Canzio, Et., e Mondini: Un angolo dimenticato | Club Alpin Suisse CAS
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Canzio, Et., e Mondini: Un angolo dimenticato

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Ja wohl ein vergessener Winkel! Von all den Tausenden, die auf dem Wege zum oder vom Großen St. Bernhard, nach oder von Courmayeur das Aostathal durchfahren und vielleicht im Vorbeieilen dem trotzigen Kastell von Nus einen Blick schenken, kennen nur einige wenige das stille Alpenthal, das sich unterhalb des Burgfelsens durch eine enge Schlucht öffnet.

Dicht an einer alten großen Heer- und Pilgerstraße gelegen, ist doch das Val Saint-Barthélemy abseits vom Verkehr, ohne Fahrstraße, ohne vielbegangenen Paßweg, so weit ab von Handel und Wandel, daß selbst der Schmuggel hier nur dilettantenhaft, ab und zu für den Hausbedarf betrieben wird. Seine Berge scheinen, obwohl sie manchem vielgenannten Gipfel des Oberlandes, der Dammagruppe und der Glarner Berge an Höhe gleichkommen, doch unbedeutend neben den Riesen im Hintergrunde der Nachbarthäler, Val Pelline und Val Tournanche, und werden deshalb selten besucht, ja einige derselben sind sogar bis in die letzten Jahre unbetreten geblieben.

Wer ein solches stilles, vom Fremdenverkehr unberührtes Thal weiß, der thut eigentlich am besten, wenn er sein Wissen für sich behält oder höchstens mit einem zuverlässigen, verschwiegenen Freunde teilt. „ Untrodden peaks and unfrequented valleys " sind nachgerade selten geworden und es muß am Ende, wie für Gemsen und Murmeltiere, auch Freiberge für die sonderbaren Käuze geben, welche für die höchst schätzenswerte Thätigkeit von Verkehrskommissionen und Verschönerungsvereinen nur ein mangelhaftes Verständnis besitzen und einen Schwärm von Cook's Tourists nicht als eine wesentliche Verbesserung der Staffage einer Landschaft betrachten.

So vorsichtig oder, wenn man will, so selbstsüchtig sind nun die Verfasser des „ Angolo dimenticato " nicht gewesen. Im Gegenteil; sie thun mit ihrer anziehenden Schilderung des Val Saint-Barthélemy ihr mög- liches, um aus dem vergessenen Winkel einen recht wohl bekannten zu machen, klugerweise aber erst nachdem sie in den Jahren 1892-1894 so ziemlich alles eingeheimst haben, was in den Bergen des Thals noch von ersten Besteigungen zu ernten war.

Die erste Hälfte der hübschen, mit guten Illustrationen und einer etwas verschwommenen Karte ausgestatteten Schrift, die unter den Auspizien der Sede Centrale CA. I. erschienen ist, enthält die allgemeine Beschreibung, das Itinerar und die Orographie des Thals nebst historischen, statistischen, naturgeschichtlichen und bibliographischen Notizen, bezeichnenderweise aber ohne Angaben über Gasthöfe, deren das Val Saint-Barthélemy abgesehen von dem Albergo della Croce d' oro in Nus am Eingang des Thales keinen zu besitzen scheint. Das Thal weist namentlich an seinen unteren Stufen den bekannten Charakter der Südthäler der Penninischen Alpen auf. In rascher Steigung zieht es sich von den Rebenhügeln des Augstthales an zu den Fels und Eiswildnissen der Becca di Luseney ( 3506 m ) und des Mont Redessau hinauf; enge vom Wildbach durchtoste Schluchten wechseln mit freundlichen Thalweiten, welche ebensoviele Thalstufen bezeichnen, Weiden und Alpen mit ausgedehnten Nadelwäldern, die namentlich die linke Thalflanke bedecken. Wenige und kleine Dörfer, aber viele Weiler und Sommerdörfchen, die dem Reisenden freundliche Aufnahme gewähren, so in La Pra, Pierrey, Champ Plaisant, La Serva, Luseney und ganz zu oberst am Fuße der Becca del Merlo das einsame Santuario von Cunei, zu dem am 5. August, beim Feste der Madonna della Neve, die Thalleute wallfahrten. Den Hintergrund bildet ein südlicher Ast der Penninischen Alpen, der sich an der Dent d' Hérens vom Hauptstamm abzweigt, zwischen den Oberstufen von Val Pelline und Val Tournanche bis zum Mont Redessau streicht und sich hier in zwei Zweige gabelt, die bis zur Dora auslaufend das Thal von Saint-Barthélémy mit seinen wenigen Seitenthälchen umschließen. Der westliche dieser Zweige ist der höhere; ihm entsteigen die höchsten Gipfel des Thales, die Becca di Luseney ( 3506 m ) und die Becca d' Arbiera ( 3442 m ).

Mit diesen Bergen der rechten Thalseite befaßt sich die zweiter Hälfte der Schrift, die eine Reihe neuer Bergfahrten schildert: die erste Besteigung der Becca di Luseney über den Hochfirn der Nordnordostseite * ), diejenige der Monte Pisonet, 3215 m, der Becca d' Arbiera, der Becca del Merlo ( 3245 m ), der Cima di Livournea ( 3207 m ) u. s. w.

Alle diese Berge kehren dem Val Saint-Barthélémy ihre felsige Seite zu und tragen nur auf der Nordseite kleine Hochfirne und Gletscher; sie bieten also dem Felskletterer ein besseres Arbeitsfeld als dem Gletscherwanderer; die kühnste und schwierigste Spitze ist die Becca del Merlo, deren trotziger Felsturm erst im dritten Ansturm ( am 16. Juli 1894 ) erobert wurde.

Sowohl dieser touristische Teil der Schrift wie die einläßliche Orographie im beschreibenden Teile sind vollwichtige Beweise dafür, daß die Alpen noch lange nicht so abgesucht sind, wie man es hie und da behaupten hört, sondern daß man auch hart an großen Verkehrs- und Touristenwegen stille vergessene Winkel finden kann, welche die Mühe des Suchens und des Erforschens reichlich lohnen.W.

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