Streifereien im Etzlithal
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Streifereien im Etzlithal

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I. Versuch auf den Sonnigwichel.

Am 10. Juli 1892 schwänzten Freund Züblin und ich wieder einmal das Colleg, um in die Berge zu wandern. Wir hatten schon lange im Sinne gehabt, in einer wenig besuchten Gegeud uns umzuschauen, und da fiel unser Auge auf das Gebiet zwischen Etzlithal, Pellithal und Oberalpstraße. Man sieht nämlich zwei Berge dieser Gegend vom Ütliberg aus als schöne Pyramiden links und rechts vom Bristenstock. Die Karte belehrte uns, daß dem Piz Giuf mit 3098 m die Ehre zukomme, die höchste Spitze in jenem Gebiet zu sein, und da zugleich im Tschudi unter diesem Titel etwas von einem mißlichen Kletterweg steht, so entschlossen wir uns, den Piz Giuf zu probieren.

Von Amsteg brachen wir am genannten Tage 9 Uhr 45 Min. vormittags auf, zogen ins Maderanerthal hinein und wendeten uns bei Hinterbristen nach rechts, dem Eingang des Etzlithals zu. Da bewunderten wir den prächtigen Wasserfall, den der Etzlibach bildet, indem er sich von der untersten Thalstufe des Etzlithales in die Sohle des Maderanerthales stürzt. Bei zwei „ Eingebornen ", die des Weges kamen, und von denen sich einer als Gemsjäger ausgab, erkundigten wir uns nach dem Crispait, unter welchem Namen in jener Gegend der Piz Ner oder auch etwa der Piz Giuf verstanden wird. Der Gemsjäger meinte, das Gestein sei auf dieser Seite faul, vielleicht sei es auf der „ Bindtner Seite " besser; er würde uns aber eher anraten, auf den „ hechsten Bristen " zu gehen, dann müßten wir aber vom Etzliboden aus nach der Läucherstock-Alp hinauf und dann auf den Bristen-Grat. Wir dankten dem Mann für seinen Rat, hatten aber nicht im Sinn, von unserem Projekt abzustehen, und zogen weiter; drei Stunden nach Abmarsch von Amsteg kamen wir in Hinter-Etzliboden ( 1315 m ) an. Die vielen Sennhütten und Ställe bilden ein kleines Dörfchen; wir suchten darin lange vergebens ein menschliches Wesen, endlich fanden wir einen Knaben, der uns in einer mit Fliegen überfüllten Stube mit Milch bewirtete. Wir blieben eine halbe Stunde.Vom Etzliboden aus zeigt das Thal drei Stufen; die unterste ist der Roßboden, die mittlere Culma, die dritte Müllersmatt, wo sich dann das Thal nach Westen wendet.

