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Bergsteigen und Klettern in den Waadtländer Alpen

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Claude und Yves Remy, Lutry

Et nous aussi, des hautes cimes, Nous avons vu le haut azur, Vu s' éclairer leurs fronts sublimes Quand, à leur pied, tout reste obscur!

Juste Olivier ( 1807-1876 ) Lobsänger der Waadtländer Alpen Erste Beschreibungen In allen Werken über die Waadtländer Alpen werden stets ihr eigenständiger Charakter, ihre Schönheit und ihre Grossartigkeit gepriesen. So schrieb 1970 Pierre Vittoz:

Später haben Autoren wie E. Rambert, E. Renevier, A. Wagnon, E. Busset, E. de la Harpe Werke publiziert, in denen in Form von Tourenberichten ein Teil der Waadtländer Alpen beschrieben ist. Diese Autoren waren sehr aktiv im Gelände und haben sogar einige Erstbesteigungen ausgeführt.

Die Waadtländer Alpen wurden bereits in jeder Hinsicht untersucht und beschrieben: Geologie, Meteorologie, Natur und Menschen. Ausserdem sind zahlreiche Berichte dem Alpinismus in unseren Bergen gewidmet worden. Und doch ist die Geschichte des Alpinismus in den Waadtländer Alpen, das Thema dieses Beitrages, noch nie Gegenstand einer Ge-samtuntersuchung gewesen.

Wir haben versucht, jene Tatsachen nachzuzeichnen und jene Menschen zu beschreiben, die für das Bergsteigen in den Waadtländer Alpen von entscheidender Bedeutung waren. Dabei haben wir uns auf die verfügbare Dokumentation gestützt, ausserdem wurde uns von vielen Seiten spontan Hilfe zuteil. Während der erste Teil unseres geschichtlichen Überblicks auf Veröffentlichungen beruht und folglich, abgesehen von einigen persönlichen Betrachtungen, nichts wirklich Neues bringt, wurde die zeitgenössische Geschichte mit Hilfe vieler befreundeter Kletterer aufgezeichnet und gründlicher behandelt.

Im Jahr 1907 erschien ein Führer für die Waadtländer Alpen, in dem zum ersten Mal technische Beschreibungen von Klettertouren veröffentlicht sind. Der Verfasser, H.A. Dübi, war Alpinist und ein sehr aktives Mitglied des SAC 1. Seine Einschätzungen der Gefahren und Schwierigkeiten sind klar und genau wiedergegeben, dazu enthält der Band eine vollständige Bibliographie. In diesem ausgezeichneten Werk vermisst man heute nur erläuternde Skizzen.

Zu jener Zeit waren die Waadtländer Alpen in Band 3 des Führers durch die Berner Alpen, der das Gebiet von der Dent de Morcles bis zur Gemmi umfasst, beschrieben, natürlich in deutscher Sprache2. Um den Besuchern von jenseits des Ärmelkanals entgegenzukommen, wurde eine englische Ausgabe veröffentlicht, doch beide konnten natürlich den französischsprachigen Kletterer aus der Romandie nicht befriedigen.

Im Jahr 1931 erschien in französischer Sprache ( Les Alpes Vaudoises ) von Eugène de la Harpe; der Plan zu diesem Führer hatte bereits seit 1885 bestanden. So detailliert der Band inhaltlich auch abgefasst ist, bezieht er sich doch vordringlich auf Wanderungen im Alpengebiet, für den Kletterer hingegen enthält er zuwenig Informationen. Der Autor sagt deutlich: ( Wir haben uns vor allem an die Kategorie der mässig erfahrenen Bergtouristen wenden wollen. ) Es ist recht hübsch, darin zu lesen, dass der Autor zu manchen Besteigungen, die er unter die schwierigsten einreiht -die Cape au Moine oder die Quille du Diable -, bemerkt, es sei wesentlich ( einen klaren, sogar einen sehr klaren Kopf ) zu behalten.

Auf Betreiben der SAC-Sektion Les Diablerets beauftragte das Zentralkomitee, dessen Sitz sich damals ( 1944-1946 ) in Montreux befand, eine Kommission mit der Abfassung des ( Guide des Alpes vaudoises>, der 1946 erschien. Er ist das Werk von Louis Seylaz, einem erfahrenen Alpinisten und guten Kenner des Massivs, der 1904 durch die Eröffnung einer Route am Petit Muveran berühmt geworden war. Die lange Dauer seiner alpinistischen Aktivität ist erstaunlich. Zahlreiche Tourenberichte aus seiner Feder sind in den ALPEN erschienen, deren ( französischsprachiger ) Redaktor er von 1945 bis 1955 war. Eine solche Treue zu den von ihm geliebten Bergen macht seinen Unfalltod 1963, mit mehr als 80 Jahren, 1 Heinrich-Albert Dübi ( 1848-1942 ) wurde 1913 zum Ehrenmitglied des SAC gewählt.

2 Bei den Begriffen Waadtländer und Berner Alpen handelt es sich um eine politische Einteilung; tatsächlich bilden beide Gebiete ein einziges Massiv.

besonders erschütternd. Er leitete eine Sektionstour am Sex du Parc aux Feyes ( im Gebiet der Tours oberhalb Leysin ), als er dort durch einen Felsblock getötet wurde. Louis Seylaz'1946 erschienener Führer umfasst einen im Süden von der Rhone ( von Sitten bis Montreux ), im Norden von der Linie Mont-bovon-Gstaad begrenzten Raum, was ungefähr der Gegend nordöstlich des Genfersees entspricht. Es fehlen jedoch einige Gebirgsgruppen darin, so besonders die Kette der Argentine, dieses Paradies der Waadtländer Alpinisten, mit dem berühmten Miroir. Grund dafür war die zwei Jahre vorher, also 1944, erschienene sehr schöne und vollständige Monographie der Argentine aus der Feder des Bergsteigers und Mathematikprofessors Georges de Rham. Diesem Autor ist es gelungen, indem er die Bedeutung der von ihm verwendeten Adjektive ganz genau festlegte, die Schwierigkeit jeder Klettertour mit der nötigen Exaktheit anzugeben. Ein für jene Zeit bemerkenswertes Unternehmen.

Ein vollständiger Führer durch die Waadtländer Alpen Das sehr intensive Training, dem sich die besten Kletterer unterziehen... hat neue Besteigungen möglich gemacht, deren Reiz und Schwierigkeiten ungewöhnlich sind. Ich habe mich dafür entschieden, das Hauptgewicht auf diese ( modernen ) Besteigungen zu legen, die in diesem Buch wie auch im Herzen junger Alpinisten einen grossen Raum einnehmen.

Pierre Vittoz ( Guide des Alpes vaudoises>, 1970, S. 10 Im Jahr 1970 erschien der erste vollständige, mit Angaben der Schwierigkeitsgrade versehene Führer durch die Waadtländer Alpen. Er ist im Auftrag des SAC vom dynamischen Alpinisten Pierre Vittoz verfasst worden - dessen Tod in der Voie Major am Montblanc 1978 allgemein sehr betrauert wurde.Vittoz war ein ungewöhnlich begabter Mensch: Mis-sionspastor in Ladakh und in Afrika, Linguist, Mathematik- und Physiklehrer bei den prote-i Les Diablerets stantischen Missionen. Als er den Führer verfasste, leitete er das Zentrum für evangelische Literatur von Yaounde in Kamerun; darum ist es ihm auch trotz seiner gründlichen Kenntnis des Massivs nicht gelungen, einige Lücken und Irrtümer zu vermeiden. Doch er besass Sinn und Gefühl für das Klettern und Interesse an neuen Routen, durch die sowohl die Be- deutung des Massivs als auch die sich dort entfaltende Tourentätigkeit zur Geltung kommen. So hat er auch die sogenannten ( modernem Besteigungen berücksichtigt und auf mehr als ein noch der Lösung harrendes Problem hingewiesen. Seine Voraussagen hinsichtlich der Gebirgsstöcke der L' Argentine, der Tours und auch des Sanetsch haben sich erfüllt. Dort liegt das von der heutigen Generation bevorzugte Gebiet. Doch selbstverständlich konnte Pierre Vittoz im Jahr 1970 nicht ahnen, welche Schwierigkeiten zu überwinden man heute in der Lage sein würde. Die Beschreibungen in seinem Führer sind manchmal sehr knapp gefasst. Einige, allerdings leichte, Wanderungen sind nicht behandelt, der Autor verweist statt dessen auf die Landeskarte; oft genüge es, sie lesen zu können. Zur Zeit seines Todes bereitete Pierre Vittoz eine Neuauflage des Führers vor, die 1980 erscheinen sollte.

Bei dem in der Wiederauflage von 1981 eingeschobenen Nachtrag handelt es sich um eine unvollständig bleibende Übergangslösung.

Sodann erschien im gleichen Jahr ein kleiner, von den Autoren dieses Beitrages verfas-ster, vollständiger und praktischer Führer für das Klettern im Massiv der Tours oberhalb von Leysin, der mehr als 60 Routenbeschreibungen enthält.

Guide des Alpes et Préalpes vaudoises ( 1985 ) Die Ausarbeitung dieses neuen Führers wurde Maurice Brandt, einem Fachmann, anvertraut. Er hat bereits mit grosser Sachkenntnis mehrere SAC-Führer verfasst. Maurice Brandt hat sich nicht damit zufriedengegeben, die Routen auf der Grundlage der von verschiedenster Seite an ihn herangetragenen und manchmal nur mühsam erhältlichen Notizen und Auskünften zu beschreiben. Er ist vielmehr selber ins Gelände gegangen. Da er eine in dreissig Jahren erworbene Kenntnis des Massivs besitzt - wobei er selber auch mehrere Routen eröffnet hat-, bestand seine selbstgestellte Aufgabe darin, ein Verzeichnis des gesamten Gebietes aufzunehmen, indem er es nach allen Richtungen selbst erkundete.

Das Werk beschreibt jeden Pass und jeden Gipfel. Es handelt sich also um eine vollständig neu erarbeitete Veröffentlichung, die den gegenwärtigen Ansprüchen des SAC gerecht wird.

Der Autor hat das Berggebiet in sieben Sektoren eingeteilt. Dazu kommt ein umfangreiches beschreibendes Kapitel über die Klettergärten, von denen sich mehrere im Randbereich des Massivs befinden. Einige dieser Klettergartenrouten sind zeichnerisch dargestellt und nur kurz beschrieben. Eine ausgezeichnete Lösung, die in einer neuen Auflage auch für die Darstellung der anderen Kletterrouten gewählt werden sollte.

Maurice Brandt hat zur Vervollständigung seines Führers Spezialisten herangezogen. So hat P.L. Haesler einen kurzen, aber detaillierten geologischen Überblick über die Waadtländer Alpen beigesteuert, P. Hainard sehr geschickt Fauna und Flora der Region dargestellt, Charles Kraege eine Studie über die Ortsnamen verfasst.

Die Beschreibungen der Routen und Wanderungen sind klar, und mit ebensolchen Skizzen und vorzüglichem Bildmaterial versehen.

In diesem Führer finden der Alpinist, der Kletterer und der Wanderer die notwendigen Auskünfte über Zugangs- und Abstiegswege, über die Gesamtschwierigkeiten oder diejenigen der Einzelstellen, den Zeitbedarf, die Höhenunterschiede, den Charakter der Kletter- 3 Albrecht von Haller ( 1708-1777 ) hat durch seine wissenschaftlichen Arbeiten die Gebildeten seiner Zeit stark beeinflusst. In seinem Lehrgedicht stellte er dem Leben der Städte die Welt der Alpen gegenüber.

routen und die Felsqualität. Ebenso werden präzise Angaben über das notwendige Material geliefert.

Wer sich für Routen interessiert, wird feststellen, dass hier die Waadtländer Alpen Möglichkeiten in reichem Masse bieten, besonders in den Bergstöcken der Rochers de Naye, der Tours oberhalb Leysin, der Argentine, der Ecuelle bei Anzeinde, am Nägelihorn im Diablerets-Massiv, an den Montons ( Sanetschpass ) und der Gummfluh im Pays-d'Enhaut.

Wer eine andere Art des Alpinismus oder des Kletterns bevorzugt oder die Einsamkeit vorzieht, wird in einigen Teilen der Diablerets und in dem Massiv Grand Muveran-Dents de Morcles-Haut de Cry seine Wünsche erfüllt finden. Dem Verfasser des Führers ist es gelungen, vergessene Pfade wieder ausfindig zu machen und zu beschreiben; dazu berichtet er über manche Einzelheit aus dem Leben der Bergbewohner und Alpinisten früherer Zeiten.

Die Entdeckung der Waadtländer Alpen Einst ist unter den Bewohnern der Waadtländer Alpen ein grosser Schatz an Sagen entstanden. Alfred Cerasole hat sie gesammelt und in seinem Buch ( Légendes des Alpes vau-doises> veröffentlicht. Dort erfahren wir, wie sich die Dämonen auf dem Gipfel der Diablerets versammelten, oder auch, wie Michel d' Orsignet die Tour d' Aï bestieg, um dort die Fee Nérine zu treffen, und manches andere mehr. In jenen Zeiten gab es nur wenige die die Kühnheit besassen, sich auf Abenteuer in den Bergen einzulassen.

