Von Drachen und Stollenwürmern
Eine Untersuchung.
Mit 2 Bildern.Von Heinrich Dübi.
Es sei mir gestattet, die Erörterung eines neulich wieder aktuell gewordenen Themas mit einigen Vorbehalten und Einschränkungen zu beginnen. Der heutige Stand der Forschung würde eigentlich verlangen, dass ich das Thema in naturgeschichtlicher, kunsthistorischer und literarischer Beziehung ausdeute. Davon kann nun keine Rede sein in einer Untersuchung, welche sich auf volkskundliche und bergsteigerische Ziele beschränkt.
Einen weiteren Zwang muss ich mir dadurch auferlegen, dass ich die literarische Überlieferung nur so weit zu Rate ziehe, als sie sich mit der Schweiz beschäftigt, und dass ich von Drachen und Stollenwürmern nur in dem Masse sprechen werde, wie diese Traditionen in dem schweizerischen Hochland in Erscheinung treten. Hinwiederum erleiden wir dadurch keine Einbusse, weil das schweizerische Hochland seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die klassische Heimstätte dieser Traditionen ist.
Wenn wir uns nun der folkloristischen Deutung der Drachen und Stollenwürmer zuwenden, so sind auch hier Vorbemerkungen am Platze.
Drache und Stollenwurm sind stammverwandt, aber nicht identisch. Der erstere gehört zu dem, was fleucht, der letztere zu dem, was kreucht. Verwechslungen und Mischformen kommen früh vor und sind schon Konrad Gesner aufgefallen. Er vermerkt als deutsches Wort für das Fabeltier Draco seines lateinischen Textes den Tracken, daneben aber auch den Lintwurm. Nun ist aber der Lintwurm eine Doppelform für ein schlangenähnliches Tier, passt also nur zu dem StoUenwurm, der seinerseits ein kriechendes Tier ist. Die verkümmerten Füsse sind diesem eigentümlich. Der Drache dagegen ist immer als fliegend gedacht, und zwar kann er sich in grösserer Höhe und auf weiteren Strecken bewegen. Beide Fabeltiere hausen in Höhlen, der Drache auch etwa in einem Morast. Niemals aber liegt ihre Wohnstätte unter Wasser.
Auch von der Seeschlange muss der Drache streng geschieden werden. Gemeinsam ist ihnen die Angriffslust und die Gefährlichkeit. Soviel ich sehe, stammt die Seeschlange aus dem Kartenwerk des Schweden Olaus Bemerkung: Diese Abhandlung ist das Resultat langjähriger Studien, welches ich der Gesellschaft für Volkskunde, Sektion Bern, in ihrer Sitzung vom 27. Februar 1935 vorgelegt habe, das damals durch Zeitungsartikel weiteren Kreisen zugänglich gemacht wurde. In stark verkürzter Fassung kam sie im « Schweizerischen Archiv für Volkskunde », Bd. XXXVII ( 1939 ), zur Publikation. Ihr Abdruck im Organ des Schweizer Alpenclub rechtfertigt sich durch den Umstand, dass es die nämlichen Gewährsmänner — die Gesner, Scheuchzer und Sulzer in Zürich, die Studer und Wyss in Bern — waren, welche für die alpine Volkskunde einerseits, die bergsteigerische Erschliessung der Alpen anderseits in vorderster Linie stehen. Zur Ergänzung des Textes war es in dieser neuen Fassung möglich, einiges Bildermaterial aus seltenen Drucken des 17. und 18. Jahrhunderts beizubringen. Für diese Nachweise und die Reproduktion der betreffenden Bilder sind wir der Leitung der Stadt- und Hochschulbibliothek Bern zu Dank verpflichtet.
Magnus, welcher ein Zeitgenosse Gesners war und von diesem zitiert wird wie folgt: « Bey Norwegen im stillen meer erzeigen sich meerschlangen zwey oder drey hundert schuh lang, sehr auffsetzig und verhasst den schiffleuten, also das sie auch zuzeyten einen mann auss dem schiff hinnemmen, sollen sich umb grosse schiff schlahen und die selben zu grund richten, sie erheben offt solche krümb über das meer, das darunter ein schiff ring durchfahren möchte. » Nachdem wir uns so gegen Vorurteile gesichert haben, gehen wir über zu der Hauptfrage: Wie war es möglich, dass so phantastische Vorstellungen wie die vom Drachen und Stollenwurm auch bei uns im Volksbewusstsein, bei Gelehrten und Laien, sich so festgesetzt haben, dass es jeweilen nur eines zufälligen Hinweises bedarf, um alte angebliche Beobachtungen in neuer Form entstehen zu lassen.
Zur Beantwortung der Frage wird es nötig sein, dass wir die Überlieferung, wie sie in gedruckten und illustrierten Werken durch vier Jahrhunderte vorliegt, analysieren und die Beweisstellen möglichst genau wiedergeben.
