Wanderung durch fünf Bergkantone
Emil Schimpf, Winterthur
( Bilder 7 bis 10 ) Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erleben! Ob es sich dabei um eine Reise mit dem Flugzeug, mit der Bahn, mit einem andern Vehikel oder gar zu Fuss handelt, spielt dabei keine Rolle. So lade ich den geneigten Leser ein, dem verbreiteten Appell Folge zu leisten, vermehrt auf Schusters Rappen zu pilgern. Als Anregung für letztere Art der Fortbewegung möge ihm die nachfolgende Schilderung dienen, nämlich, wie man—ohne vorher ein bestimmtes Ziel zu haben -vom Muotatal nach Gurtnellen gelangen kann. Wenn unsere ganze Wanderung auch viele Jahre zurückliegt ( Teilstücke wurden später wiederholt ), so kann sie doch auch heute noch ohne wesentliche Routenänderungen unternommen und auch empfohlen werden.
Der unselige Zweite Weltkrieg hatte eben sein Ende gefunden. Seit Jahren konnte man erstmals wieder mit ruhigem Gewissen einen Marsch ins Blaue unternehmen, ohne befürchten zu müssen, ein überraschendes militärisches Aufgebot zu erhalten. Also packten meine Frau und ich frohgemut unsere Säcke und fuhren an einem Dienstag im August mit Bahn und Postauto ins Bisistal im Kanton Schwyz. Schon bald nachdem wir den Weg unter die Füsse genommen hatten, fanden wir es notwendig, vor Beginn des Aufstieges zur Glattalphütte, unserm heutigen Ziel, etwas zu essen. Leider lief uns beim Auspacken der dafür vorgesehene Käse sozusagen entgegen, was unserm Appetit schlagartig ein Ende bereitete. Da damals aber noch beinahe alle Nahrungsmittel rationiert waren, wickelten wir die ganze Bescherung sofort wieder gut ein, um alles bei nächster Gelegenheit dem Verkäufer zurückzuschicken.
So nahmen wir denn den Hüttenweg unver-pflegt mit unsern recht schweren Rucksäcken wieder unter die Füsse. Dank unserm massigen Tempo konnten wir die uns bislang unbekannte Gegend eingehend studieren. Dabei machten uns vor allem der grosse Kessel und die darüber wuch-tenden Felswände zwischen den Schächentaler Windgällen und den Mären einen nachhaltigen Eindruck.
Auf diesem Fussmarsch legt man auf einer relativ kurzen Strecke zwischen der Talsohle und der SAC-Hütte einen Höhenunterschied von etwa 700 Metern zurück. Überrascht steht man dann fast unvermittelt vor der langgestreckten Mulde der Glattalp, in welcher der gleichnamige See eingebettet liegt. Bald standen wir denn auch bei der heimeligen Bergunterkunft ( 1896 m ), in der sich niemand befand. Nach unserer Reise und dem gut dreistündigen Aufstieg waren wir nun aber wirklich hungrig, so dass wir gerne sofort die Gelegenheit benützten, uns Suppe und Tee zu kochen. Es blieb uns hernach noch viel Zeit, in der Gegend herumzulungern und uns anhand der Karte genau zu orientieren, vor allem natürlich über unsern morgigen Weiterweg. Wir fanden ganz in der Nähe einige schöne Boviste, mit denen wir unser Nachtessen bereichern konnten. Abends waren in der Hütte schliesslich zehn Personen anwesend, die in friedlichem Wettstreit ihr Nachtessen zubereiteten. Alle hatten im übrigen das Bedürfnis, sich bald niederzulegen; Platz genug war vorhanden.
