Wieder weniger Unfälle Bergnotfälle 2019
Letztes Jahr mussten in den Schweizer Alpen und im Jura 2909 Personen von der Bergrettung gerettet oder geborgen werden.1 Beim Bergsport im engeren Sinne2 sind 120 Menschen tödlich verunfallt, gut 10% weniger als im Jahr zuvor.
Das Wetter und die Verhältnisse im Bergjahr 2019 waren recht ähnlich wie im Jahr zuvor: ein schneereicher Winter, Hitzeperioden im Sommer, schöne Herbsttage und zum Jahresende wieder Schnee. Aber es gab doch bemerkenswerte Nuancen. So dauerten die Hitzeperioden im Sommer 2019 weniger lang, und die Trockenheit war weniger ausgeprägt. Im August gab es auf den höchsten Gipfeln zwischenzeitlich etwas Neuschnee, was die heikle Ausaperung der Firnzonen halbwegs zu bremsen vermochte. Auch die Ausaperung der Gletscher war weniger ausgeprägt als im Jahr zuvor, da es Anfang September im Hochgebirge einen markanten Wintereinbruch mit rund einem halben Meter Neuschnee gab.
Vor diesem Hintergrund dürften die Tourenaktivitäten im Vergleich zum Vorjahr etwas geringer gewesen sein, was sich erfahrungsgemäss auch im Not- und Unfallgeschehen widerspiegelt. 2019 sind insgesamt 2909 Berggänger wegen einer Notlage oder eines Unfalls in Bergnot geraten und mussten die Bergrettung in Anspruch nehmen. Das sind deutlich weniger als die 3211 Betroffenen vom Vorjahr. 995 in Not Geratene konnten gesund oder nur leicht verletzt gerettet werden. Zudem gab es 2019 weniger Todesfälle: Einschliesslich der wegen einer Erkrankung, meistens wegen eines Herz-Kreislauf-Problems, verstorbenen haben in der Schweiz insgesamt 177 Menschen beim Bergsteigen ihr Leben verloren (Vorjahr 207). Auch beim klassischen Bergsteigen2 ist die Bilanz der tödlichen Unfälle besser: Bei 111 Ereignissen waren es insgesamt 120 Betroffene (Vorjahr 135).
Skitouren: Anteil Sturzunfälle nimmt seit Jahren zu
Zu Jahresbeginn gab es vor allem im Osten sehr viel Neuschnee, und es herrschte zeitweise sehr grosse Lawinengefahr. Regional kam es zu zahlreichen spontanen Lawinenabgängen, die Gebäude- und Waldschäden verursachten und Verkehrswege unterbrachen. In den übrigen Regionen der Schweizer Alpen fiel weniger Schnee, aber es war sehr kalt. Dies führte in den westlichen Voralpen im Januar und im Februar zu einem ausgeprägten Altschneeproblem, was in diesen Regionen eher selten ist und mehrere tödliche Lawinenunfälle nach sich zog. Solche Gefahrenstellen sind schwer zu erkennen. Wie akut ein derartiges Problem ist, wird aber im Lawinenbulletin berücksichtigt (siehe «Die Alpen» 01/2020). Vor Ort sind Wummgeräusche ein klares Indiz für solche Schwachstellen.