Die Überlieferung, soweit sie bereits Theorie geworden ist, beginnt mit Konrad Gesner und arbeitet mit Text und Bildern. Von diesen soll also die Rede sein. Als dieser hochgelehrte Naturforscher und Polyhistor im Jahre 1565 an der Pest starb, lagen vier Bücher Tierkunde vor, davon der erste Band über 1150 Folioseiten stark. In diesem Werke interessiert uns besonders der Abschnitt « De Dracone », im lateinischen Text volle 24 Folioseiten mit mehreren bezeichnenden Holzschnitten. Diese Holzschnitte liess Konrad Gesner nach eigenen Entwürfen durch Johann Thomann und Hans Asper anfertigen. Sie sind auch übergegangen in das sogenannte « Schlangenbuch ». Dieses umfasst die Materialien, welche Gesner gesammelt hatte, zusammen mit Nachrichten über das Einhorn, den Ur oder Waldrapp und wurde von Jacobus Carronus im Jahr 1589 bei Froschauer in Zürich herausgegeben. Es ist bekannt unter dem Namen: Der deutsche Gesner. Im Anfang des umfangreichen Kapitels De Dracone, von den Tracken, steht ein aufschlussreiches Bild. « Die drei Holzschnittfiguren zeigen oben links den Drachen bloss in Gestalt einer sehr grossen ungeflügelten Schlange, darunter als Flügelschlange, und rechts als völlig unabhängiges Wesen mit häutigen Flügeln und zugleich Klauen. In allen drei Formen wird es im Text des Werks als möglich vertreten. » Ähnlich urteilt Johannes Stumpf 1 ). Er erzählt uns in seiner Chronik: « Gleich im anfang als das Schweytzer land erstlich bewohnet unnd ge-seubert, ward ein grausamer track darinnen gefunden, ob dem dörfflin Wyler, der vertrib leut und vych ( daher dass dörflin Oedwyler genennt ward ), auff das erbot sich ein landtmann ( genennt Winckelriedt ) so von eines todschlags wegen dass land meiden müsst woh man in widerumb mit gnaden einnemme, wölte er den tracken umbbringen, dass ward jm mit fröuden zugelassen. Nach dem er aber den tracken bestritten hat, warff er von stund an den arm fröhlich auff, darinn er das blutig schwert hatt, wegen dess Siegs frolockende, dadurch sprang ihm dass tracken bluet an leyb, dass er darvon sterben müsst. » Der Drachentöter Winkelried wird bereits in Etterlins Chronik von 1507 genannt. Und in der Nähe der jetzt verschwundenen Stammburg der Familie finden wir ein Drachenloch am Mutterschwandenberg.
Verdächtig ist die Sage, wonach im B. Jahrhundert zwei Grafen von Lenzburg, die Brüder Sintram und Beltram, im « Holzbrunnen » nördlich des Schlosshügels von Burgdorf ein Schloss bauten und dabei einen Drachen aus einer Höhle aufschreckten und erschlugen. In unmittelbarer Nähe der Lenzburg werden uns Örtlichkeiten wie « Lint » und « Lindwald » genannt. Zu der 1129 erstmals erwähnten, dem hl. Georg geweihten Kirche von Oberburg war bis 1401 auch das Städtchen Burgdorf genössig. Wenn wir ferner lesen, dass der Graf Rudolf von Habsburg-Laufenburg dem Ritter und Dienstmann Heinrich, genannt Schrutan, von Winkelried gestattet, seine in Stans, Buochs und Alpnach gelegenen Lehengüter, zu seinem Seelenheil dem Abt und Konvent von Engelberg in den Jahren 1300 und 1303 zu vergaben, so wird uns klar, dass die Sage um die Wende vom 13. ins 14. Jahrhundert aus dem Aargau an den Vierwaldstättersee und ins Emmental gewandert ist, wo sie die Kiburger als Gründer von Burgdorf verdrängte.
Ähnlich wie bei Burgdorf steht es um die Gründungsgeschichte der urkundlich zuerst 1223 erwähnten Reichsfeste Grasburg. Sie soll durch einen römischen Ritter aus Helikon ( Elisried ) nach einem Kampf mit einem Lindwurm erbaut worden sein. Nun ist St. Georg, welcher unter Kaiser Diocletian für seinen Glauben den Märtyrertod erlitt, nachdem er die schöne Cleodo-linde vom Drachen befreit hatte, als Schutzpatron der Burgkapelle der Grasburg bezeugt. Wir können also den Kreislauf der Drachensage bis an die Sense verfolgen. Er schliesst an der Wende des 13. zum 14. Jahrhundert.
Wir nehmen nun den Faden der Betrachtung im 16. Jahrhundert wieder auf. Während Stumpf, der hierin Etterlin folgt, die Drachensagen durchaus naiv wiedergibt, sucht sie Konrad Gesner in ein System zu bringen. Er unterscheidet geflügelte und ungeflügelte Drachen von einer dritten Art mit Fledermauscharakter und dem Krokodil entnommenen Stollenfüssen. Aber er bietet uns nur Lesefrüchte und eigene Kombinationen, ohne Augenzeugen zu zitieren.