Wunderschönes Wetter erwartete uns am zweiten Ferientag. Unser Ziel war der Ortstock, den wir fast dauernd vor Augen hatten. Zuerst bummelten wir recht gemächlich dem See entlang. DerAufstiegzur«Furggele » ( 2395 m ), der von der Hütte aus ziemlich steil aussah, erwies sich als gar nicht so mühsam. Wir zogen es allerdings vor, statt seitlich einer Wegspur entlang durchs Geröll, auf Grasbändern dem Sattel zuzustreben. Nach etwas mehr als zwei Stunden waren wir dort, wo der Rucksack deponiert und der Aufstieg zum Ortstock ( 2716 m ) möglichst « unbeschwert » fortgesetzt wurde, und zwar auf der Normalroute; diese bietet keine Schwierigkeiten, wenn man von einigen kurzen, aber ungefährlichen Kletterstellen absieht. Eine wunderbare Aussicht belohnt den Touristen für seine Mühe. Weit unten sieht man die Klausenstrasse und das Tal der Linth. Dominierend grüssen im Süden Clariden und Tödi, und in weiter Runde stehen all die herrlichen Glarner Berge. Aber auch die Churfirsten und der Säntis, ja sogar die Berner Alpen sind zu sehen. Jetzt bereuten wir es, unsere Säcke nicht mitgenommen zu haben, denn die Gipfelrast hätte dann länger dauern können. So verpflegten wir uns eben erst, als wir die Ortstockfurggele etwa um 13 Uhr wieder erreicht hatten und bevor wir den Abstieg Richtung Braunwald antraten. Es machte uns nicht wenig Spass, über Geröll und Schneeresten gegen den « Bärentritt » mehr zu rutschen als zu gehen. Kurz vor dem nun folgenden Steilabstieg überschreitet man auf Kote 2000 die Grenze zum Kanton Glarus. Von da an fanden wir es übrigens vorsichtiger, eher gemächlich auf dem mit grobem Kalkgeröll übersäten, aber gutangelegten Weg gegen Brach abzusteigen. Als Fixpunkt winkt einem unterwegs ein kleines Seelein entgegen, das unterhalb der Steilstufe liegt. Eigentlich hatten wir im Sinn gehabt, von der Alp « Ober Stafel » sogleich nach Braunwald weiterzugehen. Schöne Heidelbeerfelder luden uns aber zum Verweilen und Schmausen ein. Dafür beendeten wir dann unser Tagespensum bereits beim Ortstockhaus. Leider begann sich der Himmel beim Einnachten zu bedecken, und es sah bedenklich nach Regen aus.
Am dritten Tag war dann aber zu unserer Freude der Himmel allen Befürchtungen zum Trotz wieder blankgefegt. Bald machten wir uns daher auf den Weg nach Braunwald, wo wir sogleich mit einem Bähnlein nach Linthal hinunterfahren konnten. Wir waren froh, im Tal unsern Proviant ergänzen zu können. Allerdings verpackten wir hier auch den immer noch mitgetragenen Käse und spedierten ihn mit folgenden Zeilen an den Verkäufer:
Wie schwer war es enttäuschet, das frohe Wanderpaar, Als es musst'konstatieren, Dass « Fleisch » im Käse war!
Man könnt'ihn nicht verzehren, Es wimmelt drin wie wild. Ich schick ihn hier zurücke, Dann sind Sie auch im Bild.
Ich werd' Ersatz mir holen Für meine Punkte rar1: Es waren hundertfünfzig Und auch bezahlt in bar!
Nachdem dies alles besorgt war, zogen wir alsbald wacker los, um den Strassentippel nach Tierfed rasch hinter uns zu bringen ( heute würde man vermutlich für diese langweilige Strecke ein Auto benützen ). Eine kurze Rast entschädigte uns für diese Mühe. Da entdeckte ich auf meinem Rucksack plötzlich eine herumspazierende Wanze; nun war mir auch klar, weshalb der einzige Gast, der letzte Nacht im gleichen Raum geschlafen hatte, sich am Morgen so sehr über Insektenstiche beklagte!
Nach diesem Intermezzo begannen wir den nahrhaften Aufstieg ( Höhendifferenz bis zur Hütte 1700 m ) auf dem Weg, der auch zum Kistenpass führt. Bei der Baumgartenalp hat man gut zwei Fünftel der Steigung bis zur Muttseehütte überwunden. Weil ich vom schweren Rucksack einen « Ast » hatte, hielten wir hier etwas an. Dabei unterliessen wir es nicht, auf den Ortstock hinüberzuschauen, von wo aus wir am Vortag un- 1 Gemeint sind die damaligen Rationierungspunkte.
sere heutige Route « bespiegelt » hatten. Beim Herumblicken bemerkten wir aber auch, dass der Himmel sich zusehends verfinsterte. Also, nix wie los! Auf dem Weiterweg, etwa bei den « Ochsenplanggen », überraschte uns ein so starker Windstoss, dass ich beinahe aus dem Gleichgewicht geriet. Es begann bei zunehmendem Sturm in Strömen zu regnen. So waren wir wirklich dankbar, als die SAC-Hütte ( 2500 m ) in Sicht kam.