Im Jahr 1758 bezog Albrecht von Haller das Schloss von Roche; von dort aus leitete er die Ausbeutung der Salinen und die Verwaltung der Forste. Dieser berühmte Wissenschaftler und Dichter befasste sich eingehend mit der Alpenflora; er entdeckte die Waadtländer Alpen, die er während acht Jahren erkundete3.

Doch als erste haben Hirten und Jäger ihre eigene Welt mit wachsendem Mut ausgekundschaftet, haben Wegemöglichkeiten, Pässe und Gipfel entdeckt. Eine 1847 von einem Gemsjäger auf der Petite Dent de Morcles eingeritzte Inschrift ist als Zeugnis erhalten geblieben. Ausserdem gibt es viele lustige oder auch dramatische Berichte über Ereignisse bei der Jagd im Gebirge, und der Name manch eines Jägers ist mit einem Gipfel verbunden geblieben: Tête à Pierre Grept, Tête à Grosjean, Dent Favre und Trou à Chamorel sind Beispiele.

Doch zu den ersten, die noch im 18. Jahrhundert zahlreiche Gipfel der Waadtländer Alpen bestiegen, gehörten auch Gelehrte, die diese neue Alpenwelt - die Bezwingung des Montblanc erfolgte 1786 - kennenlernen und studieren wollten. Abenteuerlust, wissenschaftliches und künstlerisches Interesse führten zu einer allgemeinen Hinwendung zu den Alpen, die sich manchmal auch auf eine rein betrachtende Sicht beschränken konnte. So gründete eine Gruppe Gebildeter im Jahr 1783 in Lausanne die Société des sciences physiques et naturelles, um die Kenntnis der Alpen zu erweitern.

Albrecht von Haller und Charpentier haben Abraham Thomas aus Bex und dessen Sohn Emmanuel gründliche botanische Kenntnisse vermittelt. Später wurden die beiden Thomas fähige und erfahrene Bergführer. Sie gelten als erste Erforscher der Waadtländer Alpen und Pioniere auf dem Gebiet der alpinen Flora Nach T. Blaikie4 waren die Thomas unter allen, die ihm begegneten, als einzige würdig, im Gebirge zu reisen! In seinem Tagebuch berichtet Blaikie: zitiert Charles Gos einen Abschnitt aus ( Voyage dans les Alpes ) von H.B. de Saussure; der Text von Gos sei hier wiedergegeben:

( Am 3. Juli 1783 verlässt Saussure Genf, um nach Vevey zu gehen. Am nächsten Morgen macht sich die kleine Karawane, zu der noch ein Diener und ein Bergler aus Chamonix gehören, auf Maultierrücken auf den Weg zum Thuner See. Am Ausgang von Vevey « kommt man sofort in die Berge », vermerkt Saussure.

4 T. Blaikie hat 1775 den zweiten Versuch zu einer Besteigung des Montblanc unternommen.

5 Auch die Schreibweise kommt vor. ( Red. ) Von Chernex aus erreichen sie in zweieinhalb Stunden den Col de Jaman. Dieser Übergang befindet sich am Fuss eines hohen pyramidenförmigen Gipfels, den man schon von sehr weit her entdeckt und der Dent de Jaman heisst. Bereits am 6. August 1770, als man in seiner Nähe vobeigezogen war, hatte Saussure durch das Aussehen der kleinen Spitze neugierig gemacht, den Aufstieg unternommen: « Es ist fast eine Stunde nötig, um vom Pass dorthin zu gelangen. Der Hang ist sehr steil, man ersteigt ihn jedoch ohne Furcht; wenn man aber zurückblickt, erscheint er erschreckend. » Saussure fährt dann fort: « Ein Minister des Waadtlandes, der mich begleiten wollte und der mit recht gutem Mut aufgestiegen war, konnte sich nicht entschliessen abzusteigen; wir waren gezwungen, ihn zu packen, die einen bei den Fussen, die andern bei den Händen, und ihn zu tragen, als sei er tot.»> Doch im Jahr 1783 erklomm Saussure die Dent de Jaman nicht noch einmal, er begnügte sich damit, den Pass zu überqueren, und stieg zum Dorf Allières ab, wobei er voller Eifer die Steine, die er fand, untersuchte. Am Abend schlief er in La Tine.

In der gleichen Epoche taten sich auch Jäger im Gebirge hervor.

Um das Jahr 1850 hat im Pays-d'Enhaut der berühmte Jäger Olivier Martin alle Gipfel des Massivs bestiegen.

Ein vierzehnjähriger Jäger, Philippe Marlé-taz5, erreichte zusammen mit seinem gleichnamigen Onkel bei der Verfolgung zweier Gemsen den Gipfel des Muveran. Von diesem Onkel wird übrigens erzählt, dass er 1868 mit drei Schüssen vier Gemsen tötete. Diese berühmten Jäger kannten zwischen Anzeinde und der Dent de Morcles nicht weniger als zehn Übergänge auf denen sich der mächtige mauerartige Wall des Muveran-Massivs überschreiten liess. Solche Führer haben es Eugène Rambert dann auch ermöglicht, diesen Teil der Alpen gründlich kennenzulernen.

Der Waadtländer Alpinismus nimmt Gestalt an In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die alpinistische Aktivität zu: Muveran, Tête à Pierre Grept, Dent de Morcles wurden gebräuchliche Touren; und die Kühnsten wagten sich an die Besteigung des Oldenhorns.

Die Diablerets, der höchste Gipfel der Waadtländer Alpen, der als einziger 3200 m übersteigt, bietet keine besonders grossen Schwierigkeiten, ist aber anstrengend und erfordert eine gewisse Ausdauer. Die erste be- kannte Besteigung unternahmen am 18. August 1850 Gottlieb Studer, Siegfried und Melchior Ulrich, zusammen mit J.D. Ansermoz und J. Madütz. Gottlieb Studer hatte schon 25 Jahre früher einen Versuch unternommen, war aber wegen schlechten Wetters nicht über die Epaule du Culand hinausgekommen. Dieser Berner Alpinist war kein unerfahrener Dilettant, hatte er doch zwischen 1823 und 1883 nicht weniger als 643 Besteigungen durchgeführt. Er ist die markanteste Gestalt jener alpinistischen Periode in unserm Land.

Im Jahr 1856 wurde die Südseite der Diablerets durch Ch. Bertholet, A. Koella und Eugène Rambert mit den beiden Philippe Marlétoz -Onkel und Neffe - erklommen. Sie erkletterten ( Grad II ) eine kleine Mauer, die bereits die Gruppe von Gottlieb Studer überwunden hatte. Im darauffolgenden Jahr taufte Jean Die Führer Jules Veillon, Ph. Marlétaz und Charles Veillon aus Les Plans Muret-ein ausgezeichneter, damals 69jähri-ger Vertreter der wissenschaftlichen Richtung-diesen Übergang Pas du Lustre im Gedenken an diesen Ort, an dem seine Gefährtences brigandsihn

In jener Zeit wurden Nachrichten über Besteigungen weder gesammelt noch verzeichnet. Es wird jedoch berichtet, dass die Névés du Régent Bernard - der Nordhang des Grand Muveran, eine der wenigen ständig schneebe- deckten Routen der Waadtländer Alpen - seit mehr oder weniger legendären Zeiten begangen wurden.

Im Jahr 1862 traf in Lausanne ein Rundschreiben des Dr. Theodor Simler ein, der die Schweizer Alpinisten aufforderte, sich zu einem Alpenclub zusammenzuschliessen. Die Mitglieder der Société des sciences naturelles standen dieser Anregung ablehnend gegenüber. Das Vorbild der Engländer, sportlicher Bezwinger der Alpengipfel, fand noch kein Verständnis. Einen eigentlichen Alpinismus gab es in unseren Regionen nicht. Zudem haben die furchterregenden Überlieferungen lange Zeit auf die Bewohner des Landes als Hemmschuh gewirkt. Um so mehr, da sie nicht einsahen, wozu es gut sein sollte, Gipfel zu besteigen, die meist als unzugänglich gal-ten6. Einige, die das Gebirge liebten, waren jedoch vom Wert des Alpinismus überzeugt und kümmerten sich kaum um die öffentliche Mei- Die alte Unterkunft am Pas du Lustre nung. Sie gründeten am 13. November 1863 die Sektion Les Diablerets des Schweizer Al-pen-Clubs7, nur sieben Monate nach der Gründung des Clubs selbst und sechs nach derjenigen der ersten alpinistischen Gesellschaft, des Alpine Club. Die zehn Gründungsmitglieder der Sektion wählten den noch nicht 20jährigen Auguste Bernus8 zum Präsidenten. Die Sektion Les Diablerets stellte sich auf Anregung des Professors E. Renevier zwei Aufgaben: die Erforschung der Waadtländer Alpen und die Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Beschreibung des Massivs9.

Zwei Jahre später traten dem Club zwei Mitglieder bei, die als treibende Kräfte wirkten: Eugène Rambert und Georges Béraneck. Rambert äusserte den Wunsch, die Alpen seiner Heimat zu beschreiben. Sein Werk ( Les Alpes suisses ) hatte Erfolg. Das erste Kapitel des ersten Bandes trägt den Titel ( Les plaisirs d' un grimpeur ) ( Die Freuden eines Kletterers ). Man kann ihm interessante Aufschlüsse entnehmen, wie man das Material, vor allem des Kletterei am Pas du Lustre ( Ende des letzten Jahrhunderts ) Seil verwendete, dessen Nützlichkeit manche in Zweifel zogen. Auch die Vorstellungen Eugène Ramberts vom Klettern sind erstaunlich. Hier sei ein Auszug der Seiten 18 und 19 des dieses Thema behandelnden Kapitels angeführt: ( Viele Kletterer verlassen sich auf ihre Führer; sie lassen sich leiten, und sie folgen. So verstanden, verliert das Spiel seinen Sinn und damit auch die Hälfte seines Reizes. Die Aufstiege, die man aus eigener Kraft zum guten Ende führt, bringen eine ganz andere Art von allesumfassender Freude. Es stimmt, dass man stets auf der Suche sein, sein Gebirge studieren muss. Es gilt, die Versuche stets wieder zu erneuern und auf eigene Rechnung ganz oder teilweise die Versuche der Vorgänger zu wiederholen; doch eben darin besteht das Besondere. Einen Gipfel in den Fussstapfen eines Führers zu ersteigen, der ihn schon zwanzigmal bezwungen hat, das bedeutet soviel wie im Schachspiel einen Gegner matt zu setzen, der nur noch über den König verfügt, während man noch selber im Besitz aller Figuren ist. ) Die Sektion Les Diablerets begünstigte und ermutigte die Entwicklung des Alpinismus und die Kenntnis der Waadtländer Alpen. Nach ihrem Vorbild entstanden andere Sektionen in der französischsprachigen Schweiz. Schon 1867 schlug die Lausanner Sektion den Bau einer Schutzhütte auf mehr als 3000 Metern auf den Diablerets vor. Das Projekt wurde 1871 ganz nah beim Pas du Lustre verwirklicht, erwies sich aber sehr bald als Fehlschlag. Feuchtigkeit und Eis ergriffen Besitz von dem winzigen Bau, der aufgegeben wurde. Immerhin wird diese Erfahrung noch einmal dienlich sein.

Es ist von unserer heutigen Lebensweise aus schwierig, die Anstrengungen und Opfer richtig einzuschätzen und zu beurteilen, die unsere Vorfahren im vorigen Jahrhundert bei ihren Unternehmungen im Gebirge auf sich genommen haben. Man begab sich auf ein kaum oder gar nicht bekanntes Gebiet, ohne geeignete Ausrüstung, und das noch im Kreuzfeuer der allgemeinen Kritik und Verständnislosigkeit. Da Hütten in der Höhe ebenso fehlten wie Transportmittel, mussten die Alpinisten jener Zeit unzählige Etappen zu Fuss machen. Wollte man sich an die Diablerets wagen, so ging man von Bex, manchmal sogar von Lausanne aus zu Fuss.

In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts zeichnete sich Emile Javelle aus, dessen Rolle kurz, aber für die Entwicklung des Alpinismus in der Romandie innerhalb des SAC hervorragend war. Voller Unternehmungslust, war Emile Javelle ein ebenso guter Schriftsteller wie leidenschaftlicher Alpinist. Von ihm stammt der Satz:

Der Aufschwung des Kletterns im Waadtland Am 12. August 1881 bestieg der frühere Präsident der Sektion Les Diablerets, Georges Béraneck, ein kühner Kletterer, allein und ohne besondere Ausrüstung die Quille du Diable, einen senkrechten Turm, der am Rand des Cirque de Tschiffaz im Diablerets-Massiv 40 Meter hoch aufragt. Er gab der Sektion über diese Besteigung ( einen so furchterregenden Bericht, dass wenige Personen versucht sein werden, unserm Helden nachzueifern ).

Am 17. August 1895 erkletterten M. Gaud und Ch. Veillon den Nordgrat der Petite Dent de Morcles in einundeinviertel Stunden ( heutiger Schwierigkeitsgrad II und III ). Möglicherweise wurde diese Route bereits 1879 von den de Perrot eröffnet.

