Volksgruppen in Nepal: Bahun und Chhetri
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Volksgruppen in Nepal: Bahun und Chhetri

Der zweite Teil dieser Serie zu den Volksgruppen in Nepal ( vgl. Teil 1, ALPEN 10/97, S.48 ) befasst sich mit den Bahun und Chhetri. Diese beiden Völker haben gemeinsame kulturell-historische Wurzeln und leben meist in denselben Dörfern im nepalesischen Bergland, weshalb sie hier zusammen behandelt werden.

Geographische Verbreitung und Sprache Bahun und Chhetri lieben die subtropischen Niederungen und die submontanen Zonen des gesamten nepalesischen Hügellandes, wo sie - in der Regel bis auf 1500 Meter Höhe - als Reisbauern tätig sind. In Westnepal liegt die Siedlungsgrenze der Bahun und Chhetri generell höher, da dort die tibeto-mongolischen Bergstämme weitgehend fehlen. Einerseits prägen diese beiden führenden sozialen Schichten des Landes die Landschaft durch die Millionen von Reisterrassen, die Generationen von Bahun und

Auch dieses Bahun-Mädchen aus Ostnepal übernimmt wichtige Arbeiten und Verantwortung im elterlichen Bauernbetrieb ( Telabung, Terhatum-Distrikt ).

Chhetri kunstvoll anlegten, andererseits ist keine andere Volksgruppe an der Entstehung des heutigen Staates so beteiligt gewesen, wie eben diese hinduistischen Priester und Krieger. Der Gurkhakönig Prithvi Narayan Shah ( ein Thakuri = Königskaste, eine Elitekaste der Chhetri ) eroberte die vielen einzelnen Fürstentümer und Königreiche und vereinigte sie 1768 zum heutigen Nepal. Die lokalen Verwaltungen und vor allem die neue Hauptstadt Kathmandu wurden fortan von Beamten und Politikern regiert, die aus dem Kreis der Bahun und Chhetri stammten. Viele bedauern diese absolute Dominanz. Eigenartigerweise bedeutete die Übernahme der Macht durch die Indo-Arier gleichzeitig den Beginn einer rücksichtslosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und das Ende der kulturellen Blüte, die bis dahin besonders im Kathmandutal durch die Newar entwickelt und gepflegt wurde.

Die Muttersprache der Bahun und Chhetri ist das Nepali, jene Sprache also, die im ganzen Land verstanden und gesprochen wird. Nepali stammt, wie viele Sprachen auf dem indischen Subkontinent, aus dem Sanskrit. Die Bahun und Chhetri sprechen ein gehobenes Nepali - eben ein Sans-kriti-Nepali -, während der grosse Teil ihrer Mitbürger - Angehörige anderer Volksstämme - das Idiom als Fremdsprache und deshalb mit Fehlern behaftet und entsprechend einfacher spricht. Diese Sprache wird Pahari-NepaliHügelbauern-Nepali ) genannt.

Im Mai und Juni wird der Reis ins vorgewässerte Feld gepflanzt. Zwei Bahuni tun dies mit der flinken Gewandtheit ihrer Volksgruppe ( Chan-danpur, Sank-huwa-Sabha-Distrikt ).

e CI a Q Auf dem Markt von Kharang bei Chainpur schwatzen eine Bahuni, eine Chhe-trini und eine Newarni miteinander ( Kharang, Sank-huwa-Sabha-Distrikt ).

Erscheinung und Ernährung Bahun und Chhetri bestechen durch ihr schlankes bis hageres Äusseres, durch ihre meist strengen Gesichtszüge und helle Hautfarbe. Die Kastenzugehörigkeit wird bei den Männern durch das Tragen einer Baumwollschnur um den Oberkörper oder bei den Chhetri auch um das Handgelenk angezeigt. Traditionell tragen die Männer unten enge und oben weite Baumwollhosen, ein Baumwollhemd und darüber ein Gilet oder Jacket sowie das unvermeidliche topi, die farbige oder schwarze Kopfbedeckung. Die Frauen tragen einen Rock, ein dickes Hüfttuch und eine oft rote Bluse, Handreifen, Ohren-und Nasenringe. Bei festlichen Angelegenheiten wird von den Damen der Sari zusammen mit einer kurzärmligen Bluse getragen.