Zu Beginn des Winters 2019/20 gab es in den Bergen zunächst im Süden, etwas später auch im Norden einen markanten Wintereinbruch, der einen termingerechten Skitourenauftakt ermöglichte. Vor allem wegen der etwas zahlreicheren Phasen mit ungünstigen und garstigen Wetterbedingungen, mehrmals verbunden mit grosser Lawinengefahr, dürften die Tourenaktivitäten im Vergleich zum Vorjahr ein wenig geringer gewesen sein. Dies widerspiegelt sich jedoch im Not- und Unfallgeschehen nur unwesentlich: Insgesamt 365 Tourenskifahrer (Vorjahr 371) gerieten in eine Notlage oder verunfallten. Am häufigsten waren mit 181 Betroffenen wiederum Unfälle durch Sturz oder Absturz. Meistens verursachen solche Unfälle mittelschwere Verletzungen, die eine Hospitalisation erfordern. Es fällt auf, dass im langjährigen Trend die Sturzunfälle in Bezug auf das ganze Unfallgeschehen bei Skitouren zunehmen: 2005 machten sie noch 35% aus, 2019 waren es 50%. Bei Stürzen ist die Bindung ein wichtiges Sicherheitselement: Öffnet sie sich korrekt, kann in den meisten Fällen eine Verletzung verhindert werden; löst sie nicht aus oder kommt es zu einer Fehlauslösung, ist die Verletzungsgefahr deutlich erhöht (siehe «Die Alpen» 11/2019).
Tödlich abgestürzt sind acht Tourenfahrende: fünf während der Abfahrt, zwei wegen eines Wechtenbruchs und eine Person beim Fussabstieg zum Skidepot. Auch Lawinenunfälle3 waren weniger zahlreich als 2018: Bei 25 Ereignissen waren insgesamt 53 Personen betroffen (Vorjahr 34 Unfälle und 53 Beteiligte). Bei 14 dieser Ereignisse kamen 17 Personen ums Leben. Zehn Unfälle ereigneten sich bei der Gefahrenstufe erheblich, drei bei der Gefahrenstufe mässig und einer bei der Gefahrenstufe gering. Bei diesen tödlichen Unfällen hatte eine Person kein LVS, eine Person wurde trotz aufgeblasenem Airbag ganz verschüttet, und in einem weiteren Fall wurde der Airbag abgerissen, vermutlich weil er nicht korrekt befestigt gewesen war. Fünf Tourengänger verstarben zudem infolge eines medizinischen Notfalls; es waren alles Männer im Alter zwischen 54 und 72 Jahren. Und zwei Personen kamen bei einem Spaltensturz ums Leben.
Hochtouren: moderate Unfallbilanz
Auch im Sommer 2019 war es im Hochgebirge mehrmals sehr sonnig und heiss. Allerdings war die Hochtourensaison im Vergleich zum Vorjahr deutlich kürzer: Nach dem nasskalten Mai und einer verspäteten Schneeschmelze mussten im Juni verschiedene SAC-Hütten regelrecht ausgegraben werden. Mit der Hitzewelle im letzten Junidrittel mit Temperaturen von 15 °C auf 3000 Metern schmolz der Schnee aber dann auch in höheren Lagen rasch. Im Juli war es oft sonnig, aber es herrschte Tagesgangwetter, und am Abend gab es häufig Schauer und Gewitter. Die zweite Hitzewelle in der zweiten Julihälfte sorgte auch im Hochgebirge für grosse Wärme, und die Nullgradgrenze lag zeitweise bei knapp 5000 Metern. Zum Monatsende brachte eine Kaltfront eine deutliche Abkühlung, und oberhalb von 3000 Metern gab es etwas Neuschnee. Der August war eher wechselhaft, zwischenzeitlich gab es heftige Niederschläge und in den höheren Lagen der Viertausenderregionen Neuschnee. Trotzdem aperten die hochgelegenen Felspartien stark aus, und die Steinschlaggefahr erhöhte sich. Die Ausaperung nahm Anfang September mit einem kräftigen Kaltlufteinbruch ein rasches Ende, und in hochalpinen Gebieten gab es rund einen halben Meter Schnee. Im Oktober endete die Hochtourensaison mit grösseren Schneefällen abrupt, und das Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) publizierte insgesamt sechs Lawinenbulletins.
