaft stieg auf, um Schnee zu holen, die andere Hälfte stieg ab, um im Gestrüpp Holz zu fassen. Ich blieb allein im Lager, gleichzeitig als Koch, Journalist und Hirte. Eines der Schafe war schon geschlachtet worden, und einige der besten Fleischstücke waren bereits in der Pfanne. Ich hatte meinen Leuten für ihre Rückkehr ein Festmahl in Aussicht gestellt, das sie für die Fasten-tage entgelten werde. Als sie fort waren, wurde mir klar, dass ich zu viel versprochen hatte. Das Feuer wollte nicht brennen, und um eine spärliche Flamme zu unterhalten, musste ich bäuchlings pusten, wie ein Blasebalg. Dann begann es zu schneien und zu hageln, ich hatte unangenehm kalte Füsse und einen entsetzlich heissen Kopf. Während ich mich diesen Betrachtungen hingab, hörte ich einen Lärm und gewahrte, dass sich das Schaf, das den Weg zur Pfanne noch nicht eingeschlagen hatte, losgerissen hatte und den Hang hinunter eilte. Ich verfolgte es, holte es ein und hielt ihm eine Predigt über die Verwerflichkeit eines Fluchtversuches. Als Antwort erhielt ich nur ein Bäää. Das Tier willigte nur auf Kosten von niederträchtigen Schmeicheleien ein, umzukehren. Als wir ankamen, stellte ich fest, dass die Suppe übergekocht war und das Feuer beinahe ausgelöscht hatte. Das Fleisch hatte eine abscheuliche Teerfarbe bekommen Nie vorher und nie nachher habe ich etwas so Abstossendes gesehen; ich schäme mich noch heute, wenn ich an das Verfahren denke, welches ich anwenden musste, um es wieder präsentabel zu machen. Aber Ende gut - alles gut! Rechtzeitig war ich fertig, und meine Leute merkten nicht, dass ich das Fleisch mit der Schuhbürste geputzt und die Pfannen mit einem Taschentuch gereinigt hatte.
Unser Lager war auf vom Vulkan ausgestossenem Material aufgeschlagen, das man gewöhnlich mit dem Namen Staub, Sand, Kies und Asche bezeichnet. Man nennt Staub die kleinsten Teilchen, Sand die gröberen und Kies die gröbsten. Das Wort Asche bezeichnet das Ganze, und in diesem allgemeinen Sinn habe ich es anderswo gebraucht. Das Wort Asche ist allerdings irreführend, denn es bezeichnet gewöhnlich den Rückstand einer Verbrennung, während es sich hier um Fels- und Gesteinspartikeln handelt.
Der vulkanische Staub besitzt die unangenehme Eigenschaft, überall einzudringen. Die winzigsten Teilchen sind so klein, dass sie sich an anscheinend unzugänglichsten Stellen infiltrieren. Die Asche schwebt in der Luft, wirbelt auf und füllt alle Risse, in denen sie vom Wind geschützt bleibt. Alle Vertiefungen in der Nähe unseres Lagers waren mit diesem Material aufgefüllt. Der Dicke der Schicht nach zu schliessen, wurde dieser Staub während einer sehr heftigen Eruption ausgespien, war aber nur in den windgeschützten Lagen liegengeblieben. Es war ein ziemlich grober Staub, dessen Partikeln von 5 Zehntelsgramm bis 12 Gramm wogen, die grössten hatten einen Durchmesser von einem halben Zentimeter.
Die Nacht vom 15. auf den 16.Februar verging ohne Zwischenfälle.Von Zeit zu Zeit hörte man aus dem Innern des Berges ein Grollen und Laute, die an das Knallen von zuschlagenden Türen erinnerten. Während einiger Stunden schneite es, und am Morgen bedeckte der Schnee unser Zelt und unser Gepäck, obschon er auf dem Vulkankegel rasch schmolz. Wir entdeckten, dass dies aber eine alltägliche Sache war. Es fielen täglich einige Zentimeter Schnee, dieser hielt aber nur kurze Zeit, trotzdem die Lufttemperatur manchmal bis auf -4 Grad sank. Die Wärme des Vulkankegels bringt ihn zum Schmelzen, der poröse Boden saugt das Schmelzwasser auf, und der Berg dampft von oben bis unten und verursacht die neblige Atmosphäre.