Wir gehen nun über zu seinem etwas jüngeren Zeitgenossen, dem Luzerner Stadtschreiber Rennward Cysat ( 1545-1614 ), den wir als systematischen Forscher über volkskundliche Fragen in Anspruch nehmen. In seinem Sammelwerk sind für uns am interessantesten die Anspielungen auf das Vorkommen von Drachen in der Gegend von Luzern und im besonderen am Rigiberg und Pilatus. Rennward Cysats Collectanea sind nur zum Teil gedruckt. Manches aber ist in das Hauptwerk seines Sohnes Johann Leopold ( 1601-1663 ) a « Beschreibung des Vierwaldstättersees » übergegangen.
Auf den Forschungen der beiden Cysat beruht, was der Jesuitenpater Athanasius Kircher in seinem « Mundus subterraneus » ( Amsterdam 1665 ) über unser Thema zu sagen weiss. Unter anderem finden wir bei ihm Verschiedenes, das selbst Gesner nicht hat, über den geflügelten Drachen, der gelegentlich am Pilatus ausschwärmt. Dieser Drache wird nun auch in sauberem Holzschnitt verewigt.
Auf Cysat geht auch das meiste von dem zurück, was uns der Zürcher Johann Jakob Scheuchzer über den Luzerner Drachen und Verwandtes zu sagen hat. Über Scheuchzer bemerken wir zur Orientierung folgendes: Auch bei ihm haben wir zu unterscheiden zwischen den lateinischen und deutschen Schriften, soweit sie unser Thema berühren. Von den ersteren nennen wir: « Helvetiae stoicheiographia, orographia et oreographia » ( 1716—1718 ); « Uresiphoites Helveticus sive itinera alpina » ( 1702—1723 ); « Homo diluvii testis » ( 1726 ). Von den deutschen heben wir hervor: « Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands » ( 1706—1708 ).
Von diesem Buche hat der Ästhetiker Johann Georg Sulzer ( 1720—1779 ) im Jahr 1747 eine neue Ausgabe veranlasst. Sulzer fügte ein eigenes Kapitel hinzu, das schon vorher erschienen war unter dem Titel: « Beschreibung der Merkwürdigkeiten, welche er in einer anno 1742 gemachten Reise durch einige Orte des Schweizerlandes beobachtet hat. Zürich, 1743, 54 S. 4. 1 Kupfer. » Dieses Kapitel bildet den Anhang zu Sulzers Ausgabe von J. J. Scheuchzers « Natur-Geschichte des Schweizerlandes ». Bd. II, Zürich 1747.
Wir gehen nun dazu über, Scheuchzers Beiträge zu unserem Thema zusammenzustellen und zu analysieren. Wir werden dabei Gelegenheit haben, auf früher Gesagtes zurückzukommen und es zu ergänzen. Scheuchzer hat weitere Kreise gezogen als seine Vorgänger Gesner, Kircher und die beiden Cysat, indem er Beobachtungen aus dem Berner Oberland einerseits, aus Sargans und Umgebung anderseits herbeizog. Sowohl in seinem lateinisch geschriebenen als in seinem deutschen Sammelwerke kommt er wiederholt auf Drachen und Lindwürmer zu sprechen, an deren Existenz er so wenig zweifelt, dass er einen Maler veranlasste, ein solches Untier nachzubilden und auf einer Kupfertafel zu verewigen. Von einer gewissen Leichtgläubigkeit in Wiederholung dessen, was ihm angebliche Augenzeugen berichteten, ist er nicht freizusprechen. Immerhin verdanken wir ihm manche Bereicherung unserer Kenntnisse.
Wir stellen nun die Resultate zusammen, welche wir aus Scheuchzer gewinnen über den Luzerner Drachen. Gelegentlich erscheint dieser als Wohltäter. Wir kommen damit auf den Drachenstein zu sprechen. Scheuchzer berichtet von ihm:
«... so sol billich allen Naturalien des Schweizerlands /ja der ganzen Erden / vorgezogen werden unser vorhabende Drachensteindessen gegenwärtiger Besitzer ist das wol edle Ciosische Hauss in Lucern ) weilen in ganz Europa kaum ein Königlich / Fuerstliches / oder privat Cabinet, da ein solcher Stein sich finde / wie diser ist. » Hauptquelle der Nachricht ist der jüngere Cysat. Sein Gewährsmann wollte von seinen Vorfahren gehört haben, « dass sein Aeni selig disen Stein funden hab / in einer Matten / als er gehewet hab / sye ein grausammer Drach kommen / in dem Lufft schiessen / zu nechst bey ihme hin / von einem Berg genant Rigi / in den anderen Berg Fräckmont / und ihm so nahend / von der Höhi herab kommen / dass ihm geschwunden und in Ohnmacht gelegen. Als er aufstunde / funde er ein Schwaere Bluts / so von dem Drachen gesprüzt war / dasselbig Blut wäre zu stund an gestanden / als ein Sulz / in demselbigen Blut sye diser Stein gelegen und funden worden. » Seltsam ist, dass der Drache den Stein von sich gibt, während er vom Rigi zum Pilatus fliegt. Was aber sucht er bei seinem Flug? Ich wage folgende Vermutung.