Unter den ersten wirklichen Klettertouren in unserer Region muss die Erstbesteigung der schwierigsten Spitze der Waadtländer Alpen genannt werden, der Pierre qu'Abotse10 ( schiefer, überhängender Stein ), die 1891 nach vielen ernsthaften Versuchen gelang. Am 13. Juni, einem Samstag, verliessen Henry Pascal und sein Führer Jules Veillon, einer der lokalen Pioniere des Alpinismus, gegen Abend Les Plans. Zu ihrer Ausrüstung gehörten drei Meissel, acht Eisenstifte, ein Hammer, 80 Meter Seil.

Am nächsten Morgen verliessen sie La Vare um 2.30 Uhr. In diesem Augenblick stiess Jean-Louis Marlétaz zu ihnen, der von Fre- 6 Zu jener Zeit liess die Sorge um das tägliche Brot den meisten nur sehr wenig Freizeit.

7 Eine Gründungsversammlung trat am 19. April 1863 in Olten zusammen. Die zehn Gründer der Sektion Les Diablerets gehörten dem SAC an, der damals rund 130 Mitglieder in der ganzen Schweiz zählte.

8 Die Idee zur Gründung einer Waadtländer Sektion des SAC ging auf die Anregung von Auguste Bernus ( 1844—1906 ) zurück. Er war selbst im Gebirge aktiv und hat in den Diablerets eine Passage eröffnet, die seinen Namen trägt: die vire Bernus.

9 Viele Gründer und Mitglieder des SAC waren in erster Linie Wissenschaftler. So blieben wissenschaftliche Neigung und Tätigkeit lange Zeit innerhalb des Clubs lebendig.

10 Es kommt auch die Schreibweise « Pierre Cabotzi vor. ( Red. ) nières heruntergekommen war, um tanzen zu gehen - bis Mitternacht!

Nach dem Anmarsch und dem Studium der Schwachstellen der Pierre qu'Abotse erreichten sie nicht ohne Mühe die Scharte gegenüber einer senkrecht emporstrebenden Wand von 25 Metern. Dieses Hindernis, die berühmte , hatte bis dahin allen Versuchen ein Ende bereitet. Die Gruppe entledigte sich jeglichen überflüssigen Materials und nahm mutig die Wand in Angriff. Doch es lohnt, den Bericht von Henry Pascal im ( Echo des Alpes ) 1891, S. 212-222, hier wiederzugeben:

Widmen wir nun aber auch den Waadtländer Bergführern früherer Zeiten einige Gedanken, den Marlétaz, den Veillon, die so viele neue Routen ausgekundschaftet haben.

Ein neuer Abschnitt in der Entwicklung des Alpinismus setzte mit der Errichtung von Schutzhütten ein; um so mehr, als deren Bau den SAC allgemein bekannt machte. Nach dem Fehlschlag mit der am Pas du Lustre erstellten Unterkunft hat die Sektion Les Diablerets durch die Errichtung dreier Hütten in den Walliser Alpen gründliche Erfahrungen erworben: zweimal baute sie in Orny, einmal am Mountet oberhalb Zinal. Auf Wunsch der Bergführer von Plans und Gryon errichtete die Sektion 1895 die Cabane Rambert auf der Frête de Saille am Fuss des Grand Muveran. Mit den Jahren erwies sich das Gelände als rutschge-fährdet, und die Hütte wurde zerstört. Eine neue wurde 1952 auf gleicher Höhe, aber 900 Meter weiter östlich erbaut. Im Jahr 1904 errichtete eine private Gesellschaft im Entre-Ia-Reille-Tal die Cabane des Diablerets 12. Sie wurde später von der Sektion Les Diablerets subventioniert und ging 1957 in Besitz der Sektion Chaussy über. Im Jahr 1908 gründeten die Familie und Freunde des Dr. Raoul Masson den Club Pierredar. Diese jungen Enthusiasten bauten an der Nordflanke der Diablerets auf einem grossartigen, den Cirque de Creux de Champ beherrschenden Platz eine kleine, ständig geöffnete Hütte. Zunächst nur als sehr rudimentäre Unterkunft konzipiert - sie nahm zwei, von drei riesigen Felsblöcken gebildete Räume ein, war in Trockenmauerwerk errichtet, und der Boden bestand aus gestampfter Erde -, wurde sie sorgfältig unterhalten und bequemer gemacht, wobei man ihren rustikalen Charakter bewahrte.

Verschiedene Vereinigungen, zum Beispiel die Amis de la Nature ( AN; Naturfreunde ), die Fédération Montagnarde Unioniste ( FMU ) und die Union Montagnarde Vaudoise ( Um)13 haben, wenigstens zum Teil, dieselben Ziele wie der SAC.

Sogar die Armee begünstigte - ohne dies eigentlich zum Ziel zu haben - manchmal die Erschliessung unserer Gebirgsmassive; von ihr stammt zum Beispiel ein ganzes Wegenetz in den Dents de Morcles. Es ist vor allem das Werk der zum Militär Aufgebotenen und von Inhaftierten des Ersten Weltkriegs. Die Cabane de la Tourche in diesem Massiv ist von der Armee zwischen 1895 und 1900 gebaut worden; sie wurde 1946 dem SAC übergeben, dessen Ortsgruppe Saint-Maurice ( Monte-Rosa ) sie führt, ist aber weiterhin Eigentum der Armee.

Die Eroberung der Grate und Wände Zu Beginn unseres Jahrhunderts gehörte während rund dreissig Jahren E.R. Blanchet, Pianist, Komponist und sehr aktiver Alpinist, zu den gründlichsten Erforschern des Gebirges. Er führte eine grosse Zahl von Erstbesteigungen aus, darunter die der Petite Dent de Morcles über deren Nordostseite und den ersten Abstieg über die Südwestwand. Zur gleichen Zeit setzten auch Oskar Hug und Casimir de Rham ihre Kräfte voll ein, machten zahlrei- ehe Erstbesteigungen und eröffneten neue Routen. In einem einzigen Jahr - 1908 - konnten sie zwei bemerkenswerte Erfolge verbuchen: die erste Traversierung des Argentine-Grates, was mehrmaliges Abseilen verlangt -eine damals noch nicht sehr gut entwickelte Technik-, und die erste Besteigung der Nordwestwand der Dent Favre. Diese Route ist heute wegen ihrer Länge und ihrer Schwierigkeit die bedeutendste des Massivs.

Eine erstaunliche Besteigung führte auf einen etwas abseits gelegenen und unbeachteten Gipfel nordöstlich des Diablerets-Massivs, auf das Mittaghorn ( das damals noch Karrhorn hiess ) oberhalb von Gsteig. Sein Aussehen erinnert an den Mont Aiguille im Vercors. Dem Bericht über die Besteigung, der 1905 in ( Alpina ) erschien, seitdem aber in Vergessenheit geriet, entnehmen wir, dass die beiden Berner W. Baumgartner und H. von Freudenreich am 15. Juli 1905 in einer schwierigen Klettertour, für die wahrscheinlich Kletterschuhe notwendig waren, die Westwand durchstiegen haben.

Diese Erstbesteigungen bewegten sich im allgemeinen in den Schwierigkeitsgraden IM und IV.

Im Jahr 1922 kam es zu einem bedeutenden Ereignis auf dem Gebiet des Films. Emile Gos filmte - mit einem über 20 kg schweren Appa-ratwährend mehr als drei Tagen die Traversierung des Argentine-Grats durch A. und F. Veillon mit einem Gast14. Die Familie Gos hat durch Berichte, Gemälde und Photos in grossem Masse zur Verbreitung des Alpinismus und zur Kenntnis der Waadtländer Alpen beigetragen.

Ebenso im Jahr 1922 wurde die herrliche Wand des Miroir de l' Argentine zum ersten Mal durchstiegen, diese glatte konvexe, 450 m emporstrebende Platte, welche auch mitgeholfen hat, die Waadtländer Alpen über unsere Grenzen hinaus bekannt zu machen. Die grossartige Erstbesteigung war das Werk von André Bugnon, Jean-Pierre Vittoz und Henri " Dieser Aufstieg wurde drei Tage später von L. F. Cherix und J. Jaccottet wiederholt.

12 Der Société de la cabane des Diablerets gehörten Alpinisten und Bergführer an. Es sei darauf hingewiesen, dass zu jener Zeit das Baumaterial von Männern oder sogar Frauen auf dem Rücken transportiert wurde.

13 In diesen Vereinigungen sind jeweils mehrere Clubs zusammengeschlossen.

14 Der Film existiert noch. Er ist für alle, die die Klettertechnik jener Zeit, mit Nagelschuhen, starkem Armeinsatz und heftiger Anstrengung, kennenlernen wollen, ein sehr interessantes Dokument.

Die Südwestwand des Mittaghorns ( 2334 m ), ein selb- Moreillon. Von letzterem stammt der folgende Bericht:

Am Samstag, dem 27. Mai 1922, sind wir alle drei zu Fuss von Bex zur [Alp] La Benjamine aufgestiegen, wo wir unsere Rucksäcke Messen. Dann haben wir, während wir die Nordhänge der Alp Solalex hinaufmarschierten, die Wand bis ins Detail studiert. Wir wählten die uns am leichtesten erscheinenden Routenführung, um bei dieser Erstbesteigung alle Vorteile auf unserer Seite zu haben. Unsere Klettertechnik und unsere Nagelschuhe waren irgendwie primitiv, verglichen mit dem, was Ihr heute macht. Sonntag den 28. Mai15 sind wir um 3.30 Uhr aufgestanden und sind, sobald es das Tageslicht erlaubte, bis zum Fuss des Miroir gelangt, wo uns der dort abgelagerte, harte Schnee ermöglichte, den Riss ein gutes Dutzend Meter oberhalb des eigentlichen Beginns der Platte in Angriff zu nehmen.

Der noch sehr kalte und feuchte Fels bot unseren starren Fingern und den Nagelschuhen keinen Halt. Man kannte weder Vibram noch andere Kautschuksohlen. Weiter oben nahmen die Schwierigkeiten ab, der Hang wurde weniger senkrecht, und die Temperatur ständiger Gipfel, der nur Kletterern zugänglich ist stieg leicht. Doch an manchen Stellen fand sich noch Glatteis. Wir sind [anschliessend] über das grosse Firnfeld aufgestiegen, dessen Schneedecke ungefähr drei Meterhoch gewesen sein dürfte, um schnell den Kamm des Miroir zu erreichen. ) Im September desselben Jahres sind Laurent und Mabillard über eben diese Miroir-Wand abgestiegen, wobei sie etwa die gleiche Route wählten wie die Erstbegeher. Mabillard hat L. Seylaz über diesen Abstieg berichtet, der ihn in seinem 1924 erschienenen Werk ( S. 122 und 123 ) wiedergegeben hat:

( Von La Vare aus haben wir den Grat links ( westlich ) der Haute Cordaz erreicht. Ich hatte die Wand von Solalex aus geprüft, aber wenn man sich auf dem Miroir befindet, ist man verloren, denn überall finden sich Risse. Die Schwierigkeit besteht darin, den geeigneten zu wählen, sonst sitzt man fest. Wir steigen zunächst bis zu einer Spalte ab, die rechts von der Seite der Haute Cordaz herkommt und uns in die Mitte des Miroir führt. Von dort zieht sich ein Riss direkt bis zu dem grossen schrägen Band herab. Wir gleiten dann entlang der Platten [hinunter], die aber an einem Überhang enden; und bald können wir nicht weiter, recken den Hals und versuchen zu sehen, wie es weiter unten aussieht. Unser Seil ist zu kurz, und damit sind wir gezwungen, wieder ziemlich weit aufzusteigen, um auf der rechten Seite einen Ausstieg zu suchen. Während dieser Traversierung der Flanke hören wir plötzlich Steine krachen. Sie kommen direkt auf uns zu. Unmöglich, sich in diesen Platten Argentine-Grat. Blick auf Cheval Blanc und den obersten Teil des Miroir Miroir de l' Argentine zu schützen. Wir legen uns so platt, wie es irgend geht. Ein Stein nimmt meinen Hut mit, ein anderer trifft den Rucksack von Laurent. Nachdem der Steinschlag aufgehört hat, stehen wir auf und betasten uns: « Du hast nichts gebrochen? » - « Nein », antwortet Laurent, « aber ich blute. » Ein rotes Rinnsal läuft über seine Hose. Plötzlich bricht er in Gelächter aus: « Das ist Wein! » Eine Flasche Rotwein war das einzige Opfer dieses Überfalls.

Nach diesem Schrecken setzen wir unsern Marsch durch die Flanke Richtung Westen bis zu einem Couloir fort, das wir überqueren. Wir befinden uns [jetzt] auf einer Art Eselsrücken. Ein Kamin führt uns oben an den letzten Überhang, wo wir einen Stift anbringen. Das 25 Meter lange Seil reicht gerade eben bis unten. Der Rest ist dann problemlos. Wir folgen einem einfach zu begehenden Band bis zum Firnfeld. Wir haben für diesen Abstieg bis nach Solalex vier Stunden gebraucht. ) Vier Jahre später haben F. Delisle und Ch. Rathgeb mit Armand Moreillon - der sich bereits sehr jung mehrfach in dem Massiv ausgezeichnet hatte - in der gleichen Wand des Miroir die Y-Route eröffnet, die in der Folge die klassische Argentine-Route wurde und eine der schönsten Klettertouren der Waadtländer Alpen ist. Inzwischen hat man jedoch die erste Passage der ursprünglichen Route, das heisst die zu feuchte und bemooste Cheminée Moreillon, zugunsten einer einfacheren rechts davon aufgegeben.