Auf dem Roßboden ( 1652 m ), den wir nach einer starken halben Stunde erreichten, schliefen wir gemütlich eine Stunde in der guten Hütte. Bei der zweiten Stufe Culma ( von den Urnern „ Gulme " ausgesprochen ) zweigt der Krüzlipaß nach links ( Osten ) ab in das steinige, öde Thal zwischen Weitenalpstock und Krüzli-Berg. Vielleicht ist der Name Culma von den Romanen gegeben worden, die über den Krüzlipaß ins Etzlithal gekommen waren. Das Wort Culm kommt ja sehr häufig im Romanischen vor. Von der obersten Stufe Müllersmatt ( 1980 m ) geht direkt nach Süden ein Paß über die Mittelplatten in die Val Milar, während sich der Thal- bach nach Westen, gegen den Spiellauisee zu wendet. Hier überraschte uns der Anblick des Sonnigwichel, der mit seinen verschiedenen Gipfeln und seinen von Couloirs durchfurchten Wänden abenteuerlich genug aussah. Einen Wunsch, diesen Berg zu erklettern, ließ keiner laut werden, da jedem der Anblick der Wände und Gräte nicht sehr erbaulich erschien. In Unter-Felleli ( 2080 m ) suchten wir lange die auf der Karte bezeichnete Hütte, konnten sie aber nicht finden, auch bei späteren Besuchen in dieser Gegend fand sich keine Spur einer Behausung. So entschlossen wir uns, nach Ober-Felleli ( 2160 m ) hinaufzusteigen und uns dort ein kostenfreies Nachtquartier zu suchen; um 6 Uhr hatten wir oben die Hütteninspektion beendigt und eine gefunden, die auf einer mit Alpenrosenstauden bedeckten Pritsche Raum für etwa vier Mann bot. Für freien Zutritt der Luft war ausgiebig gesorgt, die Thüre war nur halb so groß, als die Thüröffnung, und handbreite Löcher ließen den Wind ungehindert hineinblasen. Nachdem wir das Nachtlager hergerichtet, widmeten wir unsere Aufmerksamkeit der Umgebung. Die -ganze Gegend zeigte deutlich den zerstörenden Einfluß von Wind und Wetter; überall Geröllhalden, große Moränen und verwitterte Gräte. Nach Nordosten sahen wir den gewaltigen Oberalpstock mit seinem charakteristischen Gipfelbau, davor den Weitenalpstock ( 3009 mdann schweifte der Blick über ein wildes, steiniges Thal nach der Paßhöhe des Krüzli hin. Gerade vor uns gegen Süden zeigte sich der Felleli-Firn, vom Piz Ner ( 3058 m ) sich herabziehend, links ( nach Osten ) begrenzt vom Mutsch und seinen nördlichen Vorgipfelri, rechts ( nach Westen ) durch einen mit Moränenschutt bedeckten flachen Felsgrat, der vom Punkt 2058 herkommt und das östliche Ufer des Spiellauibühlfirns bildet. Dieser Firn, vom Grat zwischen Punkt 2958 und Piz Giuf herabkommend, westlich begrenzt von dem nördlichen Ausläufer des Schattig-Wichel, sollte uns am andern Morgen zum Aufstieg dienen, aber die gewaltige Randkluft und die übrigen Spalten ließen uns denselben für nur zwei Mann nicht gerade als einen Spaziergang erscheinen. Weiter nach rechts zeigte sich der Sonnig-Wickel; seine Wand hielten wir nicht für günstig zum Aufstieg; jedenfalls, meinten wir, wäre es besser, ihn von der Pörtli-Lücke aus zu versuchen, die verschiedenen Vorgipfel ließen sich vielleicht auf der andern Seite umgehen. Wie sehr wir uns täuschten, wird sich in der Folge ergeben. Während unserer Betrachtung hatte sich der Himmel mit dunkeln Wolken überzogen, der Tag war recht schwül und heiß gewesen, und wir hatten uns schon lange auf ein Gewitter gefaßt gemacht. Es ließ denn auch nicht mehr lange auf sich warten. Das Hüttendach war „ regenfest ", und so legten wir uns ruhig aufs Lager. Da wir nicht allzu fest schliefen, so konnten wir deutlich wahrnehmen, daß das Gewitter während der Nacht sich zweimal erneuerte. Am Morgen zogen die Nebel an den Wänden herum. Nach einigem Erwägen gaben wir den Piz Giuf auf, weil dort der Nebel ziemlich stark war und den Firn weit hinunter bedeckte. So machten wir uns auf gegen den Sonnig-Wichel, weil der verhältnismäßig am wenigsten vom Nebel belästigt wurde; allerdings flogen kleine Wolken über den Grat, der sich gegen die Pörtli-Lücke hinabzieht.

Um 4 Uhr verließen wir Ober-Felleli, kamen an den schlechten Hütten von Spiellaui und an dem noch mit Eis bedeckten See vorbei und stiegen dann über Schneeflecken und Geröllhalden gegen die Pörtli-Lücke ( 2514 m ) hinan, die wir um 5 Uhr 30 Min. erreichten. Hier nahmen wir unser Frühstück ein. Einen Rucksack ließen wir am Pörtli zurück und brachen um 6 Uhr auf.

