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Auf alten und neuen Wegen nach Zermatt

Remarque : Cet article est disponible dans une langue uniquement. Auparavant, les bulletins annuels n'étaient pas traduits.

VON ADOLF FUX, VISP

Wer ehedem von Visp, dem noch der Rottenebene zugewandten Hauptort jenes Bezirkes, darin die höchsten Schweizer Berge stehen, auf staubigem Saumweg südwärts talein wanderte, rastete gern in Stalden. Ein stattliches Dorf, seiner milden Lage und witzigen Leute wegen viel gerühmt und heute durch sieben Brücken mit der Um- und Aussenwelt verbunden. Die älteste davon ist die 1544 bogenförmig gemauerte Chi-Brücke für Fussgänger und Saumtiere, die immer weniger werden, die jüngste, die 1964 in Beton erstellte St.Michaels-Brücke, die den Anforderungen des ins Unmäs-sige gesteigerten modernen Verkehrs gerecht wird. Wie durch einen Keil von der Mischabelgruppe gespalten, gabelt sich das Tal. Die Wegweiser zeigen nach Saas und Zermatt, beide in hohem Ansehen und Gletscherglanz stehend, Zermatt zudem noch vom Matterhornjubiläum überstrahlt. Anlass genug, ohne Zögern den alten Weg ins Mattertal einzuschlagen, soweit er noch gangbar ist oder in Geschichte und Erinnerung fortdauert. Abzweigungen weisen nach den hoch am linken Talhang liegenden Dörfern und Weilern von Törbel und Embd hin. Erst noch von Nussbäumen beschattet, führt der Talweg bald über Steppenhaft bewachsene Weiten, wieder durch grün ausge-schlagene Mulden und Gebirgsfalten, über Bächlein, die noch irgendwo eine alte Klappermühle treiben, eine Hammerschmiede oder ein Sägewerk, ehe sie sich in das Gebrodel der Vispa stürzen und mit ihr vereint schäumend durch Schluchten drängen, während der Wanderer in entgegengesetzter Richtung weiter in das steinreiche und regenarme Tal hineinzieht, wo Wildbach und Lawine bestimmen, wo der Mensch sesshaft werden und Nährboden gewinnen darf, aber auch unter dräuenden Felsen zu wohnen wagt, wie die Leute in St. Niklaus, dem in der Pionierzeit des Alpinismus für die Hochtouren im Mischabel- und Weisshorngebiet erstrangige Bedeutung zukam. Hier lebten die Bergführer und Felskletterer Knubel, Lochmatter und Pollinger, die sich ausser in den Heimatbergen auch im Nadelgebirge von Chamonix, im Kaukasus und im Himalaya bewährt haben. Seit dem Bau einer Autostrasse ist St. Niklaus auch Ausgangspunkt für Grächen, das in der Mitte zwischen Grund und Grat auf sanft gewellter Hochflur liegt und sowohl als Mischabeldorf wie Geburtsort von Thomas Platter bekannt geworden ist. Der Weg nach Zermatt führt über Herbriggen, das man 1959 von rund 200 000 Kubikmetern Fels, Moräne, Schnee und Eis bedroht glaubte, deren Anbruch man in einer Höhe von 2800 Metern entdeckt hatte, ein « schleichender » Bergsturz, der dann glücklicherweise zum Stillstand kam, so dass die flüchtigen Bewohner des Weilers wieder in ihre Häuser einziehen konnten. Gehört Herbriggen noch zu St. Niklaus, bildet dagegen das auf einer Gletschermoräne stehende Randa eine eigene Gemeinde, die sich nicht nur der blumigsten Wiesen und derenthalben des schönsten Viehs rühmen darf, sondern unvergessen lässt, dass die Erstbesteigungen vom Dom wie vom Weisshorn von hier aus unternommen wurden. Das letzte Dorf vor Zermatt ist das zwischen einem Bergsturz und einem Wildbach eingebettete Täsch. Der Sage gemäss soll das erste Dorf von einem Bergsturz, der von den Leiterspitzen, den wilden Ausläufern des Täschhorns, niedergegangen ist, verschüttet worden sein. Eine zweite Siedlung am jenseitigen Hang soll der Schallibach vernichtet haben. Und bald wäre auch der dritten 6 Die Alpen - 1965 - Les Alpes81 Siedlung, dem heutigen Dorf, ein gleiches Los beschieden gewesen. Im Juni 1957 schwoll bei starkem Föhn und heftigen Gewittern der Täschbach verhängnisvoll an. Die Wasser trugen Moränenschutt und Schwemmerde durch die Felsschlucht auf das Dorf zu, verheerten einige Gebäulichkeiten und liessen auf den Grundgütern gewaltige Schutt- und Steinmassen zurück. Der alte Dorfteil aber blieb unversehrt. Obwohl ein in allen Teilen merkwürdiges Dorf mit dem eigenartigsten Kirchturm, wird Täsch von den meisten Reisenden übersehen, weil sie schon die längste Zeit nach dem Matterhorn Ausschau halten, das sich jedoch dem Wanderer in der Talsenke wie den Bahnreisen-den noch nicht zeigt, als möchte es seine ganze Pracht und Grosse für Zermatt allein aufsparen, für dieses ehemalige Bauerndorf, das durch den internationalen Alpinismus zur Bergstadt geworden ist.