Unsere erste Arbeit am Morgen war, die Unterkunft für unsere Leute zu verbessern und unter ihnen eine Auswahl zu treffen, denn wir hatten zu viele Mäuler zu füttern. Allen Männern von Machachi teilten wir mit, sie könnten entweder nach Hause zurückkehren oder bei uns bleiben; diejenigen, die bleiben wollten, bekämen ausser dem Lohn ein versilbertes Kreuz. Der älteste der Gruppe, Gregorio Albuja, sagte: „ Hätte ich nicht an das geglaubt, wäre ich nicht mitgekommen Ich bleibe. " Er nahm das Kreuz, das ich ihm reichte, küsste es ehrfürchtig und übergab es seinen Kameraden, die ein Gleiches taten. Noch zwei Männer waren einverstanden, mit uns zu bleiben. Die anderen kehrten zurück.
Wir beschlossen, die Bleibenden nach unserem Gutdünken zu kleiden, denn die einheimische Tracht entspricht den Anforderungen des Gebirges nicht. Sie beginnt mit einem Strohhut, der sehr bald vom Wind fortgetragen wird, und endet mit Alpargatas, einer Art Sandalen, die genügen, um auf den staubigen Strassen zu gehen, aber im Schnee und Felsen die Füsse in keiner Weise schützen. Mit unseren überschüssigen Kleidern ausgerüstet, schickte ich sie unter der Führung von Jean-Antoine Richtung Gipfel. Sie waren mit einem Zelt, einer Menge Seile, Proviant und anderem Material beladen. Sie mussten unaufhörlich gegen das Unwetter kämpfen. Die beiden Ecuadorianer machten bald schlapp, und die Hauptarbeit wurde, wie gewohnt, von den Carrels geleistet. Das Wetter war schrecklich. Fast den ganzen Tag hatte es gehagelt und geschneit, dazu kam noch Nebel und ein heftiger Wind, von Donner und Blitz begleitet.
Am 17. Februar dauerte das Unwetter an. Bei Morgendämmerung war die Temperatur -2 Grad, und während der Nacht war sie um einige weitere Grade gesunken. Hingegen hörten wir die aus dem Innern des Kegels kommenden Geräusche, die am Tag zuvor häufig waren, nicht mehr. Um sieben Uhr morgens erschien der Gipfel für einige Augenblicke. Er liess unaufhörlich Wolken entweichen, die vom Kraterrand durch den Wind weit nach dem Norden getragen wurden. Die Hagelgewitter wiederholten sich, und von Zeit zu Zeit zuckten Blitze in einer unheimlichen und sogar gefährlichen Nähe. Man hatte den Eindruck, die Atmosphäre sei mit Elektrizität geladen.
Wenn wir ausserhalb des Zeltes arbeiten konnten, erforschten wir die Umgebung; aber unsere Ausbeute war magerer als auf irgendeinem anderen Berg. Die einzigen Lebewesen, die wir finden konnten, waren die obengenannten Käfer und ein gewöhnlicher Frosch ( Phryniscusloevis Gthr. ). Rings um unser Lager herum und weiter unten war die Lava mit Flechten der Gattungen Stereo- caulon und Lecanora bedeckt, und zwischen 4000 und 4500 m wuchs Baldrian in grosser Menge ( Valeriana Bonplandiana, Wedd. ). Auch sahen wir einige blühende Enziane ( Gentiana Foliosa H. B. K. ) und zwei Kompositen ( Culcitium nivale? und Senecio Humullimus, Sz.B.ip. ). Oberhalb des Lagers fand ich keine Tiere oder Pflanzen mehr. Nur einige Moosbüschel waren auf 4679 m Höhe zu finden, die mit dem Namen Webera mutans Schimp. bezeichnet werden. Übrigens sah alles, was auf der Asche wuchs, schmutzig und elend aus.
