Von der Glasplatte zur Helikopterdrohne Stationen der alpinen Fotografie in den letzten 160 Jahren
Die Entwicklung der Technik hat das Fotografieren im Gebirge demokratisiert. Brauchte es früher Expeditionen grösseren Stils, um einen Berg aufs Bild zu bannen, genügt heute der Griff zur kompakten Digitalkamera in der Hosentasche.
«Es darf hier bemerkt werden, dass in solchen Höhen eine schnell und sicher operierende Photographie ungemeine Vortheile vor der in künstlerischer Hinsicht weit über derselben stehenden Handzeichnung bietet.»1 So lautet 1868 das frühe Diktum eines Bergsteigers und Fotografen, der es wissen muss. 1866 stand Jules Beck erstmals mit einer Kamera auf dem Wetterhorn, ein Jahr später fotografierte er unmittelbar unter der Dufourspitze.
Entscheidend für seine Pionierleistung ist eine vollständig neue Herangehensweise. Anders als etwa seine Vorgänger Gustave Dardel und Camille Bernabé, die im Kontext der frühen Glaziologie auf umständliche Art daguerreotypierten, oder die Gebrüder Bissons und das Verlagshaus Braun, die Dutzende von Trägern für den Transport der mehrere Hundert Kilogramm schweren Nasskollodiumausrüstungen brauchten, macht sich Beck mit nur zwei, drei Führern und Trägern auf den Weg. Die neu entwickelten Trockenplatten, die er benutzt, erübrigen Laborzelt und Chemikalien und senken das Gewicht des Equipments auf knapp 15 Kilogramm (vgl. «Die Alpen», 10/2010).
Trockenplatten, wie sie Beck als Amateur im besten Sinn des Wortes verwendet, sind ein erster Entwicklungsschritt auf dem Weg zu immer handlicherem und leichterem Material. Braucht Beck mit seinen noch in Handarbeit hergestellten Platten mehrere Minuten für eine Aufnahme, so sind es bei industriell gefertigten Glasnegativen ab 1880 nur noch wenige Sekunden. Bald profitieren fotografierende Alpinisten von neuen Apparaten, wie sie nun für die immer zahlreicher werdenden Amateure produziert werden. So einfach, wie der Slogan der damals wichtigsten Einfachkamera («You press the button, we do the rest») verspricht, ist das Fotografieren in den Bergen allerdings nicht. Universelle Blenden und Zeiteinstellungen taugen bei extremen Lichtverhältnissen, wie sie in den Bergen gang und gäbe sind, wenig. «Also weg mit den billigen Instrumenten, welche für die Reklame gefertigt sind. Was wir nötig haben, ist ein Stativapparat, der nötigenfalls auch als Hand-Camera verwendet werden kann», meint dazu, kurz und bündig, ein Ratgeber knapp nach der Jahrhundertwende.2
Flexible Negative auf Nitratzellulose-Basis, die es seit den späten 1880er-Jahren gibt und die zumindest Gewichtseinsparungen gebracht hätten, setzen sich erst später durch. Dafür ausschlaggebend ist die praktisch zeitgleiche Lancierung der Kleinbild- und Mittelformatkameras, die mit Rollfilmen bestückt werden. Gegenüber den alten, noch lange aus Holz gefertigten Apparaten erfüllen diese nun die Anforderungen, wie sie 1941 ein anderer Ratgeber festhält: «In erster Linie soll der Apparat handlich sein, nicht zu gross, aber auch nicht zu klein; er soll fest und sicher in der Hand liegen. Das bedingt, dass das Gewicht nicht zu leicht ist, auch nicht zu schwer; zudem soll sie einen tüchtigen Putsch aushalten, ohne dass der Verschluss darob in Unordnung gerät.»3Die Leica und die Rolleiflex sind die beiden beliebtesten Produkte, die praktisch zeitgleich kurz vor 1930 in grossen Serien auf den Markt kommen.
Bis zum Aufkommen der digitalen Fototechnik in den 1990er-Jahren gibt es bei den Kameras keine Änderungen, die das Fotografieren in den Bergen bahnbrechend verändert hätten. Einäugige Spiegelreflexapparate ermöglichen den Einsatz von Objektiven, etwa für das optische Heranholen weit entfernter Sujets. Die Entwicklung des Autofokus oder Automatiken für die Einstellung für Zeit und Blende bringen zwar nochmals Erleichterungen, die in schwierigen Situationen entscheidend sein können, die aber weder einer lebendigen Bildgestaltung noch der Meisterung extremer Lichtverhältnisse zuträglich sind.
Ist heute für gute Aufnahmen ein möglichst hochauflösender Bildsensor erforderlich, so ist es in der analogen Epoche ein möglichst grosses Filmformat. Nicht ohne Grund bleiben anspruchsvolle Bergfotografen weit über die Schwarz-Weiss-Zeit hinaus bei Mittel- oder sogar Fachformaten und verzichten auf die Kleinbildfilme, die sich ab den 1970er-Jahren durchsetzen.
Bei allen Vereinfachungen, die mit der Digitalisierung Einzug gehalten haben, Grundlegendes hat sich damit nicht verändert. Für einige mag es ein Vorteil sein, dass nun praktisch unbegrenzt Bilder geschossen werden können. Alle profitieren hingegen davon, dass die Entwicklung des Filmmaterials wegfällt und die Bilder zu Hause selber ausgewertet und gedruckt werden können, sei dies nun als Datensatz für die Verbreitung und den Druck oder als Inkjet für höhere und weniger hohe Ansprüche. In den Bergen ist es nach wie vor dasselbe, wie Giosanna Crivelli 1996 in einem Artikel in der Zeitschrift «Die Alpen» schreibt: «Der Apparat hängt, jederzeit bereit, um den Hals.»4
Für die grosse Schar der beflissenen Bergfotografinnen und -fotografen wird deshalb auch die aus der Rüstungstechnologie stammende Methode, mit Minihelikoptern nebst Videoaufnahmen auch Fotografien zu erstellen, nicht infrage kommen. Bestimmt wird sich das Verfahren, wie erste spektakuläre Dokumentationen von Klettertouren vermuten lassen, für gewisse Anwendungen etablieren. Dazu, dass nun jeder Bergsteiger eine Minidrohne im Gepäck mitführt oder neben sich herfliegen lässt, wird es aber bestimmt nicht kommen.