Mit der Besteigung des Miroir hat die Geschichte der Bezwingung der Argentine über eine ganze Anzahl von Routen begonnen.

Das Pays-d'Enhaut steht ein wenig abseits all dieser Aktivität. Es muss dazu gesagt werden, dass diese Region bis 1850 keine mit Wagen befahrbaren Zugangswege besass, dass ausserdem die Bewohner ihre Bergbauernge-wohnheiten beibehalten hatten und sich wenig wissbegierig gegenüber der unberührten 15 Diese Tour wurde schon früh in der Saison durchgeführt, weil H. Moreillon sein erstes Propädeutikum ablegen musste, ehe er am 7. Juli 1922 in die Rekrutenschule einzurücken hatte.

Natur in der Höhe zeigten. Doch einige unter ihnen begannen, sich dafür zu interessieren -besonders für das Gummfluh-Massiv; der Schwerpunkt lag allerdings auf den Freiburger Alpen, vor allem auf den Gastlosen.

Der Club Rubly wurde zunächst gegründet, um die Entwicklung des Pays-d'Enhaut, in erster Linie auf alpinistischem Gebiet, zu fördern. Auf Anregung des Pastors Charles Cur-tet und eines Dutzends Gefährten wurde 1913 der Club Vanile gegründet, der nicht nur die Liebe zum Gebirge entwickeln, sondern auch das Klettern fördern will, indem er vor allem die einheimische Jugend dafür gewinnt. Im Jahr 1930 erbaute dieser Club die Cabane de la Videmanette auf der Südseite des Rocher à Pointes.

Zwischen 1920 und 1930 traten zwei tüchtige Kletterer auf den Plan, die sich mehrfach im Gummfluh-Massiv hervorgetan haben. Als erster sei Henri Lenoir16 genannt, der als Bauer im Sommer über wenig Freizeit verfügte, aber sich dennoch dank seiner Sicherheit und Ruhe zum besten Kletterer dieser Periode entwickelte. Auguste Bornet, ein Bäcker, war ein Bergführer von legendärer Kraft; mit mehr als 40 Jahren hat er zahlreiche Routen in diesem Massiv eröffnet. A. Bornet erhielt den Übernamen ( Concierge du Château Chamois ). Im Alleingang oder mit einigen Gefährten erkundete er systematisch die Gummfluhregion und eröffnete mit grosser Zielstrebigkeit fast fünfzehn Routen, was recht ungewöhnlich ist. Die Routen benützten Couloirs und oft Kamine mit eher schlechtem Fels, dazu führten sie über Auguste Bornet sehr steile grasbewachsene Hänge. Die Kletterer jener Zeit wussten sich auf derartigem Gelände hervorragend zu bewegen. A. Bornet erzählte gern und war für seine unglaublichen, mit viel Humor wiedergegebenen Geschichten berühmt. Er war auch stolz, Bergführer zu sein. Suzanne Chappuis, die das Vorrecht genossen hat, am Seil so berühmter Kletterer zu gehen, bewahrt unvergängliche Erinnerungen an ihre Touren und besonders an diese mutigen Menschen. Sie berichtet: ( Monsieur Bornet war gekommen, um mich zum Blumenpflücken abzuholen. Natürlich standen diese Blumen im Gebirge - ein Vorwand, um mich zu der ersten Besteigung der Nordwand der Gummfluh durch eine Frau zu führen! Es war im September, und der frische Schnee hat uns beträchtlich aufgehalten. Jedoch, wir sind in siebeneinhalb Stunden auf dem Gipfel angekommen, wo Auguste Bornet voll grösster Freude des Kirchenlied « Grosser Gott, wir loben Dich » anstimmte. Das hatte etwas Er-leuchtendes. ) Die erstaunlichen Brüder Müller Zwischen 1925 und 1935 wurden zwei ungewöhnliche Alpinisten bekannt, deren grosse Fähigkeiten und deren Erfolge nicht immer genügend gewürdigt wurden; sicherlich war ihre grosse Zurückhaltung daran schuld. Es handelt sich um die Brüder Alexandre und Martin Müller aus Chesières163. Gemeinsam begingen und eröffneten sie die grössten Routen des Massivs. Noch ein halbes Jahrhundert später flössen zwei ihrer Erfolge grössten Respekt ein.

Gummfluh Am 5. September 1935 veröffentlichte die ( Gazette de Lausanne ) folgende ihr zugesandte Mitteilung:

( Eine Überschreitung, die zählt: Am Sonntag, dem 1. September, hat A. Müller die erste vollständige Traversierung von der Tête de Bellaluex zur Dent de Morcles in einem Tag durchgeführt! Die vier Abschnitte dieser Kette, die jeder eine ziemlich lange und zum Teil schwierigere Tour als der Grat der Argentine bilden, werden gewöhnlich getrennt gemacht. Der sehr geringe Zeitaufwand von A. Müller ist aus diesem Grund interessant: Nachdem er am Morgen um 2.30 Uhr Anzeinde verlassen hat, überquert er Bellaluex, Tête à Pierre Grept, Tête à Veillon und den Grand Muveran. Abstieg zur Cabane Rambert, dann Pointe d' Aufalle, Dent Favre, Tête Noire und Grande Dent de Morcles, wo er um 21.35 Uhr ankommt; von dort steigt er noch bis oberhalb des Sees von Fully ab. Der Sonnenuntergang über dem See, von der Dent Favre aus gesehen, und der schwache Schein über der Landschaft in dieser mondlosen Nacht waren eindrucksvoll. ) Am 30. September 1934 führten A. und M. Müller nach vorhergehender Erkundung eine wirklich ungewöhnliche Besteigung durch. Dieser Aufstieg benützt die Nordseite des Zentralgipfels der Argentine-Kette. Die beiden Brüder eröffneten in einer 500 Meter hohen Wand jene Route, die als

Das Material jener Zeit war zudem mehr eine moralische als eine tatsächliche Hilfe. Man durfte sich keinen Sturz leisten, denn es war unmöglich, ihn zu halten, besonders auf dieser Route. Der Seilführer bot einer extremen Situation kühn die Stirn. Auf dieser Route brachten die beiden Brüder nur ungefähr 15 grosse geschmiedete Haken an, von denen einige wahrscheinlich Zimmermannsnägel waren 17. Es war das erste Mal, dass eine so lange und vor allem so schwierige und exponierte Route eröffnet wurde. Es handelt sich um die härteste Klettertour, nicht nur in diesem Massiv, sondern überhaupt in den Alpen der französischsprachigen Schweiz, und das manches Jahr vor der Wiederholung ähnlich grossartiger Leistungen. Diese Art von Routen entspricht jedoch nicht mehr dem Geschmack der heutigen Kletterer und gerät wegen des mühsamen Zustieges und der schlechten Gesteinsqualität etwas in Vergessenheit. Trotz mehrfacher Versuche wurde die

Der GHML ( Groupe de Haute Montagne de Lausanne ) Das Werk des Alpen-Clubs ist riesig, doch im Lauf der Generationen ist seine Aufgabe noch beachtlich gewachsen. Bau und Unterhalt von Hütten, Organisation des Rettungswesens, Veröffentlichungen, Schutz der Gebirgswelt, Versicherungen sind nur einige seiner Tätigkeitsgebiete.Von diesen Arbeiten in Beschlag genommen, kann es vorkommen, 16 Der heikle Grat des Petit Château war das Privileg von H. Lenoir.

16a Eigentlich gab es drei Brüder; auch der dritte, Otto Müller, war ein aktiver Bergsteiger.

" G.de Rham und seine drei Gefährten haben 1941 bei der Zweitbegehung der ( Voie Muller ) einige Haken und auch einen dieser Zimmermannsnägel gefunden, Material, das sicher von den Brüdern Müller zurückgelassen wurde, oder aber von Marius Blanc und seinen Kameraden bei einem Wiederholungsversuch. Anlässlich unseres Aufstieges über die ( Voie Müller ) im Jahr 1977 haben auch wir einige sehr alte Haken noch immer an ihrem Ort vorgefunden, und auch den Zimmermannsnagel!

dass der SAC Mühe hat, die Entwicklung des Alpinismus, wie ihn seine auf dem Gebiet des Kletterns aktivsten Mitglieder verstehen, im Auge zu behalten. In den dreissiger Jahren besass die Sektion Les Diablerets in Marcel Morel einen sehr dynamischen Tourenchef. Er organisierte grosse Berg- und Klettertouren und begeisterte zahlreiche junge Kletterer, denen es nur darum ging, mehr und besseres zu leisten. Da ihr Ehrgeiz nicht immer verstanden wurde, taten sich fünf Mitglieder der Sektion Lausanne im Dezember 1934 zusammen, um den GHML ( Groupe de Haute Montagne de Lausanne ) zu gründen. Nachdem ihnen ein Bestehen innerhalb des SAC verweigert worden war, konstituierte sich der GHML als unabhängige Gruppe. Zu jener Zeit war die Sektion Les Diablerets von drei grossen parallellaufen- Der Kessel des Plan Névé oberhalb von La Vare.Von links nach rechts: Tête à Pierre Grept, Arête Vierge, Pascheu und Grand Muveran den Unternehmen beansprucht: dem Bau der Cabane du Trient und der Cabane de Barraud und dem Erwerb des Gebäudes Beau-Séjour, in dem sich das Clublokal befindet. Wie der 1919 gegründete GHM von Paris und sicherlich durch dessen Publikationen angeregt, definierten die Gründer des GHML ihr Ziel wie folgt: ( Die Ausübung des Alpinismus fördern; seinen Mitgliedern das dazu geeignete Material verschaffen; eine alpinistische Elite begründen; die Unterlagen zusammentragen und den Austausch begünstigen. ) Die Vereinigung organisiert einige Touren, vor allem in den Waadtländer Alpen. Es sind, gemessen an den Fähigkeiten der Mitglieder, bescheidene Anstiege. Es handelte sich dabei aber wohl eher darum, die meist ziemlich individualistischen Leute zusammenzubringen. Von Anbeginn an stellt der GHML seinen Mitgliedern Ausrüstungsmaterial zur Verfügung und leistet auch finanzielle Zuschüsse bei der Durchführung von Touren oder Expeditionen in fernen Gebieten. Zu allen Zeiten hat die Gruppe die aktivsten Kletterer der Gegend zu ihren Mitgliedern gezählt. Tatsache ist jedoch, dass die Jungen heute weniger Unterstützung nötig haben als früher. Die Leitenden werden deshalb ihre Aufmerksamkeit darauf konzentrieren müssen das Weiterbestehen und die Existenzberechtigung der Gruppe zu sichern. Das Ziel der Gründer wurde im Lauf der Jahre weitergegeben und respektiert, jedoch ist es schade, dass eine solche Vereinigung sich an der Förderung des Waadtländer Alpinismus nur in geringem Masse beteiligt hat.

Beim Aufstieg zur Dent Favre mit Blick gegen Pte d' Aufalle und Petit Muveran.

Die Argentine und Georges de Rahm Das Durchklettern selbst einer äusserst schwierigen Felspassage besteht letzten Endes nur in einer Folge Bewegungen, die für die Fähigkeiten jedes normal gebauten menschlichen Wesens vollkommen natürlich sind, ebenso wie jedes Glied einer mathematischen Beweisführung sich in Schritte zerlegen lässt, die jedem gesunden Geist verständlich sind.

Georges de Rham ( Les Montagnes du monde ), 1946 Von den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts an wurde die Waadtländer Kletterszene, obwohl kein Konkurrenzkampf bestand, von dem sehr aktiven Georges de Rham beherrscht. Seine Kenntnis der Waadtländer Alpen und besonders der Argentine bewirkte, dass er mit verschiedenen Gefährten - deren getreuester Alfred Tissières war - ein Dutzend Routen eröffnete. Eine seiner Bemerkungen sei hier zitiert:

19 Edouard-Marcel Sandoz hatte bereits 1914 den Gedanken, das Reservat der Pierreuse zu schaffen. Später stellte er zusammen mit seinem Bruder Aurèle Mittel für die Verwirklichung dieses Traums zur Verfügung. L.M. Henchoz führte die nötigen Arbeiten dann mit Unterstützung der Ligue vaudoise de la protection de la nature und auch des gesamtschweizerischen Verbandes durch. 1958 und 1959 wurde das Reservat geschaffen, das heute eine Fläche von 20 km2 einnimmt.

Wissenschaft stellen sich, sobald ein Problem gelöst ist, weitere, und es gibt kein letztes Problem. ) Später, 1941, als er die Route der Bons Gazons eröffnete, wobei er nur einen Haken anbrachte, zog eine gewaltige, aus dem Abgrund zur Rechten aufsteigende Verschneidung seinen Blick auf sich: der Grand Dièdre. Der erste Aufstieg über diese logische Linie wirft ein gutes Licht auf die Entschlossenheit von G. de Rham18 und seinen Gefährten.

Die Eröffnung dieser Route gingen zahlreiche Versuche voraus. Dies galt besonders für die Ersteigung einer grossen, glatten Platte die vermittels einer langen, von Pendelquer-gängen unterbrochenen Traverse zu überwinden ist, welche von der Route der Bons Gazons ausgehend zum Fuss der grossen Verschneidung führt. Hier waren nicht weniger als sechs Stunden ständiger Anstrengung nötig, um den Grand Dièdre zu erreichen, und weitere zwei Stunden sehr schwierigen Kletterns, um auf den Grat zu gelangen.

