Zum Zweitwohnungsbau
Ruedi Schatz, Präsident der Schweizerischen Stiftung für Land Schaftsschutz und Landschaftspflege, Bern
Dass es sich beim Zweitwohnungsbau um ein komplexes und schwieriges Problem handelt, ist wohl unbestritten. Auf der einen Seite möchten wir die Annehmlichkeiten und Vorteile einer gemieteten Ferienwohnung oder des eigenen Ferienhauses am Erholungsort und in den Bergen nicht missen. Auch müssen wir anerkennen, dass der Fremdenverkehr in vielen Landesgegenden die wichtigsten Verdienstmöglichkeit für die einheimische Bevölkerung bildet und ohne eine gewisse Zahl von Zweitwohnungen nicht bestehen kann, um so mehr als der Trend von Ferien in Hotels zu Ferien in Ferienhäusern, vermieteten Ferienwohnungen und sogenannten Appartementhotels anhält. Auf der anderen Seite dürfen wir aber auch die Schattenseiten nicht übersehen. Der Zweitwohnungsbau hat zu Beeinträchtigungen und in nicht wenigen Fällen zu schwersten Verunstaltungen gewachsener Landschaften und Ortsbilder geführt, die sich allerdings bei vorausgehender Raumplanung und besserer, ganzheitlicher architektonischer Einordnung zu einem schönen Teil hätten vermeiden lassen. Zudem hat der eigentliche Boom des Zweitwohnungsbaus im vergangenen Jahrzehnt der betreffenden Region oder Gemeinde längst nicht immer jene volkswirtschaftlichen Vorteile gebracht, die man sich da-
von versprochen hat. Hinzu kommt, dass viele Zweitwohnungen, die gebaut wurden und immer noch werden, nicht einem echten Bedürfnis fe-rienhungriger Bevölkerungskreise entsprechen, sondern nur der Flucht von fremdem Kapital in Sachwerte dienen, welche mit der wirtschaftlichen Förderung der von Abwanderung bedrohten Berggegenden nichts zu tun hat. Man hat gerade in diesen Fällen um kurzfristiger Vorteile willen und oft zum Schaden des Gemeinwesens einen viel zu hohen Preis an landschaftlicher Schönheit
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und Ursprünglichkeit bezahlt. Der Kurdirektor
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eines weltberühmten schweizerischen Fremden-verkehrsortes, der gewiss kein landschaftsschutz-verdächtiger Zeuge ist, äusserte sich dazu wie folgt: « Die Parahotellerie ( Zimmervermietung im Privathaus, Ferienwohnungen, Ferienhäuser, Eigentumswohnungen usw. ) ist leider in sehr starkem Ausmass Auslöserin der Zersiedelung der Landschaft. Im Alpengebiet ist die Landschaft aber rar und schön, und es sollte ihr vermehrt Sorge getragen werden. Dazu kommt die Gefahr der toten,Gebäudeaugen4, weil zu einem grossen Teil der Saison die meisten Fensterläden geschlossen sind Die Expansion und die damit verbundene Zersiedelung der Landschaft beginnt oft mit harmlosen Disharmonien, mit schlechten Un-wirklichkeiten und wächst dann bis zu ganzen Agglomerations- und ,Wegwerflandschaften ', die nicht mehr einladend sind zur Erholung... »
Die Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz hat sich mit der Problematik des Zweitwohnungsbaus befasst und darüber im Herbst des vergangenen Jahres eine Tagung auf Schloss Lenzburg veranstaltet. Im folgenden seien die Problematik sowie Ansätze für Lösungsmöglichkeiten aus unserer Sicht kurz geschildert.
DIE PROBLEMATIK
Eine - unvollständige - Aufzählung der mit dem Zweitwohnungsbau verbundenen Probleme konnte etwa lauten:
Zweitwohnungen bringen eine starke Beanspruchung des verfügbaren Landes vor allem in den landschaftlich reizvollsten Gebieten und damit eine zu starke Belastung der Landschaft durch Bauten. Dieses Problem wird noch verstärkt, wenn ohne zweckmässige Regional- und Ortspia-nung gebaut und die Landschaft dadurch in Streubauweise zersiedelt wird, wenn ferner das Fehlen oder Ungenügen von Quartier- und Gestaltungsplänen mit architektonischen Auflagen einem falschen Individualismus Tür und Tor öffnen und nicht nur viel, sondern ungeordnet, ohne Beziehung zum lokalen Baustil und hässlich ge-
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baut wird, besonders wenn Vorortsbauten, die auch einer städtischen Agglomeration nicht zur Ehre gereichen, in Erholungslandschaften rücksichtslos reproduziert und dadurch gewachsene Ortsbilder zerstört werden.