Am Pilatus findet sich eine Mondmilchhöhle, die gelegentlich auch als Drachenloch bezeichnet wird. In ihrer Nähe erhebt sich das Widderfeld, ein Gipfel von 2078 m Höhe, der mit steilen Felswänden aus Urgonkalk zur Alp Frakmünt und nordwestwärts zum obersten Eigental abfällt. Frakmünt und Eigental spielen eine bedeutsame Rolle in den Sagen von Pontius Pilatus und dem Hagelsee, in welchen dieser gebannt ist. Die Legende über Pontius Pilatus als Urheber von Gewitterschäden ( Überschwemmungen, Muren u. dgl. ) ist nicht vor dem Ende des 15. Jahrhunderts in dieser Gegend lokalisiert, also zu der Zeit, wo die Sage vom Drachenstein anhebt. Sollte es nun nicht möglich sein, dass die damals offenbar sehr geschäftige Volksphantasie auch einen Drachen verantwortlich gemacht hätte und dieser für die an den Pilatusgipfeln sichtbare Verwitterung die gleiche Rolle spielen würde wie der später zu erwähnende Drache im Saastal?
Ebenfalls fliegend gedacht, aber mit einer anderen Bestimmung, nämlich als Wetterschlange, erscheint dieses Fabeltier bei Scheuchzer unter dem Titel: « Feueriger Drach » in folgenden Fällen:
« 1. An. 1603 den 10. Septemb. Abends um 10 Uhr sähe man einen Feuer-funklenden Drachen fliegen von Mittag gegen Mitnacht. Die helle Färb des übergüldeten Knopfs auf dem Münsterthurn wurde dardurch um etwas verdunkelt. Darauf sein auss dünnen durchsichtigen Wolken / ohne Wetterleuchten aussgebrochen vil Donnerschläge / gleich als ob man Mussqueten und Canonen under einanderen los gebrant hette ).
2.Feueriger Drach ist zu Basel gesehen worden An. 1614 den 25. Juni Abends um 9 Uhr 2 ).
3. An. 1651 den 7. Jan. nach Mittnacht zwischen 1 und 2 Uhren sähe man einen Feurigen Drachen von Wädischweil ( am Zürich-See ) gegen Mäni-dorff überfliegen / und hörte zugleich ein Getöss I gleich einem anhaltenden Canonenschuss 3 ).
4. Am H. Ostertag 1707 sähe man zu Bischof zeli / Sulgen etc. Bey der Abenddämmerung einen fliegenden Drachen in der Luft / so sich anfänglich wie eine lange Stangen / darauf wie eine gekrümte Schlang gezeiget / entlich in 2 Theil getheilet / und nach einer Viertheilstund lang feurig scheinend verschwunden / da es geschienen / als ob darvon Feuer auf die Erden gefallen. » In allen vier Fällen handelt es sich um Meteore und die Beobachtungen stammen aus dem Unterland. Mit dem feuerspeienden Drachen der Sage haben sie nichts zu. tun.
Dagegen deutet auf den Drachen als Wettermacher eine Notiz, die wir bei Scheuchzer finden. Sie lautet:
« Ich bin nicht in Abrede, dass nicht auch viele falsche Erzählungen von Drachen aus einer unter den Älplern üblichen allegorischen Redensart ( es ist ein Drach ausgefahren, von einem ausgebrochenen wüthenden Bergwasser gebraucht ) ihren Ursprung haben mögen. Dessen ungeachtet halte ich davon, dass aus den angebrachten Schweizerischen Drachen-Exempein und deren Vergleichung mit ausländischenklar sey, dass es solche Thiere gebe, sie mögen nun eine besondere Art der Thiere ausmachen, oder, wie viele wollen, Missgeburten von Schlangen seyn usw. » In den gleichen Zusammenhang und in die gleiche Gegend gehört auch das Abenteuer eines Küfergesellen, welcher in eine Drachenhöhle am Pilatus geraten war. Das ist echte Sage, welche den Drachen, sei er nun gereizt oder nicht, zum Urheber von Wetterschäden macht. Zu den echten Sagen und ins Hoch- und Mittelgebirge kehrt unsere Betrachtung nun zurück.
Während die Aufklärung des 18. Jahrhunderts nach Scheuchzer und Sulzer für die Drachensage und Verwandtes nichts übrig hatte, setzt mit dem 19. Jahrhundert und unter dem Einfluss der Romantik die Bewegung desto stärker ein. Nun laufen Berner den Zürchern und Luzernern den Rang ab, und an die Stelle von Rigi und Pilatus tritt das Berner Oberland, im besondern das Grimselgebiet.