Nach einigem Suchen fanden wir einen kurzen, engen Kamin, der uns den Einstieg in die Wand ermöglichte. Er war oben durch einen Felsblock gesperrt, über welches Hindernis aber Freund Züblins längliche Struktur hinweghalf. Nun ging es teils leicht, teils weniger leicht empor, bis uns eine glatte Wand Halt gebot. Nach links war eine Umgehung nicht möglich; nach rechts senkte sich ein schmales Couloir, das im obern Teil vereist war, gegen eine Geröllhalde hinunter. Von diesem Couloir aus liefen einige ganz schmale Bändchen und Risse, die Absätze zwischen den Platten der Wand bildend, an der Wand hinauf, standen aber überall sehr weit von einander ab. Wir setzten uns zunächst zu einer Beratung nieder. Es war 7 Uhr 45 Min. und wir mochten uns etwa 2650 bis 2700 m hoch befinden, wie wir aus dem gegenüberliegenden Steinstock schlössen.

Ob wir mittelst der erwähnten Bänder und Risse die Wand würden erklettern können, schien uns sehr fraglich, denn die Platten waren glatt und hoch. Für den Abstieg, den wir wegen des zurückgelassenen Sackes auf demselben Wege machen mußten, durften wir füglich dieselbe Zeit ansetzen, wie für den Aufstieg, denn einige Stellen waren doch nicht so ohne gewesen. Schließlich entschieden wir uns, abzusteigen, denn wenn wir den Abstieg durch das Couloir ausführten, könnten wir immer noch, wenn sich ein bequemer Weg zeigte, wieder über die Wand hinauf und so weiter kommen. Also beeilten wir uns nicht gar sehr, sondern betrachteten die Fernsicht, die allerdings durch den Nebel stark beeinträchtigt wurde; fast alle Spitzen hatten Nebelhauben angezogen und zeigten so, daß sie für uns nicht zu Hause wären. Auf dem Grate, der vom Steinstock gegen den Roßbodenstock sich hinzieht, entdeckten wir einige Gemsen, deren Bewegungen wir eifrigst durchs Fernrohr verfolgten, bis sie uns nicht mehr sichtbar waren.

Als wir uns endlich zum Aufbruch anschickten, war es fast 9 Uhr. Im obern Teile des Couloirs mußten wir Stufen schlagen, weiter unten war das nicht mehr nötig, sondern das apere Geröll trat zu Tage und ließ uns ziemlich rasch vorrücken. Trotz eifrigen Suchens fanden wir nirgends in der linksseitigen Wand eine Stelle, die uns gestattet hätte, hinaufzukommen, und so schlugen wir uns denn durch das aus mächtigen Blöcken bestehende Trümmerfeld, in das unser Couloir ausmündete. Es kostete noch eine halbe Stunde, bis unser Sack von der Pörtli-Lücke herunter geholt war, aber flotte Rutschpartien führten uns rasch in den Pörtliboden, auf der Karte mit Hinter-PÖrtli bezeichnet, hinunter. Hier sahen wir erst, daß wir gut daran gethan hatten, abzusteigen, denn der Grat zeigte in seiner Fortsetzung noch einen und zwar viel tiefern Einschnitt, den uns auf der Spiellauiseite der Nebel verdeckt hatte. Jedenfalls hatten wir den Berg an einem seiner ungünstigsten Punkte angepackt. Vom Pörtliboden aus ging 's das Pörtlithal hinunter nach Vorder-Waldi, von wo aus wir die elegante Spitze des Rüchen oder Klüserstockes bewunderten, dann über Rhona nach dem Felliberg und den holprigen und steinigen Weg hinunter auf die Landstraße. Ich dachte damals noch nicht, daß ich diesen Weg noch einige Male des Nachts hinaufsteigen würde. In Gurtnellen konnten wir uns noch etwas erfrischen und dann führte uns der Zug nach Hause.

