Das Matterhorn als morphologisches Individuum gegenüber topographischer Kollektivität: ein Gleichnis
als morphologisches Individuum gegenüber topographischer Kollektivität: ein Gleichnis yon p. Merian ( Basel ) In seiner wuchtigen Gestalt und mit seiner isolierten Lagerung bekundet das Matterhorn den Ausdruck grösstmöglicher Individualität - unter den Bergen gleicher Natur oder desselben Inhalts. Zum Unterschied von einer regelmässigen Bergform vulkanischen Ursprungs weist die Gestalt des Matterhorns auf einen Ausgleich zwischen Inhalt und Ausdruck: die innere Wertform des Berges verbindet das Matterhorn mit der ganzen Bergkette des Alpenzuges; wogegen ein äusserer Formwert dem aufragenden Berggipfel seine Eigenheit verleiht. Es zeigt sich, wie Gemeinschaft und Eigenart zu harmonischer Vollendung vereinigt sind - als ein erhabenes Gleichnis für die Selbstbehauptung einer menschlichen Persönlichkeit ( von grossem Format ). Dies macht die selbständige Einmaligkeit der Erscheinung aus, welche das Matterhorn anschaulicher Betrachtung bietet: Einmaligkeit innerhalb der Vielfältigkeit des Schweizerlandes.
Nicht für alle Menschen kann « der Berg » dasselbe bedeuten. Kommt ein landes-fremder Besucher erstmals in das Gastland der Schweiz, etwa aus den Niederungen einer nördlichen Meeresküste, so sieht er « in den Alpen » mannigfache Bergformen, die er mit Namen aufzählt. Alle diese Gestalten sind für ihn Nummern einer Summe! Dies geht gelegentlich so weit, dass jemand sagt, er habe sie alle gesehen, die namhaften Berggipfel, zumal alle « Viertausender ». Und er hat manche unter ihnen sogar bestiegen; wobei sie genannt werden gemäss ihrer Höhe! Das war oder ist so auch unter vielen Einheimischen, den allzu Gleichmässigen, den zunftgemässen Bergsteigern: sie alle wissen nicht, was das Matterhorn bedeutet - als Einzelfall. Kein Zweifel, auch das Matterhorn ist Naturprodukt nach seiner « Entstehung » und Gestaltung; aber es ist oder wird zugleich Kultursymbol ( für den Schweizer ). Je mehr diese mächtige Gestalt mit dem trefflichen Namen « Matterhorn » Gemeingut weiter Kreise geworden ist, um so mehr gewinnt der Berg für den Schweizer sinnbildliche Bedeutung: er wird nationales Symbol!
Heute, da Bergsteiger und Reisende weitherum in der ganzen Welt Umschau halten, mag sich wohl irgendwo eine ähnlich gestaltete Bergform finden, die man dann gerne als « matterhornartig » beschreibt. Durch solche Vergleiche wird noch mehr die vergleichsweise und zugleich « beispiellose » Gestaltung hervorgehoben - als sinnfällige Wertschätzung. Der bildhaft zutage tretende Anblick des Berges findet endgültige Prägung! Eine gewisse Veräusserlichung der Geltung hat stattgefunden. Da setzt nun die innere oder eigene Bewertung ein, die dem Berg Matterhorn im Alpenland der Schweiz sinnbildliche Bedeutung verleiht: der Berg steht nicht länger nur naturverbunden in der Landschaft als das « gezeitigte Ergebnis » der Erdgeschichte oder der Vergangenheit! Diesem einen Alpengipfel an der Grenzscheide zwischen Nord und Süd ( mehr als im Mittelfeld zwischen West und Ost ) kommt lebendige Wirklichkeit in der Gegenwart zu. Bisher mehr randständig nach seinem natürlichen Standort, stellt sich das Matterhorn neuerdings in den Mittelpunkt der Welt.
Im Übergang von Natur zu Kultur oder also bei inniger Verbindung von « Land und Leuten » ( im Ausmass der ganzen Schweiz ) wird das Matterhorn zum Sinnbild, ja zu einem Denkmal des Schweizerlandes und mit besonderem Nachdruck des Bundesstaates. Der Berg tritt aus der Masse aller Berge selbständig hervor, wie ein Mensch von der Menge sich abheben oder ausscheiden kann, besser noch wie ein Geist von den Geistern sich unterscheiden mag. Ein geschichtliches Volk hat seinen Helden, einen Heros in Menschengestalt.'der sich sogar mehr und mehr mit eigenem Namen behauptet - als « sprechender » Ausdruck eines Zeitalters. Die selber vielgestaltige Bevölkerung der Schweiz als Staat preist den Berg als sinnbildliche Verherrlichung eigenen Seins einer menschlichen Gesellschaft. In Bergform ausgedrückt weist gerade das Matterhorn auf einen welthaft vollständigen Ganzheitswert von ewiger Geltung. Was wesenhaft in der kraftvollen Gestalt eines « Teil » aus der Vorzeit emporsteigt, das tritt sinnbildlich gedeutet dem Blick entgegen in der heimatlichen Umwelt.