Von Linthal bis hieher hatten wir gute sieben Stunden gebraucht; kein Wunder also, dass wir uns zuerst gründlich restaurierten und trockene Kleider anzogen. Ausser uns waren in der Hütte nur vier Personen, worunter sich der inzwischen bekannt gewordene Geologe Tony Hagen befand. Er orientierte uns abends über seine geologischen Untersuchungen im Zusammenhang mit dem geplanten Kraftwerk Linth-Limmern. Dabei erfuhren wir, dass die von uns im Aufstieg da und dort bemerkten umherliegenden Eisenrohre zu Sondierbohrungen verwendet worden waren. Der Wissenschafter zeigte uns die bereits erstellten geologischen Profile und erklärte uns die weiteren Hilfsmittel, die ihm für seine Arbeiten zur Verfügung standen. So wurde es recht spät, bis wir -während es draussen stürmte und regnete - ans Schlafen dachten.
Es scheint hier am Platze zu sein, kurz auf die seither entstandenen Veränderungen durch den Bau des Kraftwerkes Linth-Limmern hinzuweisen. Die Staumauer in Verbindung mit dem Speicherbecken auf Limmernboden ist 146 Meter hoch, ihre Krone liegt auf 1858 Meter - ungefähr auf der Höhe von Ochsenplanggen, und die Länge beträgt 370 Meter. Der Nutzinhalt des Sees, der sich sehr gut in die Gegend fügt, beträgt 92 Millionen Kubikmeter. Aber auch der Muttsee wurde in das Gefüge des Kraftwerkes einbezogen. So entstand die erste Stufe Muttsee—Lim-mernboden, wobei etwas oberhalb der Staumauer eine Kavernen-Zentrale gebaut wurde. Neben verschiedenen Stollen, von denen der Wanderer nichts sieht, ist die Seilbahn zu erwähnen, die vom Ausgleichsbecken Tierfed nach « Kalktrittli » ( i860 m ) führt und dem Besucher der Muttseehütte ein grosses Wegstück abnimmt. Bemerkenswert für den Hüttenbesucher ist, dass aus der ersten Stufe mittels einer Hochdruck-pumpe Wasser in die SAC-Hütte gepumpt wird, was eine grosse Erleichterung- und Komfort- bedeutet.
Für den vierten Tag hatten wir die Besteigung eines der umliegenden Berge vorgesehen. Daran war aber im Moment gar nicht zu denken - bei dem miesen Wetter. Die drei andern Touristen stiegen daher bereits am frühen Morgen talwärts. Wir unserseits fanden einen Ruhetag gar nicht so schlecht. Zudem erhielten wir weitere Auskünfte vom Geologen, erfuhren dabei aber auch, dass es sich bei seiner Arbeit lediglich um eine Vorabklärung handle. Der Grundstein für die Staumauer wurde denn auch erst am 24. August i960 gelegt und die erste Speicherpumpe am 11. Februar 1964 in Betrieb genommen.
Nach dem Mittagessen bekamen wir den Eindruck, das morgendliche Schneetreiben sei das Signal für eine Wetterbesserung gewesen, so dass wir uns kurzerhand entschlossen, uns noch etwas Bewegung zu verschaffen und über den Kistenpass zur Bifertenhütte zu marschieren. Dieser bei schönem Wetter sicherlich hübsche Bummel stellte aber bei Neuschnee und Nebel einige Anforderungen, doch schlugen wir uns mit Hilfe des Kompasses durch, brauchten aber recht viel Zeit bis zur Kistenpasshöhe, der Kantonsgrenze nach Graubünden. Der äusserst schlechten Sicht wegen schien es uns nicht ratsam, die Hütte von hier direkt anzusteuern; so stiegen wir bis zu P. 2415 ab, um von dort aus unser Ziel auf gutem Weg. anzugehen. Diese « Expedition » erforderte mehr als zwei Stunden. Nach unserer Ankunft in der Bifertenhütte ( AAC, 2482 m ) holten wir uns sofort an der nahen Wasserstelle eine Brente Wasser, um uns hierauf in der Hütte, zusammen mit einem kurz nach uns eingetroffenen Einzelgänger, breitzumachen und das Essen zuzubereiten.