Die nicht immer idealen Wetterbedingungen wirkten sich auf die Hochtourenaktivitäten aus, was sich auch im Not- und Unfallgeschehen widerspiegelt: Insgesamt mussten 383 Hochtourengänger die Bergrettung in Anspruch nehmen (Vorjahr 433). Die Anziehungskraft der hohen Schweizer Berge zeigt sich in der Herkunft der Beteiligten: 223 Personen waren ausländische Staatsbürger. Am Matterhorn waren 45 und am Eiger 18 Personen betroffen. Wie in den Jahren zuvor waren wiederum Blockierungen (mit 185 Beteiligten) am zahlreichsten: Überforderung, Zeitnot, Schlechtwettereinbrüche oder drohende Gewitter führten am häufigsten zu solchen Rettungseinsätzen. Wegen Sturz oder Absturz verunfallten 105 Alpinisten, 11 davon sind ums Leben gekommen. Dazu zählen zwei Personen, die bei einem Mitreissunfall an der Dent Blanche tödlich verunglückt sind. Hingegen sind sechs Hochtourengänger tödlich abgestürzt, die trotz Begleitung nicht angeseilt waren. Weiter verunfallten am Matterhorn drei Berggänger wegen Felsausbrüchen; in einem Fall mit zwei Opfern wurde die Verankerung eines Fixseils mitgerissen. Zwei Alpinisten wurden durch Steinschlag tödlich verletzt, und eine weitere Person starb an den Folgen eines Spaltensturzes.
Bergwandern: Sturz und Absturz sind am häufigsten
Für das Berg- und Alpinwandern war das Wetter im Sommer vielfach günstig, im Frühling und im Herbst jedoch eher durchzogen. Damit dürften die Aktivitäten im Vergleich zum Vorjahr weniger intensiv gewesen sein, was sich auch im Not- und Unfallgeschehen widerspiegelt. Insgesamt mussten 2019 1343 Wandernde die Bergrettung in Anspruch nehmen (Vorjahr 1445). Mit 588 Betroffenen die häufigste Ursache war ein Sturz oder Absturz. Von diesen 588 überlebten 49 Betroffene nicht, sie machen damit 90% aller tödlich verunfallten Bergwanderer aus. Die meisten dieser tödlichen Unfälle (31 Opfer) ereigneten sich auf oder im Bereich eines Weges. 18 Betroffene verunfallten auf einem markierten Bergweg, sechs auf einem Wanderweg, je eine Person auf einem Alpin- und einem Winterwanderweg und fünf Personen auf einem nicht markierten Pfad. Tödliche Abstürze sollten – zumindest bei normalem Verhalten – auf offiziellen, gelb markierten Wanderwegen eigentlich weitgehend ausgeschlossen werden können. Es stellt sich die Frage, weshalb sie trotzdem passieren. Da vier der sieben Opfer auf markierten Wanderwegen allein unterwegs waren, lässt sich diese Frage nicht immer beantworten: Es ist aber nicht auszuschliessen, dass sie den Weg absichtlich kurz verlassen hatten oder ungewollt vom Weg abgekommen waren. Dazu folgende Beispiele: Bei einem Aussichtspunkt will ein Mann ein Selfie machen; er verlässt den Weg wenige Meter bis an den Rand der Klippe, verliert das Gleichgewicht und fällt über die Felswand in den Tod. Ein anderer Mann ist mit seinem nicht angeleinten Hund auf einem markierten und gut präparierten Winterwanderweg unterwegs. Der Hund gerät ausserhalb des Weges im steilen Gelände in Schwierigkeiten. Der Mann will ihn retten, rutscht im Schnee aus und stürzt über eine steile Felswand tödlich ab. Es gilt zu beachten, dass die offiziellen Klassifikationen des Wander- und Bergwegnetzes nur bei guten Bedingungen gelten. Ausserhalb der eigentlichen Wandersaison können auch Wanderwege zu gefährlichen Fallen werden, wenn sie vereist oder partiell noch schneebedeckt sind. Aussergewöhnlich war ein weiterer Unfall auf einem Höhenweg, wo eine Frau durch einen umkippenden morschen Baum erschlagen wurde.