Die zweite Begehung dieser herrlichen Route wurde von Lionel Terray, einem ausserordentlichen Alpinisten, durchgeführt, der diese Klettertour in seinem Buch ( Les conquérants de l' inutile ) erwähnt. Er nennt Georges de Rham und dessen ihn üblicherweise begleitenden Gefährten Alfred Tissières

Georges de Rham, 1903 geboren, ist ein Phänomen auf dem Gebiet des Felskletterns. Er erzählt mit Vorliebe, dass er als kleiner Junge sehr gern auf Bäume stieg. Auch die Erinnerung an seine erste Tour, die Pierre qu'Abotse im Jahr 1919, hat er noch genau im Gedächtnis bewahrt. Vor wenigen Jahren -1980 - übernahm er am Miroir der Argentine die Führung der Seilschaft, sein Gefährte war der kaum jüngere René Dittert. Das bedeutet also mehr als 60 Jahre Alpinismus. Georges de Rham eröffnete seine erste Route 1922 in der Westwand des Pacheu, sein Gefährte war R. Vonder Mühll. Dank seiner Geschicklichkeit und seines Temperaments konnte Georges de Rham während mehr als 40 Jahren Routen eröffnen, natürlich immer als Seilerster. Er be- reitet seine Touren, vor allem die neuen, mit grösster Sorgfalt vor und nimmt dabei auch Photos zu Hilfe. In den vierziger Jahren hatte er endlich Gefährten gefunden, die - ebenso wie er - den Alpinismus als die schönste Art der Erholung ansahen. Wegen seines Alters fühlte er sich den Jungen gegenüber, die auf ihn hörten, verantwortlich. Er hatte die Entwicklung des Alpinismus, in den Anfängen noch ohne Haken und Karabiner, miterlebt. Die Sicherung geschah, sofern eine solche überhaupt möglich war, mit Reepschnüren um einen Felsblock und das Seil wurde über die Schulter geführt, um einen möglichen Sturz des Gefährten zu halten. Er benutzte seine ersten Haken zum Abseilen, begriff aber schnell, welchen Vorteil Haken für die Sicherung bieten können. Mit Begeisterung begrüsste Rham 1940 die Einführung der berühmten Vibram. Er hat in den Alpen zahlreiche und grosse Touren gemacht und auch einige schöne Erstbesteigungen, vor allem im Gebiet des Baltschiedertal ( Berner Alpen ).

Die Seilschaft des Pays-d'Enhaut Ein Jahr zählt 52 Sonntage. Somit musste man pro Jahr 52 mal auf Tour gehen, und dies bei jedem Wetter!

Ernest Favre, genannt .

Auch in Château-d'Oex wurde geklettert, und wie! 1940, und sogar schon vorher, begann sich ein Trio hervorzutun, das legendär wurde: das Ehepaar Betty und Ernest Favre und der unermüdliche Louis-Maurice Henchoz, der sie begleitete. Während mehr als 20 Jahren sind sie, fast immer gemeinsam, durch die Alpen gezogen und waren auf den schwierigsten Routen der grossen Massive anzutreffen. Im Jahr 1948 gelang ihnen eine Erstbesteigung, die in der Geschichte des Alpinismus Epoche machte: Es handelt sich um den langen, herrlichen, vor allem aber sehr schwierigen Westgrat des Sabitschijen in den Urner Alpen.

Der Wohnort ( Château d' Oex ) dieser drei Seilkameraden liegt am Fuss zweier Berggebiete, die sie in jeder Richtung und bei jedem Wetter durchstreifen. Im ersten, den langgestreckten Gastlosen, haben sie rund zehn Routen eröffnet, dies vor allem auf deren Südseite, wo man schon früh im Jahr gute Verhältnisse antrifft. Das gilt nicht für das andere Massiv dasjenige der Waadtländer Alpen, dessen Wände auf Grund ihrer Nordexposition lange feucht bleiben. Sind hier die Bedingungen also einmal gut, dann ist auch der Sommer und folglich der Zeitpunkt für die grosse Touren gekommen. Gleichwohl bevorzugen sie dieses letztere Massiv, das zu erkunden sie nicht müde werden. Man sollte sie nicht fragen, was alles sie gemacht haben, sondern besser, was noch übrigbleibt! Douve, Château Chamois, Salaires, Biolet, Brecaca, Gummfluh, Pointe de Sur-Combe, alle Grate, alle Wände haben sie erklettert und mehr als 20 Routen eröffnet!

Louis-Maurice Henchoz, der der Seilschaft, zieht dabei ganz eindeutig die Begehung von neuen Routen den Wiederholungen vor. Er verfügt über eine bereits entwickelte Klettertechnik, und er plant die Touren, bereitet sie vor und hält vor allem nach Orten Ausschau, wo sich noch Routen eröffnen lassen. Er hat zudem viel geschrieben und durch Veröffentlichungen in den ALPEN dazu beigetragen, das Gebiet der Gummfluh bekannt zu machen. Schon früh wurde er sich der Bedeutung des Naturschutzes bewusst. Er hat sich stets in diesem Sinn mit Energie und beispielhafter Selbstlosigkeit für seine engere Heimat eingesetzt, manchmal sogar auf die Gefahr hin, Touren aufgeben zu müssen 19.

Die Organisation dieser besonders gut trainierten Dreiermannschaft von Château-d'Oex ist bemerkenswert. Jeder hat seine genau festgelegte Aufgabe.Vor allem aber ist die Seilschaft von Begeisterung und einer tadellosen Haltung beseelt. Betty Favre - klein und leichtgewichtig - lehnt es nicht ab, an der Spitze zu gehen, selbst auf neuen Routen. Zahlreiche Erstbesteigungen durch eine Frau gehen auf ihr Konto, und das zu einer Zeit, als es nicht üblich war, Frauen auf einem exponierten Grat oder in einer Wand hängend zu sehen. Schliesslich entledigt sie sich mit Geschick ihrer Aufgabe als Photoreporter der Gruppe.

Der Dritte im Bunde, Ernest Favre, genannt Jimmy, ist ein wahres Phänomen, zudem besitzt er gewaltige Hände. Er ist ein wenig die treibende Kraft der Gruppe, denn er verfügt über ungewöhnliche Widerstandsfähigkeit und Körperkräfte. Für ihn ist alles einfach: ( Die Rucksäcke waren niemals schwer, man trug Pierre Cabotz

sie. Die Zufahrtenpah, eine Kleinigkeit mit dem Velo. Die Anmarschwege waren niemals lang, man legte sie schnell zurück. Die Kletter-routenSelbst auf den schwierigsten und unter den schlimmsten Bedingungen stieg man auf, und das gelang !) Es war schön - das ist es immer -, und man liebte das Gebirge über alles. Doch das Leben eines Bergsteigers im Pays-d'Enhaut war den Bewohnern des Tals nicht immer verständlich:

Jimmy hat über seine Touren nichts geschrieben, aber in seinem fabelhaften Gedächtnis die Einzelheiten seiner Unternehmungen genauestens bewahrt. Er erzählt sie mit viel Humor und ausgeschmückt mit köstlichen Anekdoten. Seine Leidenschaft für das Gebirge fordert, dass man ihr alles opfere.

Die Bergsteigerlaufbahn des Ehepaars Favre und von Henchoz ist sowohl wegen ihrer langen Dauer als auch wegen der Zahl der Touren und der von ihnen eröffneten Routen bewundernswert.

Zur gleichen Zeit war in diesem Gebiet auch Maurice Duperrex sehr aktiv, der ein Dutzend neuer Routen durchstieg. Manchmal bildete er mit dem Trio - oder einem seiner Mitglieder -eine Seilschaft, doch sein häufigster Gefährte war Pierre Henchoz.

Waren die Kletterer aus dem Pays-d'Enhaut auch untereinander eng befreundet, so hatten sie doch wenig Kontakt zu den übrigen Waadtländern. Dank ihres Unabhängigkeits-strebens lernten sie alles selbst und stellten auch einen grossen Teil ihrer Ausrüstung selbst her.

Die Genfer In den Jahren 1940-1950 nahm man Routen der Schwierigkeitsgrade sschwierig ) und SSsehr schwierig ) in Angriff; die als ASäusserst schwierig ) zu bezeichnende

Offen und sympathisch, pflegen die Genfer einen nützlichen Kontakt zu den Waadtländern; Alpinismus und Klettern in unseren Gebieten haben ihnen viel zu verdanken, vor allem haben sie eine Reihe möglicher neuer Routen an der Argentine entdeckt. Ausserdem stehen sie dem ( leistungssportlichen Alpinismus ) nicht gleichgültig gegenüber, ohne dass jener aber in dieser Landesgegend üblich geworden wäre. Hingegen verbreitete sich die Praxis des intensiven Felstrainings. Die Waadtländer begannen, in Roche zu trainieren oder auch in St-Triphon, einem ehemaligen Steinbruch mit ausgezeichnetem Gestein, grossen Blöcken und einer 30 Meter hohen Steilwand. Damit begann in gewisser Weise in unserm Gebiet das reine Klettern, das spätere Sport- oder Freiklettern, so wie wir es heute kennen.

Bergführer und Patrouilleure Im Jahr 1948 wurde die Association vaudoise des guides de montagne ( AVGM ) gegründet; ihr erster Präsident war Armand Moreillon aus Plans-sur-Bex. Sein Ziel bestand darin, eine hochstehende berufliche Ausbildung zu sichern, gute Beziehungen zu Behörden, Clubs und Alpinisten ganz allgemein zu unterhalten und die Interessen seiner Berufskameraden zu schützen. Heute zählt die AVGM 37 patentierte Bergführer.

Die 1945 gegründete Union des patrouilleurs alpins - meist UPA 10 genannt- hat ihren Ursprung in der Freundschaft der während des Zweiten Weltkriegs im Dienst stehenden Patrouilleurs alpins der Gebirgsbrigade 10.

Die UPA 10 hat auf alpinem Gebiet eine lebhafte Tätigkeit entwickelt, ohne jedoch dem SAC, dem fast alle ihre Mitglieder angehören, Konkurrenz zu machen. In den Waadtländer Alpen errichtete die UPA 10 im Jahr 1953 die Cabane de Plan-Névé auf dem Westhang der Tête à Pierre Grept. Diese Hütte dient als Stützpunkt für den berühmten Ski-Langlauf-wettkampf um die Trophée du Muveran und als Ausgangspunkt für Touren im Becken von Plan-Névé. Zweimal von Lawinen zerstört, wurde sie wieder instandgestellt, mit Schutzmauern versehen und im Juni 1986 neu eingeweiht.

Heute zählt die UPA 10 in der französischsprachigen Schweiz mehr als 400 Mitglieder.

Das Training von Carlo Jaquet Die Ära des Kletterns als Sport an sich, mit einem Training an Blöcken oder kleineren Felsen, kündete sich in den Waadtländer Alpen zunächst durch die Aktivität einiger isolierter Kletterer an. Carlo Jaquet ist der kühnste unter ihnen.

Schon 1951 begann er sein Training an zahlreichen Mauern und Fassaden in Lausanne, wobei er oft seine Arbeitsschuhe trug - er war damals Gärtner der Stadt Lausanne. Er kletterte zu seinem Vergnügen, ohne die Absicht, Aufsehen zu erregen. Doch als er sich an Passagen wagte, die dem Schwierigkeitsgrad VI nahekamen und vorher mit der Bürste gereinigt worden waren, blieben die Vorüberge- henden verblüfft oder höhnisch stehen. Er schlug, zunächst ohne Erfolg, den Alpinisten vor, es ihm gleich zu tun; doch später machte sein Beispiel Schule: Wurde es in den sechziger Jahren nur zögernd aufgenommen, so hatte es sich schon zehn Jahre später allgemein durchgesetzt.

Von der Mitte der fünfziger bis in den Anfang der sechziger Jahre gelangen Jaquet einige schöne Erstbesteigungen in den Waadtländer Alpen. Er hob damit die Schwierigkeits-grenze auf SS/SS + an, wobei er oft Freiklettern und Klettern mit künstlichen Hilfsmitteln miteinander verband. Seine Anfänge an der Argentine, zusammen mit seinem Bruder Pierre, sind abenteuerlich. Die beiden Brüder begannen zunächst damit, sich vom Grat über die Routen der Wand abzuseilen, die sie anschliessend durchklettern wollten. Später setzt sich Carlos Stil immer deutlicher durch. Er ist mit einem ungewöhnlichen Gleichgewichtssinn begabt und kletterte besser als irgendeiner in der Gegend zu dieser Zeit. Die Jaquet haben gezeigt, wie man an der kleinen Steilwand des Mormont, in der Nähe von La Sarraz, ein regelrechtes Training durchführen kann. Wenig später wurde von Roger Gilléron und Claude Perrin ein weiteres Felsband, allerdings auf der Nordseite, entdeckt. Nachdem dieses von Mitgliedern des GHML gereinigt und eingerichtet worden war, wurde es seit den sechziger Jahren allgemein beliebt.