Anderntags, am fünften Tag unserer Ferien, war der Himmel wider Erwarten fast wolkenlos.
Früh bummelten wir daher zunächst gegen das Kistenstöckli ( 2745,6 m ), um einen Blick gegen den Limmernboden, das Gebiet des künftigen Stausees, zu werfen. Vom Schnee war das ohnehin mit Schutt übersäte Gelände überaus glitschig, weshalb wir auf die Besteigung dieses kleinen Gipfels verzichteten, dafür noch ein wenig auf dem Grat Richtung Bifertenstock ( 3421 m ) schlenderten und überlegten, was nun weiter zu unternehmen sei. Das führte dazu, dass wir das Mittagessen in der Hütte einnahmen, um uns alsdann bergabwärts nach Brigels auf den Weg zu machen, das wir ohne Zwischenhalt erreichten. Wir kauften dort ein, konnten nach kurzem Warten das Postauto nach Tavanasa besteigen und dann nach Ilanz weiterfahren, von wo aus uns ein anderer Postkurs durch das malerische Lugnez nach Vrin ( 1448 m ) brachte. Wir bezogen sogleich im Hotel « Piz Terri » Unterkunft und bummelten anschliessend noch ein Weilchen durch das Dorf. Vrin ist ein richtiges Bergdorf; es besitzt eine Kirche, die zu den schönsten Baudenkmälern des Vorderrheintals zählt. Einbrechende Dunkelheit und ein rechter Appetit trieben uns nach dieser « Besichtigungstour » ins Hotel zurück, wo wir als einzige Gästesehr gut aufgenommen wurden.
Der sechste Tag ( Sonntag ) empfing uns mit strahlendem Sonnenschein. So marschierten wir programmgemäss um 7 Uhr los durch die Ort- schaft, die erst von den Geissen belebt war, die zur Weide getrieben werden sollten. Auf guten Pfaden steigt man vorbei an verschiedenen kleinen Weilern, bei denen jeweils eine Kapelle steht, bis Puzzatsch ( 1667 m ). Mit Erstaunen vernahmen wir hier von einer freundlichen Bewohnerin, dass das Örtchen das ganze Jahr über bewohnt sei; die Kinder haben also auch im Winter einen weiten Schulweg zurückzulegen. Im weitern Aufstieg zur Alp Diesrut begegnete uns eine prächtige Viper, die leider bald im Geröll verschwand. Bis jetzt hatten wir auf unserer Wanderung auch kein einziges Wildtier ( ausser Vögeln ) gesehen. Von der Alp Diesrut an waren nur noch Wegspuren vorhanden. Da das Gelände sumpfig und daher schlüpfrig war, brauchten wir für die letzte Steigung von etwa 800 Metern bis zum Pass Diesrut ( 2428 m ) mehr als drei Stunden und machten dort gerne unsern Mittagshalt. Anschliessend wagten wir noch einen Abstecher zum Piz Tgietschen ( 2857 m ), den man via P. 2692 über einen kleinen Grat erreicht. Erst dort wurde - nach eingehendem Studium der weiteren Umgebung -unser Plan für die Fortsetzung der Wanderung festgelegt.
Übrigens bietet dieser Gipfel eine wunderbare Rundsicht. Ganz besonders gefällt der Blick ins Somvix, in welchem man auf weite Strecken den Lauf des « Rein de Sumvitg » und den Anmarschweg vom Tenigerbad zur Terrihütte ( Camona de Terri ) verfolgen kann. Unser heutiges Ziel war eben diese SAC-Hütte ( 2170 m ). Als wir auf dem Weitermarsch dorthin gerade zur Brücke über den Rhein kamen, der kurz nachher nach Norden abbiegt und in einer tiefen Schlucht ins Val Somvitg verschwindet, begegneten wir einer grossen Schafherde - ein unvergessliches Bild: die nahezu goo Schafe, getrieben vom Hirten, einem Knaben, und von zwei Hunden, in unmittelbarer Nähe von uns den Bach durchquerend.