Wir hatten unsere Vorbereitungen zum Gipfelangriff beendet. Das Zelt blieb aufgeschlagen und für den Fall eines eiligen Rückzuges gut verproviantiert. In der Nähe des Gipfels hatten wir Proviant für einige Tage, falls wir oben aufgehalten werden sollten. Am Morgen des 18. Februars war das Wetter ausserordentlich schön, und der Gipfel kam für einige Stunden in Sicht. Ich schickte Jean-Antoine Carrel mit zwei Eingeborenen voraus. Um 5.20 Uhr folgte ich mit Louis, und um 6 Uhr holten wir sie bei etwa 5200 m ein. Wir hatten eine schöne Aussicht auf Sincholagua ( 4988 m ) Antisana ( 5893 m ) und Cayambe ( 5848 m ), und wir betrachteten letztern durch das Fernrohr, in der Absicht, einen Anstiegsweg zu finden. Der Antisana ist etwa 45 Kilometer entfernt und nach ONO orientiert; hinter ihm, in einer Höhe, die ich auf mehr als 7000 m schätzte, erhob sich eine Anhäufung von Kumuluswolken. Ich habe nie gehört, dass Kumuluswolken eine grössere Höhe erreichen.
Über die Route, der wir folgten, war die Besteigung des Cotopaxi ein Spaziergang. Am besten kann ich unseren Weg beschreiben, wenn ich sage, dass wir dem wenig ausgesprochenen Rücken folgten, der vom Gipfel zum Mont Ruminahui abfällt. Es stand uns keine Kletterei bevor. Unser unteres Lager befand sich 2500 m vom Krater entfernt, und wir hatten 1300 m Höhenunterschied zurückgelegt. Auf 4700 m fanden wir vereinzelte Schneefelder, und etwas höher konnten wir immer im Schnee steigen bis zum Hang, wo ich beabsichtigte, ein Lager einzurichten. Um regelmässig zu steigen, seilten wir uns alle an; dieses Verfahren überstieg das Verständnis unserer Eingeborenen. Als wir aber anfingen, Stufen zu schlagen, verwandelte sich ihre Überraschung in Verblüffung. Das Interessanteste, das ich in diesem Teil des Berges bemerkte, war die Anwesenheit von Gletschern auf dem obersten Teil des Vulkankegels. Beidseitig von uns zogen sie sich bis 150 Meter zum Gipfel hinauf. Sie waren aber so mit Asche bedeckt, dass es schwer festzustellen war, wo sie anfingen und wo sie endeten. Aus diesem Grund ist es unmöglich, sie von der Ferne als solche zu erkennen.
Um 11 Uhr morgens erreichten wir den Fuss des grossen, zum Kraterrand führenden Aschen-hanges, an der Westseite des Gipfels. Das war der steilste und der mühsamste Teil unseres Aufstieges. Der Hang ist mit ausgespienem Material bedeckt, das sich bis zum natürlichen Böschungswinkel anhäuft. Ich denke, dass die Neigung nicht mehr als 37 Grad erreichte. Wir liessen unsere Lasten am Hangfuss, während wir weiterstiegen und entdeckten, dass Eiszungen hie und da der Schuttmasse eine Stabilität verliehen, ohne die sie bei jedem unserer Schritte gerutscht wäre.
Wir beeilten uns auf diesem unsicheren Hang, und punkt zwölf Uhr erreichten wir den westlichen Rand des Kraters. Der Krater war beinahe mit Rauch und Dampf gefüllt, die, vom Wind aufgeweht, die Sicht behinderten. Die gegenüberliegende Seite konnten wir kaum erblicken, und der Grund blieb uns vollständig unsichtbar. Jedoch wurden Dampf und Rauch bald in die eine, bald in die andere Richtung geweht, so dass wir uns eine ziemlich gute Ansicht von der allgemeinen Form des Kraters machen konnten; aber erst in der Nacht konnten wir ihn als Ganzes sehen.
