Zum Piz d'Err durch die Westwand
Zum Piz d' Err durch die Westwand Er war, den Spuren nach, von der Absturzstelle noch etwa 80 Schritte weit gegangen, hatte seinen Proviant verzehrt und war dann erfroren. Verletzungen fanden sich nur wenige vor. Seine Begleiter trifft der Vorwurf, ihn zu schnell im Stich gelassen und ihre Pflicht nicht voll erfüllt zu haben. M. D. Ö.A.V. 1899, pag. 8.
Zu den Unglücksfällen früherer Jahre ist noch nachzutragen, daß die Leiche des seit 23. November 1895 vermißten Polytechnikers Franeüich am 16. September 1898 auf der Nordseite des Engelberger Rothstocks aufgefunden wurde. M. D. Ö.A.V. 1898, pag. 231.
Dagegen ist der seit August 1897 im Triftgebiet ( Berner Oberland ) verschollene Tourist lhle aus Dresden noch nicht wieder aufgefunden worden.
Redaktion.
Zum Piz d' Err durch die Westwand.
Von all den vielen Aussichtsbergen im Albulagebiete gehört der Piz d' Err, der Centralpunkt der Errgruppe, zu den hervorragendsten; ja man darf wohl sagen, daß er bezüglich Mannigfaltigkeit und malerischer Gruppierung obenan steht. Wer auch schon die Besteigung mit Erfolg durchgeführt hat, ist des Lobes voll über die wunderbare Pracht dieses Gipfels, und möchte ich hierfür in erster Linie auf die sehr anziehenden Schilderungen Imhof's in den Jahrbüchern XXX, pag. 45, und XXXII, pag. 43, verweisen. Es scheint aber, daß der Berg trotzdem noch nicht zu denen gehört, die mit Vorliebe aufgesucht werden, und schreibe ich dies dem Umstände zu, daß er noch immer zu wenig bekannt und zudem von den Touristencentren Bündens etwas weit entfernt ist.
Der nächste und bequemste Ausgangspunkt ist Mühlen; allein der bisher bekannte Weg durch das Tellerstobel bietet des Interessanten nicht gerade viel und wird auch wegen der Steilheit und der abscheulichen Schutthalden nie Viele anlocken. Lohnender ist allerdings die Route über Cadotsch und den Piz délias Calderas; allein sie ist doch etwas weit, und auch der Übergang von der letztgenannten Spitze zum Piz d' Err dürfte nicht nach jedermanns Geschmack sein. Ich glaube deshalb, auf einen neuen Weg hinweisen zu sollen, welchem alle Vorteile einer gediegenen Besteigung gegeben sind, unter Ausschluß der erwähnten Nachteile der andern Routen.
Am 18. August 1898 stieg ich mit dem Lokalführer Joh. Franz Signorell aus Sur von Mühlen her über die Rasenterrasse von Flex zur Val Tellers auf einem steinigen, zwischen Piz d' Err und Piz da Cucarnegl eingebetteten Hochthale. Beim kleinen Seelein hielten wir uns links und kletterten die Felsen zur Höhe des Grates empor, der von Westen her dem Südende der Err wand zustrebt. Wegen der Brüchigkeit des Gesteins darf man es daselbst an der nötigen Vorsicht nicht fehlen lassen, doch sind ernsthafte Schwierigkeiten nirgends vorhanden. Wir verfolgten alsdann die Grathöhe bis da, wo sie in einem rechten Winkel nach Nordosten abbiegt und sich zugleich mit der eigentlichen Errwand vereinigt. Zu unserer Rechten lag das tiefe Gletschercouloir, das sich direkt bis zum Gipfel hinaufzieht, und das jenseits von einer langgezogenen Felsrippe begrenzt wird, welche ebenfalls bis zur Gipfelpyramide aufstrebt. Parallel mit derselben läuft eine zweite Felsrippe, und diese verfolgten wir, indem wir stets in nordöstlicher Richtung ankletterten. Die Exkursionskarte — Blatt Oberengadin, Jahrbuch XXXI — läßt diese Felsrippe in einer Distanz von annähernd 400 Metern vom Gipfel auslaufen; in Wirklichkeit zieht sie sich aber um mehr als das Doppelte weiter und endet erst in der Nähe des vom Piz d' Err nördlich auslaufenden breiten Firnrückens in einer Höhe von cirka 3200 m. Nach zweistündiger Kletterei hatten wir den Nordkamm erreicht und erblickten die Spitze zu unserer Rechten in einer Entfernung von 400 — 500 Metern. Die letzte kurze Wanderung auf dem sanft geneigten Firnrücken gleicht einem Triumphzug und ist ein wahrer Hochgenuß.
Sofern sich in den Felsen keine Vereisung eingestellt hat, finden sich keine außergewöhnlichen Schwierigkeiten vor. Das Gestein ist im oberen Teile durchweg gut und bietet sichere Griffe; auch von Steinschlag habe ich nichts wahrgenommen. Ich halte deshalb dafür, daß der Berg auf diesem Wege am besten zugänglich ist, und wenn einmal der Piz d' Err mehr in Aufnahme gekommen ist — was nach Eröffnung der Albulabahn zu erwarten steht — so dürfte die Besteigung durch die Westwand eine beliebte Tour werden. Von Mühlen aus erfordert sie nicht meni-als 5—5V2 Stunden Marsch.
Den Abstieg nahm ich durch das Tellerstobel. Unaufhörlich rollten von der Felswand des Piz deltas Calderas Steine in dasselbe hinunter; man muß recht ordentlich auf seiner Hut sein. Obschon keine Rutschpartie ausgeführt werden konnte, gelangte ich doch schon in 2 Stunden 20 Minuten nach Mühlen zurück.
Wem es an Zeit gebricht, den herrlichen Piz d' Err zu besteigen, dem rate ich dringend an, sich wenigstens den einstündigen Spaziergang zur Terrasse von Flex, etwa bis zum Weiler las Cuorts, nicht gereuen zu lassen. Es bietet sich von da ein Bild von überwältigender Schönheit, besonders früh morgens, wenn die ersten Strahlen der Sonne die Riesen-kuppe des Piz Piatta vergolden. Nirgends sieht man diesen Koloß besser in seinem ganzen gewaltigen Aufbau; er ist dort das Matterhorn des Oberhalbsteins.
Rud. Kwnmer-Krayer ( Sektion Basel ).