Tod eines Unsterblichen
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Tod eines Unsterblichen Ein Nachruf

Ueli Steck war mehr als ein Bergsteiger – er war ein ­Forscher im Grenzbereich zwischen Leben und Tod.

Ueli Steck und Tod, das waren zwei Begriffe, die immer wieder gemeinsam genannt wurden – und doch schienen sie sich so fern zu sein. Er würde ihm entrinnen, immer. Als wäre der Tod eine jagende Gestalt, Steck sein vorauseilender Schatten, stets unerreichbar. Nüchtern betrachtet war das natürlich Unsinn, so übermenschlich ist keiner. Und doch traf einen die Nachricht nun wie eine Abrissbirne ins Gesicht: Dass Ueli Steck in den Bergen stirbt, damit hatte irgendwie keiner gerechnet. Nicht auf dieser Tour. Die Everest-Lhotse-Überschreitung sollte eine riesige körperliche Herausforderung werden, klettertechnisch aber keine allzu schwierige für einen Bergsteiger von Stecks Format. Offenbar war er auf einer Vorbereitungstour in der Firnflanke des 7861 Meter hohen Nuptse unterwegs, in wenig anspruchsvollem Gelände, als er abstürzte.

Steck war mehr als ein Bergsteiger. Er war eine Figur für jeden und jede. Ein Forscher, der sich in den Grenzbereich zwischen Leben und Tod begab und für uns Daheimgebliebene von dort berichtete, wo kein Wissenschaftler mit Messmethoden oder Intellekt hinkommen konnte. Wenn er sagte, dass er an der Annapurna-Südwand mit einem Bein im Jenseits gestanden habe, weil die Chancen einer sicheren Rückkehr nur bei 50% gelegen seien, dann hörten wir alle hin, ob Alpinisten, Wanderer oder Manager. Denn das Jenseits steht uns allen bevor, nichts interessiert uns brennender, als wenn einer einen Umgang mit Tod und Risiko findet und dies in Worte fassen kann. Ueli Steck, der gelernte Zimmermann aus Ringgenberg, konnte das wie kein anderer.

Fast and light

Als er im Jahr 2004 den Excalibur-Pfeiler an den Wendestöcken seilfrei kletterte, war das sein Durchbruch. Ein junger Mann ohne jede Sicherung an einem 350 Meter hohen Felspfeiler. Damit setzte er sein Markenzeichen. War Bergsteigen bis anhin eine eher schwerfällige Sache mit viel logistischem Aufwand, so bekam es durch Ueli Steck definitiv ein neues Gesicht. Bergsteigen funktionierte offenbar auch leicht und schnell, das Material auf ein Minimum reduziert. Plötzlich rannte da einer durch die Berge – Rennen mit Steigeisen, sein erster Tabubruch. Seine Begehungszeiten waren fantastisch schnell, die Eiger-Nordwand schaffte er in unter drei Stunden. Er hält den Rekord: 2 Stunden und 22 Minuten. Darin sah er wohl nicht unbedingt einen tieferen Sinn, stattdessen gab er einmal eine ebenso einleuchtende wie lapidare Er­klärung: Irgendwann habe er erkannt, dass er schnell sein müsse, wenn er an einem Tag bergsteigen wolle und gleichzeitig um 14 Uhr zu einem Termin zu erscheinen habe.

«Fast and light», das sind die Worte Ueli Stecks und der Beginn einer alpinistischen Ära. Jeder wollte schnell sein. An Ueli Steck konnte man wachsen. Und verzweifeln – wenn man eigene Begehungszeiten mit seinen verglich. Natürlich begann diese Entwicklung bereits mit Buhl und Messner, die auch mit schnellen Zeiten Massstäbe setzten. Doch niemand prägte das heutige Bergsteigen so sehr wie Steck. Er ist das Vorbild der heranwachsenden Generation junger und starker Bergsteiger. Mit ihnen band er sich ohne jegliche Starallüren ans Seil. So stellte er mit dem 25-jährigen Nicolas Hojac zuletzt den Seilschaftsrekord an der Eiger-Nordwand auf. Man konnte leicht mit Steck in Kontakt treten, sich mit ihm zum Klettern verabreden oder bei ihm übernachten, wenn man einen Unterschlupf im Berner Oberland brauchte. Traf man ihn auf einer Bergtour oder im Klettergarten an, war er nahbar, gab Auskunft, bekundete mitunter die gleichen Mühen in einer Schlüsselstelle wie jeder andere. Journalisten begegnete er mit der gleichen Hingabe wie Experten. Offenbarte der Fragende Unwissenheit, liess er es diesen nicht merken.