Zwei Berner haben sich in dieser Epoche um die schweizerische Volkskunde verdient gemacht, indem sie dieselbe zum Rang einer Wissenschaft erhoben und ihr Methode beibrachten. Ich nenne Samuel Studer ( 1757—1834 ) und Johann Rudolf Wyss, den Jüngeren ( 1783—1830 ). Studer, der auch als Naturforscher ( Enthomologe, Conchyliologe und Gletscherforscher ) vorteilhaft bekannt ist, verdient für die Volkskunde in bernischen Landen an erster Stelle genannt zu werden. Er hat selber auf Reisen und aus dem Volksmund gesammelt und die Resultate neidlos weitergegeben, aber wenig selber publiziert. Das Beste, was wir über den Stollenwurm wissen, stammt aus einer kleinen Abhandlung, welche er dem Handbuch des Malers F. N. König x ) beigesteuert hat. Sie ist betitelt: « Über die Insekten dieser Gegend und etwas vom Stollenwurm ( Cannellée ) », und datiert: « Geschrieben im May 1814. » Nachdem sich Studer eingehend mit den Insekten dieser Gegend und besonders mit den selten vorkommenden Arten beschäftigt hat, fährt er fort:
« Es sey mir erlaubt, bey dieser Gelegenheit auch von einer andern Naturmerkwürdigkeit, die sich in diesen Thälern finden soll, ein kurzes Wort zu sagen, obgleich dieselbe vorjetzt nur noch Sage ist, aber doch eine Sage, die wenigstens die Aufmerksamkeit der Naturforscher verdient, da wirklich sich mehrere Umstände dabey vereinigen, die ihr das Gepräge von Wahrscheinlichkeit einigermassen aufzudrücken scheinen.
Von Unterseen weg bis einerseits auf die Grimsel, und andererseits bis gegen Gadmen hin, in einer Strecke von 10—12 Stunden, und unter Leuten die nichts von einander wissen, einander weder von Angesicht noch dem Namen nach kennen, und nur in dieser Gegend unseres Kantons, nicht aber im Simmen- thal, nicht im Frutig- oder Sanenlande, auch nicht im ganzen Wallis, noch jenseits der südlichen Alpenkette in Italien oder dem Kanton Tessin, wo ich derselben Sache vergeblich nachgefragt habe, geht nämlich die fast einmüthige Sage, und herrscht der beynahe allgemeine Glaube, dass zuweilen nach einer schwülen Hitze, und wenn sich das Wetter bald zu ändern droht, sich eine Art von Schlangen mit ganz kurzen Füssen sehen lasse, welche die Einwohner, denen eine Schlange überhaupt ein Wurm, und ein kurzer dicker Fuss ein Stollen heisst, daher auch Stollenwürmer heissen. Drachen und Lindwürmer kennen diese Leute nicht, wohl aber Stollenwürmer, und sehen auch dieselben für eben so natürliche Wesen wie andere Schlangen und Eidechsen an, gegen welche sie indessen überhaupt einen ausserordentlichen Abscheu fühlen, und alle diese Thiere für sehr schädlich und giftig halten. Mehrere Personen aus jenen Gegenden, die ich, seitdem ich zum erstenmal etwas von solchen Schlangen gehört hatte, näher über dieselben befragte, kamen darinn überein, dass es kurze und sehr dicke Schlangen seyn sollen, mit einem fast runden Kopf, ungefähr wie ein Katzenkopf, und mit kurzen Stollfüssen. Über die Zahl der letztern waren sie indessen nicht immer einig, doch sprachen die Glaubwürdigsten und die sich zugleich für Autopten oder Augenzeugen solcher Thiere ausgaben, stets nur von zwey, andere aber von vier, noch andere von sechs Füssen, und endlich einige sogar von einer ganzen Menge von dem Bauch herunter hängender Zizen oder Warzen, auf welchen sich der Wurm, wie auf so viel kurzen Füssen fortbewegt habe. Ueber die Länge des Thiers stimmten sie auch nicht immer zusammen überein, so wenig als über seine Dicke oder Stärke. Jene geben sie von ungefähr 3 bis 6 Fuss an, und diese vergleichen sie bald mit dem Arm und bald mit dem Schenkel eines starken Mannes. Man muss aber bemerken, dass sie auch junge und alte Stollenwürmer von einander unterscheiden.
