Die Bergliteratur in Italien
Von Vincenzo Fusco. Die Jüngsten und die Soldaten.
Was die Dreitausender anbetrifft, reizt es mich, wieder von einem Buche von De Simoni, « Ragazzi sui 3000 », zu sprechen. Es ist bestimmt, verdient es auch, in der Gebirgsliteratur als ein Markstein zu stehen für das, was der Jugendalpinismus von gestern, d.h. vor ca. zehn Jahren, war; als die Geringschätzung der Gefühlswerte im eigentlichen Alpinismus unter den Jungen noch nicht zur verbreiteten Mode geworden war; als es indiskret war, sich mit dem Titel « Alpinist » zu brüsten, denn es bedeutete, das Innerste seiner Seele dem unehrerbietigen Blick der andern biossiegen, die Reinheit des eigenen, kindlichen Enthusiasmus dem abschätzigen Urteil des gestalt-losen Publikums preisgeben.
Unter den jüngsten schreibenden Alpinisten finden wir eine Frau: Lina Castelli. Sie ist uns schon durch ihre schöne Arbeit « Ride Natura intorno e benedice » bekannt, mit der sie sich am Wettbewerb um den Literaturpreis Montagna beteiligt hat. Ich spreche hier nochmals von ihr, um an das vor ein paar Jahren geschriebene Buch « La montagna non delude » zu erinnern, welches nicht nur einen schönen Beitrag an die Gebirgsliteratur darstellt, sondern mit starker Sensibilität und reichen Mitteln die Gefühle und Empfindungen einer Bergsteigerin zum Ausdruck bringt. Für denjenigen, der, wie wir, bis heute vergeblich nach einem unverfälschten Ausdruck weiblicher Psyche in bezug auf den Alpinismus gesucht hatte, stellte dieses Buch der Castelli wirklich etwas Entscheidendes dar: es hat den ersten Beitrag an das Kapitel « Die Frau auf den Bergen » geleistet. In den Kapiteln « Disordine », « La eco della montagna », « La guida » stellen wir eine auserlesene Feinheit und einen lautern Ausdruck fest, der frei ist von Konventionellem oder falscher Scham. Die Verfasserin erweist sich als feine Beobachterin, manchmal mehr als erstaunte Zuschauerin denn als Psychologin und fast unfähig, über eine schwache Analyse ihrer eigenen, reinen Gefühle hinauszugehen. Manche Seite ist fast kindlich, so sehr zieht die Gebirgswelt sie in ihren Bann und versetzt sie in Begeisterung und freudige Erregung. Es ist ein schönes Buch, sogar kühn, ein wertvolles Vorbild für die vielleicht zahlreichen andern Bergsteigerinnen, die darin einen Ansporn finden könnten, um die Gebirgsliteratur durch neue Werke zu bereichern.
Dieses Buch darf als würdige Gesellschaft dem Werk der andern Schriftstellerin, Tiziana Melli, zur Seite gestellt werden. Von ihr möchten wir unter anderem « Prati e ghiacciai » erwähnen. Darin ist allerdings mehr Farbe, mehr Bestimmtheit. Der Satz ist oft gezwungen, sich an der Idee der behandelten Gegenstände selbst zu erwärmen. Daher scheint mir, die weibliche Sensibilität der Schriftstellerin werde manchmal etwas verhüllt durch das Feuer der Diskussion oder durch die glühende Einbildungskraft.
In dieser Folge von Bergbüchern, von der ich immer wieder spreche, finden wir im wesentlichen, dass jeder Autor, jeder schreibende Bergsteiger sich vor die Aufgabe gestellt sieht, eine grosse, oft unbeschreibbare Wirklichkeit zu schildern, und zwar mit eigenen Mitteln, d.h. mit der eigenen Sensibilität, mit der eigenen Beobachtungsgabe, mit dem eigenen Scharfsinn, mit der eigenen Bildung, mit einem persönlichen Stil endlich. Diese Wirklichkeit ist manchmal ungeheuer, unmessbar wie der Horizont von einem Gipfel aus; manchmal sehr klein, fast ärmlich und anspruchslos, wie der Staub eines Fussweges; bald ist sie menschlich, lebensvoll, aufregend unter der grossen Anstrengung einer Besteigung; bald universell, beängstigend, verwirrend. Eine Wirklichkeit, die man jetzt in der Vielheit, ja Zahllosigkeit der Ausdrucksformen sieht, und die sich daraufhin wieder auf eine einzige Einheit, ein einziges Gesetz, eine einzige Bedeutung zurückführen lässt. Diese Wirklichkeit formt sich der Schriftsteller nach eigenem Willen, nach eigener Inspiration und Erfahrung; und schliesslich sieht er sich als Mittelpunkt unendlich vieler Strahlen, die ihn, das Atom, mit der grossen Welt der Berge, der Natur, des Lebens verbinden.