II. Bristenstock.

Ungefähr vier Wochen später, am 7. August, führten unser vier Zürcher Clubisten, Hardmeyer, Vogler, Züblin und ich mit einem patentierten Führer, den wir in Amsteg noch vorgefunden hatten, die Besteigung des Bristenstockes aus. Wir benutzten zum Aufstieg den Grat westlich des kleinen Firnfeldes an der Nordseite des Bristenstockes und kamen um 7 Uhr 40 Min. auf dem Gipfel an. Der Grat bereitete nirgends Schwierigkeiten, obschon die Felsen in den obern Partien von feinem Riesel bedeckt waren. Die Temperatur war angenehm, und so konnten wir uns mit Muße der Betrachtung der Aussicht widmen, von der uns allerdings der Nebel jeweilen nur ein Stück frei ließ. Was uns von der ganzen Fernsicht am besten gefiel, war der Blick ins Reußthal und nach dem Urnersee. 2500 m in direkter Flucht geht es hinunter und Amsteg glaubt man mit einem Stein erreichen zu können. Einen Führer hatten wir nur deswegen mitgenommen, weil wir beabsichtigten, gegen den Hang-Firn abzusteigen, und dabei nicht gerne viel Zeit mit Wegsuchen verlieren wollten, da wir im Sinne hatten, noch am gleichen Tage über die Mittelplatten in die Val Milar und von da nach Sedrun zu gelangen, oder doch mindestens weit oben im Etzlithal zu übernachten. Unser Führer hatte uns zwar mitgeteilt, daß er noch nie nach dem Etzlithal abgestiegen sei, daß er aber sich wohl getraue, einen Weg zu finden, da er viele Jahre im Etzliboden Senn gewesen. Weil wir demnach nicht wissen konnten, was uns bevorstand, so dachten wir uns durch längere Rast zu stärken; unsere Rucksäcke hatten erhebliches Gewicht, da wir für vier Tage Proviant und Kleider bei uns hatten.

