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Was denken wohl die Nachbarn? Wildcampen im Minibus: Der Erfolg zerstört den Mythos
Umgebaute Kleinbusse und Wildcampen erfreuen sich in der Schweiz beispielloser Beliebtheit – auch unter Bergsportlern. Beachtet man einige Regeln, können Probleme wie negative Auswirkungen auf die Umwelt und die Mitmenschen vermieden werden.
Ein Juliabend im Diemtigtal im Berner Oberland. Im Innern des Campingbusses kocht auf dem Gaskocher das Wasser für die Spaghetti. Draussen knistert das Feuer, und bald kann man auf der Glut die Würste grillieren. Ein paar Meter weiter sind im eiskalten Bergbach Bier- und Limonadeflaschen kühl gestellt. Während die Kinder eine letzte Runde Frisbee auf der grünen Wiese spielen, sitzen die Eltern gemütlich auf Klappstühlen und bestaunen die rotgoldene Sonne, die hinter den Gipfeln untergeht.
Pandemie verstärkt den Trend
Komplett eingerichtete Minibusse zum Übernachten erleben einen Boom. Auf den Strassen, auf Campingplätzen oder in den Bergen – sie sind überall. «Die Menschen haben zunehmend das Bedürfnis, in der Natur zu sein, an die frische Luft zu kommen und sich frei zu fühlen», sagt Sarah Hollederer von der Plattform MyCamper. Angekurbelt wird der Trend auf den sozialen Netzwerken: «Allein unter dem Hashtag ‹vanlife› gibt es auf Instagram mehr als 9,7 Millionen Fotos, die Kleinbusse inmitten der Natur in schönen Landschaften zeigen.» Ein Phänomen, das bereits seit einigen Jahren existiert, sich aber durch die Pandemie noch verstärkt hat. «Mit dieser Form der Übernachtung kann man Hotels und Restaurants meiden, wo sich manche von uns wegen des Coronavirus nicht mehr sicher fühlen», sagt Sarah Hollederer. Die Zahlen sprechen für sich. Auf der Plattform MyCamper, die Wohnmobilbesitzende und Mietende zusammenbringt, hat sich die Zahl der registrierten Minivans zwischen 2018 und 2021 verdreifacht. Und die Vereinigung der Automobilimporteure Auto-Schweiz zählte 2020 in der Schweiz und in Liechtenstein mehr als 2000 Neuzulassungen für den VW California – den Star unter den Campern. 2015 waren es 700 und 2010 sogar nur 200.
Dem Schweizer Alpen-Club stehen zwar keine Zahlen darüber zur Verfügung, wie viele Mitglieder einen solchen Kleinbus besitzen. «Die Verbreitung der Busse nimmt aber eindeutig zu», sagt Philippe Wäger, Ressortleiter Umwelt und Raumentwicklung beim SAC.
Probleme mit der Nachbarschaft
«Immer mehr unserer Kunden übernachten im Camper, vor allem die jüngere Generation», sagt Laura Suter von Swisscamps, dem Verband Schweizerischer Campings. Sicher übernachten einige Busbesitzer lieber auf Campingplätzen. Gleichzeitig wird aber auch das Campen in der Wildnis immer beliebter. Hat man alles, was man braucht, um für ein Wochenende oder länger autark zu sein, ist es verlockend, die Menschenmassen (und die Kosten) der offiziellen Campingplätze zu umgehen und auf eigene Faust in den Wald oder in die Berge zu fahren.
Die Begeisterung für das Campen hat auch Schattenseiten. Als die Campingplätze wegen der Coronapandemie geschlossen waren, wurde das Diemtigtal zu einem Eldorado für Wildcamper. In einem Beitrag des Regionaljournals Bern Freiburg Wallis warnte der Wildhüter vor den negativen Auswirkungen der Störungen auf die Wildtiere. Und für die Verantwortlichen des Naturparks Diemtigtal war rasch klar, dass diese Art von Tourismus kanalisiert werden muss. Abhilfe sollen fünf neue Stellplätze schaffen, die innert kürzester Zeit realisiert wurden. Ähnlich tönt es aus dem Kanton Jura: «Die Entwicklung stellt in und um Naturschutzgebiete ein grosses Problem dar.» Bei der Cellule Surveillance Environnementale, einer Aussenstelle des Amts für Umwelt des Kantons Jura, heisst es weiter: «Um die Ruhe im Gebiet zu bewahren und der besonders im Frühjahr empfindlichen Fauna Rückzugsgebiete zu sichern, ist das Parkieren und Zelten ausserhalb der ausgewiesenen Flächen verboten.» Wegen des starken Andrangs von Campinggästen reichten im letzten Sommer die offiziellen Plätze nicht aus, und die jurassischen Behörden beobachteten einen Anstieg beim Wildcampen. «Das führt auch ausserhalb der Naturschutzgebiete zu Problemen, vor allem für Landwirte, wenn ihre Grundstücke unerlaubt genutzt werden.»
