Wetter-Nina von Sedrun Lawinenbeobachterin Nina Levy
Für das Institut für Schnee- und Lawinenforschung arbeiten 210 Lawinenbeobachterinnen und Lawinenbeobachter. Täglich schicken sie im Winter Messdaten, Einschätzungen und Beobachtungen zur Schnee- und Lawinensituation nach Davos. Nina Levy aus Sedrun macht diese Arbeit seit 1976.
Wintergarten nennt Nina Levy das zehn mal zehn Meter grosse abgezäunte Stück Land neben ihrem Haus. Und das passt gut. Denn jetzt ist er voll Schnee, 95 Zentimeter hat Nina Levy diesen Morgen gemessen. Die 78-Jährige wohnt in Sedrun im Kanton Graubünden auf knapp 1450 Metern über Meer. Sie ist eine von rund 210 Lawinenbeobachterinnen und Lawinenbeobachtern in der Schweiz, die von November bis Ende April Daten, Einschätzungen und Beobachtungen an das Institut für Schnee und Lawinenforschung SLF übermitteln. Das ist eine der Datengrundlagen, um täglich zwei Lawinenbulletins zu erstellen.
Nina Levy holt die Messgeräte und zeigt, wie sie damit die Messungen macht. Die Gesamtschneehöhe kann sie an fix installierten Messlatten im Messfeld ablesen, ein Brett dient ihr dazu, jeden Morgen die Neuschneemenge der letzten 24 Stunden zu bestimmen. «Ab zehn Zentimeter Neuschnee muss ich auch wägen und damit den Wasserwert bestimmen», erklärt sie. Mit einem ein Meter langen und ein Kilogramm schweren Messstab kann sie die Einsinktiefe messen – ein wichtiges Indiz, wie hoch die Lawinengefahr ist. Alle diese Daten, eine eigene Einschätzung zur Höhe der Lawinengefahr und allfällige Lawinenbeobachtungen übermittelt sie jeden Morgen vor 7.30 Uhr ans SLF.
«Ich war mein ganzes Leben lang draussen»
Eigentlich habe das SLF 1976 ihren Mann angefragt, weil es in Sedrun seit einem Jahr niemand mehr gab, der Messungen machte. Ihr Mann arbeitete bei den Bergbahnen und war Jagdaufseher – mit den Schneemessungen und Lawinenbeobachtungen habe er ein kleines Zubrot verdienen können. «Er hatte nie grosse Freude daran», sagt Nina Levy. Vor allem auch, weil man dafür Ausbildungs- und Weiterbildungskurse in Davos besuchen muss. Denn vor allem das «Profilen» sei am Anfang nicht einfach. Immer am 15. und 30. des Monats erstellen die Lawinenbeobachter Schneeprofile. Zuerst wird ein Rammprofil erstellt, das ist eine kontinuierliche Härtemessung der Schneedecke mithilfe der Rammsonde. Für das Schneeprofil muss man einen Schacht ausstechen und die Schneeschichten bestimmen, die sehr wichtig sind für das Lawinenbulletin. Die Grösse und die Form der Schneekörner werden mithilfe einer Lupe bestimmt. «Ich machte die Kurse in Davos», sagt Nina Levy, und seither liefert sie Winter für Winter ihre Daten. Jeden Tag. Ferien mache sie im Winter nie, und wenn sie doch einmal nicht kann, wird sie von ihrem Sohn vertreten, der gleich nebenan wohnt. Und wie oft hat sie es schon vergessen? Höchstens ein- bis zweimal am Anfang der Saison. Aber dann habe sie jeweils sofort nach Davos telefoniert und sich entschuldigt. «Ich bin für Zuverlässigkeit bekannt.»
Als Nina Levys Mann bereits mit 50 Jahren starb, übernahm sie auch das Wanderwegwesen von ihm. Sie hat das ganze Wanderwegnetz der oberen Surselva markiert und unterhalten. «Das habe ich sehr gerne gemacht», sagt sie. Noch heute spult sie als Bezirksleiterin der Bündner Wanderwege jeden Sommer das ganze Wanderwegnetz der Gemeinden Sedrun und Disentis ab und meldet den Gemeinden, wenn Ausbesserungen nötig sind.
Weder vor harter Arbeit noch vor dem Draussensein schreckt Nina Levy zurück. Beides hat sie schon als Kind gelernt. Sie ist auf einem Bauernhof in Sedrun aufgewachsen, als Zweitälteste von acht Kindern. Neben dem Bauernhof betrieb der Vater noch eine Sägerei. «Wir mussten sehr viel arbeiten», sagt sie. Selbst Bäuerin werden wollte sie deshalb nicht. Aber den Bezug zur Natur hatte sie von klein auf. «Ich war mein ganzes Leben lang draussen», sagt sie. Das ganze Jahr beobachtet sie die Natur. «Wenn die Rosen im Herbst noch lange blühen, gibt es einen strengen Winter.» Und sie hat recht – das Tal liegt bereits Anfang Dezember unter einer meterdicken Schneedecke. Ihre Beobachtungen, aber auch ein grosses Repertoire an Bauernregeln gibt sie in Lokalzeitungen zum Besten. Sieben Jahre lang präsentierte sie auf Rätoromanisch das Wetter auf Radio Rumantsch. Noch heute würden viele Leute sie deswegen an ihrer Stimme erkennen. Und es brachte ihr den Übernamen «Nina da l’aura» ein, was so viel heisst wie Wetter-Nina. «Ja, das bin ich auch», sagt sie.
Mit dem Computer wird es einfacher
Früher hat sie die Daten der täglichen Schneemessungen von Hand in ein Formular übertragen. «42 Zahlen musste ich eintragen», sagt Nina Levy. Das Ganze musste sie dann nach Davos telegrafieren. Weil die Lawinenbeobachter im ganzen Land ihre Daten zur gleiche Zeit übermitteln wollten, gab es Stau. Oft habe es deshalb geheissen, sie würden zurückrufen, und das habe manchmal lange gedauert. Dann kamen der Computer und das Internet. «Ich habe zu meinem Sohn gesagt, wenn das kommt, dann höre ich auf.» Er hielt dagegen, es werde damit nur einfacher. Nina Levy ging nach Davos, liess sich weiterbilden und machte weiter. Und das macht sie immer noch: «Solange ich mag.»