Wann und von wem die im Jahre 1476 in die Viertel: « Hoffero, Wynchelmattero, Aroleytero und Muttero » geordneten Liegenschaften im Endkessel des Mattertals besiedelt und bebaut worden sind, weiss kein Mensch und sagt keine Schrift. Behauptet ein Geschichtsforscher, es sei durch Kelten geschehen, so rät der andere auf Sarazenen, was der dritte widerlegt. Werden Kelten für einige Hochtäler des Wallis als Ursiedler angenommen, ist dagegen die spätere Anwesenheit von Sarazenen nicht erwiesen. Von Bagnes bis ins Saastal suchten Gelehrte nach Spuren und Zeichen und stritten sich über Berg- und Passnamen, deren Klang ungewohnt ist, wie Mischabel, Allalin und Monte Moro. Heute aber scheint die Sarazenentheorie abgetan für immer, obwohl ein Kern Wahrheit darin stecken könnte.

Auch die Ortsbezeichnung Zermatt ist umstritten. Schrieb der Walliser Kantonsarchivar Dr. Leo Meyer: das uralte Zermatt, heute das « hintere » Dorf habe bis ins 19. Jahrhundert schlechthin « d'Lochmatta » geheissen, war das für den eingebürgerten Zermatter Prof. Dr. Albert Julen zu profan und albern. Er stützte seine Gegenbehauptung auf einen Kaufbrief des Jahres 1280, darin der damalige Pfarrer von Zermatt als Zeuge auftrat und zwar als « Waltherus curatus de Prata-borno ». Auch in weitern Akten fand Dr. Julen diese romanische Dorfbezeichnung, was allerdings auf die damalige bei den Notaren angewandte Latinität in der Schreibweise zurückzuführen sein dürfte und desto trotz auf eine simple Matte oder Wiese im Loch oder an der Grenze schliessen lässt. Und da die Bauern selbst nicht lateinisch sprachen, werden sie wohl kurz « Lochmatte » gesagt haben. Die Italiener französischer Zunge in Breuil und Valtournanche aber nannten Zermatt « Praborgne ».

Auf der ältesten Schweizer Karte, die 1495/97 in Zürich erschienen ist, findet sich der Dorfname als « Matt »; später kam dann die Schreibweise « Zu Matt » oder « Zur Matt » auf. Und seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts heisst es in allen Sprachen « Zermatt ». Für das Matterhorn jedoch wird als älteste bekannte Bezeichnung der Name Mons Sylvius angenommen Doch kam dieser Name ursprünglich eher dem Matterjoch oder Theodulpass zu und dürfte auf eine keltische oder gallische Waldgottheit Silvanus zurückgehen, einen Namen, den dann später die Römer auf Mons Sylvius abwandelten.

Ob Sarazenen vom Grossen St. Bernhard, den sie im 10. Jahrhundert tatsächlich besetzt hielten, auch bis nach Zermatt vorgestossen sind, bleibt für immer ungewiss; wie auch nichts darauf hinweist, dass sie die talaus liegenden Dörfer heimgesucht und gebrandschatzt hätten. Freilich im Volksgedächtnis ist der Name « Sarazenen » als Sammelbegriff für sämtliche Räuberbanden des Mittelalters haften geblieben.

Funde von Gräbern, Töpfen und Münzen aller Art lassen darauf schliessen, dass schon in vorchristlicher Zeit Menschen nach Zermatt gekommen sind. Vielleicht aber war Zermatt ursprünglich nur eine Suste für den Passverkehr oder ein Senntum, das von der weiter unten im Tal ansässigen Bevölkerung mit Vieh bestossen und genutzt wurde.

Eine dauernde Besiedlung erfolgte erst durch die von Norden kommenden Alemannen, hat doch das ganze Gemeindegebiet fast ausschliesslich deutsche Ortsbezeichnungen. Wie wir bereits gesehen haben, stammt die erste Urkunde, darin Zermatt deutschen Klang hat, aus dem Jahre 1280.