Mehr als eine Person, und drunter Leute von gereiftem Verstand und unbescholtener Redlichkeit, habe ich gesprochen, die mich auf das heiligste versicherten, selbst solche Stollenwürmer gesehen und wohl gar getödtet zu haben. Doch kamen sie alle darinn überein, dass es sehr seltene Thiere seyen, und keiner behauptete, derselben mehr als höchstens zwey in seinem Leben je erblickt zu haben. Die neueste und glaubwürdigste Nachricht, die mir von einem solchen Stollenwurm ist mitgetheilt worden, will ich hier wörtlich, wie ich sie vor zwey Jahren aus dem Mund des Augenzeugen selbst vernommen, und in der Schenke im Grund in Oberhasle sogleich in desselben Gegenwart niedergeschrieben habe, hersetzen. » Es folgen nun eigentliche Zeugenaussagen, welche im Boden bei Guttannen und in Willigen lokalisiert sind. Als Gewährsmänner werden der Spitalmeister von der Grimsel Jakob Leuthold, der Schulmeister Heinrich im Dorf, ein Hans Kehrli und ein Heinrich Roth genannt. Das Erkundigungs-jahr ist 1812. Dann fährt Studer fort:
« Es wäre mir ein leichtes, noch eine Menge von Zeugnissen, die ich mir nach und nach gesammelt habe, so wie der Zeugen selbst mit Namen und Zunamen für die wirkliche Existenz dieser Thiere anzuführen; Zeugnisse, die in mehrern Hauptsachen auf eine frappante Art miteinander übereinstimmen, oder doch da, wo sie mehr und weniger voneinander abweichen, entweder dadurch erklärt werden können, dass der Zeuge irgend eine andere ausserordentliche und auch seltene Thierart, etwa eine ungeheure Schlange, oder eine ungewöhnlich grosse Eidechse für einen Stollenwurm angesehen, dass es hiemit noch andere Wunderthiere mehr in diesem Lande geben möge, oder dass ihn seine erschrockene Einbildungskraft mehr haben sehen lassen, als wirklich da war; oder dass er endlich auch, was ich nicht bey jedem Falle gänzlich in Abrede seyn möchte, aus Pralerey und Grosssprecherey, oder auch zur Entschuldigung seiner dabey bewiesenen Feigherzigkeit die Sache vergrössert, und ungesehene Dinge zu den wirklich gesehenen hinzugedichtet habe; alle diese Fälle sind möglich. Aber läugnen kann ich nicht, dass mir bey so vielen nicht ganz verwerflichen, und, wie ich bald zeigen werde, auch nicht ausser der Natur liegenden Zeugnissen doch wirklich etwas Wahres an der Sache zu seyn scheine, und dass ich zuverlässig hoffe, dass, insonderheit bey dem jetzt darauf gesetzten Versprechen einer Belohnung von 3—4 Louisd'or für den ersten lebendigen oder todten, grossen oder kleinen, wahren Stollenwurm, den man uns nach Bern bringen würde, ich das corpus delicti selbst früher oder späther in die Hände zu bekommen, und damit dann eine Menge alter Sagen von Drachen und Lindwürmern, deren mehrere, bey vielem damit vermengten und mit Verstand davon abzusondernden Fabelhaften, doch wirklich einen Grund von Wahrheit zu haben scheinen, wenigstens zum Theil aufklären zu können, mir ganz eigentlich versprechen dürfe. » Es geht aus dem Gesagten mit Sicherheit hervor, dass Studer seinen Stoff vollkommen beherrscht und dass wir seinen Angaben unbedingt trauen dürfen. Er hat sich nicht nur genau erkundigt und Protokolle aufgenommen, er weiss auch Bescheid über die bezügliche Literatur, welcher er mit selbständigem Urteil gegenübersteht. Seinen Angaben kommt es zugute, dass sie lokal begrenzt sind in einem Gebiete, das ihm persönlich bekannt war. Aus andern Quellen wissen wir, dass Studer sich zu Mühlestalden im Gadmental und im Goms längere Zeit aufgehalten und volkskundlich gesammelt hat. An seiner Kompetenz ist nicht zu zweifeln, und wir werden gut daran tun, Nachrichten, denen er widerspricht, keinen Glauben zu schenken.
Weniger bedeutend als Studer erscheint uns Johann Rudolf Wyss der Jüngere. Immerhin lässt sich von ihm sagen, dass seine « Mythologie der Alpen », zusammengehalten mit den zwei Bänden der « Idyllen, Volkssagen, Legenden und Erzählungen aus der Schweiz », Bern und Leipzig 1815 und 1822, eine reiche Fundgrube bildet für unsere Kenntnis schweizerischer Märchen, Sagen, Legenden, Schwanke, Sitten u. dgl., wie sie im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts vorlagen. Hören wir nun, was Wyss uns über unser Thema zu sagen hat. In seiner « Mythologie der Alpen»x ) lesen wir:
« Ich schliesse diese mythologischen Bruchstücke, die leicht sich zur aus-geführteren Abhandlung erweitern liessen, mit einigen Zügen, welche das Thier-reich betreffen, und der Aufmerksamkeit wohl ebenfalls werth seyn dürften. Es sind aber zwey Klassen von Sagen hier anzunehmen, denn einige betreffen Ungewisse und fabelhafte Thierwesen, andere gehen auf Hausthiere und verschiedene Arten von Wild, die hinreichend bekannt sind. Unter den fabelhaften Geschöpfen sind die Drachen, unter den zweifelhaften die Stollenwürmer am nennenswerthesten. » Wyss geht nun auf alles ein, was er bei Scheuchzer über Drachen im Schweizerland erfahren hat. Er erinnert sich an den Drachen von Ödwiler, den Struthahn Winkelried sich selbst zum Verderben erlegt hat, an das Johann Rudolf Wyss, Reise in das Berner Oberland. Bd. II, S. 421.
Abenteuer eines Küfergesellen, der am Pilatus in eine Drachenhöhle fiel, an die Geschichte von Sintram und Bertram, den Grafen von Lenzburg, mit den Drachen in der Gyssnau bei Burgdorf.