So machten wir uns erst 9 Uhr 30 Min. an den Abstieg. Anfangs ging 's ganz gut, allmählich wurde es schwieriger, die Felsabsätze wurden höher und die Bänder schmäler, immerhin gingen wir ohne Seil. Unser Führer hielt sich immer mehr zurück, und anstatt den Weg zu suchen, überließ er uns diese Aufgabe. So ging 's hinunter bis an den letzten Absturz gegen den Hang-Firn, da suchten wir vergebens in der Nähe nach einer guten Stelle; es wäre vielleicht hinunter gegangen, doch hätten wir jedenfalls ausgiebigen Gebrauch vom Seil machen müssen. Wir spähten daher nach einer andern Route. Der Grat südlich vom Firn senkt sich mäßig steil ins Thal hinunter, und es schien uns, daß wir wohl auf ihm verhältnismäßig leicht auf besseres Terrain kommen würden. So versuchten wir den Grat südlich des Firns zu gewinnen. Von unserem Standpunkt aus konnten wir nicht direkt hinüber traversieren; wir mußten erst wieder ein Stück aufwärtssteigen. Auf dem Grat angelangt, sahen wir aber bald, daß die vielen Grattürme uns zu lange aufhalten würden; wir setzten deshalb unsere Traversierung fort und kamen in das große Couloir, das zwischen dem vordem und hintern Bristenstockgipfel beginnt und sich bis auf ein kleines Firnfeld hinabzieht. Von hier an war unser Führer wieder brauchbar und hat sich im ferneren gut gehalten. Wir benutzten nun das Couloir zum Abstieg, indem wir hofften, auf diese Weise aus der Wand hinaus zu kommen. Am untern Ende des Couloirs gähnten uns aber drei Spalten entgegen, die wir wohl nicht hätten überspringen können. Wir mußten so die das Couloir nach Süden begrenzende Gratrippe umklettern, was nicht mehr viel Mühe kostete, fanden dann eine Stelle, wo wir aus den Felsen heraus konnten, und stiegen dann gemütlich über Geröll und steinige steile Weiden zur Stock-Alp ( 1950 m ) hinunter, wo wir 1 Uhr 30 Min. anlangten. Wir hatten also für die cirka 1000 m vier Stunden gebraucht. Ich erlaube mir hier eine Bemerkung über die Karte. Der Grat südlich des Hang-Firn beginnt unmittelbar hinter dem Gipfel, nicht so weit südlich desselben, wie auf der Karte ( Siegfr. Bl. 407 ) angegeben Ferner zieht sich vom hintern Gipfel ein deutlich ausgeprägter Grat hinunter, und zwischen diesem und dem vorher erwähnten verläuft das Couloir, welches in ein Firnfeld ausmündet, das auf der Karte fehlt. Die ganze Topographie der Ostseite des Bristenstocks ist deutlich zu erkennen auf dem Panorama, welches Clubgenosse H. Brun vom Oberalpstock aus aufgenommen hat. ( Siehe S.A.C. XXX, pag. 192: Die Berge des Felli-und Etzlithals. ) Auf der Stock-Alp rasteten wir eine Stunde, setzten uns aus unserem Proviant ein möglichst flottes Mahl zusammen und besprachen unseren Weg. Der Führer zeigte eine „ Mordsfreude " darüber, daß er einen neuen Abstieg gemacht habe. Unter den besten Glückwünschen für die übrige Tour trennten wir uns. Herr Vogler und der Führer zogen thalabwärts; wir andern drei strebten thalaufwärts. Wir konnten nun, um unsern Zweck zu erreichen, erst in den Etzliboden hinabsteigen und dann wieder aufwärts wandern, oder dann den Grat zwischen Steinstock und Roßbodenstock überschreiten und so nach Ober-Felleli gelangen. Diesen Weg hätten wir eigentlich vorgezogen, da wir in der Voraussicht des kommenden schönen Tages den Übergang ins Bündner Oberland über den Piz Giuf machen wollten. Allein der Senn auf Stock-Alp bemerkte uns, daß Ober-Felleli jetzt bezogen sei, und wir infolgedessen wohl kein Nachtlager finden würden. Ganz in den Etzliboden hinunter zu steigen gefiel uns auch nicht, und so versuchten wir direkt nach dem Roßboden oder nach Culma zu gelangen. Felsabsätze und ungangbare Tobel zeigten uns aber bald, daß wir mehr Zeit brauchen würden, um auf diesem Wege ans Ziel zu kommen, als wenn wir ganz ins Thal absteigen würden. So verfolgten wir denn einen miserablen Geißpfad, der uns schließlich zu hinterst im Etzliboden landen ließ. Da wir als Nachtquartier die Hütten auf Roßboden auserlesen hatten, und es bis dort hinauf nicht mehr weit war, so eilten wir uns gar nicht, sondern ließen es uns wohl sein und kamen erst um 5 Uhr 15 Min. im Roßboden an. Zuerst brauten wir uns eine flotte Suppe, dann wurden die defekt gewordenen Kleider mit großer Eleganz geflickt, und nachdem wir noch eine Weile gemütlich geplaudert und die Aussicht betrachtet, zogen wir uns in die Hütte zurück, die Züblin und mir schon von früher her in guter Erinnerung stand. Der Schlaf ließ noch einige Zeit auf sich warten, denn die Erlebnisse des Tages, sowie die bei dergleichen Gelegenheiten üblichen Witze hielten uns noch eine Weile wach.