Das Matter- oder eigentlich Nikolaital hiess in früheren Zeiten Gasenthal und war ursprünglich romanisch. Es nahm im Zenden Visp eine Sonderstellung ein. Gasen oder Chanson war ein Man-neslehen der Bischöfe von Sitten. Dieses Lehen hatten vor 1249 die Grafen von Savoyen inne. Später ging es an die Herren von Raron über, während das ebenfalls bischöfliche Lehen oder Viztum von Visp von den Grafen von Visp verwaltet wurde.

In dieser Doppelherrschaft erkannte Pfarrer Joseph Ruppen die Ursache, warum die Leute von Zermatt bis St. Niklaus früher über Jungen durch das Augstbordtal nach Turtmann oder über Embd, Törbel und Bürchen nach Raron zu gehen pflegten. Er schreibt in der Familienchronik von St. Niklaus: « Unsere Voreltern zogen es nämlich vor und fanden es ratsamer, über hohe Berge zu steigen, als durch fremder Herren Gebiet zu reisen. Doch die Zeiten haben nach und nach alle diese Scheidewände niedergerissen, und die Franzosen vollendeten 1799 mit blutiger Hand das Werk der Verbrüderung. Wir sind Nachbarn geworden, verkehren miteinander auf bequemen Strassen und leben alle unter den gleichen Gesetzen und Beamten. » Doch wir wissen, dass es nicht nur die bösen welschen Grafen von Visp waren, die den Weg von Zermatt nach Visp erschwerten, sondern auch die Schlucht in den Kipfen ein tückisches Hindernis bildete, so dass man es lieber umging und entweder den Weg über Embd oder Grächen wählte.

Auch waren die Strassen keineswegs bequem. Noch 1790 nannte der Förster und Botaniker Abraham Thomas aus Bex den Weg zwischen Stalden und St.Niklaus als « wahrhaft schrecklich » und meinte damit das wilde Tobel in den Kipfen, durch das die Vispa heute noch im Sommer gewaltig schäumend und auf allen Fugen spielend dahinzieht, obschon die Grande Dixence einen grossen Teil ihres Wassers bereits in Zermatt abzapft und in einem 50 Kilometer langen Stollen in ihren Stausee im Val de Dix leitet und auch die Lonza AG im Mattsand weiteres Wasser der Vispa entnimmt und in einem 12 Kilometer langen Stollen nach dem Ackersand bei Stalden führt.

Doch schrecklicher als der Weg nach Zermatt war für den Botaniker Thomas und seine Gefährten der Empfang in Zermatt, weil man sie dort als Spione und Schafdiebe verdächtigte und vom Pfarrer, wo sie Unterkunft gefunden, die Auslieferung der « Banditen » verlangte, bis der Pfarrer für die Fremden Bürgschaft leistete und sie beim Botanisieren begleitete.

Zur Ehre des Zermatter Volkes sei gleich betont, dass das Misstrauen den Fremden gegenüber nicht ganz unberechtigt war. Nicht nur sagenhafte Sarazenen, auch anderes Diebsgesindel schlich schon damals herum und hatte es auf der Bauern Sparstrümpfe und die Schinken im Speicher abgesehen. Es waren an sich böse Zeiten. Und als einmal alle waffenfähigen Mannen das Tal hinaus in den Krieg gezogen waren, sei es unter der Führung des Kardinals Schiner oder seines Gegners, des Volkstribuns Supersaxo, oder eines andern grossen Streiters, wollten die Italiener die Gelegenheit benutzen, um Zermatt zu plündern.

Eine Hirtin erblickte vom Roten Boden aus die über den Theodulpass anrückende Räuberbande und brachte die schlimme Kunde flugs ins Dorf. Um das dräuende Unheil abzuwenden, weibelte der alte Sigrist die Frauen zusammen. Er hiess sie, das zweite in der Stube am Holznagel hangende Paar Pluderhosen ihrer Männer anziehen und sich mit Keulen und Knütteln zu bewaffnen. Und also zogen die Frauen von Zermatt den boshaften Männern entgegen. Als die Italiener des Haufens ansichtig wurden, erschraken sie sehr; nie noch hatten sie Krieger gesehen mit derart hohen, mut-geschwellten Brüsten! Und so schleunigst flohen sie über den Theodul zurück, dass nur noch Schuhabsätze zu sehen waren.