Ein weiterer Problemkreis ist derjenige des wirtschaftlichen Nutzens für die betreffende Gegend, * ihre Bevölkerung und ihre öffentlichen Körperschaften. In zahlreichen Fällen werden Zweitwohnungen durch gebietsfremde Bauunternehmungen erstellt; oft profitieren nicht einmal einheimische Landverkäufer, da das Land schon längst zu billigen Preisen in die Hand auswärtiger Eigentümer überging. Dauernde Arbeitsplätze für Einheimische werden wenig geschaffen, der Konsum der Zweitwohnungsbesitzer am Ort bleibt oft gering; die öffentliche Hand hat erhebliche Aufwendungen für die Infrastruktur ( Strassen, Wasser- und Energieversorgung, Abwasserreinigung usw. ), welcher in vielen Gemeinden nur ungenügende Beiträge der Eigentümer gegenüberstehen, um so mehr als die Dimensionierung dieser Anlagen auf die sehr kurze Zeit der vollen Belegung ausgerichtet werden muss. Auch die Dienstleistungen der Gemeinde, etwa Schneeräumung, Kehrichtbeseitigung, Verkehrspolizei, müssen auf die Spitzenbelastung ausgerichtet werden, ohne dass entsprechende Gebühren die Kosten decken. Die Steuerbelastung der Zweitwohnungen schwankt je nach Gemeinde sehr stark. Ein zusätzliches Problem entsteht dadurch, dass die Landpreise infolge der Nachfrage durch Zweitwohnungen stark steigen, was das Erstellen preisgünstiger Wohnungen für Einheimische schwierig macht. Dazu gesellen sich soziale Probleme oft kleiner Berggemeinden; wenn die Zahl der Besitzer von Zweitwohnungen jene der Erst-wohnungsbesitzer zu stark überschreitet, fühlen sich die Einheimischen in ihrer eigenen Heimat als Minderheit und verfremdet. Probleme entstehen ferner durch die Belastung der natürlichen Ressourcen: Wasserversorgung und Absorptionskraft fur Abwasser werden bis an die Grenze und oft darüber in Anspruch genommen, der « Auslauf »
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wird ungenügend, d.h. die Aufnahmefähigkeit der Erholungslandschaft, die noch Erholung bieten will, wird überbeansprucht.
Es stellt sich ferner das Problem der Überfremdung des Bodens, da für zahlreiche Ausländer infolge des Autobahnbaüs schweizerische Erholungsgebiete in Weekend-Distanz gerückt sind und damit Zweitwohnungen für Ausländer attraktiver werden.
Schliesslich ist nach den volkswirtschaftlichen Kosten und dem entsprechenden Nutzen zu fragen, wenn man bedenkt, dass die Belastung zahlreicher Nationalstrassen vor allem dem Weekend-Verkehr durch Zweitwohnungsbesitzer zuzuschreiben ist und auch die Kapitalverwendung für den Zweitwohnungsbau im Zeichen einer gewaltigen Kapitalknappheit nicht unumstritten ist.
Diesen unbestreitbaren Problemen steht das ebenso unbestreitbare Bedürfnis nach einer Zweitwohnung gegenüber, da viele Städter der unwohnlich gewordenen Stadt entfliehen wollen, ein Bedürfnis auch nach wirklichen Familienferien ausserhalb des Hotels. Es besteht ferner die Tatsache, dass einheimisches Gewerbe eben doch in vielen Fällen zum Zuge kommt, dass bei geeigneten Vorschriften Gemeinden und Touristik-bahnen profitieren und wohl die meisten Kurorte auf einen gewissen Zweitwohnungsbestand angewiesen sind Es werden deshalb indirekt durch Zweitwohnungen auch eine gewisse Zahl von dauernden Arbeitsplätzen für die einheimische Bevölkerung geschaffen. Es stellt sich für unsere Politik die Aufgabe, die Nachteile des Zweitwohnungsbaus zu reduzieren, ohne seine Vorteile zu verlieren.