Von hier bis zur Clubhütte, die keine andern Gäste beherbergte, war es nicht mehr weit. Wie sich später herausstellte, war der Schafhirte gleichzeitig Hüttenwart, hatte aber seine Unterkunft in Gesellschaft seiner Hilfe und den Hunden in einem kleinen Hüttlein ganz in der Nähe. Beim Einnachten kam er zu uns, und in seiner Gesellschaft verlebten wir einen heimeligen Abend, wusste er doch so manches aus seinem einsamen Leben hier oben zu erzählen. Im Laufe der Nacht erschien dann noch ein Alleingänger, der nach seinen Aussagen das Bergheim stundenlang gesucht hatte.
Obschon uns am siebten Tag unserer Wanderung die Besteigung eines « Hüttenberges » oder gar der Übergang zur Medelserhütte ( Camona de Medel ) sehr gelockt hätte, verzichteten wir - in Ermangelung eines Seiles und auch zufolge unse- rer weiteren Pläne auf eine solche Tour. Wir hatten uns für heute Olivone als Ziel ausgedacht. Zunächst marschierten wir in fast südlicher Richtung bis P. 2241, um dann die Hochebene von Plaun la Greina » nach « La Crusch » ( 2268 m ) zu durchqueren ( ich verweise hier auf die äusserst lesenswerten Ausführungen im 1. Quartalheft 1975 der « Alpen » und die noch ausführlicheren Beschreibungen in der Zeitschrift « Natur und Mensch », Hefte und 2/1975 von Bryan Cyril Thurston über « La Greina — Bergland der unbändigen Natur » ). Damit überschritten wir wieder einmal eine Kantonsgrenze, nämlich diejenige des Tessins. Weiter ging es -meist Pfadspuren folgend - in der allgemeinen Richtung gegen die Alpe Motterascio. Dort gab 's angesichts der Adulagruppe und des wuchtigen Torrone di Nava einen längeren Halt. Nur ungern begaben wir uns auf den Weiterweg, waren aber bald von der wildromantischen Schlucht des Val Luzzone begeistert; daran änderte auch nichts, dass oft Gegensteigungen zu überwinden waren. Immer wieder trennte uns ein Hindernis vom Bleniotal, doch schliesslich lag auch diese Strecke hinter uns. Im Val Luzzone hat sich seit der Erstellung eines Stausees verschiedenes geändert, was auch die Wegverhältnisse beeinflusst, sie aber eher verbessert haben dürfte. Die Werke befinden sich am Fusse der Staumauer, in Olivone und in Biasca.
Wenn man Campo erreicht hat, wird der Weitermarsch problemlos. Sogar wir freuten uns für einmal, auf einem bequemen Wegstück wandern und so die Gegend mit aller Aufmerksamkeit bewundern zu können; sie bildet einen starken Kontrast zu der eben erlebten Gebirgslandschaft.
In Olivone ( 890 m ) angekommen, bezogen wir zuerst Quartier im Hotel « Centrale »; dann mussten wir zur Post und unsern Proviant ergänzen, sahen uns dabei auch im malerischen Dorfe um, das zu Füssen der Granitpyramide des Pizzo Sosto liegt. Man sagt, dass die Pfarrkirche S. Martino die schönste Sakristei des Tales besitze.
Der achte Ferientag brach an, ohne dass wir schon genau wussten, wohin wir eigentlich woll- ten Wir kehrten vorerst auf der am Vortag durchwanderten Strecke nach Campo zurück. Von diesem Ort zuhinterst im Val Blenio schlugen wir in genau westlicher Richtung den Aufstieg durchs Val di Campo ein ( es verläuft hier fast genau parallel zu dem in Olivone einmündenden Valle del Lucomagno ). Man stösst hier immer wieder auf kleinere Häusergruppen. Bei der obersten Alp, der « Alpe Bovarina » ( 1868 m ), musste die Entscheidung fallen, ob wir dem Tal weiter folgen oder nach Norden zum Passo Cristallina aufsteigen und damit den Übergang ins Val Medel ins Auge fassen wollten. Wir zogen die erste Variante vor. Noch trennten uns aber 800 Meter Höhendifferenz bis zur Lukmanier-Passhöke(Passo de Lucomagno ), die, trotz teilweise sehr « rutschigen » Hängen, ohne Komplikationen erreicht wurde. Inmitten von Edelweiss fanden wir — sozusagen als Belohnung für unsere Anstrengungen - kurz vor dem « Passo di Gana Negra » ( etwa auf 2400 m ) wunderbare Champignons, von denen einige der schönsten Exemplare in unsern Taschen landeten.