Die Frauen steckten ihre Waffen in die Erde, fielen auf die Knie nieder und dankten dem Herrgott für den Sieg. Und siehe, als sie sich nach langem Gebet erhoben, hatten ihre Keulen und Knüttel im mürben Alpboden Wurzel geschlagen, trieben aus und blühten in allen Farben. Der Ort, wo dies geschehen, heisst heute noch in den « Garten ».

Wege und Stege Nach wiederholter Erwähnung des Theodulpasses sei endlich gesagt, wie dieser Übergang nach Italien, ein uralter Verkehrs- und Handelsweg, zu diesem Namen gekommen ist, hiess er doch ursprünglich Mons Sylvius. Früher wurden Pässe auch als Berge angesehen und als solche in die ersten Karten eingetragen. Später wurde er auch Matterjoch- oder Augstpass genannt. Und endlich erhielt er den Namen eines Heiligen.

Der Sage nach habe der heilige Theodul, Bischof von Sitten, dem Papst in Rom eine lebenswichtige und darum eilige Botschaft bringen müssen und sich dazu eines Teufels als Träger bedient, der von sich sagte, dass er so schnell durch die Welt fliege wie ein Weibergedanke. Als Lohn dafür aber wollte der Teufel des Bischofs Seele haben. Der Bischof zeigte keine Bedenken und war mit dem teuflischen Vorschlag einverstanden, allerdings unter der Bedingung, dass er ihn nach Sitten zurückbringe, ehe der erste Hahn krähe. Abgemacht! Und nun rasch aufgesessen und über Pass und Gletscher nach Rom, wo Bischof Theodul den Papst vor derart dunkeln Machenschaften gegen seinen Thron und sein Leben warnte, dass der Papst ihm für die Botschaft eine grosse Glocke schenkte, die der Teufel auch noch schultern musste. Und dann ging es wieder flugs über das Matterjoch zurück nach Sitten, wo aber die Hähne bereits krähten und der dumme Teufel seine Wette verlor.

Zur Erinnerung an dieses sagenhafte Geschehen, im Glauben an das Gute, das das Böse zu überwinden vermag, wird der heilige Theodul in unseren Kirchen mit der Glocke und einem angeketteten Teufel dargestellt, heisst aber das Matterjoch auch Theodulpass. Zudem ist der heilige Theodul der Schutzheilige der Alpen, wie der heilige Bernhard jener der Bergsteiger ist.

Früher zogen die Zermatter über den Theodulpass auf die Märkte von Breuil und Valtournanche, trieben Rindvieh hin, brachten Schafe zurück und auf den Bastsätteln ihrer Saumtiere Reis und Mais und Rotwein aus den Rebbergen Italiens. Aber auch Söldner und Auswanderer benützten diesen Pass, vor allem die Walser, die drüben in unwirtlichen Hochtälern Kolonien gründeten, anscheinend aber in der Fremde derart an Heimweh litten, dass der Herzog von Savoyen 1688 auf dem Theodul einen befestigten Wachtturm errichten liess, um den in seinem Herrschaftsgebiet angesiedelten Waisern die Flucht nach der alten Heimat zu erschweren.

Nach Saussure, der diesen Pass 1789 beging, wäre diese aus Trockenmauerwerk errichtete sogenannte St. Theodulsschanze jedoch ein Werk der Leute aus Aosta gewesen, weil sie einen Einfall der Walliser befürchteten.

Ein anderer rauher Handelsweg ging von Zermatt aus durch das Zmuttal und über den Col d' Hérens nach Sitten. Zur Abwendung von Gewitterschäden hatte aber das allzeit gläubige und gottesfürchtige Volk von Zermatt auch das Gelübde getan, jedes Jahr auf diesem Pass eine Prozession nach Sitten zu unternehmen, wozu es eines Marsches von fünfzehn Stunden bedurfte, was nicht allen Leuten zumutbar war, weshalb bestimmt wurde, dass der Pfarrer mit mindestens acht männlichen Begleitern diese Wallfahrt durch das Zmutt- und Eringtal jedes Jahr auf sich nehmen. Als jedoch der Weg mehr und mehr verwilderte und vereiste und zusehends schwieriger und gefähr- licher wurde, schlössen die Zermatter 1666 mit dem Bischof ein Abkommen, wonach sie gegen Entgelt von dieser Verpflichtung befreit wurden. Doch bis 1816 zahlten sie an die drei in Sitten gelegenen Kirchen jährlich sechs Pfund, bis sie dann die Kapitalsumme von 1200 Pfund erlegen und den Tribut für immer ablösen konnten.

Heute gehört dieser ehemalige Handels- und Prozessionsweg, der bis in eine Höhe von dreieinhalbtausend Meter führte, zur « Haute Route » der Skifahrer.