Eine Art Gebirgsliteratur, die auf den ersten Blick jene Grenzen von Menschlichkeit und Tatsächlichem, von denen wir gesprochen haben, nicht zu überschreiten scheint, ist diejenige, welche sich den Stoff im Gebirgskrieg sucht und die unter den Italienern sehr tüchtige Vertreter gefunden hat. Es ist zu allen Zeiten und überall sehr viel über den Krieg geschrieben worden; aber um zu dem zu gelangen, was uns am meisten am Herzen liegt, möchte ich an ein paar wenige Namen erinnern, für die der Titel ein Trinom wird: Bergsteiger-Schriftsteller-Krieger. Wir erleben die Seiten voller Menschentum und Leidenschaft von Mario Zino mit « Dove sei stato... », von Ubaldo Riva ( « Gli alpini son fatti così », « Quasi quasi una fantasia », « Di guerra e di pace », « La canzone dell' Alpino » ), von Angelo Malinverni ( « 0 luna, o luna, tu me lo dicevi » ), von Antonio Berti ( « Guerra in Cadore » ), von Umberto Fabbri ( « Sulle cime » ), von Renzo Boccardi ( « Uomini contro montagne » ), von Piero Jabier ( « Con me e con gli alpini » ), von Vittorio Stenico ( « L' Adamello nella storia della Guerra » ). In all diesen Büchern, deren Haltung trotz aller Fröhlichkeit immer würdevoll und ergreifend bleibt, werden die leidenschaftlichen und aufregenden Wechselfälle erzählt, die aus der erhabenen Vereinigung der Ideale « Vaterland-Gebirge » erwachsen.
Ehre den Pionieren.
Wenn Ihnen ein etwas vergilbtes Buch in die Hände kommt mit dem Titel « Alpinismo », Ausgabe 1890, so schrecken Sie nicht zurück, indem Sie murmeln: « Das riecht nach dem letzten Jahrhundert. » Paolo Lioy verdient es nicht. Nachdem er seine Bücher « In montagna » und « In alto » publiziert hatte, arbeitete er das letztere um und gab ein erweitertes, zum Teil ergänztes und neu gestaltetes Werk heraus, dem die Verleger den Titel « Alpinismo » beilegten. Es ziemt sich, hievon etwas ausführlicher zu sprechen, als das alte Datum es zu rechtfertigen scheint, denn es ist in der damaligen italienischen Gebirgsliteratur nicht nur etwas Neues gewesen, sondern es ist heute noch eine Quelle, aus der man häufiger und mit weniger Misstrauen schöpfen sollte.
Die Inhaltsangabe der 34 Kapitel hinterlässt den Eindruck, dass die Themata vielseitig gewählt und tiefschürfend behandelt sind. Sie sind so, dass sie den Titel der ersten Ausgabe « In alto » vollkommen rechtfertigen, eher als denjenigen der zweiten.
Im Verzeichnis finden wir: Ausserhalb der gewöhnlichen Welt; Am Alpenfuss; Von Dante zu Mendelssohn; Wasserfälle und Höhlen; Schafe und Wölfe; Zwischen Gestrüpp und Fels; Letzte Dörflein; Führer; Die Gletscher; Letzte Felsen; Auf dem Gipfel; Höher hinauf.