In den Waadtländer Alpen tat sich Carlo Jaquet besonders an der Argentine hervor, zunächst zusammen mit C. Gollut, dann mit Gilbert Apothéloz, einem genialen Bastler. Er fabrizierte selber Haken und Bohrhaken, von denen ihm zwei bei der Erstbesteigung des Grand Dièdre am Sommet Central über die Di rektroute20 nützlich waren, ohne die Strickleitern zu vergessen, deren Tritte aus Velofelgen gemacht waren. Für schwierige Routen verfertigte er Seilgurte, die im Falle eines Sturzes -den man unter allen Umständen zu vermeiden suchtesehr dienlich waren. Stets an der Spitze der Seilschaft, führte Carlo 1961 zusammen mit Maurice Delisle und Pierre Moret zwei schöne Erstbesteigungen aus. Auf der Nordseite der Tête Est der Argentine eröffneten sie zuerst eine Route von erheblicher Schwierigkeit. Doch an der Tour d' Ai ( oberhalb Leysin ) gelang ihnen die Erstbegehung einer der späteren grossen klassischen Routen, einer der schönsten mit dem Schwierigkeitsgrad SS in den Waadtländer Alpen ( später wurde sie in Freikletterei bewältigt ). Das Trio verschmähte die unberührten Risse am Rand jenes Pfeilers, der genannt wird. Zum Anfang nahmen sie, aus ästhetischen Gründen, eine schöne und harte Route an dem kompakten und mächtigen Pfeiler in Angriff.

Die Felskletterer Das Leben unserer Gesellschaft ist in voller Entwicklung. Dank des freien Samstags, der verbesserten Verkehrsverbindungen, des Autos und der günstigeren Zugangswege verfügt jeder über mehr Möglichkeiten und Zeit. Die Voraussetzungen für die Kletterer haben sich also tiefgreifend gewandelt.

Seit 1960 gibt es in den Waadtländer Alpen eine neue Generation von Felskletterern. Sie wagen sich in die abschreckendsten Wände, um dort Routen zu entdecken, die ihren Anforderungen entsprechen. Dank dieses Aufschwungs entwickelt sich das Klettern zu einer eigenen Sportart. Inzwischen geht, durch die Initiative verschiedener Seilschaften und Führer, die Erkundung bis in die hintersten Winkel weiter.

Zwei verschiedene Gruppen treten besonders hervor. Die betätigen sich im Massiv der Tours oberhalb von Leysin wie in einem erobertem Gebiet. Die andere Gruppe stammt aus Lausanne; sie hat eine noch unbezwungene Wand, die Ecuelle ( Anzeinde ), und die Argentine gewählt.

In der Zwischenzeit haben die Kletterer von Château-d'Oex 1962 eine schöne Route in der Westflanke des Rubli eröffnet. Sie ist auf merkwürdige Weise ausgestattet - die ( hausgemachten ) Haken bestehen aus dicken und langen Rohren - und entwickelte sich sehr bald zu einer klassischen Route. Ganz in der Nähe befindet sich die Bergstation einer eben errichteten Seilbahn. Die ersten Besteiger haben den Weg durch diese nicht immer ganz festen Felsen etwas freigelegt, eine Säuberungsarbeit, die man in Zukunft bei einigen neuen Routen systematisch durchführen wird.

Im Jahr 1963 legten drei Kletterer, die oft in der grossen Platte des Miroir der Argentine zu finden waren, eine neue Route an, die ( Directe ) mit ihrem herrlichen Schwung, die zur 20 Die Route wurde, nach einem Versuch ohne Bohrhaken, innerhalb des Tages eröffnet.

schönsten in den Waadtländer Alpen wurde ( Schwierigkeitsgrad S/S. Einer der drei an dieser herrlichen Erstbesteigung Beteiligten sei hier besonders erwähnt: Claude Gollut führte während vieler Jahre das Restaurant von Solalex am Fuss der Argentine. Seine bergsteigerische Laufbahn begann 1950 in den Gais Alpins, wo er - es ging um eine Liebesgeschichte - einem Mädchen folgte. Man muss wohl annehmen, dass für gutes Klettern jeder Anfang recht ist.

Am Miroir de l' Argentine; in der ( Directe ) Die Tours oberhalb von Leysin und die Erst am Ende der fünfziger Jahre begannen Kletterer, sich an den senkrechten Felsfluchten der Tours oberhalb Leysin, die gewöhnlich ( Tours d' A'i> genannt werden, zu messen. Die kühnsten unter ihnen waren die Waadtländer F. Jéquier und E. Nusslé, die drei oder vier Routen durchstiegen oder eröffneten. 1960 wurde die später Diamant getaufte Südwand der Tour de Mayen auf der überwunden.

Im Jahr 1960 traf in Leysin ein ungewöhnlicher Mann, ein Amerikaner, ein: der Turnlehrer John Harlin. Er liess sich im Dorf nieder, wo er zusammen mit Bev Clark die International School of Mountaineering ( ism)21 gründete und als Bergführer einige der damals besten Alpinisten, vorwiegend ( Anglo-Amerika-ner>, verpflichtete. Dabei diente Leysin sozusagen als ( Basislager>, um die Alpen zu erkunden, und zwar mit aufsehenerregenden Ergebnissen.

Die Tours ( Türme ) oberhalb Leysin wurden ihr eigentliches Klettergebiet, wo sie mehr als 20 Routen eröffneten.

Während langer Zeit waren die Waadtländer von den Leistungen dieser ( internationalen Stars ), eigentlicher Berufsbergsteiger, wie man zugeben muss, beeindruckt. Zu ihnen gehörte der absolute Meister der sechziger Jahre im Klettern mit künstlichen Hilfsmitteln, Layton Kor, der in den USA im Colorado und im Yosemite bedeutende Erstbesteigungen durchgeführt hat. In den Alpen hat er der Gruppe angehört, die im Winter 1966 die Eigernordwand über die Direktroute bezwungen hat.

L Kor, der als der beste Felskletterer seiner Generation gilt, hat sich an den Tours oberhalb Leysin ausgezeichnet, wo er fünf Routen eröffnete. Und was für Routen! In der Ostwand der Tour d' Aï hat er eine seiner meister-lichsten Leistungen ausgeführt: die benannte Route, ein Konzentrat von Schwierigkeiten, um das grosse Dach der Grotte zu überwinden ( AS, hauptsächlich künstliche Kletterei ). An der Tour de Mayen führte er die Erstbesteigung der eindrucksvollen Nordwand mit ihrem bedrohlichen überhängenden Profil aus ( AS, 200 m ). Es handelt sich um eine Route mit teils freier teils künstlicher Kletterei in sehr schlechtem Fels. Die Route ist sicher das bedeutendste Unternehmen in den Waadtländer Alpen, sie harrt immer noch der Wiederholung.

Zu den aktivsten Kletterern an den Tours gehörte vor allem John Harlin; er fand 1966 bei der Erstbesteigung der Eigernordwand über die Direktroute den Tod, weil ein Fixseil riss. Dann ist auch Dougal Haston zu nennen. Er war selbst im Winter auf allen bereits bekannten Aufstiegen zu finden und eröffnete sechs Routen. Der von wilder Entschlossenheit beseelte Amerikaner zeigte eine Vorliebe für Di-retissima-Routen. Seine Kameraden erinnern sich an ihn als an einen für kombiniertes Gelände ausserordentlich begabten Menschen. Er kletterte mit katzenhafter Geschicklichkeit.

Dougal Haston erkundete die Tours während zehn Jahren und wandte sich auch zweit-rangigen Gebieten zu, wie das in Grossbritannien üblich ist. In seinen Aufzeichnungen kann man lesen, dass er zum Beispiel die relativ unbedeutenden Felsen der Riondaz schätzte. Der Schotte Haston kletterte mit bei uns damals wenig bekanntem Material, nämlich geschmeidigen Sohlen und Klemmkeilen22. Er war vor allem von grenzenloser Leidenschaft und ebensolchem Mut beseelt23.

An den Tours eröffnete Haston sechs Routen, darunter zwei wichtige an der Nordwand der Tour d' Ai. Ebenso stellte Haston, unter Beizug der Aufzeichnungen von Harlin, das erste Verzeichnis der Routen im Massiv zusammen; sein Ziel war, einen mit Skizzen versehenen Führer zu schaffen. Auf dieser Grundlage wurde 1981 eine Übersicht über die Klettermöglichkeiten der Tours ausgearbeitet, die vollständig in die neue Ausgabe des vom SAC herausgegebenen ( Guide des Alpes et Préalpes vaudoises> aufgenommen wurde.

Royal Robbins war direkten Wegs aus dem Yosemite gekommen und brachte den europäischen Alpinisten neuartiges Material und revolutionäre Ideen. Seine Leistungen in den Alpen wirken durch ihren Umfang geradezu ver-unsichernd: Zwei neue Routen in der Westwand des Dru bei Chamonix; an den Tours drei, von denen eine - die nur 30 Meter hohe Ausstiegsvariante einer Harlin-Route - in den Waadtländer Alpen einen echten Markstein setzt. Pierre Vittoz, der Verfasser des 1970 erschienenen Führers für das Massiv, schrieb über den Ausstieg Robbins, es handele sich um ( die schwierigste Kletterroute in den Waadtländer Alpen>. Das stimmt, wenn man diesen unvergleichlichen Riss in freier Kletterei überwindet. Doch das Übermass des dort während vielen Jahren vorhandenen Materials zeugt von anderen Klettergewohnheiten. Zum Glück hat sich das in letzter Zeit geändert, doch man hat mehr als 15 Jahre darauf warten müssen. Zur Ergänzung der Geschichte der Route sei hinzugefügt, dass man, wenn der

Don Whillans, ein weiterer berühmter Alpinist, war Engländer. Auch er hat die Tours geschätzt - ebenso wie das Schweizer Bier. Zusammen mit D. Haston hat er einen schwierigen, in Klemmtechnik zu durchsteigenden Riss getauft. D. Whillans, L. Kor und R. Robbins haben zusammen auch eine berühmte Route am Diamant eröffnet, die des ( Dièdre ) ( ss, welche lockere Freikletterei, bietet ). Welch Vergnügen für spätere Seilschaften, den Spuren eines so bedeutenden Trios zu folgen!

21 Die ism ist eine von Bergführern geleitete Bergsteigerschule, die auf das Klettern in jeder Form und in jedem Schwierigkeitsgrad vorbereitet.

22 Damals dienten Schraubenmuttern, Bolzen, Steine und manchmal Seilknoten als .

23 Nachdem er sich in den Alpen solide bergsteigerische Erfahrungen angeeignet hatte - so durch Eröffnung neuer Routen selbst im Winter -, tat er sich seit den siebziger Jahren an den grossen Gebirgen der Welt hervor. Er gehörte der Seilschaft an, der 1970 die Erstbesteigung der Südwand des Annapurna im Himalaya und 1975 die der Südwand des Everest gelang.

Es wären noch weitere Alpinisten zu erwähnen, die - weniger bekannt, aber ebenso von internationalem Rang - eine oder mehrere Routen eröffnet haben, darunter M. Galbraith, J. Ferguson, B. Clark, B. Robertson und S. Fulton.

In jener Zeit äusserster Aktivität gelang den Waadtländern, die sich an diesem Massiv überwiegend beobachtend verhielten, jedoch eine schöne Route, die ( Centrale ) am Diamant ( SS, anstrengende Freikletterei ). Es sei noch vermerkt, dass Guy Neithardt, ein Waadtländer aus Leysin, oft mit den ( Anglo-Amerika-nern> eine Seilschaft bildete, vor allem mit Dougal Haston, und das auch andernorts als an den Tours, sogar im Himalaya!

Um 1975 verlegten die ( Meisten der ISM ihre Aktivitäten, was den Waadtländern ermöglichte, selber auf diesem von dem Nimbus des Geheimnisvollen umgebenen Gelände aktiv zu werden. Nach und nach gewöhnten sie sich an die leichte Ausrüstung und begannen, die Fel- sen der Tours, die vorher als ( unmöglich ) galten, zunehmend zu schätzen.

Kehren wir zu den Waadtländern selber und ihren Leistungen während der sechziger Jahre zurück.

Ecuelle und Argentine ( 1960-1970 ) Mit 30 Jahren entdeckte Léon Weissbaum auf Ski das Gebirge und begann zu klettern, und zwar am Miroir der Argentine. Wohl war er Autodidakt, doch er erwarb schnell grosse alpine Erfahrung. Gut 20 Jahre blieb er dieser Gegend treu, was ihm erlaubte, bemerkenswerte Leistungen zu vollbringen: mehr als 300 Touren an der Argentine. Seine Sicherheit machte es ihm möglich, mehrere Routen im Alleingang und ohne Material zu bewältigen, so kürzlich die ( Dalle Bleue ). Seine Zeiten sind erstaunlich: Zum Beispiel gelang ihm die ( Directe ) des Miroir — von Solalex bis zum Gipfel - in 53 Minuten. Diese Geschwindigkeit darf nicht missverstanden werden: Er ist von der abweisenden Welt der grossen Wände gefesselt, vor allem dann, wenn sie in winterlicher Stille erstarrt sind. Léon Weissbaum hat auch Wintererstbegehungen in den Alpen ausgeführt, und das zu einer Zeit, als diese Spielart des Alpinismus noch wenig entwickelt war.

Das Training ist Teil seines Alltags: Er turnt, läuft und ist regelmässig in den Klettergärten anzutreffen.