Am andern Morgen war früh Tagwache; Toilette war bald gemacht, und nachdem wir etwas zu uns genommen, brachen wir 3 Uhr 30 Min. auf, kamen 5 Uhr 30 Min. nach Unter-Felleli und ruhten dort bis 6 Uhr, um dem Magen wieder neuen Stoff zuzuführen und nebenbei über den Aufstieg zu beraten. Wir wählten zum Aufstieg die Moräne, die von Unter-Felleli aus längs des nördlichen Ausläufers des SchattigWichel weit in den Spiellauibühlfirn hinaufragt. Während des Aufsteigens spähten wir eifrig im Schutt nach Krystallen, konnten aber nur beschädigte Exemplare entdecken. Auf dem Firn angekommen, hielten wir uns nach rechts, weil dort weniger Spalten waren und die Steigung auch geringer war. Erst ziemlich weit oben zogen wir uns in die Felsen, die wir an einer Stelle betraten, wo der Bergschrund keine Schwierigkeiten verursachte. Die Felsen bestanden aus lose auf einander geschichteten, mächtigen Blöcken, die durch den kleinsten Stoß aus dem Gleichgewicht gebracht werden konnten. In ihnen fanden wir sehr viele Rauchquarze, sowohl einzelne Stücke, als auch ganze Drusen; diese letzteren waren vermutlich von Strahlern losgetrennt worden, wenigstens schlössen wir das aus mehreren Platten, die schön rechteckig geformt waren. Auf dem Gipfelgrat angelangt, sahen wir über die 700 m hohe Wand ins Wichelthal hinunter, und ganz von selbst gab es sich, daß wir beim Überklettern des ziemlich luftigen Grates uns mehr auf der Ostseite hielten. Um 9 Uhr 45 Min. waren wir auf dem Gipfel des Piz Giuf. Dieser Berg wurde am 27. Juli 1867 von Herrn Hoffmann-Burkhardt mit Führer Furger auf einem andern Wege bestiegen ( Jahrbuch VI, pag- 475 ). Die genannte Partie stieg vom Spiellauisee über den Spiellauifiru empor, dann wurde der ganze Grat nach dem Piz Giuf hin überklettert. Herr Hoffmann bemerkt, daß er nicht auf der südlichsten, höchsten Spitze gewesen sei; von ihr aus sieht man den Crispait, den Herr Hoffmann von seinem Standpunkt aus nicht sah. Prof. Theobald giebt in einer Anmerkung zum genannten Aufsatz bekannt, daß höchst wahrscheinlich schon P. Placidus a Spescha den Piz Giuf erstiegen habe. Auch über die Nomenklatur in jener Gegend giebt Theobald Aufschluß. Bezüglich der Karte will ich bemerken, daß sie den Grat zwischen Piz Giuf und Punkt 2958 nicht richtig angiebt; sie zeigt in der Nähe des Piz Giuf einen starken Felsgrat, während in Wirklichkeit der Firn bis an die Schneide hinaufreicht und nur wenige Meter Fels frei läßt.

Seit 1867 scheint der Piz Giuf von Touristen nicht mehr bestiegen worden zu sein, von Strahlern wird er jedenfalls häufig besucht, da sich in seinen Felsen manch guter Fundort befinden mag. In Anbetracht der angenehmen Temperatur und der großartigen Aussicht fühlten wir uns ganz behaglich auf dem Gipfel; ja ein Mitglied unserer Gesellschaft ließ sich sogar verleiten, dem Genüsse einer Ormond zu fröhnen, ein Luxus, den er sich sonst nie leistet. Während einer einen Steinmann errichtete und der zweite schlief, musterte der dritte mit seinem Fernrohr die Fernsicht und trat schließlich mit der Behauptung hervor, daß man den Uetliberg, den Zürichberg und sogar den Zürichsee sehen könne. Aus Mangel an einem Gegenbeweise drang diese Ansicht durch, und wir haben nachträglich von Zürich aus, hart an der linken Seite des Bristenstocks, scheinbar diesem angehörend, eine Spitze bemerkt, die sehr wohl der Piz Giuf sein kann.Nachdem wir unsere Karte mit den Notizen der Besteigung in einer Sardinenbüchse versorgt und sie dem Steinmann anvertraut hatten, machten wir uns nach 12 Uhr an den Abstieg, der wohl im wesentlichen mit dem des Herrn Hoffmann übereinstimmt. Über die losen Trümmer absteigend, kamen wir an das obere Ende des namenlosen Firnfeldes im Hintergrund der Val Giuf. Flotte Rutschpartien brachten uns bald an das untere Ende des Schnees, und nun begann eine weniger gemütliche Wanderung über Geröll jeden Kalibers. Die Val Giuf ist im obern Teile ein schmales, von den hohen Wänden des Crispait und Culmatsch eingeschlossenes, steiniges Thal; unten, wo es breiter wird, überrascht den Wanderer ein prächtiger Ausblick. An Stelle der öden Geröllhalden treten saftige Weiden, dunkle Tannenwälder zeigen sich auf der andern Seite des Rheinthales, und darüber glänzen die Firnen und Gletscher der Medelser Gruppe und des Piz Ganneretsch.

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