Der Verfasser ist ein gebildeter Geist, der jedoch mit seiner Gelehrsamkeit nicht Parade machen will, sondern sie in sympatischer Weise in den Dienst des Lesers oder desjenigen stellt, der sehen und lernen will. In diesem Buche finden wir einen Vertreter jener Richtung, die ich als naturalistisch bezeichnen möchte. Ungefähr mit Stoppani aufgekommen und durch viele andere weitergeführt, so durch Sella im besondern in bezug auf die alpine Natur, übersetzt und verbreitet diese naturalistische Richtung das, was die Naturwissenschaft und die Geographie, die Kunst und die Kultur ihren leidenschaftlichen Förderern eingeben. Immerhin würde die Entstehungszeit des Werkes nicht einen Inhalt vermuten lassen, der die Grenzen der Tradition weit überschreitet, die ja in erster Linie in jedem Werk dieser Art Belehrungen und Merkwürdigkeiten aus Geographie und Naturwissenschaft haben wollte. Natürlich finden auch diese hier weiten Raum; aber sie gewähren doch der intimeren, subjektiveren, kulturellen Seite, wo man nicht nur auf der Suche nach naturwissenschaftlichen Wahrheiten ist, einen Platz, der aller Beachtung wert ist; jener Seite, die den Geist des Alpenwanderers nährt und ihm die tiefsten, unaussprechlichsten, edelsten Freuden vermittelt. Lesen Sie das Kapitel über « Natur, die dem Himmel am nächsten steht », und Sie werden das köstliche Empfinden erleben, durch ausgedehnte Blumenwiesen über die höchsten Weideplätze geführt zu werden, wo die Büsche zu Zwergen werden, die Fichten und Arven sich krümmen, wo alles sich duckt, als wäre es eingeschüchtert worden durch etwas Übermenschliches, Un-menschliches, das unsichtbar verborgen, aber allgewaltig, darüber erhaben steht, das Leben.
Die Welt der Gipfel ist so dargestellt: Ohne dass man sie beim Namen nennt, diese prunkende Vorhalle, die schon nicht mehr nach Heu duftet und noch nicht nach Felsen riecht und den Übergang zum Höchsten darstellt. Es ist die ernste, klösterliche Alp, die sich der Liebe verschliesst; alles wird einfach, primitiv, passt sich der Umgebung an: « Selbst die Stimme nimmt einen besondern Charakter an; sie ist wie ein im absoluten Schweigen verlorner Ton. » Ich überlasse es dem Leser, das Studium von Paolo Lioy selber weiterzuführen. Die Freude wird ihm nicht versagt bleiben. Ich aber möchte den Verfasser mit ein paar andern Autoren in Verbindung bringen.
Alfredo Baccelli hat in seinen Schriften machtvolle Seiten, die auch für den modernen Alpinisten noch von Interesse sind; Seiten voll Vitalität und Begeisterung über Ausflüge und Besteigungen, von denen man mit freierer Seele und einem für aufrichtige Gefühle empfänglicheren Herzen heimkehrt. Baccelli ist Dichter. Auch in « Vette e ghiacci » legt er einen Teil seines feinen poetischen Gefühls, das ihn die zart empfundenen Gedichte von « La poesia delle Alpi » schreiben liess.
Bestimmter und fast professorenhafter als Baccelli, aber nicht weniger leidenschaftlich und begeisternd, ist Mario Cermenati, dessen Buch « Cose di Alpinismo » geradezu ein Wegweiser für die italienische Gebirgsliteratur anfangs des 20. Jahrhunderts ist. Er selbst zeichnet in seinem lapidaren Vorwort die Linie, die er in seinem Werke einzuhalten gedenkt: « Es liegt mir hauptsächlich daran: Unter der italienischen Jugend ein paar neue Alpinisten zu gewinnen und etwa einen ehemaligen Kletterer durch die Erinnerung an die genossenen Schönheiten mit seinem Schicksal zu versöhnen. Mit diesen Seiten verfolge ich kein anderes Ziel. » In der Tat fände man darin mehr als nur Trost für einen alten Kletterer. Wenn Lioy als Naturalist ein scharfer Zergliederer und Förderer der Beziehungen und Zusammenhänge zwischen Alpinismus und Umwelt war, so ist Cermenati es nicht weniger auf dem Gebiete der Beziehungen zwischen der Bergwelt und den schönen Künsten, besonders der Musik. In bezug auf die Musik gelingt es ihm, seine Beobachtungen und Gedanken mit Hilfe einer sehr gründlichen Kenntnis der Materie auszudrücken. Immerhin darf man nicht verschweigen, dass er besonders in den Kapiteln, die etwas Chronik verlangen, ein wenig weitschweifig ist. Die Geläufigkeit und der Bau des Satzes sowie die Schönheit des Gedankens lassen aber diesen Mangel gerne verzeihen.