Diese beiden Volksgruppen heben sich ab durch ihre gute Bildung, ihre geschliffene Sprache, ihr geschicktes Handeln und ihre effiziente Art, kastenspezifische Interessen zu vertreten. Sie ernähren sich von dem, was sie selbst produzieren: Reis, Gemüse, Hülsenfrüchte, Brotfladen. Schweinefleisch gilt als unrein und darf nicht verspeist werden. Orthodoxe hochkastige Hindus dürfen weder Fleisch noch Alkohol noch Tabak konsumieren. Für die als unrein geltende Arbeit des Pflügens werden in der Regel Gharti ( Angehörige der Sklavenkaste ) gegen Entgelt angestellt. Die Kühe bilden im Zyklus der Seelenwanderung die höchste Daseinsstufe und sind deshalb heilig. Sie dürfen unter keinen Umständen geschlachtet oder getötet werden, dies gilt auch für die Stiere. Daneben werden Hühner, Wasserbüffel und Ziegen gehalten.

Haus- und Siedlungsformen Die Häuser der Bahun und Chhetri sind dem ausgeglichenen und warmen Klima ihrer Siedlungszone angepasst. Leichtes Mauerwerk umgibt ebenerdig einen zentralen Raum, der Wo Reis angebaut wird, und sei es wie hier in Jumla auf fast 3000 Metern Höhe, sind in der Regel Bahun und Chhetri anzutreffen ( Jumla, Karnali-Zone ).

als Küche, Aufenthalts- und Schlafraum dient. Im ersten Stock befindet sich meist Lagerraum für Korn und Saatgut. Eine schmale Veranda umgibt den ersten Stock, der von einem behäbigen Dach, meist aus Reisstroh, abgeschlossen wird. Die Fassade ist immer frisch in Erdfarben und Weiss getüncht. Der Fussboden wird täglich mit einer Mischung aus Erde, Kuhmist und Wasser neu bestrichen. Der Eingang befindet sich auf der Schmalseite; er führt - besonders in Westnepal - durch einen allgemein zugänglichen gedeckten Vorraum. Der Küchen- und Wohnraum ist strikt hochkastigen Besuchern vorbehalten. Durch das Eintreten eines Niederkasti-gen oder Kastenlosen würde der Raum verunreinigt, und komplizierte rituelle Waschungen müssten den Schaden beheben. Die Häuser sind in der Regel locker in der Landschaft verteilt, Haufendörfer bilden eher die Ausnahme. Grosse Bambusbüsche und Bananenstauden sind immer in der Nähe der Behausungen zu finden. Auf den Wegen zwischen den Siedlungen spenden die mächtigen Pipal-und Banyanbäume Schatten. In der Nähe der Dörfer, die von Bahun und Chhetri bewohnt werden, ist meist nur wenig oder gar kein Wald zu finden.

Geburt, Heirat, Tod In den ländlichen Gebieten wird zu Hause geboren. Die Mutter und ihr Kind gelten daraufhin elf Tage lang als unrein, ebenso jede Frau während ihrer Monatsregel. In dieser Phase, die na chhunenicht berühren ) genannt wird, sind die Frauen von jeglicher Hausarbeit entbunden und dürfen vor allem keinerlei Speisen zubereiten. Diese Arbeiten werden ganz selbstverständlich von den Kindern oder vom Ehemann übernommen. Am zwölften Tag nach der Geburt erfolgt eine rituelle Waschung und die Namensgebung ( nwaran ) durch einen Priester. Ein jeder Knabe wird im Alter zwischen sieben und neun Jahren in die Gemeinschaft auf- bratbandh. Er trägt fortan die heilige Schnur und das topi. Die Kinder - und dies gilt eigentlich für alle Volksstämme im Bergland - übernehmen schon früh Verantwortung im Familienbetrieb. Die Mädchen holen Wasser und Holz und schneiden Gras, die Knaben hüten die Tiere und begleiten ihre Väter und Brüder zum Markt oder auf die Maiensässe, wo in den warmen Monaten der Weidebetrieb stattfindet. Die Mädchen wiederum schauen schon sehr früh zu den kleineren Geschwistern und umsorgen diese wie eine zweite Mutter. Die Familienbande werden durch diese enge Zusammenarbeit der Generationen stark aufgewertet, die Kinder erlangen dadurch Wissen, Kompetenz und Lebenssinn. Die Bahun heiraten extrem früh und strikt innerhalb ihrer Kastengruppe. Die Mädchen und Knaben werden traditionell im Kindesalter von acht bis zwölf Jahren einander versprochen. Die Heirat bedeutet für die Hindus eine religiöse Verpflichtung, die durch das Verhalten in früheren Leben vorausbe- Ein Chhetri-Vater und seine Kinder sonnen sich vor ihrem Haus in den Hügeln Westnepals ( Dhar, Jumla-Distrikt ).

