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Der Kampf gegen die Lawinen

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

Von Max Oechslin

Mit 4 Bildtafeln ( 49-59Altdorf ) Die Bergbewohner haben den Kampf gegen die Lawinen schon vor vielen Jahrhunderten ergriffen. Dabei erkannten sie, dass der beste Schutz in der Erhaltung des Waldes gefunden werden kann, des Bergwaldes, der die steilen Berglehnen bedeckt und verhindert, dass der Schnee abrutscht und Lawinen entstehen. Die Gebirgsbewohner legten die Wälder ob ihren Häusern, Weilern und Dörfern « in Bann » und verboten dadurch, in diesen Schutzwäldern Bäume zur Gewinnung von Bauholz und Brennholz zu schlagen oder durch den Eintrieb von Gross- und Schmalvieh, von Kühen und Ziegen, den Jungwuchs zu zerstören.

Es ist beachtenswert, dass in den Gesetzbüchern « lex Burgundionum » ( 491-516 ) und « lex Langobardorum ( 643 ), also in Verordnungen von Landschaften, in denen bereits eine starke Rodung der Wälder eingesetzt hatte und sich deren Folgen zeigten, Bestimmungen über die Waldbeweidung und die Holznutzung enthalten sind, während für unser Alpengebiet solche Erlasse erst Jahrhunderte später bekannt werden. Die Besiedelung der Gebirgstäler war aber spärlicher, und die Abholzungen und Waldschädigungen zeigten sich erst später, als deren Folgen dann auch die besiedelten Gebiete erfassten. Der Frankenkönig Childebert III. ( Childerich III., 743-750 ) hatte bereits « forestarii » ernannt, die wir als die ersten Forstmeister bezeichnen dürfen, die es in Europa gegeben hat.

Lawinennot Avalanches catastrophiques Wie eine Walze ist die Grundlawine über die Hütten und Ställe hinweggegangen Pareille à un rouleau-compresseur, l' avalanche a passé sur les chalets et les étables Vrnerboden 12. XII. 1940 49150 - pilotas M. Oe.

und wie eine Explosion hat die Staublawine gewirktGaltenebnet April 1937 Les effets d' une avalanche poudreuse sont semblables à ceux d' une explosion Mit Sondierstangen wird das Lawinengebiet nach Verschütteten abgesucht Andermatt Januar 1951 Au moyen de sondes, on recherche les disparus 51 photo J. Haemisegger, Andermatt Der Schutzwald als natürlicher und bester Lawinenverbau — La forêt est une protection naturelle et la meilleure Der Bannwald ob Andermatt Der « Dreieckwald », der bereits im Jahre 1395 gebannt wurde. Er ist seit acht Jahrzehnten durch Aufforstungen und Verbauungen erweitert worden Le Bannwald au-dessus d' Andermatt Cette forêt fut mise à ban déjà en 1395; depuis 80 ans elle n' a cessé d' être renforcée par des plantations et des travaux de protection 52 - photo J. Baemtsegger, Andermatt Ablenkverbau Die anfahrenden Lawinen werden schadlos ins freie Gelände geleitet Travaux pour dévier les avalanches A leur départ, les glissements sont déviés sur des pentes libres où ils ne causent aucun dommage Realp ( 1951-1952 ) 53154 - photos M. Oe.

Für die Schweiz dürfen wir den bernischen Bannbrief von 1304, der zum Schutz des Bremgartenwaldes aufgestellt war, als die älteste bekannte Urkunde dieser Art in unserm Land betrachten ( Willi Zeller hat im « Tagesanzeiger für Stadt und Kt. Zürich », Nr. 199, 26. August 1954, darauf hingewiesen ). Aus unsern Bergtälern kennen wir als ältesten Bannbrief denjenigen von 1397, der für den Wald ob Andermatt aufgesetzt wurde, just für das « Dreieckige Waldstück », das Josias Simler in seinem « De Alpibus Commentarius » als Schutz gegen die Lawinen erwähnt. In diesem Bannbrief von Andermatt lesen wir, dass « der wald ob der Matt, die Studen ob dem wald und under dem / wald ze Schirmen daz dar uss meinend leyg tragen noch ziehen sol weder Est noch Studen, noch wied / est ( d.h. Wielesch-Vogelbeerstauden ) noch kris ( Tannenreisig ) noch zapfen noch keiner / leyg das jemand erdenken kan daz in dem selben wald wachset oder gewachsen ist ( d.h. weder grünes noch dürres Holz durfte entfernt werden ). Es sygi tags oder nachtz, wer der wäri Es sigint man oder Frowen Jung oder alt wo / wie oder an welem stocken jeman das voraemi und ze Red bracht wurdi daz der selb Mensch wie der genant wäri jeklichem talgenossen besunders verfallen / wäri fünf pfunt pfenning der Müntz die denne ze Mal geng und gab ist ze Urseren jn unserm tal; und mag auch den / selben Menschen jeklicher Teilgenos / besunders pfenden und fünf pfunt pfenning, un an / griffen als umb ander recht gelt / schuld. ( D. h. wer im Wald getroffen wurde, verfiel einer Busse von 5 Pfund Pfennig, die der Talkasse gehörten, und einem Klägergeld von ebenfalls 5 Pfund Pfennig. Die Urkunde sagt dann weiter, dass der Frevler in seinen Ehren und Rechten eingestellt werde, desgleichen, wer einen Frevler traf und ihn nicht zur Anzeige brachte.Dieser Bannbrief wurde anno 1717 erneuert, 1735 von Landammann und Rat zu Uri « confirmiert, ratificiert und bestätthet », sogar noch 1803 und 1841. Daraus ist ersichtlich, wie ernst man die Bannlegung eines Waldes zum Schutz des Dorfes betrachtete.