Viele Bergschriftsteller sind also auch die Sänger der Berge, und wenn sie sich auch nicht immer in Versen ausdrücken, heisst dies nicht, ihre Seele sei weniger poetisch als diejenige der andern, denen Erato und Kalliope den leichten Reim in die Wiege gelegt haben.
So ist in Antonio Fogazzaro, in dessen Werken wir gewiss viel schöner Poesie begegnen, der Bergschriftsteller nicht sichtbar: « Valsolda » ist für uns kein überzeugendes Buch; ich möchte sagen, dass sein Titel nicht genügend ist, um unter die Bergliteratur aufgenommen zu werden; und der kurze Hinweis in den Versen « II poeta e la rupe » ist mehr ein Geständnis der Schwäche als die Anzeige eines Programms. So ist auch « La piccozza » von Pascoli für uns nicht entscheidend genug, ihn unter die Dichter der Berge einzureihen. Und so liessen sich die Beispiele vermehren.
Bevor ich von einer Gruppe moderner Schriftsteller spreche, füge ich eine kurze Bemerkung bei über « In alta montagna » von Ildefonso Clerici. Seine Absichten waren sicherlich die besten; aber die Unvollkommenheit des Ausdrucks, der Form und der Methode stehen dazu nicht im richtigen Verhältnis, so dass das Buch von einem merkwürdig schwachen Lichte, gleich dem einer Sterbekammer, erleuchtet scheint.
Feder und Pickel.
Es ist sehr interessant, zu beobachten, wie die Gebirgsliteratur des neuen Jahrhunderts der überaus raschen alpinistischen Entwicklung der Neuzeit gefolgt ist. Der Alpinismus hat, nachdem er am Ende des letzten Jahrhunderts durch seine Pioniere siegreich aus dem Kampfe herausgeführt worden war, eine Zeit fortwährenden Aufstiegs erlebt. Nach der langen Unterbrechung in der Zeit des Weltkrieges, während welcher der latente Zustand die Energien vervielfachte, hat der Alpinismus in den letzten zwanzig Jahren jenen Evolutionsprozess durchgemacht, d.h. die Entwicklung der der Zeit, was wohl das Vorhandensein vieler Energien anzeigt, aber nicht immer Fortschritt oder Tendenz zum Bessern bedeutet hat. Es ist hier nicht der Ort, die Frage nach Wesen und Wert des Alpinismus wieder aufzurollen. Sie ist zwar nicht vergessen, wohl aber in letzter Zeit totgeschwiegen worden. Halten wir uns vielmehr an die literarischen Auswirkungen, d.h. an eine möglichst objektive Chronik.
Der Büchertyp, der die ersten Anfänge und Jahre des Alpinismus begleitete, war, wie wir teilweise gesehen haben, erzählender Art. Die Bücher waren reich an erläuternden Bemerkungen, nützlichen und löblichen Betrachtungen. Oft waren sie originell und lehrreich. Die ersten schreibenden Alpinisten hatten, man kann wohl so sagen, das Bedürfnis, den andern von den gesehenen Schönheiten, den herrlichen Erlebnissen und gemachten Erfahrungen zu erzählen; immer mit der Absicht, Rekruten anzuwerben, vor ihren Augen erlebte Wirklichkeit, geschaute Schönheit erstehen zu lassen und ihnen das Warum der beobachteten Phänomene zu erklären. Eine lehrhafte Darstellung ist oft auf wissenschaftlichen Elementen aufgebaut.