In den Waadtländer Alpen hat er ein Dutzend Routen eröffnet. Zusammen mit A.J.ac-quenoud und P.A. Froidevaux fiel ihm 1965 die damals noch jungfräuliche Wand der Ecuelle auf, deren Erkundung dann auf seine Anregung hin begann. Das Ergebnis war die Eröffnung einer Reihe schöner Routen.

Nach diesen Erfahrungen träumte Weissbaum davon, Direktrouten durch die Wände der Argentine zu ziehen. Er führte diesen Plan zusammen mit mehreren Gefährten an der Nordseite des Cheval Blanc und 1969 am Grand Miroir aus. An der Haute Corde eröffnete er zwei Routen zusammen mit dem jungen Kletterer Edgar Oberson, der sich bereits, gemeinsam mit Pierre Stadelmann, an der Ecuelle hervorgetan hatte. Einer der glänzendsten Schüler von Weissbaum ist Pierre-André Froidevaux, genannt PAF, der nicht nur gross gewachsen ist, sondern auch ungewöhnliche Kräfte besitzt. Anlässlich der Eröffnung der ( Directe ) am Cheval Blanc erkletterte Léon Weissbaum eine schwierige senkrechte Stelle als er zu einer abgespaltenen Felsplatte gelangte, wo er glaubte, eine Sicherung einrich- ten zu können. Aber hier musste er feststellen, dass sich die Schwarte in einem labilen Gleichgewicht befand und bei seinem Sturz die Seilschaft bedrohte. Er sah sich deshalb gezwungen, umzukehren und abzusteigen. Doch dieser Rückzug überstieg die Möglichkeiten des Tapferen, der den drohenden Sturz nahen spürte. Nun musste man in dieser Zeit wegen des Fehlens ausreichender Sicherungen jeden Sturz vermeiden. Darum stieg sein Seilgefährte PAF entschlossen einige Meter höher, um die Sturzhöhe seines Freundes zu vermindern; und es gelang ihm, mit nur einer Hand dessen Seil zu blockieren! An einem andern Tag konnte die Tour erfolgreich abgeschlossen werden, aber an der Hand von PAF ist noch immer die Narbe von dem Einschnitt zu sehen, den das Seil seines Freundes Weissmann bei dessen Acht-Meter-Sturz verursacht hat.

PAF hat sich rasch zu einem begabten Kletterer und vor allem zu einem sehr vielseitigen Alpinisten entwickelt. Sein Beruf als Gipser und Maler ist anspruchsvoll; da er aber Lohnarbeiten ausführt, kann er sich leichter als an- Die Tours oberhalb Leysin. Zur Linken die Tour d' Ai ( mit dem links abfallenden Sphinx-Felsen ), weiter rechts die Tour de Mayen mit der Dia-mant-Wand dere frei machen, um sich seinem Lieblingssport zu widmen. So gelingen ihm eine grosse Zahl von Aufstiegen und Felsfahrten. Die Liste seiner Erfolge ist bei uns ohnegleichen; allein in den Waadtländer Alpen hat er rund zehn Routen eröffnet, darunter die beiden bereits erwähnten Direktrouten auf der Nordseite der Argentine.

Die letzte Etappe Der letzte Abschnitt in unserm geschichtlichen Überblick zeichnet sich durch eine vorher nie erlebte Zunahme neuer Routen aus, zusammen mit der Entdeckung weiterer, als Klettergärten geeigneter Orte, die gereinigt und ausgerüstet werden. Auch die Autoren des vorliegenden Beitrages haben sich an dieser Entwicklung beteiligt24. Im Pays-d'Enhaut zeichnete sich A. Grobéty, zusammen mit verschiedenen Gefährten, mehrfach auf neuen Routen aus. W. Forster und Ph. Sonnard, beide aus Montreux, eröffneten 1979 in diesem Teil der Waadtländer Alpen, auf der Nordseite der Pointe de Sur-Combe, eine bedeutende Route. Dazu gehörte, abgesehen von der durch sie angebrachten soliden Ausrüstung, die Entfernung unsicherer Blöcke und grasigen Placken. Manchmal blieben sie sogar mehrere Tage in der Wand, wo sie in Hängematten biwakierten. In zahlreichen Einsätzen eröffneten sie schliesslich 430 Meter Kletterroute, hauptsächlich frei und in gesundem Fels.

Es ist für diese letzte Phase notwendig, die bedeutende Entwicklung zu beschreiben, die das Klettern seit 1970 erlebt hat. In diesen Jahren wurde auch den Routen systematisch ein Name gegeben.

Das freie, moderne und sportliche Klettern Bis dahin wurden die aktiven Kletterer unserer Gegend selbst von einem guten Teil der SAC-Mitglieder als leicht verrückt und waghalsig angesehen. Jedoch das Klettern wandelte sich ebenso wie die Einstellung seiner Anhänger. Der Beginn der Bewegung lag in erster Linie bei den Engländern. Es handelt sich um freies Klettern mit entsprechender Ausrüstung an Blöcken ( englisch boulders ), künstlichen Kletterwänden und an felsigen Klippen. Viele Kletterer begeisterten sich für diese Disziplin, die rasch an Verbreitung gewann. Man kann verhältnismässig früh, selbst noch als Schüler, damit beginnen; daraus erklärt sich zum Teil auch die Senkung des Durchschnittsalters bei ihren Anhängern. Man spricht in Zeitungen mehr und mehr vom ( Phänomen Klettern ), und im Fernsehen werden entsprechende Filme gezeigt. Eine vernünftige und faire Präsentation dieser Aktivität in freier Natur wird vom Publikum günstig aufgenommen.

Diese schnelle, noch junge Entwicklung darf aber nicht dazu verleiten, die früheren Leistungen zu unterschätzen, auf denen sie sich ja letztlich aufbaut. Es genügt, einmal wieder die alten Routen zu durchklettern, um sich -selbst versehen mit unserm modernen Material - bewusst zu werden, dass unsere Vorgänger ein beachtliches Geschick gezeigt haben. Wer starke Eindrücke liebt, versuche sich an der ( Voie Müllerder Route der Brüder Müller - an der Argentine; und wer den Gipfel nicht erreicht, sollte nicht nach zu vielen Entschuldigungen suchen!

Seit rund 15 Jahren kommen ständig neue Ideen und neues Ausrüstungsmaterial auf und werden dann in unseren Regionen übernommen, allerdings nicht immer reibungslos. Man kann sagen, dass diese Entwicklung erst seit etwa fünf Jahren von der Mehrheit der Alpinisten und Kletterer verstanden und akzeptiert wird.

In erster Linie ging es darum, normalerweise mit künstlichen Hilfsmitteln durchkletterte Stellen in Freikletterei zu überwinden. Das veranlasste die Freikletteranhänger, sich nicht mehr an den Haken und Sicherungspunkten emporzuziehen, und sich an diesen auch nicht mehr auszuruhen.

Zugleich hat man zuverlässiges und geeignetes Material entwickelt, wodurch es möglich ist, Stürzen mit einer gewissen Gelassenheit entgegenzusehen25.

Eine weitere wichtige Entwicklung: die Verwendung von Klemmkeilen, die vielfach die Haken ersetzen können 26. Werden sie vom Seilersten gelegt, bleiben die Passagen anspruchsvoller und oft sogar schwieriger als bei der Verwendung von Haken.

Die widersprüchliche Seite dieser Form des Freikletterns besteht darin, dass sie eine verhältnismässig grosse Zahl von Sicherungspunkten benutzt. Ist das wirklich ( Freikletterei )? Sie mögen das selbst entscheiden, auf jeden Fall wird das aber die nächste Generation beurteilen.

Diese verschiedenen Techniken wurden zunächst vorsichtig an niederen Wänden eingesetzt, die von nun an mit weichen und leichten Schuhen durchstiegen werden. Damit hat sich die Technik des Felskletterns geändert: Das kleintrittige Klettern mit harten Sohlen wurde zunehmend von der Adhäsionskletterei verdrängt, bei der man den Fels besser spürt und stärker mit ihm verbunden ist. Das Klettern an Felsblöcken bescheidener Dimensionen und vor allem geringer Höhe ermöglicht ein tatsächlich extremes und unbeschränkt freies Klettern. In der Folge erprobte man die neuen Erfahrungen an grösseren Wänden. Kleine Felsgebiete und Klettergärten wurden in ständig wachsender Zahl bekannt. So entwickelten sich die Felsen von Saint-Loup bei La Sarraz von 1974 an zum Wallfahrtsort der Lausanner und Waadtländer Kletterer. Aus der Tatsache, dass solche Gebiete bald überlaufen waren, ergaben sich verschiedene Probleme, unter anderem hinsichtlich des Natur- und Umweltschutzes und der Nachbarschaft zu den ansässigen Bewohnern der Gegend.

Zur Zeit eines C. Jaquet war der Gedanke des ( Freikletterns ) allerdings nicht die wesentliche Triebkraft, denn damals hatte noch die Technik des Kletterns mit künstlichen Hilfsmitteln die Oberhand. Aber heute ist das, was vor einigen Jahren undenkbar war, Wirklichkeit geworden.

Unter den neuen Extrem-Routen, die von unten in Angriff genommen und nicht von oben erkundet wurden, gilt es zunächst jene -vor allem 1984 - an den Tours oberhalb von Leysin eröffneten Routen mit Plattenkletterei im Schwierigkeitsgrad VI + zu nennen 27. Ein anderes, dem an den Tours ähnliches Klettergelände ist die Wand der Montons am Sanetsch. Dort gibt es wirklich phantastische extreme Routen wie die von 14 Seillängen 28. Was die Einschätzung der Schwierigkeiten betrifft, haben wir in unseren Gebieten ein System eingeführt, das dem der französischen Kletterer entspricht.

Will man die Skala von Weltzenbach ( I—VI ) weiterbehalten, so ist es nötig, die Einstufun-gen den heutigen Verhältnissen anzupassen. Material und Vorstellungen haben sich im Lauf der letzten 15 Jahre erheblich gewandelt. So kann man des öftern feststellen, dass ein

Klettert man eine kurze Passage - höchstens einige Meter- im Alleingang ( Solo ) und ohne Material, so gelingt es, die Schwierigkeit genau zu bestimmen und mit der entsprechenden Ziffer anzugeben.

Bei einer Route von mehreren Seillängen handelt es sich bei der Angabe des Schwierigkeitsgrades mehr oder weniger um eine Schätzung. Sie wird von einem Kletterer gegeben, der, während er die Route durchsteigt, nicht unbedingt in Höchstform ist und auch die Bedingungen sind vielleicht nicht optimal. Ausserdem kann die Bewertung der Schwierigkeit je nach dem verwendeten Material und den Witterungsverhältnissen ( trocken oder feucht usw. ) sehr verschieden ausfallen.

Die Grundlage jedes Erfolgs bleibt das Training. Mehr denn je ist ein spezifisches und tägliches Training unerlässlich. Um sich an den VII. Grad zu wagen, ist eine vorherige Erkundung des Geländes, gelegentlich auch von oben, notwendig. Vergebliche Versuche und Stürze gehören bei derartigen Schwierigkeiten zum täglichen Brot! Für den Augenblick gibt es in den bei uns bekannten Klettergebieten nur einige wenige Stellen ( ) im VII. Grad, so in Saint-Loup; ebenfalls wurden an den Tours oberhalb Leysin der Grad VI + und sogar VII bezwungen. Im Verdon gibt es zum Beispiel Routen eines noch höheren 24 Vgl. den Bericht von Maurice Brandt, S. 154 ff.

25 Das Seil dämpft zunächst einen Sturz, bevor es ihn aufhält; die Klettergurte bringen einen Tragkomfort und geben zugleich die unbedingt nötige Sicherheit; auch Schlingen, Karabiner und besondere Sicherungsmittel ( bestehend aus M 10-Bohrhaken ) sind heute so dimensioniert, dass sie einen Sturz aufzuhalten vermögen.

26 Das Klettern mit Klemmkeilabsicherung hat ein neues Element und damit auch einen ganz neuen und schönen Kletterstil hervorgebracht. Einen Klemmkeil statt eines Hakens anzubringen, vermittelt ein Gefühl der Freiheit und Leichtigkeit. Das heisst nicht, dass der Haken altmodisch oder unnütz ist. Manchmal kann er sogar noch unentbehrlich sein.

27 Bei diesen Routen in der Südwand des Diamant handelt es sich um , ( Cherchez pas d' excusesi und

Schwierigkeitsgrades, also VIII ( Auskunft von 1984 ). Die Überwindung solcher Schwierigkeiten erfordert eine neue Form des Kletterns, das sogenannte ( sportliche ) Klettern. Der Kletterer macht während des ganzen Jahres nichts anderes mehr, so wie ein Athlet einer Nationalmannschaft. In anderen Gegenden wird diese Form des sport- und leistungsorientierten Kletterns bereits ausgeübt, bei uns befindet sie sich noch in den ersten zaghaften Anfängen.

Über all dem sollten wir aber nicht vergessen, dass es für jeden herrliche Klettermöglichkeiten gibt!

Die Brüder Remy ( vorgestellt von Maurice Brandt ) Die Zahl der von ihnen eröffneten Routen ist beachtlich: In den Waadtländer Voralpen und Alpen sind es rund hundert, aber auch in anderen Gebieten - Freiburger Alpen, Jura, Verdon, Vercors, Chartreuse, Dévoluy, Berner Alpen, Urner Alpen, Montblanc-Massiv, Oisans, Grossbritanien und in diesem Jahr sogar in Jordanien - können sie mit schöner Regelmässigkeit neue Routen für sich verbuchen.