ANSATZE ZU PROBLEMLOSUNGEN
Das Problem ist zunächst ein quantitatives; erst seit der Zweitwohnungsbau einen explosionsarti-gen Aufschwung genommen hat, ist er zum Problem geworden.
Eine naheliegende Lösung dieses Problems liegt
in der besseren Ausnützung der vorhandenen Wohnungen. Es besteht die Tatsache, dass viele Zweitwohnungen oft nur während eines Monats und noch weniger pro Jahr besetzt sind. Wären diese Wohnungen während sechs Monaten besetzt durch verschiedene Familien, dann müssten weniger Zweitwohnungen gebaut werden, die Belastung von Landschaft und Infrastruktur wäre kleiner, der wirtschaftliche Vorteil für die Gegend grosser. Das ist klar. Es ist auch richtig, die Vermietung von Zweitwohnungen durch Massnahmen, die in eine freiheitliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung passen, zu fördern. Etwa dadurch, dass die Zweitwohnungsbesitzer die von ihnen verursachten Kosten an Infrastruktur, Dienstleistungen der öffentlichen Hand, Kurorts-einrichtungen auch wirklich bezahlen müssen. Oder dass die Gemeinde von neuen grossen Projekten verlangt, dass die erstellten Wohnungen einem Vermietungszwang unterstellt werden ( Beispiele in Flims oder in zahlreichen Appartementhotels ): Hier entschliesst sich der Erwerber freiwillig, einen solchen Zwang auf sich zu nehmen. Auch das Ausscheiden von Bauland nur für Einheimische scheint mir von der Zielsetzung her legitim.
Nicht akzeptabel aber wäre ein genereller, gesetzlicher Vermietungszwang. Das wäre ein Eingriff in das persönliche Eigentum, welcher dieses zu einem rein formalen Recht machen würde. Ein Vermietungszwang würde ja letzten Endes zunächst einmal bedeuten, dass der Eigentümer jeden Mieter akzeptieren müsste - sonst könnte er sich immer hinter dem Argument verschanzen, der Mieter passe ihm nicht. Er müsste also ihm von der Behörde zugeteilten Leuten sein Persön-lichstes, seine Wohnung, zur Verfügung stellen mit allen Konsequenzen. Solche Massnahmen mögen in Notzeiten vertretbar sein, nicht aber in Normalzeiten. Wie steht es im übrigen mit der Rechtsgleichheit? Wieso soll der grossstädtische Eigentümer einer i 2-Zimmer-Wohnung keinem Vermietungszwang unterliegen, wohl aber der Mieter einer städtischen 3-Zimmer-Erstwoh- nung, dessen Freude und Leidenschaft eine eigene Ferienwohnung ist? Warum nimmt jemand überhaupt die Nachteile einer eigenen Zweitwohnung in Kauf, etwa dass er damit stark an einen einzigen Erholungsort gebunden ist? Weil er sich dann spontan, kurzfristig entschliessen kann, « hinaufzugehen » oder eben daheimzubleiben. Müsste er sich zu Anfang des Jahres wie seine Mieter einschreiben für eine bestimmte Periode, wieso sollte er dann auch noch die Nachteile des Eigentümers in Kauf nehmen, die Kosten des Unterhalts, das finanzielle Risiko, den allfälligen Ärger und die Umtriebe mit der Vermietung? Er wäre ja viel besser daran, selbst als Mieter sich an wechselnden Orten jeweils zu Jahresanfang einzuschreiben. Kurz — ein Vermietungszwang wäre nicht nur eine Verletzung eines individuellen Grund-rechtes, er würde auch den Zweitwohnungsbau schlagartig zum Erliegen bringen: Niemand würde mehr eine Zweitwohnung zu Eigentum und zum eigenen Gebrauch erwerben.