Die nach der Französischen Revolution reger benutzte Strecke zwischen Visp und Zermatt und der im letzten Jahrhundert einsetzende Fremdenverkehr und Hotelbau bedingten die Verbesserung des Talweges. Um die Mitte des Jahrhunderts wurde der Saumweg von St. Niklaus nach Zermatt so ausgebaut, dass man auf dieser Strecke mit Einspännern oder einer « Pferdekraft » fahren konnte, während der Weg von St. Niklaus talauswärts durch die Kipfen immer noch « wahrhaft schrecklich » blieb.

Als das Matterhorn bereits « Whympers Unglücksberg » geworden war und für Zermatt die beste Reklame machte, mussten die hohen, meist aus dem Ausland kommenden Gäste, die das Matterhorn in seiner ganzen Grosse und Grausamkeit bewundern wollten, in einem der damals in Visp betriebenen vier Hotels nächtigen, um dann auf dem Reittier oder im feudalen Tragsessel die Reise nach Zermatt anzutreten oder auf Schusters Rappen dahin zu gelangen. In St. Niklaus aber standen Kutschen bereit, die die Herrschaften nach Zermatt brachten. Sesselträger, Säumer und Kutscher hatten ihre grosse Zeit. Der Volkstourismus aber steckte noch in den Kinderschuhen, machte also keine grossen Schritte.

Die Gemeindebehörde von Visp hatte eine sogenannte « Barcha », d.h. einen Pferdepark eingerichtet und übte über das Verhalten der Fuhrmänner aber auch der Pack- und Sesselträger eine strenge Aufsicht aus. Nur einwandfreie Pferde und Sättel wurden zugelassen. Und in den Sesseln oder Sänften durften Kissen und Decken nicht fehlen. Ein Parkinspektor oder Kommissär bestimmte die Reihenfolge der Kurse. Auch verwaltete er die Führerkasse, für die jeder Pferdebesitzer oder Sesselträger einen Anteil seines Kursgeldes « fallen » lassen musste, um damit den Parkinspektor besolden und die Talstrasse unterhalten zu können. Man wollte den Fremden möglichst viele Steine aus dem Wege räumen und alle freundlich behandeln, auch die Franzosen, denen niemand mehr nachtragen mochte, dass sie ehedem das Wallis erobert und vorübergehend als Département du Simplon ihrer grossen Nation einverleibt hatten.

Die Fuhrleute und Träger sollten sich den Fremden gegenüber korrekt benehmen und ihnen das Geld in freundlicher Weise abnehmen, sie also weder betrügen, noch berauben oder gar um die Ecke bringen, wie das im Pfynwald gelegentlich geschehen konnte, weil dort noch richtiggehende Räuber ihr Unwesen trieben und sogar einen ausgezeichneten Hauptmann hatten, den berüchtigten Lisür vom Berüschohubel. Wer Fremde führen oder tragen wollte, musste also ein ehrliches Gesicht haben und sein Sackmesser nur dafür gebrauchen, um einen Stock zu schneiden oder Knoten zu lösen.

Vor der Abreise musste der Kommissär den Fremden den Armensäckel präsentieren zur Unterstützung der Dorfarmen.

Die Fuhrleute und Träger von Visp durften nur bis St. Niklaus gehen. Dort bestand eine ähnliche Transportorganisation oder Kutscher- und Säumergewerkschaft, die die Strecke bis nach Zermatt unter Kontrolle hielt. Doch wie den Vispern in St. Niklaus Halt geboten wurde, durften die Fuhrleute und Träger des innern Tales auch nicht nach Visp gehen. Während der Hochsaison wurden aushilfsweise auch Säumer von Törbel mit ihren Bast- und Satteltieren zugelassen. Die Bauern von Visperterminen ob den Heidenreben hingegen wollten ihre Maultiere nicht in den Fremdenverkehr einspannen lassen und oblagen mit ihnen nach wie vor bäuerlichen Verrichtungen statt « auf die Strassen zu laufen und hier auf die „ Eidgenössische Arche " ( Postkutsche ) zu warten, um das grosse Getier der Dichter, Philosophen, Sänger, Künstler, Geschichtsschreiber, Staatsmänner und Gesetzgeber auf den Eseln an die Gletscher heranzutragen », wie der 1815 geborene Pfarrer Clemens Bortis sich skeptisch äusserte.