Gleiche Regeln für alle
Auch Dominique Weissen Abgottspon, Geschäftsleiterin Netzwerk Schweizer Pärke, hat festgestellt, dass im letzten Sommer die Zahl der Wohnmobile und der Wildcampenden explosionsartig angestiegen ist: «Problematisch wird es dann, wenn die Camper den Müll und das Toilettenpapier liegen lassen, die Tierwelt gestört wird – vor allem durch Lärm – oder wenn Privatgelände zertrampelt wird.» Natürlich hat auch der Verkehr in diesen Pärken deutlich zugenommen. Im Tessin führten die zahlreichen Campingbusse zu anderen Problemen. «Einige Camper sind offenbar auf öffentliche Parkplätze in den Quartieren ausgewichen, das hat zum Teil zu Spannungen mit den Anwohnern geführt», sagt Cecilia Brenni von Ticino Turismo.
Die Verantwortlichen der Regionen, die vom Wildcampen betroffen sind, suchen nach verschiedenen Wegen, um die negativen Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Der Naturpark Gantrisch zum Beispiel arbeitet mit der Plattform Nomady zusammen, die Camper und Landeigentümer zusammenbringt. Und im Regionalen Naturpark Doubs wurden im Sommer Studierende angestellt, die die Besucher auf die Schutzproblematik und die geltenden Regeln aufmerksam machten. Gleichzeitig wurden laut der Cellule Surveillance Environnementale du Canton Jura in der Nähe der Schutzgebiete Warnhinweise für Fahrzeuge aufgestellt. «Das scheint Wirkung zu zeigen.» Zudem werden Camper aufgefordert, sich vor ihrer Reise über die Einschränkungen zu informieren. «Genau da liegt das Problem», sagt Dominique Weissen Abgottspon: «In der Schweiz variieren die Regelungen zum Wildcampen von Kanton zu Kanton und sogar von Gemeinde zu Gemeinde.» Das könne bei den Leuten für Verwirrung sorgen. Die Geschäftsleiterin Netzwerk Schweizer Pärke glaubt, dass klarere und einheitlichere Regeln die Situation verbessern könnten. «Aber es ist wichtig, dass empfindliche Naturflächen unbedingt geschützt bleiben, auch neue Verbote sind nicht auszuschliessen», sagt sie.
Gesunder Menschenverstand
Andererseits ist es laut Dominique Weissen Abgottspon sinnvoll, «die Anzahl der offiziellen Campingplätze zu erhöhen» und sicherzustellen, dass die zunehmende Gästezahl «einen Mehrwert auf lokaler Ebene erzeugt». Auch bei Ticino Turismo heisst es: «Diese Art von Tourismus birgt eine wichtige Ressource. Studien zeigen, dass Wohnmobiltouristen als dynamische Besucher gelten, die sowohl von kulturellen als auch von landschaftlichen Attraktionen und sogar von Shoppingmöglichkeiten angezogen werden.» Deshalb ist Cecilia Brenni überzeugt, dass die Lösung nicht nur aus Bussen oder Einschränkungen bestehen sollte. «Die Gemeinden sollten entsprechende Einrichtungen zur Verfügung stellen», sagt sie.
Dem SAC sind die Vorteile von umgebauten Kleinbussen für Outdoorfans bewusst. Philippe Wäger betont jedoch, dass gesunder Menschenverstand und die Einhaltung einiger Regeln (siehe Kasten) unerlässlich seien. Der Leiter des Bereichs Umwelt und Raumentwicklung weist darauf hin, dass die umweltfreundlichste Art zu campen – ob in der Wildnis oder nicht – immer noch die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln und mit dem Zelt unter dem Arm sei.