Dann fährt Wyss fort:
« Während die Drachen in der jetzigen Schweiz als ausgestorben oder vertilgt betrachtet werden, ist das Oberland noch voll von Sagen und Zeugnissen über ein schlangenartiges Unthier, welches mit dem einheimischen Namen des Stollenwurms bezeichnet und nach unverdächtigen Zeugnissen vieler Landleute fast jährlich hier oder dort gesehen wird. Das Beste und Ausführlichste über dieses angebliche eigene Wesen ist zusammengetragen von unserem vaterländischen Naturforscher Herrn Professor Studer in Bern. » Bei diesem Stand der Kenntnisse ist es ein halbes Jahrhundert lang geblieben. Es war dem 20. Jahrhundert vorbehalten, hierin Wandel zu schaffen, alte Erinnerungen aufzufrischen und neue Beobachtungen hervorzurufen, die sich freilich oft genug als Irrtümer oder Flunkerei erwiesen und die Kritik herausforderten.
Bevor wir auf dieses neueste Stadium eintreten, müssen wir auf eine Notiz zurückgreifen, welche Studer entgangen zu sein scheint und die neues Licht verbreitet. In dem von Wyss herausgegebenen Almanach, genannt « Alpenrosen », vom Jahr 1825 lesen wir:
« Einst hausten im Berner Oberlande in Höhlen und Klüften verderbliche Drachen, welche an Menschen und Vieh grossen Schaden anrichteten.
Bei den Simmenthaler Sennhütten am Rötihorn oder Seehorn liegt der Alpsee, in welchem ein giftiger Lindwurm steckt. Manchmal, wenn es anderes Wetter geben will, merken die Älpler seinen Zorn. Aber er haust meistens in der Tiefe, wo er sich unterirdisch durchfressen wird, bis er einst jenseits gegen Bettelried hin herauskommen wird. » Eine Variante, deren Quelle mir vorderhand nicht bekannt ist, lautet bei Hartmann x ):
« Im Tufflisee am Bettelberge haust ein grimmiger Lindwurm. Wenn er seinen Hunger nicht auf der Alp stillen kann, nagt er gefrässig am Seeboden. Er wird so lange nagen, bis er den Berg durchfressen hat. Dann wird der See durchbrechen und sich auf das darunter liegende Pöschenried stürzen, das dabei seinen Untergang finden wird. » Unverkennbar ist hier die Ähnlichkeit mit den Drachenverwüstungen am Pilatus, die wir oben erwähnt haben, und denen im Saastal, die in folgender Form überliefert sind:
« Von einem alten Bergsturz zeugt noch jetzt der Moosguffer ( zwischen Grund und Almagell ). Die Sage deutet dessen Entstehung dahin, dass drei grausige Drachen den Berg zerfrassen und zu Tal stürzen machten. Der erste derselben flog nachher über das Tal hinüber ins Mittaghorn, zwei flogen talauswärts, wovon der eine im Schilthorn bei Baien einkehrte, der andere verschwand. Die Drachen im Mittaghorn und im Schilt leben noch und nagen fort und fort in den Adern dieser Berge, die davon einst auch zu Tale stürzen müssen. » Hermann Hartmann, Das Berner Oberland in Sage und Geschichte.
Wie alt diese Überlieferung sei, ist schwer zu sagen, denn Tscheinen und Ruppen 1872 geben keine Quelle an, und bei den älteren Saaser Chronisten habe ich die Sage nicht gefunden.
Mit diesem Zitat sind wir von innerschweizerischem auf Walliser Boden übergetreten. Zur Ergänzung des früher Gesagten notieren wir zwei auf unser Thema bezügliche Walliser Sagen. Wir entnehmen sie dem Sammelwerk « Walliser Sagen»1 ). Die Gewährsmänner der Tradition werden in jedem Falle genau verzeichnet. Der erste Fall lautet:
1. D'fleigendu Drache 2 ).
Van de altu Litu hat mu frühjer viel va g'fierige, fleigendu Drachu g'hört, die van eim Berg zum andru g'flogu sy. We mu so eine im Flug g'seh hei, so sy in ner Luft vora a grusige schwarze Chnubul oder Chnollo erschinu, der a länge g'firige Schwanz nagizogu hei. Wie schich so a grusige Dracho an am Gebirg g'nächrot hei, so miesse schich der Berg wegu dum schreck-lichu Gift, so er usdunste und vor schich blose, wo er ihn mit selbum aus-speije, öffnu, damit er in deschi Abgründu die Goldadre und Goldbrunne uf-suoche, und durch Lecku an dene schich ernähru chönne; de sottigi Drache lebe nur va Goldadru, und we der Goldbrunnu vom Dracho ufg'leckote sy, so miesse schich d's Gibirg der Gwalt van Gift wieder öffnu; schi spanne de ihri schrecklichi Fecka üf und fleige üs den Abgründu umbruf wieder zuo andre Gebirgu.
Auffallend ist dabei die Vorstellung, dass der Drache für seine Lebenserhaltung auf die Goldadern des Gebirges angewiesen ist und sie deshalb mit seinem Gifthauch immer wieder erschliessen muss. Er nagt also nicht aus Bosheit an den Felswänden.