Nicht an die Transportorganisation gebunden und somit frei waren die Lebensmitteltransporte mit dem Rückenkorb. Fehlte es damals in Zermatt nicht an Milch, Butter und Käse und fettem Schlachtvieh, vor allem nicht an schlachtreifen Schafen, waren dagegen u.a. auch die Eier rar. Also mochte man der Zuträger froh sein, konnten doch vornehmlich die englischen Gäste Speck und Schinken nicht ohne Eier essen. Das waren delikate Frachten. Ein Mann von Unterbäch war besonders auf den Eierhandel eingespielt. Bei den Bäuerinnen der Rarner Schattenberge sammelte er Eier, trug sie über Stock und Stein im Rückenkorb nach Zermatt und löste pro Stück sieben Rappen. War Zermatt reich an Edelweiss, reifte dort dagegen ausser den Wildbeeren kein Obst. So wenig als es damals Serviertöchter mit Bienenkorbfrisuren gab, standen Konservenbüchsen mit Ananas und Mandarinenschnitzen für einen Fruchtsalat bereit. Über Heidelbeeren mochte manche Dame die Nase rümpfen, weil sie nicht schwarze Lippen kriegen wollte. Da ass sie lieber eine frühe Pflaume aus Stalden, wie ein Bauer deren im Rückenkorb nach Zermatt trug Einmal aber waren seine Pflaumen überreif und wurden vom Hotelier zurückgewiesen, weil er seinen Gästen weder Mus noch Kompott auftischen durfte. Da trug der Bauer seine Pflaumen wieder an die sechs Stunden nach Stalden zurück und fütterte sie den Schweinen. Also gab es damals schon Absatz-schwierigkeiten und nicht erst in unserer segensreichen Tomatenzeit.

Als die Talbahn kam Das « goldene Zeitalter » für Zermatt brach an, als 1886 die Bankiers Masson und Chavannes in Lausanne und die Handelsbank in Basel beim Bundesrat das Gesuch zur Konzessionserteilung einer Schmalspurbahn von Visp nach Zermatt stellten, dem seiner Wichtigkeit wegen unverzüglich entsprochen wurde.

Die Baukosten der 35 Kilometer langen Bahnstrecke wurde auf 5,5 Millionen Franken berechnet. Nach vierjähriger Bauzeit und mit Hilfe der Mineure und Maurer aus Italien konnte der Betrieb am 6.Juli 1891 eröffnet werden. Mit dem roten Züglein fuhr die neue Zeit ins Nikolaital, fuhr bis nach Zermatt, wo auch schon die Gornergratbahn gebaut wurde. Nicht alle jubelten dem Dampfross zu, hatten nun doch die zwischen Visp und Zermatt verkehrenden Sattel- und Saumtiere ausgedient und konnten die Tragsessel verholzt werden.

Wenn die bei der Ankunft des ersten Rheindampfers zufällig in Mainz weilende Dichterin Annette Droste-Hülshoff diesen als « etwas Fürchterliches » schilderte, bekreuzigten sich im Nikolaital die Frauen wie vor dem Bösen, als das erste Dampfross stolz daherschnaubte. Und als es gar noch pfiff, fragte die eine die andere: « Macht's acht das mit der Schnurru? » ( mit dem Maul ). Doch bald gewöhnten sich alle an die Talbahn, die immer mehr Fremde nach Zermatt brachte und auch den Einheimischen das Reisen und Wallfahrten erleichterte. Der Betrieb blieb jedoch auf die Sommersaison beschränkt bis zum Jahre 1929, nachdem noch die Elektrifikation, die nahezu 2 Millionen Franken kostete, vollendet war. Gleichzeitig wurde auch das Teilstück Visp—Brig erstellt und damit der Anschluss an die Furkabahn und eine direkte Verbindung Zermatt—Sankt Moritz im Engadin für den « Glacier-Express » ermöglicht.

Strassenprobleme Der Wunsch nach einer Strasse ist älter als die Bahn. Aber der Strassenbau stand noch nicht im Regierungsprogramm. Wie Pfarrer Peter Joseph Kämpfen damals geschrieben hat, liess die am Ruder sitzende Aristokratie für Schulen, Strassen, Flüsse, Ackerbau, Viehzucht und Bettler den lieben Gott, die Jesuiten - und die Bauern sorgen.

Als Alexander Seiler, der Ältere, in Zermatt Hotelier geworden, musste er 1856 wiederholt um einen Beitrag für die Ausbesserung der Dorfstrasse von Zermatt nachsuchen, bis ihm das kantonale Bau- und Brückendepartement einen solchen von Fr. 200. zusprach und nachträglich noch einen Zuschuss von Fr. 70. gewährte.

Heute wäre das kaum ein Tropfen auf einen heissen Stein, wenn wir im Staatsvoranschlag für das Jahr 1965 für Bau und Unterhalt der Strassen im Wallis die Ausgabesumme von 60 Millionen Franken finden.