Die Nachteile des Zweitwohnungsbaus können im übrigen durch Korrektivmassnahmen gemildert werden: etwa durch zweckmässige Regional-und Ortsplanungen und architektonische Auflagen; die Erstellung von Zweitwohnungen aufgrund guter Quartier- oder noch besser aufgrund von Gestaltungsplänen führt zu Überbauungen nicht als beziehungslosem Nebeneinander von verschiedenen Einzelbauten, sondern zu lebendigem Kontakt der Häuser untereinander und zur Variation derselben architektonischen Elemente. Ungelöst freilich ist das Problem der absoluten quantitativen Beschränkung: Für eine Landschaft, aber auch für ein Dorf bestimmter Grosse wird ein Zuviel an Zweitwohnungen zur Gefahr; ob diese absolute Begrenzung durch die Raumplanung erreicht werden kann und wie bis zu ihrer Erreichung vernünftig gestaffelte Bauetappen gesichert werden können - das bleibt offen.
Das Schwergewicht ist auf positive Massnahmen zu legen. Wenn ein reichhaltiges Angebot
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I96 Beispiel einer Symbiose zwischen Landschaft und Siedlung, Landwirt und Feriengast. Die Häuser dieser gewachsenen Siedlung dienen den Landwirten wenigstens noch teilweise als Vorwinterung und Maiensäss und werden in der übrigen Saison für Ferienzwecke vermietet, Ort: Naz bei Bergün.
Photo Schweiz. Stiftung fur Landschaftsschutz Die Renovation aller Bauernhäuser ist der Erstellung von Neubauten bei weitem vorzuziehen. Allerdings sollten dadurch die Preise für Haus und Boden nicht in die Höhe getrieben werden. Der Ausbau von Bauernhäusern darf nicht dazu führen, dass die weniger zahlungskräftige landwirtschaftliche Bevölkerung in ihrem eigenen Dorf vom Boden-und Liegenschaftenmarkt verdrängt wird.
Photo Schweiz. Stiftung für Landschaftsschutz « Die Expansion und die damit verbundene zersiedelung der Landschaft beginnt oft mit harmlosen Disharmonien, mit ,schlechten Un Wirklichkeiten `, und wächst dann bis zu Agglomerations- und, Wegwerflandschaften ', die nicht mehr einladend sind zur Erholung. » ( P. Kasper, Kurdirektor von St. Moritz ) Photo Schweizerischer Fremdenverkehrsverband « ...wenn Vorortsbauten, die auch einer städtischen Agglomeration nicht zur Ehre gereichen, in Erholungsgebieten rücksichtslos reproduziert werden und dadurch gewachsene Landschaftsbilder zerstören. » Photo Schweiz. Stiftung fur Landschaftsschutz von Ferienmietwohnungen zur Verfügung steht, ist das Bedürfnis nach Zweitwohnungen geringer. Solche Mietwohnungsprojekte sollten vor allem von einheimischen Genossenschaften realisiert werden, allenfalls unter Mithilfe der Gemeinde ( Zurverfügungstellen von Land ).
Es leiden auch zahlreiche Bergdörfer unter Entvölkerung. Ein geschmackvoller Ausbau leerste-, hender alter Wohnhäuser unter Wahrung der Architektur sichert wertvolles Kulturgut und schafft weit weniger Probleme als Neubauten. Die jüngste Anpassung der eidgenössischen Gewässer-schutzverordnung und die grundsätzliche Möglichkeit finanzieller Hilfe nach dem Gesetz über die Verbesserung der Wohnverhältnisse im Berggebiet ermöglichen den Einbau von Ferienwohnungen in von der Bauernfamilie bewohnten Bauernhäusern ( Nebenerwerb ).
Bedenken ergeben sich allerdings wegen der auf den i.August 1975 in Kraft getretenen Lockerung der Lex Furgler. Nur eine äusserst strenge Handhabung der Ausnahmebestimmungen verhindert eine Überfremdung des Bodens, ohne kleinere, noch unentwickelte Gemeinden völlig aufdie schweizerische Nachfrage zu beschränken.
In der skizzierten Art sollten sich Lösungen finden lassen; Zielkonflikte sind aber unvermeidlich. Bei der Lösung von Zielkonflikten ist immer zu bedenken, dass langfristig die intakte Landschaft und das intakte Ortsbild die wertvollsten Güter jeder Erholungslandschaft sind; findet der Städter in den Bergen nur das wieder, welchem er zu entfliehen hoffte, dann hat sich auch der Zweit, wohnungstourismus selbst zerstört.