Mit all dem befassen sich die heutigen Bergschriftsteller nicht. Empfindungen, befriedigtes Streben, genossene Freuden, Leiden und Entbehrungen liefern nicht Stoff zur Belehrung Uneingeweihter. Ihre Bücher sind ein Teil ihrer selbst, Stücke ihrer Seele, die sich zerwühlt, um sich auszudrücken, ihres Geistes, der sich anstrengt, um die Erinnerungen festzuhalten, ihres Herzens, das unter der Macht lebendig gebliebener Erlebnisse bald in Leidenschaft aufwallt, bald sich in eisigem Schreck zusammenzieht. Sinneseindrücke, innere Kämpfe, Auflehnung der Sinne, männlicher Widerstand, von der Furcht eingeflüsterte Ratschläge, auflodernde Begeisterung, Beklemmungen der Angst: dies ist der Inhalt der modernen Bergbücher. Natürlich besteht die episodenhafte und aufs Ganze gehende Erzählung; aber diese ist ein Hintergrund, fast möchte ich sagen, eine blosse Voraussetzung. Die Kraft, die in uns die Gefühle des Schriftstellers wieder hervorruft, ist nicht seine Erzählung, sondern jene Art « Selbstbekenntnis », wenn man einem so subtilen Gegenstand eine derart vieldeutige Bezeichnung beilegen darf.
Indem ich nochmals auf alle Werke von Guido Rey hinweise, erwähne ich weiterhin « Ricordi di montagna » von Franco Grottanelli; « Nella gloria delle altezze » und « Nella catena del Monte Bianco » von Agostino Ferrari; « Dalla vita di un alpinista » von Giulio Kugy; « Alpinismo contemplativo » von Adolfo Balliano; « II libro dell' Alpe » von Giuseppe Zoppi; « Uomini e imprese del Monte Rosa » von Eugenio Fasana; « La grande parete » und « II giardino delle Rose » von Giuseppe Mazzotti; « A fil di cielo » von Attilio Viriglio; « Arram-picare » von Marcello Piloti; « Cordate » von Mario Mazzolai; « Le raye di Solei » des Abbé Henry; « Le stelle e i rododendri » von Sandro Prada; « L' anima della montagna » von Luigi Agostino Garibaldi; « Barnabo delle montagne » von Dino Buzzati Traverso; « Das Letzte im Fels » von Domenico Rudatis; « Andrem sulla montagna » von Lorenzo Bracaloni; « Scalatori » von Borgognoni und Titta Rosa; « Dalle Ande all' Himalaya » von Pietro Ghiglione; dann die Werke der schon genannten Ubaldo Riva, Eugenio Sebastiani und einiger anderer. Die oben angeführten Werke sind nicht nach ihrem Werte geordnet. Es finden sich darunter einfache Eindrücke, erhabene Empfindungen; Bücher in jeder Hinsicht vollkommen, andere in irgendeinem Punkte kritisierbar; kostbare, sehr schöne, gefällige, nützliche, anziehende Bücher.
Wenn man Statistik treiben wollte, so könnte man sagen, die literarische Produktion sei nicht gerade gross, besonders wenn man die enorme Zahl derjenigen rechnet, die in die Berge gehen; aber was nützt es, dass viele schreiben, wenn wenige lesen? Wir wollen uns nicht etwa der Illusion hingeben, dass viele der angeführten Werke der Mehrzahl der Bergwanderer bekannt seien; obwohl es sich dabei nur um eine unvollständige Zusammenstellung handelt. Diese Wahrheit über mangelnde Kenntnis springt einem in die Augen, wenn man sieht, mit welcher Weitschweifigkeit in alpinistischen Kreisen über Gemeinplätze gesprochen und geschrieben wird, und zwar mit einer Haltlosigkeit wie ein im Dunkel Herumtappender. Wir müssen den Staub von den Bergbüchern wischen; es ist nötig, dass die Gedanken desjenigen, der über Dinge, welche wir verstehen können und wissen müssen, gut geschrieben hat, wieder in Erinnerung gerufen und neu überdacht werden.
Bei den Dajak, den Kopfjägern auf Bornéo, besteht noch die Überzeugung, dass die Macht eines Stammes von der Geistesreserve abhänge, die sich mächtig erhalten lasse durch die Besitzergreifung der Seelen der Starken: daher werden die starken Feinde getötet; die Jagd nach Köpfen bedeutet Jagd nach Seelenkraft.