Die Schattenseiten

Vor 15 Jahren definierte Ueli Steck sein Ziel: Er wollte der beste Bergsteiger aller Zeiten werden. Dass ihm damit ein risikoreiches Leben bevorstand, muss ihm bewusst gewesen sein. Dass es aber auch Feinde geben würde, schien ihn immer wieder überraschend zu treffen. Als er 2013 bereits einen Versuch der Everest-Lhotse-Überschreitung wagte und dabei in eine Schlägerei mit Sherpas geriet, rätselte die Welt, wie das passieren konnte. Dabei war es bloss das Paradebeispiel eines Ausnahmekönners, der sein Umfeld unabsichtlich brüskierte. Weil er leichtfüssig an den Sherpas vorbeizog, nahm er ihnen die Hoheit über ihren Berg, ohne dass er sich dieser Provokation bewusst war. In seinem Verständnis waren die Berge für jedermann da. Jeder sollte für sich sein Ding machen, solange er andere nicht tangierte.

Im Herbst darauf reiste er an den Fuss des Annapurna, eine schnelle Begehung der Südwand sollte ihn aus dem Loch holen, in das ihn die Sherpa-Schlägerei geworfen hatte. Doch die Tour wurde zur nächsten Prüfung: Steck brachte zwar die Erzählung einer fantastischen Leistung zurück, jedoch keinen Beweis. Wieder hatte er nur sein Ding gemacht – und provoziert, ohne es zu wollen. Steck musste schmerzlich erkennen, dass er durch sein Tun dem Alpinismus nicht nur positive Neuorientierungen verpasste. Plötzlich wurde Beweisführung zum Thema, während zuvor das reine Wort galt.

Nicht nur deswegen war der Annapurna kein Befreiungsschlag, sondern vielmehr ein noch tieferes Loch. Steck erkannte auch, dass er persönlich zu weit gegangen war, als er sich für den Gipfel entschied. Er sagte, dass es in diesem Moment für ihn okay gewesen war, zu sterben. Ein Commitment, das ihm im Nachhinein selbst zu extrem war. Er sprach später von Midlife-Crisis. Als er sich zuletzt ein alpinistisches Ziel in den Alpen setzte (die Besteigung aller 82 Viertausender innert einer Saison und unter Verzicht jeglicher motorisierter Fortbewegung), konnte man meinen, dass dies Teil eines Besinnungsprozesses war, nachdem er im Himalaya eine «rote Linie überschritten hatte», wie er selbst sagte.

Das Menschenmögliche

Dann wurde Ueli Steck 40 Jahre alt. Ein neuer Lebensabschnitt stand an, und ihm muss bewusst gewesen sein, dass damit auch Prioritäten änderten. Als er in einem seiner letzten Interviews sagte, dass er mit Erschrecken festgestellt habe, wie viele Spitzenbergsteiger mit 40 Jahren stürben, nahm man dieses Erschrecken mit einer gewissen Beruhigung zur Kenntnis. Ein Wandel musste in ihm stattgefunden haben: Nahm er den Tod vor vier Jahren am Annapurna noch in Kauf, so klang es nun doch ganz anders. Nachhaltiger, so als sollte die Everest-Lhotse-Überschreitung seine letzte grosse Expedition werden, ehe er sich in ein ruhigeres Leben begeben würde. Und so war die alpine Welt dieser Tage in gespannter Erwartung. Sein Vorhaben bedeutete, zuerst den höchsten Berg der Welt, den Everest (8848 m), zu erklimmen und dann gleich den Nachbarberg, den Lhotse, anzuhängen, den mit 8516 Metern vierthöchsten Berg der Welt.

Auf Facebook konnte man Stecks Akklimatisationsphase verfolgen, das Auf und Ab zwischen den verschiedenen Lagern der Everest-Südroute. Er schien so fit wie noch nie, bald müssten die Kletterbedingungen am Everest gut sein, Steck seinen Marathon in eisigen Höhen erlauben. Er würde die Überschreitung gewohnt schnell hinter sich bringen, ohne zusätzlichen Sauerstoff, und noch dazu über eine schwierige Route am Everest aufsteigen – das Hornbeincouloir ist deutlich anspruchsvoller als der Normalweg über den South-Col. Einmal mehr würde er das Menschenmögliche neu definieren.

Er hat es nun nicht neu definiert, das Menschenmögliche. Im Gegenteil: Steck ruft uns schmerzlich in Erinnerung, dass auch der Tod zum Menschenmöglichen gehört. Die Schattenjagd war Wunschdenken. In solchen Momenten wollen wir uns nur noch hinsetzen und die Berge von weit, weit weg betrachten. Werden wir je wieder dort hochsteigen? Oder sind sie eben doch nur zum Anschauen da?

Dieser Text ist zuerst am 1. Mai 2017 im Tages-Anzeiger ­erschienen.

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