stimmt ist. Scheidungen sind äusserst selten. Die Chhetri heiraten etwas später, mit 15 bis 18 Jahren. Auch heute noch werden die Heiraten durch den Vater mit Hilfe eines Fami-lienpriesters vermittelt. Bei der Heirat selbst folgen sich verschiedenste zere-monielle Riten. Einer besteht darin, dass der Bräutigam seiner Braut Zin-noberpulver auf den Haarscheitel reibt. Seine Frau hat nun den vollwertigen Kastenstatus erreicht und wird -als Zeichen ihrer Heirat - fortan jeden Tag dieses rote Pulver in den Haaren tragen. Vor diesem Moment gilt das Mädchen als kastenlos und darf beispielsweise keinen Reis für andere Bahun kochen. Geheiratet wird nur während bestimmter Monate. Bedingung ist dabei, dass der Planet Venus gesehen werden kann. Das genaue Datum und die Zeit werden durch einen Astrologen vorausbestimmt. Sowohl bei den Bahun wie auch bei den Chhetri ist es üblich, dass die Braut nach der Heirat ins Elternhaus des Bräutigams zieht, wo ihre Lebensgewohnheiten einer radikalen Änderung unterworfen werden. Die junge Frau muss sich zuerst durch harte Arbeit eine Position in der Familie schaffen, eine heikle Phase der Per-sönlichkeitsfindung, die sich aber meist nach der Geburt des ersten Kindes wieder entkrampft.

Stirbt jemand, so wird der Leichnam sofort an einen ghat ( eine Kre-mationsplattform an einem Fluss oder Bach ) gebracht und verbrannt. Der jüngste Sohn des oder der Verstorbenen zündet den Holzstoss an, auf den der Leichnam gelegt wird. Danach werden seine Kopfhaare bis auf eine Reisen, Begegnungen, Persönlichkeiten Strähne am Hinterkopf wegrasiert. Er unterzieht sich rituellen Waschungen und muss während 13 Tagen der Trauer ein weisses Baumwollkleid und eine weisse Mütze tragen. Diese Trau-erzeit, während der gefastet wird, gilt für die ganze Familie. Am Ende werden die Verwandten und Bekannten zu einem Essen eingeladen. An der Kremation selbst nehmen meist nur sehr wenige Angehörige teil. Die Asche wird dem Wasser anvertraut.

Religiöse Pflichten und Feste Hindu wird man ausschliesslich durch Geburt. Die Pflichten bestehen in der exakten Befolgung der kasten-spezifischen Vorschriften, die recht komplex und für uns teilweise schwer verständlich sind. So kennen die hochkastigen Bahun und Chhetri z.B. den abstrakten Begriff des « unreinen Feuers », eines Feuers, das von einer niederkastigen Person angefacht wurde. Darauf würde ein Bahun oder Chhetri niemals seinen Reis kochen. Das Leben des orthodoxen Hindu-mannes gliedert sich in vier Abschnitte: brahmachari ( Erziehung ), grihasthi ( Familie ), banaprasthi ( religiöse Studien, Meditation ) und schliesslich sanuyasi ( Verzicht, Rückzug ).

Der Hinduismus kennt Tausende von Gottheiten in verschiedenen Die Bahun und Chhetri sind Künstler. Sie mischen nicht Farben oder formen Skulpturen - sondern die Landschaft ( Arughat Bazar, Gurkha-Distrikt ).

Auch die Pahari-Häu-ser der Chhetri stehen inmitten ihrer Felder, beschützt durch Bäume und Bananenstauden ( Nesum, Taplejung-Distrikt ).