Wohl zu den ältesten direkten Schutzmassnahmen zählen die Bauten, die talseits eines Felsblockes oder direkt « bodeneben » in den Hang gestellt wurden, so dass eine anfahrende Lawine aufgespalten und neben dem Haus vorbei oder dann über dasselbe hinweggeleitet wurde. Derartigen Ablenkverbau mit Mauern und Dämmen verwendet man heute wieder vermehrt, erstellt Spaltkeile und Ebenhöch hinter Bauwerken oder baut die Häuser als Pult-dachbauten, zu denen auch die Lawinengalerien zu zählen sind, wo es gilt Strassen und Bahnen zu schützen, indem die Lawinen schadlos darüber hinweggeleitet werden. Diesen direkten Schutz von Objekten verwendet man da, wo keine Möglichkeit besteht, das Abriss-und Einzugsgebiet der Lawinen zu verbauen, weil dieses zu ausgedehnt und unbestimmt ist und die Kosten viel zu gross würden im Vergleich zum Wert des zu schützenden Objektes, oder wo ein derartiger Verbau im Ursprungsgebiet eine viel zu lange Zeitperiode erfordert, während eine Ablenkmauer oder ein Lawinenkeil und Ebenhöch innert weniger Wochen und Monate erstellt werden können. Lawinenablenkbauten sind aber nur da möglich, wo die Lawinen in Gebiete geleitet werden können, in denen kein weiterer Schaden verursacht werden kann. Die Kirche von Davos-Frauenkirch ist bergwärts durch eine Keilmauer gegen die Lawine geschützt, die hier als Grundlawine anfährt; bei der Kirche von Villa im Bedrettotal reicht der Spaltkeil bis unter das Turmdach, da hier die Lawinen nicht nur als Grundlawinen, sondern auch als bedeutend höhere Staublawinen aus dem engen Lawinental ausbrechen. Zahlreiche Lawinenkeile und in den Schutz von Bodenhöckern gestellte Häuser treffen wir zu Gurtnellen-Berg und in St. Antönien. Als grosser Pultdachbau ist das Stationsgebäude von Goppenstein errichtet, und Ablenkmauern und Dämme wurden zum Schutz des Dorfes Realp zu Urseren und des Weilers Husen im Meiental in den letzten Jahren erstellt.

Seit einem Jahrhundert hat man auch die Verbauung von Lawinenanrissgebieten in die Hand genommen. Man liess sich dabei vom Gedanken leiten, mit Terrassen und Mauern einen Hang so zu durchtreppen, dass die Schneemassen darauf und hinter diesen liegen bleiben und nicht mehr abgleiten können. Es ist der Stützverbau, mit dem man die Schneeschichten abstützen will. Wenn nicht überall ein Erfolg sich zeigte, so meistens deshalb, weil man nur mit Schneeschichthöhen von wenigen Metern rechnete und diese Werke zu klein dimensionierte. Auch suchte man durch zwei bis vier Meter aus dem Boden herausragende Pfähle, die gewissermassen den fehlenden Wald ersetzen mussten, die Schneemassen festzunageln. Wo neben Erdterrassen und Mauerwerk auch Werke aus Holz erstellt wurden, wie Schneebrücken und Schneerechen, da ergab sich in der Regel ein laufender und teurer Unterhalt. Man hat deshalb in den letzten Jahren auch Metalle und Beton für die Erstellung von Verbauungswerken zur Verwendung gebracht, seit Jahrzehnten Eisenbahnschienen und Schwellen, in jüngster Zeit nun auch Leichtmetall ( Aluminium ), wobei sich zu den Forst-ingenieuren auch die Ingenieure der Leichtmetallindustrie gesellten ( Rorschach und Chippis ), um einen erfolgreichen Verbau gegen die Lawinen zu finden. Selbst Systeme aus Drahtnetzen und Drahtseilen kommen zur Verwendung, wie sie in grösserm Ausmass und mehrseitiger Anwendung in den Verbauungen Kirchberg ob Andermatt getroffen werden ( Kabelwerke Brugg ). Forstleute, die ETH in Zürich und das Forschungsinstitut Weissfluhjoch-Davos arbeiten nun zusammen mit verschiedenen Industriezweigen, um das Lawinenverbauungs-wesen in der Schweiz intensiv zu fördern, haben doch zahlreiche Lawinenwinter der letzten Jahre gezeigt, wie gross und umfassend die Lawinenschäden unser Land und Volk treffen können. Selbst der Bremsverbau kommt heute zur Anwendung, wie er von den Österreichern angeregt und erstmals verwendet wurde: im Ablaufcouloir oder im Ablagerungsgebiet einer Lawine sucht man durch besonders stark gebaute Beton- oder Eisenwerke ( Böcke ) oder durch künstliche Höcker ( Erdhaufen mit Mauerkeilen ) oder durch gespannte Drahtseile eine anfahrende Lawine abzubremsen, aufzuschneiden und aufzuhalten. Dieses Verbauungs-system lässt sich in der Regel nur für durch bestimmte Bahnen abgleitende Grundlawinen verwenden und nicht für Staublawinen, deren Abflusshöhe meistens unbekannt ist.