Kurz nach unserer Ankunft zeigte uns ein aus der Tiefe kommendes Grollen, dass das „ Tier " ( so nannte Carrel den Vulkan ) am Leben war. Wir hatten uns im voraus verabredet: im Fall einer Eruption sollte jeder für sich einen Unterschlupf suchen; um das Ausrüstungsmaterial würden wir uns nicht kümmern. Als wir das Dröhnen hörten, sagten unsere Gesichter: „ Rette sich, wer kannBe-vor wir aber Zeit hatten, ein Wort auszusprechen, wurden wir von einer Wolke frischen, aber un- schädlichen Dampfs eingehüllt. Wir beschlossen zu bleiben. Die erste wichtige Sache war, das Zelt aufzuschlagen. Wir fanden, dass es unvorsichtig wäre, das Lager in der Nähe des Kraterrandes, am höchsten Punkt des Hanges, einzurichten, wegen des Windes und der Blitzgefahr; übrigens, je mehr ich den Hang prüfte, um so weniger gefiel er mir. Er war kahl und rutschte bei jeder Bewegung. So gingen Jean-Antoine und ich auf die Suche nach einem günstigeren Ort. Aber nachdem wir während mehreren Stunden die Flanke des Kraters erfolglos durchsucht hatten, kehrten wir zu den anderen zurück und machten uns an die Arbeit, um einen Platz in der Asche herzurichten. Dies erwies sich als lang und mühsam. Im Gegensatz zum Schnee konnte die Asche nicht festgestampft werden. Endlich gelang es uns jedoch, den Grund zu festigen. Die Spannseile des Zeltes wurden an grossen Lavablöcken befestigt. Mit unserem grossen Seil erstellten wir ein etwa 75 Meter langes Seilgeländer bis zum Kraterrand. Als alles fertig war, schickten wir die Eingeborenen ins Basislager zurück. Ich blieb mit den beiden Carrels allein.
Kaum hatten wir unsere Vorbereitungen beendet, als sich ein heftiger Windstoss erhob und alles wegzufegen drohte. Während einer Stunde fragten wir uns, ob unser Zelt dem Sturm widerstehen werde. Aber er legte sich ebenso plötzlich, wie er sich erhoben hatte, und von dem Moment an störte uns der Wind kaum. Während all der Zeit hatten wir noch einen anderen Grund zu Besorgnis. Es begann nach verbranntem Gummi zu riechen, und als ich die Hand auf den Zeltboden legte, stellte ich fest, dass er zu schmelzen drohte. Ein auf den Boden gelegtes Thermometer zeigte 43 Grad Wärme! An der anderen Seite des Zeltes zeigte es nur noch 10 Grad und in der Mitte 22,5 Grad. Diese Temperaturen hielten sich die ganze Zeit unseres Aufenthaltes. Im Freien war die Luft sehr kalt, sogar am Tag. In der Nacht vom 18. Februar war das beobachtete Temperaturminimum -10 Grad, die tiefste Temperatur, die ich während meiner ganzen Reise beobachtete.
Bei hereinbrechender Dämmerung richteten wir uns im Zelt ein. Ich möchte nun die Gründe erwähnen, die uns auf den Gipfel des Cotopaxi zogen. Es waren drei Hauptfragen, auf die ich eine Antwort finden wollte: 1. Werden wir bei zunehmender Höhe und bei einer Drucksenkung, die uns am Chimborazo ausser Gefecht gesetzt hatte, die gleichen Wirkungen empfinden, unter denen wir an jenem Gipfel so gelitten hatten? 2. Oder sind wir jetzt an einen Druck von 40,6 cm akklimatisiert? 3. Falls wir an diesen tiefen Druck tatsächlich gewöhnt sind, können wir während längerer Zeit bei einem tieferen Druck bleiben, ohne zur Tatenlosigkeit verurteilt zu werden?