Inzwischen zogen sich am nahen Scopi drohende Gewitterwolken zusammen, weshalb wir den Abstieg gegen unser heutiges Ziel, das Hospiz Sta. Maria ( 1853 m ), sofort unter die Füsse nahmen. An einem windgeschützten Plätzchen — ohne Regen — gab 's aber doch noch einen verspäteten Mittagshalt. Gegen 5 Uhr trafen wir beim Gasthaus ein und befanden uns damit vorübergehend wieder im Kanton Graubünden. Zum Nachtessen rüsteten wir unsere Pilze, die man uns, unter Ablehnung jeglicher Verantwortung bei einer Vergiftung, nach Anleitung zubereitete.
Das erwartete Gewitter begann sich eben zu entladen, als wir uns zur Ruhe legten - und die befürchtete Pilzvergiftung trat nicht ein.
Sta. Maria war ursprünglich ein eigentliches Hospiz, das bereits im Jahre 1374 durch den damaligen Abt des Stiftes Disentis gegründet worden war. Aus dem Hause wurde später eine heimelige Gaststätte; heute befindet sich diese samt der Kapelle auf dem Grunde eines Stausees. Die- ser gehört - zusammen mit denjenigen von Nalps und von Curnera - zu den Kraftwerken Vorderrhein. Der Stausee Sta. Maria ist der grösste von den dreien. Die in den Jahren 1964-1968 erbaute Staumauer besitzt eine Kronenlänge von 560 Metern, die maximale Staukote liegt auf 1908 Meter ( gleich wie beim Stausee von Nalps ), und die Seeoberfläche wird mit 177,4 Hektar angegeben. Betrieben werden mit dem anfallenden Wasser die Zentralen Sedrun und Tavanasa, woselbst noch das Wasser aus dem Somvix dazukommt.
Sowohl die Gaststätte auf dem Lukmanier als auch die Kapelle wurden von den Bauherren durch neue Gebäude ersetzt; natürlich musste auch die Strasse um etwa 60 Meter höher gelegt und unter den Hängen des Scopi mit Lawinengalerien versehen werden.
Am Morgen des neunten Tages zeigte es sich, dass das Gewitter vom Vorabend offenbar der Vorläufer eines Landregens gewesen war. Statt dem Scopi, der von hier aus unschwer — im obern Teil etwas mühsamer - erreichbar ist, einen Besuch abzustatten, schlugen wir, wieder in den Kanton Tessin zurückgekehrt, den Weg durch das Val Cadlimo zur gleichnamigen Hütte ein. Häufige Regenschauer begleiteten uns. Wahrscheinlich war der ebenfalls vorhandene Nebel schuld, dass wir zuerst zu weit nach rechts gerieten, was ich erst bei der Alpe Scaione merkte. So mussten wir unter Verlust von gut too Höhenmetern wieder absteigen, um zum Hüttenweg zu gelangen. Begegnet sind wir einzig einem Knaben, der einsam in einem Steinhüttlein sass und für sich und seinen Vater, der Rinder hütete, eine Suppe kochte. Wir waren froh, unter Dach zu kommen, als wir die Cadlimohütte ( 2578 m ) erreichten. Ausser zwei Bekannten trafen wir hier noch verschiedene Touristengruppen, so dass der Herd warm war und wir unsere nassen Kleider trocknen konnten. Zusammen verbrachten wir plaudernd den verregneten Nachmittag im Bergheim.
Recht kalt und unfreundlich erwartete uns der zehnte Ferientag. Die meisten Hüttenbesucher machten sich bei diesem Wetter talwärts auf die t Abseilblock am Grand Diable. Der « Radfahrerweg », ein 3Der Abstieg erfolgt durch die Felsrinne an der Licht- und Balkon in der Ostwand, führt zum Hauptgipfel derSchattengrenze Aig. du Grêpon 4Abstieg über den Mantillons-Gletscher 2Rückblick vom Gipfel der Aiguille du Grépon zum Grandphotos August Granwhr Kreuzlingen Diable Socken. Zwei Zurückgebliebene entschieden sich für eine Besteigung des Piz Blas; wir zogen einen Abstecher in südlicher Richtung auf den Piz Taneda ( 2666 m ) vor, da man von dort einen prächtigen Blick auf den Tom- und den Ritomsee sowie in die Leventina hat. Nebel und Schneetreiben verhinderten aber jede Sicht, weshalb wir rasch den Rückzug antraten. In der Hütte waren bereits die zwei enttäuschten Kameraden angekommen, die den Weg auf den Piz Blas der schlechten Sicht wegen aus den Augen verloren hatten. Heute waren wir nur zu viert, so dass es sich nicht einmal lohnte, die Hütte zu wärmen. So schlüpften wir denn nach dem Mittagessen unter die Decken und verbrachten, in dieser bequemen Lage plaudernd, den restlichen Tag.
