Der Dolent über den Ostgrat
Jean Michel, Neuchâtel
oder: Eine Sektionstour mit Gleitschirmen1'Tour vom 26/27. Juli 1986 Dieser Gipfel, um den sich schon etliche Clubmitglieder vergeblich bemüht haben, sollte endlich den Besuch von acht SAClern der Sektion Neuchâteloise erhalten. Zwei von ihnen hatten ihre Gleitschirme mitgenommen und wollten versuchen, auf dem Luftweg nach La Fouly zurückzukehren.
Dass der Start in Neuchâtel auf 13 Uhr festgesetzt war, wurde sehr geschätzt, denn auf diese Weise stand noch ein halber Tag zur Verfügung, um Verschiedenes zu erledigen, und wir fanden ausserdem beim Aufstieg zum Dolent-Biwak bessere Bedingungen vor.
Nach einem wegen des stark ansteigenden Weges langsamen Marsch waren wir glücklich, in dieser angenehmen, sehr gut angelegten und sorgfältig gepflegten Hütte anzulangen. Wir fanden schon fünf andere Alpinisten vor, so dass wir anschreiben konnten: Com-plet- Besetzt!
Kaum waren wir angekommen, haben unsere beiden Kameraden - immer noch fest entschlossen, am nächsten Tag das Tal mit dem Gleitschirm zu erreichen - mit unserem Tourenleiter die Möglichkeit untersucht, vom Gipfel des Dolent aus zu fliegen. Sie planten, in der Südwestwand zu starten, dann so bald wie möglich nach Osten zu drehen, um den Grat zu überfliegen und schliesslich in La Fouly zu landen.
Unsere beiden fliegenden Männer schienen sich viel mehr davor zu fürchten, ihre Flugapparate unter den ironischen Bemerkungen der Kameraden wieder zu Tal tragen zu müssen, als vor den Sekunden des Abflugs, in denen man Unerschrockenheit beweisen muss.
Nach einer guten Nacht in der Hütte erfolgt der Aufbruch um 4.45 Uhr. Dank ausgezeichneter Bedingungen kommen wir auf dem gewöhnlich sehr spaltenreichen Gletscher gleichmässig voran. Der Grat ist prächtig: eine Folge von Schneepassagen, leichtem Fels und kleinen Eisaufschwüngen, die es zu überwinden gilt. Schliesslich der Gipfelhang der Nordwand mit einer so günstigen Schneeschicht, dass keinerlei Sicherung nötig ist. So erreichen wir nach vierstündigem Aufstieg den Gipfel.
Das Panorama ist grossartig, die Temperatur angenehm, der Wind weht nur ganz leicht - dies zum Nachteil für unsere beiden Abenteurer. Als Startbahn steht nur eine Schneezunge von 15 Metern Länge und 5 Metern Breite zur Verfügung, das heisst die Minimal-fläche für einen Gleitschirm, den aber der Im ( Abstieg ) mit dem Gleitschirm Aus dem französischsprachigen Teil. Übersetzt von Roswitha Beyer, Bern.
Wind im Augenblick des Abfluges bereits aufgebläht haben muss.
Der aufkommende leichte Wind weht zu sehr von der Seite, und nach zwei Versuchen müssen Nicolas und Terenzio darauf verzichten, sich vom Gipfel hinabzuschwingen. Doch zu ihrem Glück können sie etwas weiter unten starten, allerdings nun ohne die Möglichkeit, den Grenzgrat zu überfliegen. Wir sehen sie fünfzig Meter über unseren Köpfen und dann den Grat entlang bis zum Petit Col Ferret schweben, danach auf der Schweizer Seite verschwinden. Sie werden einen langen und eleganten Abwärtsflug geniessen und auf den nahen Schneefeldern niedergehen.
Der Rest der Gruppe benutzt die Zeit, um das Unternehmen unserer beiden fliegenden Männer zu bewundern, die Hosen gegen Shorts auszutauschen, sich recht zu erholen und zu verpflegen; Mitte des Nachmittags treffen wir dann in La Fouly ein. Welch schöner Schluss unserer Tour auf dieser herrlichen Terrasse gegenüber unserem funkelnden Gipfel!
Welchen Schluss kann man aus dieser ersten Sektionstour mit Gleitschirmen ziehen? Es steht fest, dass die Minuten im Raum berauschend sind. Doch über welches Mass physischer und psychischer Gesundheit muss man verfügen, um die zusätzlichen vier oder sechs Kilo mitzutragen, sich ins Leere zu wagen und gut zu landen! Sind unsere Rucksäcke nicht schon dadurch schwer genug, dass wir zu unserer Sicherheit und Bequemlichkeit zunehmend mehr Material mittragen: Seile jedes Typs; Hilfsmittel zur Selbstrettung aus Spalten; Kletterschuhe; Biwak-Ausrü-stung, um den Widrigkeiten einer überfüllten Hütte zu entgehen; bald auch ein Sendegerät für Hilferufe? Gleichwohl beneide ich jene, die sich, indem sie einige Unannehmlichkeiten auf sich nehmen, nach einem erfolgreichen Aufstieg zum Gipfel über eine herrliche Route den Genuss eines so unvergleichlichen Rückwegs ins Tal leisten können.
Wir sind Zeugen der Verwirklichung eines Traumes, den der Mensch zu allen Zeiten geträumt hat. Ich bin überzeugt, dass der technische Fortschritt und neue Materialien kommenden Alpinistengenerationen neuartige Freuden bringen werden. Mögen der SAC und vor allem seine Verantwortlichen immer über die nötige Klarsicht verfügen, um alle die neuen Formen, die unser geliebter Sport annehmen kann, zu befürworten und zu lenken!