Während des Aufstieges hatte ich meine Leute mit einer Mischung von Neugier und Angst beobachtet. Ihr Schritt war eher langsam, aber regelmässig. Zwischen 5480 m und 5790 m machten sie 360 Schritte, ohne anzuhalten. Weder während des Aufstieges noch auf dem Gipfel konnte ich etwas Abnormales bemerken, ausser dem Bestreben, sich zu setzen, das uns auf grossen Höhen immer ankam, und der Neigung, durch den Mund zu atmen. Jedoch am Chimborazo kam unser Zusammenbruch plötzlich. Wir fühlten uns gut in einer Stunde und schlecht in der nächsten. Das Unwohlsein befiel uns ohne Voranzeichen. Plötzlich litten wir an Kopfschmerzen und Atemnot. Die Stunden auf dem Gipfel des Cotopaxi vergingen aber, ohne dass etwas Ähnliches geschah. Jean-Antoine weigerte sich, jegliches Unwohlsein einzugestehen. Louis gab zu, ziemlich heftige Kopfschmerzen zu spüren; ich hatte leichte. Und das war alles, die Müdigkeit ausgenommen, die uns auf grossen Höhen immer befällt. Am Chimborazo hatten wir alle Fieber. Sogar als es mir besser ging, blieb meine Temperatur auf 38 Grad, bei einer Lufttemperatur von 9 Grad. Auf dem Cotopaxi überstieg sie nicht 37 Grad. Kurz gesagt, während den 36 Stunden, die wir auf dem Gipfel des Cotopaxi verbrachten, vom 18. Februar mittags bis am 19. um 14 Uhr, spürten wir keine Auswirkungen des tiefen Druckes ausser denjenigen, die ich erwähnt habe. In der Nacht stiegen wir zum Krater. Die Atmosphäre war kalt und heiter. Wir hörten das dumpfe Grollen des Dampfes, der von Zeit zu Zeit entwich. Unser langes Seil war befestigt worden, einerseits, um uns in der Dunkelheit als Führung zu dienen, und andrerseits, um den Hang nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Während ich aufstieg, war ich auf jedes dramatische Ereignis gefasst, denn die von unten rot angeleuchteten Dampfschwaden deuteten auf die Anwesenheit des Feuers hin. Ich ging langsam vorwärts, kriechend, als ich mich dem Rand näherte. Dann beugte ich mich neugierig, um das Unbekannte anzuschauen. Carrel hielt mich an den Beinen fest:
Der Dampf verhüllte den breiten Krater nicht mehr, obschon er zuvor hierhin und dorthin verweht wurde. Wir entdeckten einen Kessel von 700 Meter Durchmesser, von Norden nach Süden, und 500 Meter, von Osten nach Westen, mit einem rauhen, gezackten, unregelmässigen und rissigen Rand. Die Kesselwände fielen steil ab. Sie waren teilweise verschneit, teilweise von Schwefelkrusten überzogen. Spalten spien Rauch aus. Die Wände waren bis auf halbe Höhe rot erleuchtet. In der Tiefe, etwa 350 Meter unter uns, zeichnete sich ein grober Kreis ab, dessen Durchmesser ungefähr ein Zehntel desjenigen des Kraters betrug. Es war der Verbindungskanal zum Inneren des Vulkans, mit leuchtender, flüssiger Lava gefüllt. Flammen züngelten an der Oberfläche, aufleuchtend wie ein Holzfeuer. Feuerzungen stiessen aus den Spalten der umliegenden Wände.
Jede halbe Stunde stiess der Vulkan Dampfwolken aus, die den Rand überbrodelten und uns ständig umhüllten. Sie machten einen Lärm ähnlich dem beim Dampfablassen eines grossen Schiffes. Der Dampf schien rein, und wir sahen keine festen Partikeln. Dennoch war am Morgen unser Zelt von schwarzen Ablagerungen bedeckt. Diese unterbrochenen und heftigen Ausstösse von verhältnismässig kleinen Dampfmengen erfolgten in bemerkenswert regelmässigen Zeitabständen während unseres Aufenthaltes auf dem Gipfel, aber ich kann daraus nicht schliessen, dass sie ständig stattfinden. Diejenigen, die vor mir auf dem Cotopaxi waren, sprechen nicht davon. Die Ausstösse waren sicher derselben Art, obschon schwächer, als diejenigen, die wir vor einigen Wochen am Sangai beobachtet hatten. Ich bin nicht imstande, diese Erscheinung zu erklären, wenn man voraussetzt, der Kamin sei mit flüssiger Lava gefüllt. Ich nehme an, dass die im Kanal enthaltene Lava sich im Zustand der Abkühlung befand; sie schloss die Spalten und hielt den Dampf zurück, der auf diese Weise zusammengedrückt genug Kraft sammelte, um momentan zu entweichen. Ich stelle mir vor, dass der Vorgang des Sichsetzens und Verschliessens sich nach jedem Ausstoss wiederholte, bis eine heftigere Explosion den Kamin wieder öffnete. Dann konnte der Dampf ohne Hindernis entweichen, wie wir es oft beobachtet hatten. Manchmal war der Kamin vollständig verstopft, was dem Vulkan den Anschein einer ungewöhnlichen Ruhe verlieh.