Ihre Laufbahn als Kletterer begann 1965 in den Verraux, wohin sie ihr Vater, der ihnen ein sehr anspruchsvoller Lehrmeister war, mitnahm. Kälte, Hunger und Müdigkeit waren oft ihr Schicksal bei vielen ihrer Touren. Touren die zudem von einer Seilschaft, bestehend aus dem Vater und seinen zwei jungen Söhnen, die ihm bei einem Unfall keine Hilfe hätten sein können, unternommen und auf erstaunliche Weise bewältigt wurden.

Im Jahr 1969 musste der Vater feststellen, dass sein Wille allein nicht mehr ausreichte, um eine schwere körperliche Behinderung zu überwinden. Er musste für lange Zeit auf die Berge verzichten. Die Söhne bewiesen sehr schnell eine Vorliebe für den Fels, den sie für zuverlässiger ansahen als Schnee und Eis. Bereits im Jahr 1970 eröffneten sie ihre erste neue Route in der Ostwand der Gais Alpins. Von da an betrieben sie ein systematisches Training. Die Klettergärten von Eclépens, Vallorbe, Saint-Loup und Covatanne dienten ihnen als Übungsgelände und wurden von den beiden Brüdern um viele neue Routen bereichert.

Die grossen Touren, die sie damals in den Alpen unternahmen, haben sie im Sturmschritt hinter sich gebracht.

In den Jahren 1974 und 1975 lernten sie - in England - einheimische Kletterer kennen und entdeckten das Freiklettern mit Klemmkeilen, weichen Schuhen und dazu geeignetem Klettergurt. Sie verwendeten diese Technik zunächst vorsichtig und erhoben sie erst 1977 zum Prinzip, nachdem sie die für sie bereichernde Bekanntschaft von Kletterern im Verdon gemacht hatten.

Durch die Engländer lernten sie einige Klet-tergrundsätze kennen, die sie seitdem nicht mehr aufgegeben haben. Deren Einführung in einer den Waadtländer Alpen angepassten Form geschah vor allem in Saint-Loup: Haken oder Bohrhaken werden vor oder neben den schwierigen Passagen angebracht, damit sie nicht mehr als Kletterhilfen, sondern nur noch der Sicherung dienen können.

Der Stil der Seilschaft verfeinert sich, die Geschwindigkeit wächst. Die systematische Erforschung der Wände hat immer damit begonnen, sich auf das von den Vorgängern -denen sie den schuldigen Respekt erweisen -übernommene Erbe zu stützen.

In den Jahren 1970-1984 wird die Chronik der Waadtländer Alpen durch die Brüder Remy geprägt. Ihr Wohnsitz in der Nähe des Genfersees veranlasst sie dazu, sich in ganz besonderem Masse den Bergen ihrer Umgebung zuzuwenden, wo ihre Tätigkeit ja auch ihren Anfang genommen hat. Eine Vorliebe für die Region der Rochers de Naye, wo Claude im Winter arbeitet, hat sie dazu bewogen, alle wie auch immer gearteten Felsen des Gebiets zu erklettern.

Im Jahr 1978 setzte ihr Interesse an Winterbegehungen in der neuen Eistechnik mit Ankerpickel ein. Dies ermöglicht es, steile Eisfelder und gefrorene Grashänge zu überwinden. An der Argentine, wo noch nicht alle Möglichkeiten erschöpft waren, eröffneten sie logische Routen, darunter einige von 500 Metern Länge.

An den Tours oberhalb Leysin, die sie mit grosser Gründlichkeit erschlossen haben, wiederholten sie nicht nur fast alle bestehenden Routen, sondern vervielfachten auch die Zahl der neuen.

In die Jahre 1982/83 gehört die Entdeckung eines Geländes in der Nähe des Sanetsch-passes, an der Falaise des Montons ( 300 m ), am Gstellihorn. Die Aneinanderreihung neuer Routen geschieht hier in schnellem Rhythmus; dieser Stil ist den beiden leidenschaftlichen Kletterern zur Gewohnheit geworden.

In diesem Kalkfelsen der Montons eröffneten sie 1984 die beiden wirklich ausserordentlichen Routen und , die nahe beieinander durch ausgezeichneten Fels führen, der einen phantastischen, in unseren Regionen einzigartigen Kletterstil erlaubt. Es sind zweifellos die beiden schönsten Routen der Romandie29.

Sanetsch/Montons-Süd- wand Bild oben: In der Route Bild rechts: In der Route Auf diese Weise wurde die Gesamtheit der Waadtländer Voralpen und Alpen, die bezüglich Felsqualität fälschlicherweise oft als undankbares Gebiet eingeschätzt werden, Gegenstand einer systematischen Erkundung. Ein solcher Unternehmungsgeist hat dazu geführt, dass dort, wo niemand es für möglich hielt, noch Neues entdeckt wurde. Die Brüder Remy haben sich darangemacht, Führer und Berichte ihrer Vorgänger zu studieren, und dabei festgestellt, dass sie Erben einer langen Gebirgstradition sind. Sie haben den Waadtländer Bergen, die so oft im Schatten anderer, als attraktiver geltenden Massive stehen, durch ihre Erkundungen ehrenvoll gedient.

Winter- und Alleinbegehungen Diese zwei Formen des Kletterns werden von einer begrenzten Anzahl von Anhängern gelegentlich und manchmal in aller Stille praktiziert. Wir können hier keine vollständige Liste aufstellen, dazu fehlen uns die Unterlagen. Wir beschränken uns also auf die wichtigsten uns zu Ohren gekommenen Tatsachen.

Winterbesteigungen Im Winter treffen wir in den Nordseiten im allgemeinen auf stark veränderte Verhältnisse. Die Freikletterei im Fels wird erheblich schwieriger. Die folgenden Angaben betreffen vor allem Touren in dieser Exposition.

Am 28. Februar 1864 erstiegen sechs Mann, darunter J.J. Bennen, der Bezwinger des Weisshorns, den Nordostgrat des Haut de Cry. Sie sanken bis zur Brust in den Schnee ein. Als sie 350 Fuss unter dem Gipfel waren, wurden sie von einer Lawine fortgerissen, und zwei fanden den Tod.

Zu jener Zeit galt das Gebirge während des Winters als unzugänglich. Entdeckte man bei einfachen Touren das Nebelmeer und darüber die Sonne, war man erstaunt.

Am Col des Chamois. Im Hintergrund die Diablerets Wahrscheinlich in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts erreichten Bernus und Dr. Bugnion einmal zu Weihnachten den Col de la Croix, ein andermal im März Anzeinde.

1873 forderte Emile Javelle vom SAC, er solle Wintertouren organisieren30.

Im Winter 1928 erstiegen die Brüder Müller einen Teil der névés du Régent Bernard in der Nordwand des Grand Muveran, anschliessend fuhren sie mit Ski ab.

29 Vergleichbar sind in unseren Massiven nur die folgenden, allerdings kürzeren Routen: Waldeckspitze, Nordwestwand ( Freiburger Alpen ); Tour de Mayen, Südwand ( Waadtländer Alpen ), die drei neuen Routen des Jahres 1984.

30 Er selbst hatte in dieser Jahreszeit zu Fuss die Pointe d' Orny erklommen, wobei er vom Forclazpass ausgegangen und mitten durch den Eisbruch des Glacier du Trient emporgestiegen war.

Am 21 Januar 1959 durchstiegen P. Danalet und A. Desponds den Westrand des Grand Miroir der Argentine. Eine ausserordentliche Erstbesteigung in den Waadtländer Alpen.

Dank des ungewöhnlichen Winters 1963/1964 mit wenig Schnee und nicht zu starker Kälte waren mehrere schöne Besteigungen möglich: am 26. und 27. Dezember 1963 die

Im Januar 1965 führten B. Boucher und D. Haston die Wintererstbesteigung und Zweitbesteigung der

Am 11. Februar 1971 erstiegen E. Oberson und A. Zulauf die Nordwand der Gummfluh.

Im Winter 1975 führten B. Clark und D. Haston die Wintererstbesteigung und zugleich Zweitbesteigung der

Wahrscheinlich im Januar 1975 durchstiegen A. Giobellina und D. Haston die Cascade du Dar oberhalb des Col du Pillon. Damit wurde erstmals in unserem Gebiet ein so steiler Eisfall erklommen, was dank der neuen Eistechnik mit Ankerpickel möglich geworden war.

Am 27. und 28. Dezember 1975 eröffneten C. und Y. Remy eine Felsroute in der Nordflanke der Chaux de Naye.

Dieselben Kletterer durchstiegen im Januar 1978 mit Hilfe der erwähnten neuen Technik das Couloir Central der Nordwestflanke der Rochers de Naye. Das war der Beginn der Miroir de l' Argentine winterlichen Besteigungen und Routeneröffnungen an den Rochers de Naye, mit ihrem für die neue Eisklettertechnik sehr geeigneten Gelände.

Alleinbegehungen Es bestehen mehrere Formen der Alleinbesteigung. Die ersten Kletterer sicherten sich kaum und überluden sich nicht mit Material. In jener Zeit waren also die Risiken für den Führer einer Seilschaft und einen Einzelkletterer nicht sehr verschieden. Als dann die Besteigungen immer schwieriger wurden, musste man immer mehr zu zuverlässigem Material greifen, um sich zu sichern.

Die wenigen Kletterer, die sich allein an Routen der Grade SS bis AS wagten, benutzten ein System der Selbstsicherung, das sie bei jeder Seillänge zu Hin- und Rückwegen zwang.

Die Entwicklung des ( vollständig ) freien Kletterns in jenen letzten Jahren hat alle Alleingänger unter den Kletterern vereinigt. Die besten Anhänger der reinsten Form freien Kletterns durchsteigen die schwierigsten Routen, ohne das am Ort vorhandene Material zu benutzen oder eine andere Ausrüstung als die Schuhe mitzunehmen. Diese - sehr selektive -Form des Kletterns darf nur von solchen Klet- terern ins Auge gefasst werden, die physisch und psychisch gut trainiert sind.

Im Jahr 1881 erstieg G. Béraneck die Quille du Diable, eine beachtliche Leistung für jene Zeit.

A. Moreillon - damals noch sehr jung -zeichnete sich auf verschiedenen Routen durch Alleinbegehungen aus. Im Jahr 1920 stieg er über den Nordgrat des Petit Muveran ( ZS = ziemlich schwierig ).

Im Lauf der zwanziger Jahre erkundete A. Bornet verschiedentlich im Alleingang das Massiv der Gummfluh, wo er mehrere Routen eröffnete. Einige Kamine tragen seinen Namen.

Im Jahr 1928 kletterte A. Müller allein über die Nordwand der Pierre qu'Abotse ab. Im gleichen Jahr erstieg er die Ostseite dieses Gipfels. Beide Routen sind als S eingestuft.

1934 und dann 1940 bewältigte H. Flotron zwei Routen des Grades ZS, die eine an der Tête à Grosjean, die andere an der Tête d' Enfer.

1947 durchstieg M. Duperrex die Westwand des Petit Château ( S ).

In der Folge fehlen Nachrichten, doch ist es sicher nicht unberechtigt, wenn man annimmt, dass alle klassischen Routen der Waadtländer Alpen im Alleingang gemacht wurden.

Es seien noch einige erfolgreiche Alleinbe-steigungen genannt:

Im Jahr 1965 eröffnete P. Danalet eine Route an der Tête aux Chamois ( SS ); 1975 durchkletterte E. Oberson die Dalle Bleue der Argentine; L. Weissbaum wiederholte diese Route im Alleingang: auf diese Art gelangen ihm auch mehrere andere Routen der Argentine. Zu Beginn der achtziger Jahre er- öffnete C. Remy mehrere Routen an der Dent de Jaman und den Rochers de Naye.

Zahlreiche Routen der Tours oberhalb Leysin wurden in den Jahren 1960-1970 von an-glo-amerikanischen Kletterern im Alleingang bezwungen.

Im Jahr 1984 hat Yves Remy an der Sphinx die Routen rechts und links des Couloirs, die ( Voie Harlin> und, an der Westwand, die ( Voie de la Cheminée ) im Alleingang durchstiegen.

Dank Am Schluss dieser Abhandlung zur Geschichte des Alpinismus im Waadtland möchten wir noch allen Personen, die uns bei unserer Arbeit und unseren Nachforschungen geholfen und beraten haben, unseren tiefempfundenen Dank aussprechen. Wir hätten hier gerne eine Liste mit allen Namen aufgeführt; jedoch war diese so umfangreich, dass die Redaktion unserem Wunsch nicht entsprechen konnte. Unsere Dankbarkeit haben sie sich damit aber nicht weniger erworben!

Wir danken auch von ganzem Herzen den Freunden und Bekannten, die, sei es im Verlauf eines Briefwechsels, sei es noch öfters anlässlich persönlicher Begegnungen, uns ermutigt haben, indem sie uns nützliche Informationen zukommen Messen.

Ihnen allen schulden wir grossen Dank.

Aus dem französischen Teil. Übersetzt von Roswitha Beyer, Bern.

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