Ein ganz wunderbarer Morgen empfing uns, als wir zögernd nach dem Wetter Ausschau hielten, an unserem elften Tag. Wir wollten zum Passo Bornengo. Damit wir das Queren der ziemlich stark überschneiten Hänge, in direkter Traverse von der Hütte aus, umgehen konnten, stiegen wir zunächst zum Pian Bornengo ( 2286 m ) ab, um von dort in steilem Aufstieg zur Passhöhe ( 2631 m ) zu gelangen. Sofort ging 's weiter auf den Piz Ah ( 2769 m ). Weder vorher noch nachher hatten wir je eine so wunderbare Fernsicht in allen Himmelsrichtungen. Im Tal lag Nebel, aus dem unter anderen z.B. der Piz Molare herausragte, während im Süden weitere Bekannte, wie der Campolungo und der Basodino, grüssten; im Westen die Berge des Gotthardmassivs und weit dahinter die Berner und die Walliser Alpen; im Norden schliesslich der dominierende Oberalpstock und die Glarner Berge. Kein Wunder, dass sich unsere Gipfelrast erheblich in die Länge zog. Erst am späteren Nachmittag schritten wir dann bummelnder-weise direkt gegen Norden, vorbei an den verschiedenen kleinen Seelein, durch das heimelige Val Maighels. Statt, wie vorgesehen, nach Tschamut, wandten wir uns gegen den Oberalppass ( 2044 m ), wo wir im Hotel nächtigten. Damit hatten wir auch unsern letzten Grenzübertritt hinter uns: Wir standen im Kanton Uri.
Unser zwölfter und letzter Ferientag ( ein Samstag ) begrüsste uns mit einem fast wolkenlosen Himmel. Zum Ausklang wählten wir den Übergang über die Fellilücke ( 2478 m ). Im Aufstieg, für den wir fünf viertel Stunden benötigten,schauten wir immer wieder hinüber zu den Gotthardber-gen, die in uns schöne Erinnerungen an so manche Winterbesteigung wachriefen. Nur kurz war der Aufenthalt auf der Lücke; der aufziehende Nebel vertrieb uns bereits vor 10 Uhr.
Mit Wehmut nahmen wir den letzten Abstieg unserer Wanderung unter die Füsse. Das « Blöcke-gehen » im obern Teil des Fellitales bereitete uns Vergnügen. Gemächlich zogen wir an all den berühmten Kletterbergen vorüber, ohne allerdings auch nur eine einzige Partie im Fels beobachten zu können. Bei der Treschhütte machten wir unsern letzten Halt und verzehrten den Rest des Proviantes. Dann ging 's den ziemlich steilen Hüttenweg hinunter zur altehrwürdigen Gotthardstrasse, auf der wir, ohne von einer Autoschlange belästigt zu werden, hinauf zur Station Gurtnellen marschierten.
Damit hatten wir unser beim Aufbruch noch keineswegs bekanntes Reiseziel erreicht, keine 30 Kilometer in der Luftlinie vom Ausgangspunkt entfernt. Fünf Kantone und manch schöne Gegend unserer Heimat hatten wir durchstreift. Ohne Hochtouren gemacht zu haben, kehrten wir doch äusserst befriedigt mit der SBB nach Hause zurück.
Ist von unsern Lesern vielleicht der eine oder andere « gluschtig » geworden, wie wir diesen angewandten Geographieunterricht zu gemessen?
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i.; j>:5Einer der hundert Schlote in die Unterwelt. Das Loch ist an die jo Meter tief und unten mit Steinplatten und Trümmern abgedeckt 6Die Twärenen im Prageigebiet. Karren und Schnee, so weit das Auge reicht Pholos Hans Schläpfer, Reussbühl-Luzern