Wilde Tourenplanung Schneesport mit Rücksicht
Die Planung einer Skitour sollte zur Routine aller Alpinistinnen und Alpinisten gehören. Doch ein Fallbeispiel aus dem Obergoms zeigt, dass das Einbeziehen von Wildruhezonen und Wildschutzgebieten aufwendig sein kann. Ein Erfahrungsbericht.
Die Vorfreude ist gross. Skitouren im Obergoms stehen diesen Winter an. Ich erinnere mich an Touren durch steile, aber lichte Wälder, auf die flache, weite Hänge folgen, bevor es am Schluss häufig nochmals schroff zu den Gipfeln geht. Ein Ziel ist das Blashorn von Ulrichen aus. Denn erstens habe ich es noch nie bestiegen, und zweitens reizen mich die Bilder in der Zeitschrift «Die Alpen» vom Januar 2012.
Um die Tour vorzubereiten, lade ich mir von der SAC-Website das Formular «Tourenplanung Winter» herunter. Da die Bergkollegen konditionell stark sind, rechne ich mit einer maximalen Aufstiegszeit von rund vier Stunden für die gut 1300 Höhenmeter. Bereits notiere ich mir zur speziellen Beachtung den Hang unter dem Gipfelgrat. Er ist nach Norden exponiert und hat eine Muldenform.
Empfehlungen sollten berücksichtigt werden
Zu den Abklärungen, die früh in Angriff genommen werden können, gehört zudem, ob die Tour durch Wildruhezonen oder Wildschutzgebiete (eidgenössische Jagdbanngebiete) führt. Aufgrund des Alters meiner Skitourenkarte und des Hinweises auf dem Planungsformular gehe ich noch im Herbst auf die Website der Kampagne «Respektiere deine Grenzen» und dort auf die interaktive Karte mit den Wildruhezonen und Wildschutzgebieten. Diese Recherche ergibt, dass der Grossteil meiner Tour durch eine «empfohlene» Wildruhezone führt. Ein Klick auf die Zone lässt ein Fenster aufspringen: «Bitte nicht betreten, durchqueren nur auf ausgewiesenen Routen. Routen gemäss aktuellster Ausgabe der swisstopo-Skitourenkarten gestattet.» Die neuste Skitourenkarte der Gegend muss also gekauft werden. Diese stammt aus dem Jahr 2010, und ich stelle fest: Die Blashorntour ist eingezeichnet, führt aber durch ein «vereinbartes Schongebiet». Dazu steht: «Diese Zonen sind aus Rücksicht auf die Wildtiere zu meiden.»
So weit, so unklar. Jetzt will ich es genauer wissen. Ich rufe beim SAC an. Ursula Schüpbach, Bereichsleiterin Umwelt, klärt mich auf, dass es für mich als Tourengänger, der auf das Wild Rücksicht nehmen will, keinen Unterschied ausmacht, ob ich eine «empfohlene» oder eine «rechtskräftige» Wildruhezone begehen will. Ich solle mich auf den Routen bewegen. Diese seien auf der interaktiven Karte von «Respektiere deine Grenzen» bei allen rechtskräftigen Wildruhezonen und Wildschutzgebieten eingetragen. «Leider haben jedoch in den empfohlenen noch nicht alle Kantone die Routen eingezeichnet. Darum muss man immer die neuste Skitourenkarte in die Planung mit einbeziehen», sagt Schüpbach. Die empfohlenen Wildruhezonen seien in den Karten bis Erscheinungsjahr 2012 noch als «vereinbarte Schongebiete» bezeichnet. Seither werde aber nur noch der Begriff «empfohlen» verwendet.