Was für eine Belehrung gebt ihr uns, ihr Wilden auf Bornéo! Die Starken haben ihre beste Kraft für uns in die schönen Bücher gelegt. Diese können wir lesen und die Köpfe der Autoren, wenn es sein muss, den Wilden auf Bornéo überlassen ( wo die Bücher ganz augenscheinlich spärlich sind ). Warum sollen wir solchen Schatz nicht zunutze ziehen?
Und warum sollen wir nicht selber schreiben?
Ist es möglich und wünschenswert, die Bergliteratur zu vermehren?
Es ist zu bekannt, als dass ich es hier als Neuigkeit sagen könnte, aber es darf nicht verschwiegen werden: der Reichtum an Eindrücken, Empfindungen, Belehrungen, denen der Alpinist bei jeder Begegnung mit dem Berg untersteht, erfüllt seinen Geist und seine Seele derart, dass er diesen Schatz nicht nur eifersüchtig in sich verschlossen hält, sondern versucht wird, die andern teilhaben zu lassen, alle andern, die um ihn herum leben und die oft nicht begreifen, welch eine Flamme ihm im Herzen brennt; welch eine Flamme dort oben, auf jenem Gipfel lodert, die nur seine Phantasie sieht, die nur in seinem Gehirn lebt, genährt von einem jener erhabenen, durchlebten und wiedererweckten Augenblicke. Ich füge bei, dass der Alpinist, auch ohne das Bedürfnis, andere zu überzeugen, den Drang in sich fühlt, zu schreiben, damit das Erlebte noch einmal an seinem Geiste vorüberziehe.
Er empfindet das Bedürfnis, sein Herz zu entlasten, da es zu menschlich ist, um so viel Göttliches fassen zu können; den Überfluss des Herzens zu sammeln und dafür zu sorgen, dass nichts verloren gehe, dass all das Schöne uns erhalten bleibe für die Zeit, da die Erinnerung versagen könnte. Und manchmal muss der Mensch schreiben, um sich zu überzeugen, dass er mit seiner Leidenschaft nicht einer Torheit verfallen sei, dass sie nicht eine inhalts-lose, flüchtige Chimäre, ein leerer, unwirklicher Idealismus sei. Er muss schreiben, um eine Bilanz seines Schatzes zu gewinnen, gleich wie der Reiche seine Konten führt, um seinen Besitz zu erfahren.
Dies ist das Bedürfnis, aus dem heraus natürlich nicht immer eine literarische Produktion wächst. Etwas aber ist feststehend: Wenn Alpinisten schreiben, haben sie in der Regel wirklich etwas zu sagen. Es ist also nicht die Inspiration, die fehlt, noch mangeln die elementaren Mittel, der gute Wille und der Wunsch. Es ist manchmal vielmehr eine eifersüchtige, kindliche Schüchternheit, eine gesunde Schamhaftigkeit im Wissen, dass andere es lesen und — für unbedeutend, vielleicht lächerlich ansehen würden. Nicht einmal der Gedanke, dass derjenige, der so urteilen könnte, nicht verstanden hat und dem Schreibenden geistig unterlegen ist, vermag sie zum Schreiben zu veranlassen. Er vermag es nicht, weil nicht alle, die schreiben möchten, streitbare Naturen sind, um die Ideen und Gedanken anderer zu bekämpfen; es ist nicht jedermanns Sache, zu polemisieren, zu diskutieren, sich zu ereifern, um andern das eigene Glück verständlich zu machen. Hier gibt es eine Grenze des Altruismus. Jeder Alpinist wird sich ein Innenleben schaffen, das der Erhabenheit der Berge würdig ist, das stetig wächst. Er will lieber einen Teil seines Ehrgeizes opfern und ein weniger glorreiches, dafür intimes und glückliches Leben führen als zusehen, wie der blendend weisse Schleier, der seine eigenen, seine reinsten und schönsten Ideale bedeckt, befleckt wird.
Unsere Bergschriftsteller haben den Blüten unserer Literatur den süssesten Nektar beigemischt, damit wir, die ihn trinken, ihrer Weisung nachleben: « Höher hinauf, damit wir besser werden. » ( Aus dem Italienischen übertragen von Oswald Halter, Zofingen. )