Am Morgen des 19. standen wir vor Tagesanbruch auf und machten Vermessungen am westlichen Hang des Kraters. Ich machte Photoaufnahmen und bestimmte die Höhe mit dem Barometer. Nach unseren Feststellungen hat der Gipfel eine Höhe von 5978 m. 1872/73 fanden die Herren Reiss und Stübel eine Höhe von 5943 m nach dem gleichen Verfahren. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts bestimmte La Condamine die Höhe mit 5750 m. Da grosse Fehler bei diesen Bestimmungen wenig wahrscheinlich sind, scheint der Cotopaxi im Laufe von anderthalb Jahrhunderten beträchtlich an Höhe zugenommen zu haben.
Die Zeit zum Abstieg war gekommen. Um 11.30 Uhr hätten unsere Ecuadorianer aufsteigen sollen, um uns zu helfen, unser Gepäck zu tragen. Das Wetter war aber so schlecht, dass sie es vorzogen, uns die ganze Arbeit zu überlassen. Wir liessen unsere grössten Lastballen am Fuss des Aschenabhanges und stiegen schwer beladen bis zum ersten Lager ab. Louis hatte empfindliche Füsse und konnte nicht an dem Rennen teilnehmen, das sich zwischen Jean-Antoine und mir entspann und bei dem wir in 110 Minuten einen Höhenunterschied von 1300 m abstiegen. Es verliefen noch zwei Tage, bis die Lasttiere von Machachi eintrafen, und erst am Abend des 21. entfernten wir uns vom Cotopaxi. Die Nacht war dunkel und der Weg kaum sichtbar. Das Geläute des Weilers führte uns jedoch bis dorthin, und wir errichteten unser Lager wieder in der Kapelle von Pedregal.
Die letzten Eingeborenen von Machachi kehrten dann heim. Die Behörden beeilten sich, sie auszufragen, denn diese Naivlinge hatten die fixe Idee, dass wir nach Gold suchten.
„ Erzählt uns, was sie gemacht haben ?!"
Doch meine Leute antworteten:
„ Der Doktor, wie ein König angezogen, ging von einem Ort zum anderen und schaute rings herum; aber kurz nachher schienen der Senor Juan und der Senor Luis Angst bekommen zu haben, denn sie banden ihn mit einem Seil an. "
„ Genug von diesen Geschichten. Sagt uns, ob sie den Schatz gefunden haben ?"
„ Wir denken ja. Sie gingen auf allen vieren, um ihn zu suchen. Was sie gefunden haben, haben sie in Papier eingewickelt und mitgenommen. "
„ War das Gold ?"
„ Wir wissen es nicht, aber es war sehr schwer. "
Obschon richtig, war die Auskunft irreführend. Das königliche Gewand bestand aus einem Ulster, einem Schlafrock darunter, das Ganze mit einem Südwester gekrönt. Was die „ Schätze " anbetrifft, die wir mitnahmen, so waren es Lavamuster des Kraters und des Hanges.
Der Cotopaxi hatte kein Anzeichen eines sich nähernden Zerfalls gezeigt und könnte noch viele Jahrhunderte der höchste tätige Vulkan der Welt bleiben. Sollte aber seine Tätigkeit aufhören, so könnte der Sangai, der Tunguragua oder der Pichincha zum grössten Vulkan Ecuadors werden. Der grosse Kegel würde dann von Gletschern bedeckt, und an Stelle des unterirdischen Grollens würde das Krachen der Eislawinen ertönen. Sein Krater würde verschwinden, und die Schneeflocken würden ihn in einen majestätischen Dom, noch höher als der Chimborazo, verwandeln. » ( Aus dem Französischen übersetzt von Nina Pfister )