Für unsere Vorfahren war eben das Zeitalter der Motoren und Subventionen noch nicht angebrochen, hatte sich der Polizeistaat noch nicht zum Wohlfahrtsstaat durchgemausert.

Auf Alexander Seilers Betreiben wurde der bestehende Saumweg von Zermatt abwärts in ein Fahrsträsschen ausgeweitet, das dann allerdings in St. Niklaus stecken blieb, weil der Bau im äussern Teil des Tales grössere Schwierigkeiten bot und mancher Gemeinde ein Viehtrieb- und Saumweg vollauf genügte. Mit dem Bau der Bahn fiel übrigens in der damaligen Zeit die Notwendigkeit einer Strasse dahin. Das elektrifizierte Dampfross bewältigte den ganzen Verkehr spielend und die roten Personenwagen glänzten in der Patina des vorigen Jahrhunderts, einer Zeit, die kaum un-werter war als die neue und in ihren Errungenschaften ungestört weiterleben sollte. Dahinter aber schlummerte der Wunsch nach einer Strasse, erwachte alle vier Jahre einmal in dieser und jener Talgemeinde und schlief wieder ein.

Erst 1922, als Arbeitslosigkeit herrschte, wurde mit ordentlichen und ausserordentlichen Bun-des- und Kantonsbeiträgen zur Bekämpfung dieses sozialen Übels und wohl auch zur Förderung des Verkehrs die Fahrstrasse von Visp nach Stalden gebaut. Dort ging ihr der Schnauf aus. Der Wunsch nach der Talstrasse aber lebte weiter, wuchs und gedieh, fand er doch im Volk immer breitern Nährboden. Besonders in Wahljahren wurde immer wieder die Strasse propagiert und über die Bahngesellschaft, diese rücksichtslose « Freimaurerclique », die sich des Eigennutzes wegen gegen den Strassenbau sperrte, gelästert. Mit solchen und andern Schlagworten imponierten politische Spaltpilze mächtig beim Volk. Doch liess sich endlich auch die Notwendigkeit einer solchen nicht mehr leugnen. Also setzte man sich an den Verhandlungstisch.

Im Jahre 1931 kam dann zwischen dem Kanton Wallis und der Bahngesellschaft ein Vertrag zustande, wonach der Staat sich verpflichtete: auf einer zwischen Stalden und St. Niklaus zu erstellenden 3,60 Meter breiten Strasse jeden auf Rechnung Dritter erfolgenden Verkehr mit sechs-plätzigen Automobilen und mit Lastwagen von mehr als zwei Tonnen zu verbieten. Dieses Verbot wurde allerdings auf 15 Jahre beschränkt und trat mit der Vollendung des Strassenbaus zwischen Stalden und St. Niklaus in Kraft. Doch das von der Bahngesellschaft angestrebte Verbot war nicht bedingungslos zustande gekommen Sie übernahm damit die Verpflichtung, den Winterbertieb einzuführen, wozu es kostspieliger Lawinenverbauungen bedurfte und auch neues Rollmaterial. Zermatt profitierte davon grossartig; es wurde Wintersportplatz.

Indessen baute der Staat im Gehänge zwischen Stalden und St. Niklaus eine schmale, kurvenreiche, steinschlaggefährdete, schwindlige, waghalsige Strasse und dazu die Merjenbrücke, die auch dem Verkehr ins Saastal dienen sollte, wo nun ebenfalls eine Fahrstrasse den uralten Saumweg ersetzte, der Dreiklang des Postcarsignals das Schellengeläute der Maultierkolonnen, der Verkehr einen ungeahnten Aufschwung nahm.

Still blieb es dagegen auf der Strasse im Nikolaital. Doch die Zeit selbst hat es immer eilig; so gingen auch die Sperr- oder Verbotsjahre um. Und als der freie Verkehr auf dieser Strasse anlief, merkte man gleich, dass sie viel zu schmal und zu gefährlich war. Also begann man wieder von vorne und verbreiterte sie durch gewaltige Stützmauern derart, dass immer mehr Autos immer schneller nach St. Niklaus fahren konnten und es in der Dorfnähe zu wenig Wiesen gab, um sie richtig zu parkieren. Weil die Autofahrer und ihre Mitreisenden von dort aus die Bahn benutzen mussten, wenn sie nicht zu Fuss gehen wollten, was Autler ungerne tun, wurde in allen Sprachen gefragt, warum sie nicht nach Zermatt weiterfahren könnten. Aber auch unter den Einheimischen wurde diese Frage gestellt, am lautesten von Politikern und Unternehmern.