Erscheinungsformen. Die Hauptgötter sind Shiva, Vishnu, Brahma, Krishna und Ganesh. In Westnepal wird Mastha hoch verehrt, vermutlich eine animistische Götterfigur, die dort in den hinduistischen Pantheon aufgenommen wurde. Die frommen Hindus unternehmen regelmässige Pilgerreisen, vor allem nach Pashupatinath, Dakshinkali, Muktinath, Gosainkund und Janakpur in Nepal oder nach Vis-wonath ( Benares ), Jaganath, Rames-woram, Dwakanath, Amarnath und Badrinath in Indien.

Aufgrund ihrer Herkunft unterscheidet man in Nepal zwischen Kumain-Bahun ( in Westnepal ) und Purbiya-Bahun ( in Zentral- und Ostnepal ). Jede dieser Untergruppen betrachtet sich als reiner und höher eingestuft als die andere. Durch ihre Funktion als Tempel-, Familien- oder Gelegenheitspriester sind die Bahun in einzelne Familienclans aufgeteilt. Die Angehörigen tragen ihren Clan-Namen als Familiennamen, so u.a. Bhatta, Bista, Joshi, Pandey, Pant für Kumain-Bahun und u.a. Adhikari, Bhandari, Bhattarai, Ghimire, Paudel, Regmi und Subedi für die Purbiya-Bahun. Dieses Clan-System existiert auch bei den Chhetri. Dort hören wir folgende Namen: z.B. Chand, Kalyal, Malia und Shah für die Thakuri ( Königskaste ) oder z.B. Basnet, Karki, Khadka, Rana, Thapa und Woli für die restlichen Chhetri. Ein Kuriosum bildet der Familienname K.C ., eine

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Abkürzung für Khatri Chhetri. Dies ist die gängige Clan-Bezeichnung für Nachfahren von Verbindungen zwischen Bahun und Khas in Westnepal. Die doppelten Vornamen werden von den Priestern vermittelt und haben meist religiösen Hintergrund, so z.B. Krishna Prasad, Indra Raj, Thakur Nath für Knaben; Laxmi Devi, Shushila Kumari und Binita Maya für Mädchen.

Religiöse Feste gibt es in der hinduistischen Gemeinschaft sehr viele. Die grössten davon sind Dasain ( durga puja ) und Tihar ( dipawali ). Diese finden gerade nacheinander im Oktober statt. Während 14 Tagen wird im Dasain die Göttin Durga verehrt, eine schreckliche Manifestation von Parvati, der Gefährtin des mächtigen Zerstörergottes Shiva. Gleichzeitig ist Dasain eine Art Erntedankfest. Am 1O.. " " .Tag werden allen Menschen tika an der Stirn angebracht, jene bekannten roten oder gelben Zinno-bertupfer, die selbst Laien mit dem Hinduismus in Verbindung bringen. Während dieser Zeit werden Durga eine Menge Tieropfer dargebracht. Allein im Gurkhaschloss sollen jedes Jahr gegen 3000 Wasserbüffel geschlachtet werden. Der Göttin wird nur das Blut dargeboten, das Fleisch wird während der langen Festwochen von den Gläubigen selbst vertilgt.

Kurz darauf folgt das wunderschöne Lichterfest Tihar. Jedes Haus, das von Hindus bewohnt wird, leuchtet in den Strahlen von Dutzenden von Öllämpchen. Lokal werden ungezählte andere religiöse Feste gepflegt, deren Leitung meist einem der Tempelprie-ster obliegt.

Der Einfluss der Moderne Jene Chhetri oder Bahun, die in die Städte gezogen sind und dort zusammen mit anderen Volksgruppen leben, laufen Gefahr, ihre Traditionen zu verlieren oder zumindest aufzuweichen. Dies äussert sich vor allem in der Kleidung und Respektierung der Kastengesetze. Auch auf dem beschaulichen Lande, in den stillen Hügeln des nepalesischen Mittelgebirges, sind die Bahun und Chhetri einem Gesinnungswandel unterworfen, dessen Folge eine Vernachlässigung der volkstypischen Kultur ist. Besonders die junge Generation kann sich mit den Traditionen nicht immer identifizieren. Durch die Anlehnung an typisch westliche Verhaltensmuster wird leider eine sukzessive Desorientierung gefördert.

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