Die zweithäufigste Notfallursache in der Kategorie Bergwandern waren Blockierungen, aus denen die Betroffenen meistens unverletzt gerettet werden konnten. Wie bei anderen Aktivitäten liessen sich solche Situationen auch beim Bergwandern oft mit einer sorgfältigen Tourenplanung und einem den persönlichen Ressourcen angepassten Tourenziel vermeiden. Erkrankungen sind beim Bergwandern ebenfalls immer wieder eine Notfallursache. 2019 waren 200 Personen betroffen, 22 davon sind verstorben, meist wegen eines Herz-Kreislauf-Problems.
Klettern: zahlreiche Blockierungen und Stürze
Beim Klettern gerieten 155 Personen in eine Notlage oder verunfallten. Am häufigsten war dies auf nicht vollständig abgesicherten alpinen Touren der Fall, gefolgt von gut abgesicherten Mehrseillängenrouten und Klettergärten. Am wenigsten passierte auf Routen im Extrembereich. Am zahlreichsten waren wiederum Blockierungssituationen. Dabei konnten die Bergretter 73 Beteiligte unverletzt aus ihrer misslichen Lage befreien: Häufig hatten sich die Betroffenen im Fussabstieg verstiegen, wurden am Abend von der einbrechenden Dunkelheit überrascht oder brauchten Hilfe wegen verklemmter oder verlorener Seile beim Abseilen. Durch einen Sturz verletzten sich 52 Kletternde, sie mussten meistens mit mittleren Verletzungen ins Spital geflogen werden. Tödlich abgestürzt sind vier Betroffene, zwei davon beim Fussabstieg in steilem T5- bis T6-Gelände. Beim dritten Unfall gab ein Felsblock beim Einstieg einer kurzen Route nach, und die Kletterin stürzte noch unangeseilt in die Tiefe. Beim vierten Ereignis verletzte sich ein Kletterer bei einem hohen Sturz sehr schwer. Ursache war nicht zuletzt, dass mehrere mobile Zwischensicherungen ausgerissen wurden. Der Verunfallte starb etwas später im Spital. Häufiger als in den Jahren zuvor waren Ereignisse durch Steinschlag, die mittlere Verletzungen zur Folge hatten. In zwei Fällen blieben die Beteiligten unverletzt. Ihre Seile wurden aber von den herunterfallenden Steinen beschädigt oder gar durchtrennt.
Weitere Aktivitäten: erstmals Trailrunning erfasst
Seit dem Berichtsjahr 2019 wird das Trailrunning als eigenständige Kategorie erfasst. Bei dieser Aktivität rennt man mit Laufschuhen und meistens mit einer speziellen Runningweste über Berg- oder Wanderwege. Es braucht sicher noch etwas Angewöhnung, bis die Einsatzkräfte diese Bergsportart vor Ort als solche erkennen. Vergleichbare Ereignisse aus früheren Jahren sind noch nicht verfügbar. Die nun erstmalige Auswertung zeigt folgendes Bild: Insgesamt mussten 19 Trailrunner die Bergrettung in Anspruch nehmen, darunter 17 Männer und 2 Frauen. Die Altersstufe 40 bis 50 Jahre war mit sechs Betroffenen am meisten vertreten. Häufigste Ursache war ein Sturz, gefolgt von einer Blockierung. Es gab einen Todesfall.
Bei den folgenden weiteren Aktivitäten sind weniger Not- und Unfälle als im Vorjahr zu verzeichnen: Mountainbiken (231), Klettersteig (33) und Gleitschirmfliegen (132). Mehr Not- und Unfälle gab es hingegen beim Basejumping (29), beim Canyoning (32), beim Schneeschuhlaufen (43), auf der Jagd (34), beim Pilzesuchen (28) und beim Variantenski- oder Snowboardfahren (191).