Wo der Verwehungsverbau zur Anwendung gelangt, da will man durch Wände aus Holz, Drahtgitterwerk oder Mauern die Schneeablagerung so ändern, dass diese nicht mehr zu lawinenbildenden Massen sich anhäuft. Man sucht den Windlauf mit dem Schneetreiben so zu lenken, dass die dadurch verursachten Schneeverwehungen und Gwächtenbildungen schadlos bleiben.

Der Lawinenwinter 1950/51, der in den Januar-Februartagen 1951 im Alpengebiet zu einer bisher kaum erlebten Lawinenkatastrophe geführt hat, zeigt uns untrüglich, dass wir im Kampf gegen diese Naturgewalt nicht erlahmen dürfen. In der Schweiz zählten wir 96 Tote ( in Österreich gegen 200 ). Die Schaden werte erreichten in unserm Land für 4459 Schadenfälle Fr. 17 546 893 ( Gebäudeschäden Fr. 11072 817, Viehschäden Fr. 408 324, Mobiliarschäden Fr. 1 954 889 und Schäden an Kulturen, Strassen- und Bahnbauten etc. Fr. 4 110 853, wobei Schäden der Kantone und des Bundes nicht berücksichtigt sind).Dieser Lawinenwinter hat aber auch eindeutig gezeigt, dass die Lawinenverbauungen manche Lawinennot abzuwenden vermochten und dass ganz besonders der Bergwald als Schutzwald seine volle Bedeutung besitzt. Wenn schon in der Bannwaldurkur.de von Andermatt im Jahre 1397 festgehalten wird, dass « Est und Studen » geschützt sein sollen, d.h. die Fichtenstämme mit ihren Ästen und das Staudenholz: die Erlen, Weiden und Vogelbeeren, so wollte damit gesagt werden, dass nicht nur der eigentliche Hochwald geschützt werden müsse, sondern auch das Knieholz, der Kampfzonenwald der Alpenerlen, Legföhren, Weiden, Alpenrosen usw., die in den Steilhängen so viel Felspartien und Couloirs sichernd bestocken und die oberhalb des Hochwaldes den wertvollen Buschwaldgürtel bilden, in welchem aus dem höher gelegenen Gebiet einfallender Steinschlag, Rüfenen und Schneerutsche aufgehalten werden und so nicht in den eigentlichen Schutzwald, in den Hochwald, gelangen. Dieser Buschwald ist als Kampfzonenwald gegen die Lawinen von grösster Bedeutung und muss genau so gut erhalten werden wie der Hochwald. Greifen wir vernichtend in den Busch- und Hochwald des Gebirges ein, dann öffnen wir den Lawinen die Wege, nicht weniger aber auch den Wildwassern die Geschiebequellen. Durch mühsame Wiederanpflanzungen und Aufforstungen müssen wir dann die lückigen Wälder und die entblössten Gebiete wieder in Wald, in Schutzwald zurückführen, wozu es nicht nur eine kurze Spanne weniger Jahre, sondern eine lange Reihe von Jahrzehnten, ja selbst mehr als ein Jahrhundert benötigt, wenn wir uns im Gebiete der obern Waldgrenze befinden. Nicht nur die Waldbesitzer, sondern die gesamte Einwohnerschaft eines Bergtales, ja selbst das ganze Schweizervolk haben ein Interesse an der Erhaltung unserer Gebirgswälder, die ausnahmslos als Schutzwälder angesprochen und erhalten werden müssen. Mit der Förderung des Schutzwaldes helfen wir mit, auf natürlichem Weg die Lawinen und ihre Wirkung einzuengen. Der Schutzwald ist der billigste Lawinenverbau, der zudem mit dem Holzertrag noch einen Wert abwirft, der alljährlich genutzt werden kann. Denn ein guter Schutzwald ist auch ein Nutzungswald!

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