2. Der Drache von Zeneggen 3 ).
Unter den Felsenklüften von Zeneggen am südlichen Abhänge hauste ein Drache, der die Wanderer, welche den Talweg von Stalden nach Visp oder von Visp nach Stalden gingen, anzog und verschlang. Dies tat er auch mit einem Soldaten, der aus spanischen Kriegsdiensten in seine Heimat zurückkehrte und das Abenteuer bestehen wollte, zu welchem Zwecke er seinen Stahl-panzer anzog, in welchen er noch spitze Stahlmesser hineinfügte. Nach vollbrachter Tat flog der Drache wieder in seine Höhle zurück, um seine Speise zu verdauen. Aber diese verursachte ihm entsetzliche Leibschmerzen. In diesen Schmerzen schlug er mit seinen Flügeln so heftig auf die Felsen, dass bei dieser Erschütterung die ganze Felsmasse losbrach und unten ein ganzes Dorf verschüttete. Der Drache aber flog hinüber nach Visperterminen aufs Gebüdem, wälzte sich da wieder, dass er ein weites Loch auswühlte, in welches Wasser floss, das dann einen See bildete. Noch einmal schwang der Drache seine Flügel und flog hinüber ins Nanztal. Daselbst aber verendete er; und noch jetzt sieht man daselbst versteinert den ungeheuren Drachenleib in seinen Schlangenwindungen liegen.
In dieser Erzählung erscheint der Drache wieder als Ursache von Bergstürzen, und man ist versucht, in ihm das dritte der Ungeheuer zu sehen, die einst das Saastal unsicher machten und das angeblich verschwunden war, während seine zwei Kumpane noch im Mittaghorn und im Schilthorn bei Baien hausen. Neu dagegen ist die Lokalisierung der Sage in Visperterminen und im Nanztal.
Wir verlassen nun das Wallis und versuchen unser Glück in anderen Gebieten und bei andern Sagenforschern. Da ist es nun durchaus erfreulich, dass neuere Publikationen bemüht sind, jeweilen Zeit und Umstände der Begegnungen mit Drachen, sowie die Personalien von Gewährsleuten zu fixieren.
Musterhaft in jeder Hinsicht ist die Sammlung der Urner Sagen 1 ), aus welcher wir einiges auf unser Thema Bezügliches hersetzen wollen.
In der Drachenhöhle.
Zwei Bürgler, ds Schrotners, finden in einer Fluh ob der Scheenenkulm in einem Gang Zapfen, die sich später in Gold verwandeln. Bei einem späteren Besuch war die Höhle geschlossen, weil der Drache ausgeflogen war.
( Fr. Gisler-Arnold, 70 Jahre alt, Schächental. ) Tiertaufe zu Spiringen.
Zwei Kinder taufen eine Eidechse mit Weihwasser, die zu einem Drachen wird, aber von einem Pfarrer gebannt werden kann.
( Gustav Gisler, 16 Jahre alt. ) Von diesem Rundgang kehren wir ins Berner Oberland und in die Gegenwart zurück, von der wir ausgegangen sind.
Wir sind mit unserer Untersuchung zu Ende. Denn was in neuester Zeit an Material dazu gekommen ist, wie z.B. die Kunde von dem Wiederaufleben des Stollenwurms im Oberhasli, die eine ganze Literatur hervorgerufen hat, ist wertlos, weil unwahrhaftig und sensationell aufgebauscht. Psychologisch interessant im Sinne Studers ist immerhin, was eine Leserin des « Bund » zu dem in Nr. 51 von 1935 erschienenen Aufsatz über den Tatzelwurm zu sagen weiss:
« Vor etwa dreissig Jahren liess ich mir im Berner Oberland von einem alten Gebirgsjäger und Bauern von seinen Jagderlebnissen erzählen. Der Jäger sagte mir, am Oltschi hätte es früher noch fliegende Drachen oder Stollenwürmer gegeben. Als ich darob ungläubig den Kopf schüttelte, wurde er fast böse und sagte mir, ,es sei schon so '. Diese Drachen hätten einen angegriffen. Besonders wenn man am Oltschi an exponierter Stelle herumkletterte, seien einem diese Würmer angeschossen. Ihm sei ein- oder zweimal, wenn er am werdenden Abend am Felsen hing, so ein Drache angesprungen oder angeflogen. Er hätte sich dieses Tieres fast nicht erwehren können, um so mehr, da es hauptsächlich gegen seinen Kopf angeflogen sei. Er fürchte diesen Oltschi und gehe nicht gern auf diesen Berg. » Diese Notiz eines gutgläubigen Beobachters, die auf den Anfang unseres Jahrhunderts zurückgeht, beweist, dass damals die Drachensage in der Gegend der Axalp volkstümlich war und unseren Respekt verdient.
Dagegen müssen wir den Beobachtungen aus der Gegend von Boltigen und Jaun über das Vorkommen eines drachenähnlichen Tieres mit hornigen Schuppen und furchterregenden Augen ein kritisches Non liquet entgegenstellen, weil sie die Suggestion durch Zeitungsartikel verraten. Auch ohne sie liegt genug glaubwürdiges Material vor für unser Thema, das wir damit zu einem vorläufigen Abschluss bringen.