Als gleichberechtigte Bürger von St. Niklaus erhoben die Bewohner des Weilers Herbriggen in den Gemeindeversammlungen ihre Stimme für die Weiterführung der Strasse. In den Gemeinden Randa und Täsch wurde mit einer den Berglern kaum zuzutrauenden Leidenschaft für die Strasse geworben. Und freilich gab es auch in Zermatt begeisterte Befürworter. Doch als es dort im Jahre 1959 zur Abstimmung kam, dominierten die Bahnanhänger und Strassengegner mit ganzen drei Stimmen, was die Lauen auf beiden Seiten des Lagers beschämend zur Kenntnis nahmen In St. Niklaus wurde die Fortsetzung der Strasse schwungvoller abgelehnt, wollte man doch Endstation bleiben, um die Wiesen weiterhin als Parkplätze vermieten zu können, da Benzingeruch mehr einbringt als Heublumenduft. Der neureiche Staat Wallis aber entsprach gerechterweise dem Mil-lionenbegehren der kleinen Herbrigger, Randäier und Täscher. Und so wird gegenwärtig die Strasse von St. Niklaus nach Täsch gebaut. Die Eisenbahn gerät darob nicht in ein ängstliches Keuchen, erhöht sich doch mit jedem Jahr die Zahl ihrer Fahrgäste sprunghaft; immer mehr Menschen wollen das Matterhorn sehen und vom Gornergrat aus den grössten Gletscherzirkus bewundern.

Zermatt autoreif Die erste Sprengung am neuen Strassenstück mit Endziel Täsch galt auch als Startschuss für die Zermatter. Und so ruhten sie nicht, bis es zu einer neuen Abstimmung kam. So ist das, was viele heiss ersehnt und nicht wenige sehr befürchtet haben, eingetroffen. Am Sonntag, den 25. Oktober 1964, hat der Souverän von Zermatt sich für den Bau einer Autostrasse entschieden und damit ein Problem angekurbelt, dessen Lösung vorläufig nicht absehbare Folgen zeitigen kann. Mit 265 Ja gegen 125 Nein haben die Bürger von Zermatt grundsätzlich beschlossen, beim Staat den Bau einer Autostrasse von Täsch nach Zermatt zu begehren, damit ein uralter Traum in modernster Weise verwirklicht werde.

Damit ist auch Zermatt autoreif geworden, wobei jedoch der fromme Wunsch besteht, der Kurort selbst solle autofrei bleiben, ist doch die Zeit im Anbruch, wo selbst die Autofahrer nach Orten verlangen, wo die Bergluft noch keinen bittern Nachgeschmack hat; nach Orten und Landschaften, die lärm- und staubfrei und ohne Benzingeruch sind, wie beispielsweise Saas-Fee, diese Perle der Alpen, oder Grächen, das Mischabeldorf.

Bis die Strasse nach Zermatt am Fuss des Matterhorns gebaut ist, hat es noch gute Weile, handelt es sich dabei doch um ein Projekt, dessen Ausführung noch nicht abzuzählende Millionen beanspruchen und den massenhaften Einsatz von Fremd- oder Gastarbeitern bedingen wird. Und soll die einmal gebaute Strasse auch im Winter risikolos befahrbar sein, bedarf es ausser horrend teurer Lawinenverbauungen und anderer Schutzvorrichtungen noch des steten Aufwandes für die Schneeräumungsarbeiten. Die Bahndirektion könnte davon ein Lied singen, hat sie doch in den vielen rauhen Wintern Erfahrungen gemacht, wie ein tiefes Tal im Hochgebirge dem Verkehr nur mit starkem Maschinen- und Mannschaftseinsatz offen gehalten werden kann. Konjunkturmutig vergisst ein undankbares Geschlecht der Leistungen dieser Bergbahn und tut alle Bedenken mit der kurzen Bemerkung ab, die Bahn werde gleichwohl weiterleben, wie andere Bahnen mehr, die auch von Strassen flankiert werden. Dass etliche dieser Bahnen unterstützungsbedürftig sind oder sogar abbruchreif, wie beispielsweise das Leukerbadbähnlein, wird vergessen.

Gewiss wird das dem Kurort noch stärkeren Auftrieb bringen, wenn die Reisenden ausser mit der Bahn auch auf der Autostrasse nach Zermatt gelangen können. Doch lasse man die letzte Sperre nicht fallen. Denn es könnte auch alte treue Gäste geben, die es meiden würden, wenn einmal die auf dem dortigen Murmeltierbrunnen stehende Bitte: « Domine, conserva nos in pace! » illusorisch werden sollte.

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