Das BAFU ist auf die Kantone angewiesen
Dass es für mich als rücksichtsvollen Skitouristen keinen Unterschied macht, ob empfohlen oder rechtskräftig, bestätigt Thomas Gerner vom Bundesamt für Umwelt (BAFU): «Auch empfohlene Wildruhezonen schützen im Winter sensible Rückzugsgebiete für Wildtiere.» Hier seien die Wildtiere aber auf die Rücksichtnahme durch jeden Einzelnen angewiesen. Eine Verzeigung oder Busse bei Nichtbeachtung sei nicht möglich. Die Karte auf der Website «Respektiere deine Grenzen» werde jedes Jahr Mitte Dezember aktualisiert, erklärt mir der BAFU-Mitarbeiter. Zudem würden auf der Website auch Meldungen mit kurzfristigen Änderungen publiziert. Das BAFU sei aber darauf angewiesen, dass die Kantone die korrekten und vollständigen Daten lieferten. Die Kantone sind laut Ursula Schüpbach aufgrund der revidierten Jagdverordnung (JSV) verpflichtet, dem Bund die Daten zu den Wildruhezonen zu liefern. Gleichzeitig bleibt das Ausscheiden der Wildruhezonen weiterhin eine Aufgabe der Kantone. Darum ist auf der «Respektiere deine Grenzen»-Karte als Informationsquelle zum Gebiet ums Blashorn die Dienststelle für Jagd, Fischerei und Wildtiere des Kantons Wallis angegeben. Ich nehme das Telefon in die Hand.
An einem Anruf führt oft noch kein Weg vorbei
«Ein formelles Betretungsverbot setzt eine rechtsverbindlich ausgeschiedene Wildruhezone voraus. Diese werden mittels Staatsratsentscheid ausgeschieden», erklärt Peter Scheibler von der besagten Walliser Dienststelle. Der Kanton Wallis werde das Konzept der empfohlenen Wildruhezonen 2013/14 überprüfen, daher seien diese seit letztem Dezember nicht mehr auf der Karte von «Respektiere deine Grenzen» ausgewiesen. Es sei davon auszugehen, dass einige der Zonen danach als rechtskräftige Wildruhezonen ausgeschieden werden. «Im Weiteren kann der Wildhüter des entsprechenden Sektors jederzeit Auskunft erteilen», so der letzte Tipp. Nach kurzer Suche auf der Website des Kantons finde ich den Namen von Hubert Blatter, seine Natelnummer kommt auf das Tourenplanungsformular. Am Telefon erklärt er: Rund ums Blashorn finde die Brunft der Steinböcke und Gämsen statt. Im ganzen Goms seien die Bestände rückläufig, die Jungtiere hätten Krankheiten. Die Tour könne gemacht werden, solange man auf der eingezeichneten Route bleibe. Der Kontakt zum Wildhüter bringt also Klarheit, zudem erfährt man auch noch etwas über die Probleme der Wildtiere.
Am Schluss ist die Tafel vor Ort entscheidend
Erst jetzt bin ich sicher, dass meine Tour aufs Blashorn nicht wegen kürzlich erfolgter Änderungen abgeblasen werden muss. Die Vorfreude ist wieder da. Zudem bin ich froh, dass die Situation bei vielen Skitouren einfacher ist als beim Blashorn und dass dies künftig durch die revidierte Jagdverordnung des Bundes verbessert wird. Denn sonst könnte es mir geschehen, dass ich zum Ausgangspunkt einer Skitour gelange und mich eine Tafel auf ein Betretungsverbot hinweist. Ursula Schüpbach meint dazu lapidar: «Am Schluss ist die Tafel vor Ort entscheidend.»
Wirkungsvolle Kampagne
Die Kampagne «Respektiere deine Grenzen» ist bei ungefähr 2/3 der Schneeschuh- und Skitourengängerinnen bekannt. SAC-Mitglieder kennen sie häufiger als Nichtmitglieder. Schneesportler, denen die Kampagne bekannt ist, sind sich eher bewusst, dass Outdoorsport das Wild stören kann, und richten ihr Verhalten vermehrt nach den Regeln der Kampagne. Tafeln und Bänder vor Ort scheinen hingegen nur für Schneeschuhsportler eine wichtige Lenkungsmassnahme zu sein, während sie das Verhalten der Skitourenfahrer eher nicht beeinflussen. Diese hielten sich in Regionen mit Tafeln und Bändern der Kampagne nicht häufiger an die Regeln als in anderen Gebieten. Das sind die Resultate einer Evaluation der Kampagne im Winter 2011/12 (Marcel Hunziker, Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, sowie Ursula Immoos, Universität Basel).
Mit einer Umfrage an Ausgangspunkten für Ski- und Schneeschuhtouren sowie mit einer Onlinebefragung wurden die Effekte auf die Zielgruppen Schneeschuhläufer und Skitourengänger untersucht. Offen ist die Frage, was bei den Freeridern am besten wirkt. Hier wären weitere Abklärungen sinnvoll. Die Massnahmen für die Phase 2013–2016 der Kampagne könnten so zielgruppenspezifisch gestaltet werden.